Nach 2013 ist dies mein 2. Besuch im Bergischen Land auf dem Röntgenweg. Nach gut 2 Stunden Anfahrt erreichen wir, Dieter und ich das Sportzentrum Hackenberg in Remscheid-Lennep. In der Sporthalle ist schon viel Betrieb, aber es wird alles routiniert erledigt. Das Team hat ja auch schon 14 Jahre Erfahrung.
Es werden 14 verschiedene Strecken angeboten, die zwischen 400m für die Bambinis und 100km für die erfahrenen Ultraläufer sind. Für Dieter und mich steht der Marathon mit 42,2 km auf dem „Dienstplan“. Dafür liegt das Startgeld zwischen 33€ und 43€, je nach Anmeldedatum. Im Startgeld ist auch das Röntgenlauf Funktions-Shirt erhalten. Da die Marathonstrecke kein Rundkurs ist und wir nicht zum Ausgangspunkt zurück kommen, wird unser Gepäck zum Marathonziel transportiert. Für die Läufer ist ein Shuttleservice eingerichtet.
Beim Röntgenlauf kann man sich übrigens auf der Strecke umentscheiden und zum Beispiel statt des Marathons nur den Halben laufen oder umgekehrt. In die offizielle Wertung kommt man allerdings nur mit der gemeldeten Distanz. Um- und Aussteiger kommen in eine separate Liste.
Der Startplatz liegt direkt neben dem Sportzentrum Hackenberg in Lennep. Lennep ist ein Stadtteil von Remscheid mit ca. 25.000 Einwohnern. Die ehemalige Hansestadt hat eine mittelalterliche Altstadt mit vielen Gebäuden im sogenannten bergischen Barock. Am Bach Linepe (heute Lennepe) gab es schon vor 5000 Jahren menschliche Siedlungen. Die Anfänge der Stadt liegen jedoch im 12. Jahrhundert, sie gehört damit zu den ältesten im Bergischen Land. Die wohl interessantesten Sehenswürdigkeiten sind das Tuch-Museum, das Deutsche Röntgen-Museum und der mittelalterliche Stadtkern mit seinen vielen gut erhaltenen bzw. restaurierten altbergischen Gebäuden aus Fachwerk und Schiefer. Für viele Ausflügler sind auch die Wuppertalsperre und die Panzertalsperre interessant.
Wie immer treffe ich Kameraden, mit denen ich schon so manchen Marathon gelaufen bin. Es ist immer wieder schön, sich auszutauschen. Der Wetterbericht sagt uns für heute leider keinen Sonnenschein voraus. Schade, denn ein wenig Altweibersommer würde den Laufgenuss auf dieser herrlichen Strecke noch steigern.
Während sich einige Läufer warmlaufen, lauschen andere andächtig dem Pfarrer, der eine Morgenandacht hält, andere wiederum unterhalten sich ganz angeregt. Dann heißt es Achtung, Startschuss und das Feld von rund 2000 Läufern (Halbmarathon, Marathon und Ultra 63,3km) setzt sich langsam in Bewegung. Die 100 km-Läufer sind längst unterwegs.
Wir laufen im Zickzack durch Hackenberg und dann abwärts in den alten Ortskern von Lennep. Direkt am Röntgen Museum biegen wir ab und laufen eine Schleife über die granitgepflasterten Straßen und Gassen. Über eine Gasse ist eine Leine mit diversen Röntgenlauf-Shirts gespannt. Hier sind wir richtig und auch herzlich willkommen.
