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Laufberichte

Genuss hoch zwei

 

Der weithin bekannte Lauf im Elsass gilt als Spaß- und Genusslauf. Kostümierung ist ausdrücklich erwünscht und wird mit einem extra Preis honoriert. Da Norbert und ich, was Kostüme angeht, an Phantasielosigkeit leiden, kleiden wir uns partnerschaftlich in verschärftes Marathon4you-Outfit: M4Y von Kopf bis Fuß.

Wir hatten dabei allerdings nicht berücksichtigt, dass beim Marathon du Vignoble d'Alsace,  unser Joe  ziemlich bekannt ist. Die Frage: "Wo ist Joe?" durften wir uns in den nächsten Stunden öfters anhören. Scheinbar sind nur Wiederholungstäter am Start, die alle schon mit ihm gelaufen sind oder mit ihm angestoßen haben.

Am Anfang aber steht der Kampf mit der Homepage des Laufes. Das Übersetzungsprogramm liefert einige kuriose Daten. Wozu braucht man z.B. Lätzchen? Das sind die Startnummern.  Was bedeutet "CORA Dorlisheim"? Dort soll der Start stattfinden. Dass es sich um einen riesigen Supermarkt im Molsheimer Stadtteil Dorlisheim handelt, erschließt sich mir erst nach umfangreichem Studium des Streckenplans. Wichtig ist, dass man ein ärztliches Attest vorweisen muss.

Dafür ist die Anfahrt kein Problem. Am Supermarkt und drum herum gibt es ausreichend Parkplätze. Der erste Eindruck: Alles ziemlich bunt. Ich bin so von den schrillen Kostümen abgelenkt, dass ich ganz verwirrt die Startnummernausgabe suche. Dabei ist sie im Foyer des heute geschlossenen Marktes übersichtlich aufgebaut.

Norbert hat mittlerweile die Toiletten entdeckt. Auf der Rückseite des Marktes sind Dixies bereitgestellt. Wow: die mobilen Toiletten sind mit Wasserspülung und Handdesinfektion ausgestattet und somit extrem sauber.

In letzter Sekunde denken  wir daran, dass das Ziel nicht hier, sondern im Zentrum von Molsheim ist. Es wäre blöd, wenn die Wechselklamotten und vor allem die Gutscheine für die Zielverpflegung hier im Auto zurückbleiben würden. Also geben wir noch schnell eine Tasche ab. Die schwarzen Beutel mit Startnummer versehen liegen den Startunterlagen bei.

Der Startbereich füllt sich. Ein ganzer Schwarm Bienen kommt vorbei, eine Gruppe Clowns hüllt uns vorrübergehend in eine Wolke aus Luftballons. Vier Badenixen, teilweise mit Bart, posieren für ein Foto, ein Neandertaler zeigt sein grimmigstes Gesicht. Dazwischen alle Arten von Tieren, dazu Piraten, Zauberer, Hexen, und Hula-Hula "Girls" beiderlei Geschlechts. Bei einigen Kostümen frage ich mich, ob damit ein Marathon überhaupt zu schaffen ist. Vor allem einer schießt den Vogel ab: ein originales Priestergewand ist mit passenden Lederschuhen komplettiert. Diesen Läufer würde ich gerne im Ziel wiedersehen.

Irgendwann geht es dann los. Mit einem Startschuss und dem Jubel der Zuschauer werden wir auf die Strecke geschickt. Wagners Götterdämmerung ist keine schlechte Begleitmusik. Als wir um eine Häuserecke kommen, suche ich das Orchester. Zwei schwarze Lautsprecherboxen in einem Vorgarten bescheren uns den Musikgenuss. Dann haben wir schon den kleinen Ort verlassen. Eine Brücke führt uns über die D1420, an der wir dann noch ein Stück entlang laufen.

Das Feld sortiert sich schnell. Ich hatte mit einem ruhigen Tempo gerechnet. Aber es geht hier flott zur Sache. Eine scharfe Linkskurve bringt uns in die Weinberge, wo kurz hinter km 3 die erste VP auf uns wartet. Die Dorlisheimer Winzer kredenzen zum Hefezopf einen fruchtigen Silvaner. Schnell hat sich eine Traube aus bunten Figuren um die Tische versammelt, bevor es in unvermindertem Tempo weiter geht.

Eine beschauliche Weinlandschaft breitet sich vor uns aus. Die erste Steigung macht uns zu Gehern. Wir sind in eine Gruppe von plaudernden Trachtenträgern geraten. Bei genauem Hinsehen entpuppen sich die Mädels in ihren kurzen Röckchen als Jungs und umgekehrt. Kurz vor km 5 gibt es Läufernahrung: Bananen, Orangenscheiben, Müsliriegel, Trockenfrüchte, Salzbrezeln, Würfelzucker und Wasser.

