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Laufberichte

„Auf den Karwendelmarsch, marsch“

25.08.12

Fotos: Kay Spamer

 „Da ist sie schon, die Meute: dicker Geifer, Keuchen, das Korallenrot der Lefzen und die Bogen der unruhigen Ruten, die die Landschaft peitschen! Schwierig, sie zu bändigen. Sie können sich nicht mehr halten vor Jagdlust, sie schäumt ihnen aus Auge, Schnauze und Fell. Schatten von flüchtigem Wild ziehen vor der Phantasie der rassigen Hunde vorüber, die in ihrem Innern schon in wildem Lauf sind.“  Jose Ortega y Gasset.

 

„Bei Scharnitz kommt man ins Tirol“


Goethe hatte Recht, als er dies 1786 in seinen „Aufzeichnungen der Italienreise“ schrieb. Hinter dem einstigen Schlagbaum zur Landesgrenze prangt eine übergroße Plakatwand – darauf zu sehen ist ein Steinadler beim „Krallen“ seiner Beute.

„Die Legende lebt“. Vor über 20 Jahren zierte das Logo des Marsches noch gestrickte Socken in Lederwanderstiefeln. Die Anmeldung erfolgte noch an Kartenvorverkaufsstellen, so z.B. in Sportgeschäften. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie es vor dem Informationszeitalter war. Wenn man sich über Wochen und Monate mit dem zum Ziel gewordenen Unternehmungen befasste, um dann möglichst an Auskünfte zu gelangen. Dann aber auch noch in Bildern zu graben oder vielleicht sogar an eine Starterliste zu kommen, war gar nicht möglich.

Eine wahre Fundgrube für besondere „Schätzchen“ ist das „Infozentrum Karwendel“ in Scharnitz, der Startort des „Karwendelmarsches“. Dort bewahrt man alte Dokumente, Zeitschriften und Artikel die den Ort und die umliegende Gegend betreffen, fein säuberlich in Ordnern auf. Meine Freude ist besonders groß, als ich eine alte Teilnehmerliste von 1990 aufstöbere. Es ist bereits die 22. Austragung und es ist die Zeit der Dauerwellen, „Vokuhila“ und „Oliba“, der grauen schlapper Jogginghose und Aerobic mit Jane Fonda. Ich bin Neugierig, vielleicht finde ich den Namen meines Vaters auf der Liste, der zu damaligen Zeiten an vielen sogenannten Internationalen Volkswanderungen teilnahm. Ihn finde ich leider nicht darauf, aber einen anderen, uns allen guten Bekannten: den damals 40jährigen Baden-Badener Klaus Duwe, der den 7. Platz seiner Altersklasse belegte. Auch Teilnehmer unter anderem aus den Niederlanden, Frankreich und der Deutschen Demokratischen Republik waren darunter.


Heute ist ein besonderer Tag


Für die Dauer eines Wochenendes wird Scharnitz künstlich beatmet. Der Ort liegt in Österreich an der Grenze zu Bayern. Nach Norden bilden Wetterstein und Karwendel eine natürliche Sperre. Das Jahr 1969, zwei große Ereignisse: Der erste Mensch, Neil Armstrong, ist gerade auf den Mond gelandet und wie wir abends aus den Nachrichten erfahren, verstarb er heute im Alter von 82 Jahren. Das zweite Ereignis des Jahres 69 ist die Prämiere des „Karwendelmarsches“. Gestern ist heute und heute ist gestern. Die Legende lebt und die Geschichte dazu auch. Die glorreichen Schlachten, die Treue zum Vaterland, die alten Helden, die Demut vor der Strecke. Ein Karwendelmarsch-Teilnehmer ist so eine Art wandelndes Zeitfenster, die vergangenen Jahrzehnte ins Herz gebrannt. 19 Jahre lang fand der Fußmarsch von enormer Ausdehnung keine Fortsetzung. Seit 2009 haben die Brüder Martin und Markus Tschoner von der Tourismusorganisation Achensee Tourismus und Olympiaregion Seefeld es geschafft, den „Karwendelmarsch“  neu aufleben zu lassen. Man wird kaum jemanden in der Region finden, der diesen Lauf nicht kennt.