Im Ort ist die typische bergische Bautradition zu sehen, schwarzes Ständerwerk mit weißen Fernstern und Türen sowie gekalkten Gefachen und grünen Fensterläden. Ganz typisch ist das beim Deutschen-Röntgen-Museum zu sehen, an dem wir vorbei laufen. Der Namensgeber dieser Veranstaltung, der Physiker Wilhelm-Conrad Röntgen erhielt bekanntlich für die Entdeckung der Röntgenstrahlen als erster 1901 den Nobelpreis für Physik. Er veröffentliche viele wissenschaftliche Arbeiten, aber die Entdeckung der X-Strahlen hat bis in die heutige Zeit die medizinische Diagnostik revolutioniert. Im Röntgen Museum werden auf 2100 m² Fläche eine große Sammlung von persönlichen Dingen von Wilhelm-Conrad Röntgen sowie eine Zeitreise von der Entdeckung der X-Strahlen bis in die heutige Zeit gezeigt.
Es geht zurück nach Hackenberg, durch eine kleine Wohnsiedlung verlassen wir dann den Ort. Am Ortsende stehen auf einem Balkon Anwohner und rufen und trommeln uns lautstark zu, wie jedes Jahr. Kurz davor haben wir schon die ersten 5km geschafft. Jetzt geht es raus in die trübe Landschaft und ein längeres Stück abwärts in den Wald. Zu einer kleinen Ansiedlung geht es wieder bergauf und der erste Versorgungspunkt ist erreicht.
Wer’s nicht schon weiß, dem wird bereits auf den Kilometern klar: Das Bergische Land ist ein bergiges Land. Die gesamte Strecke sind praktisch drei Halbmarathons an einem Stück, von denen ich heute zwei laufen werde.
Hinter den Häusern geht es ein Stück übers freie Feld und schließlich abwärts über einen sehr matschigen Weg in den Wald. Auf dem Bergabstück kommt man leicht ins Rutschen und manche machen dabei ganz lustige Tanzfiguren. Aber ich sollte lieber nicht lästern, sonst haut es mich noch selber hin.
Die Strecke ist super gekennzeichnet durch gelbe Pfeile an Bäumen und auf dem Boden. Ein Verlaufen ist hier nicht möglich. Überall, wo der Weg abbiegt, ist noch zusätzlich Trassierband gespannt. Hinterm Wald am Ortsschild Remscheid laufen wir aufwärts zur Garschager Heide. Vorbei am alten Wasserturm von 1914 geht es wieder in den Wald. An der Autobahnbrücke über die A1 haben wir die ersten 10km geschafft.
Über freie Felder erreichen wir Lüttringhausen, den nördlichsten Stadtteil von Remscheid. Es geht ein kurzes Stück durch den Ort, zu seiner Versorgungsstelle und dann wieder in den Wald. Nach einer weiteren Abwärtsstrecke überqueren wir den Leyerbach und werden auf der Asphaltstraße von einer Trommlergruppe empfangen. Bei Km 15 kommt bereits die nächste Verpflegungsstelle. Stärkung ist jetzt angebracht, denn es folgt ein längerer Anstieg. Auf einem Hohlweg geht es aufwärts und dann weiter am Waldrand entlang. Das nächste Gefällstück lässt nicht lange auf sich warten.
Nach einem erholsamen Läufchen geht es auf einer Asphaltstraße und bei Km 18 auf schlechtem Weg, der nur ausgemachten Trailrunnern Freude macht, aufwärts zu den Prosecco-Schwestern. Einen Röntgenlauf ohne die lustigen Mädels kann man sich nicht vorstellen. Ein Schlückchen kann nicht schaden, aber dann geht es schon wieder weiter durch den herbstlichen Wald.
Trails und Waldwege wechseln sich ab, ebenso Auf- und Abwärtspassagen. Was hat denn Toni für eine Startnummer? Sie hat ein „C“ vor der Ziffer. Ich überlege. Climbing wäre fast passend, wird es aber wohl nicht heißen. Endlich klärt Frank mich auf. Das „C“ steht für „Century“, also 100. Aha, das sind dann also die ganz Harten, die sind noch in tiefster Nacht um 3 Uhr gestartet sind. 156 Männer und 28 Frauen absolvieren diesen 100er, und das auf anspruchsvoller Strecke. Respekt, Respekt.