Nach Hermolsheim, das zu Mutzig gehört, geht es bergab. Wir bewundern die gepflegten Häuser. Hin und wieder gibt es Publikum, das uns anfeuert. Vor allem die Kinder freuen sich an den bunten Kostümen. Beim eindrucksvollen, ganz in gelb gehaltenen Hôtel Le Felsbourg überqueren wir die Hauptstraße und bleiben dann auf dieser.

Der Turm der neugotischen Kirche St. Mauritius aus dem Jahre 1879 thront mit seinen 72 Metern über der Innenstadt. Er ist der höchste Kirchturm im Bruche-Tal. Mutzig selbst war früher die "Hauptstadt" des elsässischen Bieres inmitten dieser Weinregion. 1810 gründete Antoine Wagner die Mützig-Brauerei, die hauptsächlich helle Biere herstellte. Nach Übernahme durch einen internationalen Bierkonzern (Heinneken) wurde dieser Standort 1989 geschlossen. In Schiltigheim wird aber weiter ein Bier unter der Marke Mützig gebraut.

Heute haben aber die Winzer das Wort. Es gibt Pinot Blanc und Gugelhupf - traditionell mit Hefeteig und Rosinen gebacken. Das rhythmische Trommeln zweier unermüdlicher Musiker heizt Läufern und Publikum gehörig ein. Nur ungern verlassen wir diesen gastlichen Ort.

Himmlische Ruhe und urwüchsige Natur empfängt uns hinter km 7 auf dem schmalen Weg an der Bruche entlang. Ich überhole eine "Dame" im goldenen Paillettenkleid. Der Schnurrbart verrät das wahre Geschlecht. Hätte ich mir ja denken können: Blaue Laufschuhe zum goldenen Kleid - das geht ja gar nicht!
Viel zu schnell erreichen wir wieder die Straße und Molsheim, das spätere Ziel des Laufs.

Mit seinen knapp 10.000 Einwohnern ist sie Sitz der Unterpräfektur des Arrondissements Molsheim, vergleichbar mit unseren Landkreisen. Berühmter Sohn der Stadt ist Automobilhersteller Ettore Bugatti, der im benachbarten Dorlisheim (hier war der Start des Laufs) seine Fahrzeuge herstellen ließ. Von 2005 bis 2011 wurden dort von der zum Volkswagen-Konzern gehörenden Bugatti Automobiles S.A.S. exklusive Sportwagen in kleinen Stückzahlen hergestellt. Seit 2012 wird dort die Luxuslimousine Bugatti 16C Galibier gebaut. Als weiterer Teil der Kraftfahrzeugindustrie befindet sich ein Mercedes-Benz-Werk für den Umbau von Lkw‘s zu Sondernutzfahrzeugen in Molsheim.

Die Bruche teilt einen Kanal ab, an dem entlang wir idyllisch Richtung Stadtmitte kommen. An der Rückseite der St. Georgs- und Dreifaltigkeitskirche bieten die Molsheimer Winzer zum frischen Riesling Sauerkraut an. Bei Sauerkraut muss ich passen - auch andere schrecken zurück. Eine R Rhythmusgruppe macht genialen Sound. Es herrscht Volksfeststimmung. Trotzdem müssen wir weiter.

Es geht über eine Holzbrücke. Wir streifen den Zieleinlauf, halten uns aber in Gegenrichtung. Km 10 ist erreicht. Es geht am Molsheimer Campingplatz vorbei über eine große Brücke, dann Richtung D93 und auf dem Radweg an ihr entlang. Schnurgerade läuft die Straße. Die kleine Mentalprüfung dauert nicht lange - hinter km 11 ist schon die nächste VP. Hier gibt es Läufernahrung. Vor allem das Wasser ist heiß begehrt. Es wird doch zusehends wärmer und Schatten ist hier Mangelware. Hinter km 12 geht es links und weiter an der D422, dann wieder rechts an der D30 entlang. Das hört sich schlimmer an, als es ist. Die Straßen sind durch Böschungen vom Radweg abgetrennt. Vom Verkehr bekommt man kaum etwas mit. Ein größeres Problem ist die Sonne auf diesem baumlosen Streckenabschnitt. Wieder eine mentale Prüfung: wir laufen durch fruchtbares Ackerland, wo der Mais noch so niedrig ist, dass wir die Strecke Kilometerweit einsehen können.

In Dachstein hinter km 15 kommt dann die nächste heiß ersehnte VP. Obwohl es im Ort ruhig ist, spielt, sehr zur Freude der Läufer, eine Band. Außerdem ist eine Dusche aufgebaut. Da hat sich jemand Gedanken gemacht - vielen Dank.

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Informationen: Marathon du Vignoble d'Alsace
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