Ich geb's ja zu: Der Winter ist nicht meine Zeit. Klar, scheint die Sonne über weißgepudertem Boden, ist das Laufen eine Lust und hat absolut etwas für sich. Nur: wann ist das mal so? Die Wahrscheinlichkeit, in der dunklen und kalten Jahreszeit bei windigen 2° und fiesem Regen unterwegs zu sein, ist deutlich höher und das finde ich nicht gerade so prickelnd. Eine Stunde im Sauwetter ist ja noch in Ordnung, aber deren mindestens vier beim Marathon?
Mein Glück ist, dass es Alternativen gibt, ob in der Halle, wie vor zwei Wochen in Senftenberg, oder bei etwas Kleingeld in wärmeren Gefilden, wie im letzten Januar auf Gran Canaria. Oder man nutzt die heimische Geothermie, wie es uns untertage geboten wird. Da kann das Weichei in mir nicht widerstehen und fährt zum zweiten Mal nach Merkers ins Thüringische.
Unmittelbar bei Merkers liegt Bad Salzungen. Der Herr Bernath fädelt es wieder mal in einer taktischen Meisterleistung ein: „Schatz, es gibt ein Wellnesswochenende in Bad Salzungen!“ OK, ganz blöd ist sie nicht, die beste Ehefrau von allen, und auch schon ein paar Tage mit mir verheiratet. Nachdem das Hotel abgecheckt und genehmigt ist: „Gibt's da einen Zehner?“ Natürlich weiß mein Herzblatt, dass es nichts umsonst gibt. Kann diese Frage wie in diesem Fall mit einem Ja beantwortet werden, ist die Dame in aller Regel zufrieden. Auch die Antwort, es seien exakt 9,75 km, bringt sie nicht aus der Ruhe, Verdacht scheint sie keinen zu schöpfen. Ich sehe jetzt schon die Panik in ihren Augen, wenn ich ihren Fahrradhelm einpacke, weil es zum Laufen 500 m in die Tiefe geht, doch ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr.
Nach zwei Tagen verschärfter Turbo-Kur in Bad Salzungen ist schließlich Schluss mit lustig. Gegen halb neun sind wir am Eingang des Erlebnisbergwerks im 1.500 Einwohner-Ort knapp hinter der hessisch/thüringischen Grenze, um unsere Startunterlagen in Empfang zu nehmen. Die Startzeiten (10 Uhr für den Zehner, 11 Uhr für den Marathon) sind kundenfreundlich und erlauben einen entspannten Tagesbeginn. Da steht sie mit ihrem Fahrradhelm in der Hand (Pflichtausrüstung, genauso wie eine Lampe) und schaut etwas betröppelt drein. Das „Hilfedawillichabernichthindasistja500meterunterdererde vielzugefährlichzutrockenundwasistwenndasganzeeinstürzt?“ haben wir schon ein paar Tage und das mehrfach hinter uns. Genützt hat es ihr nichts. „Ja, aber da warst Du doch schon, warum denn nochmal?“ Weil’s schön war. Das Leben kann manchmal so einfach sein.
Im Anschluss an das zweiminütige Einfahren begrüßen uns neben 21° und 30% Luftfeuchtigkeit mehrere kleine Lkw, die uns nach dem Knipsen der hl. Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, auf den dreireihigen Pritschen in atemberaubender Fahrt an den Ort des Geschehens bringen. Atemberaubend ist allerdings nur gefühlt, denn die geschätzte Geschwindigkeit von 80 km/h, mit der durch die Gänge gedüst wird, entpuppt sich auf Nachfrage als 35 km/h. Die Halle („Großbunker“), die unserer harrt, besticht durch ihre Größe und lässt keine Spur von Beklemmung aufkommen, zu meiner Beruhigung auch nicht bei einer bestimmten Dame. 250 m lang, 22 m breit und bis zu 17 m hoch diente sie (die Halle, nicht die Dame) früher der Zwischenlagerung von 50.000 t Rohsalz und beherbergt den weltweit größten unterirdischen Schaufelradbagger der Welt. Heute ist sie ein Konzertsaal mit besonders guter Akustik, wie man uns erzählt.