Wir überqueren viele kleine Bäche und kommen nach Wuppertal, jedenfalls lt. Ortsschild. Wir laufen jetzt durch ein herrliches Landschaftsschutzgebiet, an Bächen und Feuchtbiotopen entlang. Manchmal sieht man Überreste von Hammerwerken und Schleifkotten. Vom Spätmittelalter bis zur Frühindustrialisierung siedelten sich nämlich viele Kleinbetriebe an der Wupper und einigen Nebengewässern an, um die Wasserkraft für die Herstellung von Eisenwaren zu nutzen. Im 18. Jahrhundert war die Blütezeit der Eisenverarbeitung im bergischen Land. Clemenshammer, Manneshammer und Wiebelshammer stammen aus dieser Zeit und liegen an unserer Strecke.
Es geht jetzt länger leicht abwärts an vielen Tümpeln vorbei. Schilder weisen uns hin, dass wir im Zillertal sind. So wir das untere Gelpetal genannt, wo sich die beiden Bäche Gelpe und Saalbach vereinen. Am Cafe-Restaurant „Haus Zillertal“, das ganz romantisch am Rande zwischen Wuppertal und Remscheid mitten im Wald liegt, hat sich eine Gruppe Zuschauer eingefunden und applaudiert uns kräftig.
Bei Km 20 laufen wir steil abwärts in den Ort Hasten, wo für 1150 Läuferinnen und Läufer der Halbmarathon zu Ende ist und sich die Marathon- und Ultraläufer rechts halten müssen. Ein Drittel des Röntgenwegs ist also geschafft. Wer auch das zweite Drittel läuft, hat den Marathon geschafft, und nach einem weiteren „Halben“ sogar die klassische Röntgenlauf-Distanz von 63,3 km.
Auf einem Trail geht es bergig weiter um den Ort herum. Es ist merklich ruhiger und jeder hat jetzt viel Platz zum Laufen. Noch vor km 25 kommen wir nach Morsbach im westlichsten Zipfel der Stadt Remscheid. Unsere Laufstrecke führt entlang dem Morsbach in den Ort, wo es ebenfalls etliche Hammerwerke und kleine metallverarbeitende Fabriken gibt.
Es gibt einen Erlebnisweg durch bzw. um den Ort, auf dem wir zum Kaufmannshaus kommen, dem Verwaltungssitz einer ehemaligen Maschinenmesser-Fabrik. Hinter den letzten Häusern verläuft der sogenannte „Leichenweg“ zum Friedhof nach Cronenberg. Der Weg ist ziemlich holprig und man sagt, wer auf dieser „Teststrecke“ in seinem Sarg nicht aufwacht, ist wirklich tot und kann begraben werden. Kurz danach sind wir an den Resten der ehemaligen Fabrik. Auf einem Schild ist zu lesen: „Die Fabrik ist älter als unsere ganze Geschichte“. Vorbei am letzten Sensenschmied geht es durch den typischen Bergisch-Land- Ort mit seinen verschieferten Fachwerkhäusern.
Dann verschwinden wir wieder im Wald. Es geht aufwärts und alle sind am Marschieren. Nach dem üblichen Rauf und Runter kommen wir zum Engelskotten, einem Reckhammer aus dem 16. Jahrhundert. Hier wurde aus Roheisen durch Recken Stabeisen hergestellt. Später wurde er ein Schleifkotten für Sensen. Heute ist der abgebrannte Kotten größer und schöner als Wohnhaus in einem idyllischen Tal neu erbaut.
Erst kommt noch ein Wegstück zum Erholen, dann wartet bei km 28 die wohl größte Anforderung auf die Marathonis. Trailrunner werden jubeln, denn es geht steil in einer Serpentine aufwärts, teilweise mit Drahtseilen gesichert. Kaum ist man oben, verliert man die gewonnen Höhenmeter wieder.