Die Aussichten sind durchwachsen


Die ganze Woche ist es im Karwendeltal brütend heiß. Für den Samstag verspricht die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Innsbruck eine Störungszone. Im Klartext heißt das: Nachmittags müssen wir mit Regenschauern und Gewittern rechnen, vorsichtshalber wurden bereits bei der Startnummernabholung DIN A 4 Plakate mit „Verhaltensmaßnahmen bei Gewitter“ ausgehängt. Noch bin ich aber optimistisch. Bei der Startnummernausgabe ist nicht viel los. Wir sind Nachmelder, aber da die Ersten. So bekommen wir die Startnummer 1 und 2, mit diesen Startnummern werden wir uns im Laufe des Rennens noch viele Sprüche einfangen.


Die Stimmung ist erwartungsfroh gespannt


Kleine Scherze beruhigen die Nerven und werden dankbar belacht. Um sechs Uhr soll es losgehen. Der Rucksack ist gepackt – das volle Programm: Regenjacke, Handschuhe, Mütze, Getränk und Powergels. Das Mobiltelefon ist geladen zum Rufen der Bergwacht im Notfall. Um 4:15 Uhr klingelt der Wecker, eine Dreiviertelstunde später sitzen wir gemeinsam mit etwa 10 Läufer oder Wanderer beim Frühstück. Der Kaffee ist bereits auf dem Tisch und das Frühstücksbüfett mehr als ausreichend. Um 5:30 Uhr chauffiert uns der Wirt in seinem Sammeltaxi sehr bequem bis direkt vor den Startplatz. So viel Service erlebten wir in den letzten Jahren nur selten. Tipp: Hotel Ramona in Gießenbach, ca. 2 Kilometer von Scharnitz entfernt.


Aufbruch zur Jagd


Es ist Ende August, eine verregnete Nacht liegt hinter uns. Regen nährt den Mythos vom sanften Charme und Zauber des in Wirklichkeit rauen, manchmal groben „Karwendelmarsches“. Scharnitz liegt auf 964 m ü. M. dennoch ist es nicht kalt. 130 Jahre alpintouristische Geschichte und jährlich ca. 1,1 Mio. Besucher im Karwendelgebirge.

Gleich werden nochmals über tausend Langläufer und Langmarschierer auf die 35 oder 52 Kilometer lange Strecke gehen, die gespickt ist mit 2.300 Höhenmetern, diese nur im Aufstieg, wohlgemerkt. Die hier am Start stehen, zieht es immer wieder hinaus ins Revier, um zu siegen oder zu jagen. Und die Jagd muss nach strengen Regeln ablaufen, Schäden für Land- und Forstwirtschaft sollen möglichst vermieden werden.

Das Ziel der Jagd ist auch hier die Beute. Schon das Mittelalter machte die Jagd zum ritterlichen Spiel und Zeitvertreib. Aber wen oder was jagen wir heute? Ja und warum eigentlich? Zum lebensnotwendigen Nahrungserwerb, der über viele Jahrtausende Grund für die Jagd des Menschen lebensnotwendig war, bestimmt nicht. Es müssen schon andere Gründe vorliegen, die die Läufer heute dazu bringen, den gemütlichen Stuhl vor dem Fernseher zu verlassen und bei Wind und Wetter oder vielleicht auch Sonne und Hitze stundenlang, zum Teil durch unwegsames Gelände, unter oft großen körperlichen Anstrengungen bewegen hier den anderen Läufern hinterherzujagen. Eine Unruhe aus weit zurückliegenden Zeiten, ein archaischer Trieb, der noch nicht in jedem von uns erloschen ist.

Wer sich der 52 Kilometer langen Qual aber immer wieder stellt, der ist ergriffen vom sogenannten Karwendelvirus. Von diesem Virus war schon 1500 Maximilian, Kaiser und Landesfürst befallen. Hirsche und Gemse wurden mit Armbrust und Messern erlegt.  Die verwegenen Nordic-Walker bewaffnen sich heute mit Carbon-Stöcken und kämpfen sich schon mal tapfer in die erste Reihe. Kaum sind alle zum Start bereit, öffneten sich die Himmelsschleusen, als ob der Himmel die Karwendelmarsch-Debütanten taufen möchte. Es ist 5:59 Uhr, da kracht ein Schuss, ein Donnern hallt durch das stille Tiroler Oberland.

 

Informationen: Karwendelmarsch
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