Geschichtlich hat uns das Bergwerk auch einiges zu erzählen: Seit 1925 wurde hier Kalisalz vornehmlich als Düngemittel, weniger als Speise- oder Abtausalz, abgebaut. Es hat ein Streckennetz von 4.600 km (!) und eine maximale Teufe von 860 m, wo es mit 28° richtig kuschelig ist. Seit 1991 dient es nur noch als Besucherbergwerk. International bekannt wurde es kurz vor Kriegsende 1945, als US-Truppen große Teile des Vermögens der Reichsbank in Form von Raubgold, Bargeld in Reichsmark und Kunstschätzen, darunter Bilder aus der Gemäldegalerie in Berlin oder die Büste der Nofretete in gesicherten Räumen des Bergwerks versteckt fanden. U.a. der spätere US-Präsident, General Dwight D. Eisenhower, fuhr im April 1945 in die Grube ein, um den Fund zu begutachten.
Wir begutachten erst einmal unsere unmittelbare Umgebung: Viele Stuhlreihen stehen den max. 500 Läufern für alle Veranstaltungen (200 Marathon, je 150 Halbmarathon und 10 km) zur Verfügung, um die Zeit bis zum Start möglichst wenig anstrengend zu verbringen. Wir inspizieren in der „Heimat der tiefsten Bockwurst der Welt“ neben verschiedenen Exponaten schon mal die Baggerbar, an der wir uns nach dem Lauf zu stärken gedenken. Für eine Bockwurst hat man uns erfreulicherweise schon an der Startnummernausgabe einen Gutschein ausgehändigt. Wir bestaunen den großen Kletterseilgarten und die Sitzlandschaft mit bunten Gartenhäuschen, Liegestühlen und Palmen. Mit Kokosnüssen, beides natürlich aus Kunststoff. Wie man es dreht und wendet: Hier kann man es in der Tat mal ein paar Stunden aushalten.
Neu für mich ist eine musikgestützte Lasershow, die hier unten wirklich ganz toll wirkt. Dann wird es für Elke ernst: Aufstellung zum 10 km-Lauf. „Jawasmacheichdennwennich- ganzamEndelaufeunddieMarkierungnichtsehekannichmichdaverlaufen?“ Es gelingt mir, sie halbwegs zu beruhigen. Ihre Angst, unterwegs völlig alleine laufen zu müssen, verleiht ihr Flügel, und so ist sie nach nur 23 min. schon wieder da. Und hebt huldvoll die Hand. Ach nein, konveniert es der Madame nun doch? Beim zweiten Mal zeichnet sich schon ein Grinsen auf ihrem Gesicht ab und bevor ich ihr strahlendes, zufriedenes Lächeln am Ende ablichten kann, müssen wir (Halb)Marathonläufer nach dem unvermeidlichen Steigerlied los. Großen Beifall der Startaufstellung genießen die drei Letzten des Zehners, die so noch einmal einen Kick bekommen.
Das Einlaufen auf der Geraden in der Halle erweist sich als sehr kurz, schon geht es links um die Ecke und vorbei an der ersten von zwei Verpflegungsstellen. Eingedenk der Veranstalterwarnung, ja genug zu trinken, schreit der Erste bereits nach 100 gelaufenen Metern „Wasser!“ und erregt allgemeine Heiterkeit. Die ist allerdings sofort vorbei, denn die erste knackige Steigung will bezwungen werden. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen letzten Auftritt, an mein Leiden und „Sterben“, insbesondere auf den letzten anderthalb Runden. Das soll mir nicht mehr passieren, daher beabsichtige ich, mich heute mit Bedacht zu verpflegen und nicht zu überfordern.
Nach mehreren Aufs und Abs und links und rechts kommen wir an eine Stollenkreuzung, an der wir die schnelleren (bzw. die die langsameren) Läufer beäugen können. Hier erwirbt sich ein Vertreter des Veranstalters, des Triathlonvereins Barchfeld mit 36 (!) Mitgliedern, Ruhm und Ehre: Mit Sirene und Rassel ausgestattet, macht der den ganzen langen Lauf lang Alarm und verbreitet gute Laune. Danke Dir nochmals auch auf diesem Wege! Die Gänge sind breit, hoch genug und der Untergrund gut zu belaufen, absolut kein Problem. Auch die Luft ist überall frisch und sauerstoffreich, da muss sich wirklich keiner Gedanken machen. Schon ist die erste halbe Runde geschafft, da lädt die zweite Verpflegungsstelle mit einem reichhaltigen Getränkeangebot zum Nachtanken ein. Ich starte mit Wasser und steige später auf Iso-/Wassergemisch, Cola-/Wassergemisch und am Ende auf Erdinger um. Bleifrei, versteht sich, ER wäre also nur mit Eigenverpflegung glücklich geworden.