Die nächste Versorgung gibt es bei km 29 im Wald. Ein Stück weiter kommen wir am Diederichstempel Müngsten vorbei. August Diederich ließ hier oberhalb des Reinshagener Bachs auf einer Klippe Anfang des 20. Jh. sich einen Tempel im gotischen Stil erbauen. Er liegt leider nicht direkt an der Laufstrecke, wer’s weiß, kann ihn aber sehen.
Neben der Laufstrecke gibt viele Pilze. Allerdings harnt ein Schild vor dem Verzehr der leckeren Waldfrüchte, weil der Boden im Bereich der Brücke verunreinigt ist. Von welcher Brücke ist die Rede? Von der Müngstner Brücke (ehemals Kaiser-Wilhelm-Brücke). Es ist die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands mit einer Spannweite von 465m. Ende des 19. Jh. wurde sie aus 5.000 Tonnen und mit 950.000 Nieten erbaut. Bis nächstes Jahr dauert noch die aktuelle Sanierung, die rund 30 Millionen Euro kostet.
Ich bin genau unter der Brücke, als ein Zug darüber fährt. Ich höre ihn, sehen kann ich ihn nicht. Schade, wäre ich ein wenig schneller (oder langsamer) gewesen, wäre mir das seltene Schauspiel nicht entgangen.
Trailig geht es bis zur nächsten Versorgung bei Km 33 weiter. Wir umlaufen Westhausen und kommen zum Industriegeschichtspfad Hammertal mit vielen Zeugnissen aus vergangener Zeit.
Wir folgen ein längeres Stück einem Bach mit vielen Feuchtbiotopen. Zwischen Felsen geht es weiter leicht aufwärts bis Km 40, wo wir einen herrlichen Blick auf den herbstlichen Wald genießen. Der Weg ist auch auf den letzten Kilometern wellig, vom Ziel ist lange nichts zu sehen. Zuerst hören wir den Sprecher und erst im letzten Moment sehen wir den Sprungturm vom Schwimmbad Eschbachtal. Jetzt nur nicht falsch laufen: Marathonis rechts, Ultras und Staffeln links vorbei. Geschafft.
37 Ultras und einige 100km-Läufer haben hier ihr Rennen beendet und die Medaillen abgeräumt. Ich gehe leer aus. Aber nur vorübergehend. Selbstverständlich bekomme ich die Auszeichnung nachgeschickt. Verpflegung ist reichlich vorhanden, ebenso eine warme Dusche. Frisch gestärkt und erfrischt bringt mich der Shuttlebus nach Lennep-Hackenberg ins Sportzentrum.
Dort ist hinter der Halle das Ziel für die 100km und 63,3km Läufer. Ich schaue mir noch eine ganze Weile die Ultras an, wie sie locker ins Ziel laufen. Respekt, Respekt. Dann heißt es für mich aber: Ab nach Kassel.
Die Strecken beim Röntgenlauf sind nicht ganz leicht, dafür aber wunderschön, mit sehr guter Versorgung und Organisation.
Marathon
Männer
1 Mehlfeld, Dennis 02:51:58
2 Wittstock, Albi 03:07:35
3 Zabel, Philipp 03:13:21
Frauen
1 Oerder, Tanja 03:50:21
2 Wietscher, Antje 03:51:06
3 Noya Crespo, Silvia 04:04:32
224 Finisher
Ultra 63,3 km
Männer
1 Kaschura, Jan 04:29:09
2 Stegner, Carsten 04:44:35
3 Sperlich, Jens 05:02:57
Frauen
1 Pfenningschmidt, Silke 05:18:26
2 Fischer, Christine 05:46:17
3 Raabe, Inge 05:46:42
232 Finisher
Ultra 100 km
Männer
1 Biste, Dominic 09:35:33
2 König, Rainer 09:40:30
3 Zöllner, Marcel 09:48:18
Frauen
1 Stader, Claudia 10:55:25
2 Hanisch, Claudia 11:13:49
3 Neumann, Petra 11:28:55
185 Finisher
+ jeweils etliche Umsteiger auf separaten Listen