Nun laufen wir also über diese hübsche innere Ringstraße, bei der wir an vielen Stadttoren vorbei kommen werden. Hier sehe ich den größten Hund meines Lebens, der aber kein Interesse an den Läufern hat, ganz im Gegensatz zu den kleinen Hunden an der Laufstrecke, die uns fleißig zubellen.
Jetzt kommt aber erst mal das Highlight des Mailand Marathons: Wir laufen auf das Zentrum der Stadt zu und dürfen den riesigen Mailänder Dom einmal umrunden, der ja auch das Logo des MCM darstellt. Ich habe mal gelesen, es ist die zweitgrößte Kirche nach dem Petersdom im Vatikan. Auf jeden Fall strahlt uns der weiße Marmor entgegen. Hier tobt der Bär. Es sind viele Touristen da und dank der Absperrgitter können wir ungestört laufen. Neben der Laufstrecke wird in den Cafes schon gediegen diniert. Kurze Zeit später sehen wir dann den Gegenverkehr, der noch Richtung Duomo läuft. Hier gibt es auch wieder eine Band, die den Läufern und Zuschauern einheizt. Leider lässt der leichte Wind gelegentlich nach, so dass es manchmal recht heiß wird. Aber anscheinend haben sich die meisten Mitläufer mit der Hitze arrangiert. Am nächsten Tag wird man in der Gazzetta dello Sport lesen, dass aber trotzdem 200 Läufer wegen Hitzeproblemen behandelt werden mussten.
Und so laufen wir durch teure Wohnviertel, leider mit nicht zu vielen Zuschauern. Und man wird viel überholt: Aber das sind immer die Staffelläufer, die sich die Lunge aus dem Leib rennen und dem Mailand Marathon die Teilnehmerzahl von über 10.000 Teilnehmern einbringen, davon 4.025 Marathonis von denen aber nur 3.405 im Ziel ankommen. Weitere 1050 Marathonläufer sind erst gar nicht angetreten. Einen Halbmarathonwettbewerb gibt es nicht. Dafür gibt es einen eigenen Termin ebenfalls im Frühjahr.
Ich werde das erste Mal auf Deutsch angesprochen, von einem schwarzen Läufer, der mir erzählt, dass er seinen ersten Marathon läuft. Ich rechne ihm vor, dass er jetzt im gleichen Tempo weiter laufen muss, um noch gut unter der Vier-Stunden-Marke zu bleiben. Ich selbst muss jetzt leider etwas langsamer werden und schicke ihn weiter, noch bevor ich fragen kann, wo er so gut Deutsch gelernt hat.
Das nächste Highlight steht bevor: die Navigli. Das sind mittelalterliche Kanäle, die früher ganz Mailand durchzogen und die bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts noch für den Transport von Sand benutzt wurden. Hier im Süden gibt es noch zwei, an denen sich das Nachtleben der Mailänder abspielt, was wir an diesem lauen Marathonabend noch auskosten werden. Im Moment gibt es hier erst mal eine fetzige Band unter der Porta Ticinese. Hier gilt es auch auf den Boden aufzupassen: Die Straße besteht aus größeren Steinplatten, die sehr unterschiedliche Höhen aufweisen und dazwischen schauen auch noch Straßenbahnschienen hervor. Hier fahren sonst Trambahnwagen aus dem Jahr 1928 – wirklich schön. Apropos: Es gibt auch ein großes technisches Museum in Mailand, fast so schön wie das deutsche Museum in München
Jetzt beginnt auch ein typisches Mailänder Phänomen: der Unmut der Autofahrer auf den Marathon. Es wird gehupt und mit allen Mitteln versucht, zwischen den Läufern hindurch zu fahren, auch wenn die Polizei dies zu verhindern sucht. Ich hatte gehofft, dass die neue Streckenführung und die vielen Hinweisschilder an der Laufstrecke das etwas mildern, aber der Mailänder braucht halt den Ärger, und in der Zeitung steht am nächsten Tag zu lesen, dass es dieses Jahr schon besser geworden ist...
Mir reicht es leider jetzt und meine leichten Halsschmerzen machen mir zu schaffen, so dass ich mich entschließen (muss), etwas langsamer zu werden und meine Begleiterin Judith entschwinden zu lassen. Eine Läuferin aus Bremerhaven ruft mir beim Überholen noch ein Gruß nach München zu. Ich habe mir nämlich wie in Italien oft zu sehen meinen Namen und ein „Ciao Italia“ auf die Rückseite des Hemds geschrieben
Am Rande eines großen Gefängnisses kommt die letzte Staffelwechselstelle mit der entsprechenden Stimmung.
Die nächsten zwei Kilometer trotte ich so dahin und kann mich im Moment nicht mehr erinnern, was dort zu sehen war, obwohl ich mir die Stelle jetzt oft auf dem Luftbild angesehen habe. Die Kraft, Fotos zu machen, fehlt dann auch noch. Schön, dass ich diesmal nicht allein leide, zwei netten jungen Läuferinnen geht es genauso und wir jagen uns immer mal wieder die Führung ab (Tempo: 6:49 min/km).
Kurz danach kommt dann wieder der Corso Sempione, den wir von km 19 kennen. Vor mir kreuzen zwei flotte Trambahnen den Laufweg. Der Abstand zur Verpflegungstelle kommt mir nun ziemlich weit vor. Vor zwei Stunden war noch nicht so. Wir laufen um den Parco Sempione, eine grüne Oase in der Innenstadt und nochmal an einer Band vorbei – die Straße ist hier ziemlich rosa, die Farbe des Sponsors Gazzetta dello Sport. Nun ist auch das große mittelalterliche Castello Sforzesco zu sehen, bei dem das Ziel liegt. Das weckt die Lebensgeister: Noch ein letzter Sprint und es ist schon wieder vorbei.
Schön war's, und ich habe schon lange nicht mehr so viel getrunken. Aber warum gibt es keine Freibäder am Ziel eines Marathon?
Auch so: Den Marathon und die Stadt Mailand kann ich nur empfehlen.