Danach geht es auf eine lange, leicht ansteigende Gerade, die ich sofort wiedererkenne: Rechts ist der Boden aufgeschüttet, mit einer mir unbekannten Vergangenheit, vielleicht Basis für eine ehemalige Grubenbahnstrecke? Doch ist der Bereich leer und ich erinnere mich doch genau an einige Exponate, die man hier ausgestellt hatte. Schade, fort. Dachte ich, denn ganz am Ende tauchen sie plötzlich aus der Dunkelheit auf. Bei späteren Durchläufen war ab und zu eine gedämpfte Beleuchtung eingeschaltet, die eine tolle Atmosphäre verbreitete. Die sollte man generell eingeschaltet lassen. Diesem optischen Höhepunkt folgt der nahezu freie Fall auf einem 15%-Gefälle, auf dem man aufpassen muss, sich nicht zu überschlagen.
Markant ist auch der U-Turn am Ende der Gefällstrecke, wo man über einige Meter die entgegenkommenden Läufer begutachten kann. Gerne hätte ich auch mehr von ihnen erfolgreich auf Platte gebannt, aber das Fotografieren mit der zwar guten, aber dennoch kleinen und daher lichtschwachen Kamera gestaltet sich leider schwierig. Lichtschwach sind hingegen meine Augen nicht, denn die ordentliche Ausleuchtung der Stollen reicht mir völlig aus, die an meinem Fahrradhelm befestigte Hirnbirn habe ich nicht ein einziges Mal eingeschaltet. Wieder führt ein langer Weg bergab. Möglicherweise kommt daher Daniel Steiners Eindruck, hier gäbe es gefühlt mehr Gefälle als Steigungen, wie mir ein Laufkollege berichtet, der seinerzeit mit ihm unterwegs war. Dani, ich kann Dir sagen, Dein Eindruck hat getäuscht!
Am Ende dieses zweiten, langen Gefällabschnitts öffnet sich plötzlich der Schlund und färbt sich grünlich. Ein untrügliches Zeichen, dass die erste Runde fast vorüber und die große Halle wieder erreicht ist. Vorbei am Südseeparadies und Kletterseilgarten macht es Piep! und der am Handgelenk befestigte Sportident-Transponder hat ausgelöst. Und schon steht die gelaufene Zeit mit Namen und noch zu absolvierenden Runden sichtbar auf dem kleinen Bildschirm für die Läufer und der großen Leinwand für alle Begleiter. Schwupp, schon geht es wieder aufwärts, nachdem ich zum ersten Mal die eingangs eingerichtete Verpflegungsstelle genutzt habe, die neben einem umfangreichen Getränkeangebot auch etliches zu beißen bietet. Außer einem Schmalzbrot habe ich mich aber nur ans Flüssige gehalten.
Natürlich habe ich die erste Runde, gerade wegen der zahlreichen Fotostopps, in 19,5 min. viel zu schnell absolviert. Klüger werde ich allerdings nicht, denn die 9,75 km und damit ersten drei Runden sind nach gut 56 min. gegessen. Das wird und muss sich ändern, sonst droht eine Wiederholung des Waterloos von 2011. Pipi machen kann man unterwegs übrigens prima, denn bei in etwa Halbzeit stehen, für Damen und Herren getrennt, zwei feste Toilettenanlagen bereit. Aber (wir sind ja unter uns) es bietet sich unterwegs auch so manche dunkle Ecke für ebensolche Machenschaften an.
Am Ende von Runde 6 überholt mich zum wiederholten Mal Patrick Kaczynski. Diesen jugendlichen Helden verfolge ich über seinen Blog schon eine ganze Weile und habe ihn als Seriensieger am Rubbenbruchsee bei Osnabrück persönlich kennengelernt. So ganz gezielt für dieses Ereignis habe er nicht trainiert, vor allem keine Höhenmeter, und das Laufen untertage kenne er auch nicht. Wenn man so am Ende mit 2:47 den Streckenrekord unterbietet, weiß man, was der Junge perspektivisch drauf hat, wenn er weiter so konsequent dabei ist. Schade, dass er damit nur zweiter Sieger war. Lieber Patrick, auf Dich wartet am 3. Oktober der Streckenrekord beim superflachen Waldbreitbacher StaffelMarathon als Einzelläufer! Den hält mit 2:31:22 Std. noch mein kenianischer Freund Joseph Kibunja, und ich dachte, der sei für die Ewigkeit. 10 Euro in der ersten Anmeldephase inkl. Medaille (!) und Du bist dabei! Und nicht nur Du.
Bei Halbzeit, nach sieben Runden und 22,75 km, zeigt die Uhr 2:14 Std., 31 min. unter dem Cut off. Allerdings lasse ich schon ein wenig nach, aber nicht im Ansatz so krass wie 2011. Da bin ich auf eine Zeit von 23 min. für die 12. und 27 für die letzte abgek... Heute wird die vorletzte mit knapp 21 min. die langsamste werden. Und so drehe ich weiter fröhlich meine Runden, halte Schwätzchen mit der und dem und vor allem mit dem netten Kumpel, der sich als genau solcher entpuppt und uns ebenso unermüdlich anfeuert. Von ihm werde ich mich am Ende mit Handschlag verabschieden und bitten, meinen Dank an die Kollegen weiterzugeben. Denn wo gibt es denn so etwas, dass einer auf ein „Danke für Euren Einsatz!“ ein „Selbstverständlich, kein Thema, das machen wir doch gerne!“ zurückkommt?
Auf den letzten beiden Runden überhole ich mehr, als ich überholt werde, das motiviert. Vor allem auch, dass ich nicht ein einziges Mal gehen muss und auch am Ende noch die Steigungen zumindest hochjoggen kann. Zwischendrin kommt mir Elke in einer Läuferkarawane auf dem Weg zur in 807 Meter Teufe befindlichen, neben einer „Kristall-Bar“ 1980 entdeckten Kristallhöhle mit Salzkristallen von bis zu einem Meter Kantenlänge. Dieser geologische Aufschluss wurde als Geotop unter Schutz und hier auf dieser Seite fotografisch für Euch ins Netz gestellt. Ein letztes Mal taucht am Ende der hinteren Gefällstrecke der grüne Schlund auf, und ich befinde auf der Zielgeraden. Piep macht's und der zweite Marathon des Jahres ist auf der Habenseite. Schön war's wieder! Auch ich bekomme meine in Form einer Fahrmarke für den Aufzug gehaltene Medaille und kann mich der Regeneration widmen.
Eine gute Nachricht kann seitens der Veranstalter vermeldet werden: Wenn ich mich nicht völlig verhört habe, gibt es im kommenden Jahr analog der Jubiläumsveranstaltung des Jungfrau-Marathons wegen der enormen Nachfrage zwei Tage hintereinander das gleiche Programm. Marathonsammler aufgepasst, ein Doppelschlag ist möglich! Aber auch wer „nur“ einen zu laufen beabsichtigt: Hier musst Du als gestandener Marathonläufer wenigstens einmal gewesen sein, da gibt es kein Vertun.
Streckenbeschreibung:
Profilierte 3,25 km-Runde mit knapp 60 Höhenmetern, die nicht unterschätzt werden sollten. Helm- und Lampenpflicht!
Startgebühr:
60 bis 67 €, je nach Anmeldezeitpunkt.
Weitere Veranstaltungen:
9,75 km-Lauf (3 Runden) und Halbmarathon. Ausstiegsmöglichkeit mit Halbmarathonwertung nach 7 Runden. Ausstiegspflicht für Marathonläufer, welche für sieben Runden länger als 2:45 Std. bzw. 5:00 Std. für 12 Runden benötigen.
Auszeichnung:
Medaille, Urkunde (für die zu Ehrenden sofort und für alle online), Sachpreise für die Schnellsten.
Zuschauer:
Tatsächlich sind einige Unerschrockene mit eingefahren und feuern an. Klasse!
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