…. das kann man von Helgoland aus. Genau 100 Jahre ist es her, dass Werner Heisenberg hier die moderne Quantenphysik mathematisch begründete und damit viele unserer heutigen technischen Annehmlichkeiten ermöglichte. Mit ihr kann man Teilchen, die kleiner als die Atome sind, genau berechnen. Als Marathoni brauche ich es natürlich nicht so klein, denn klassischerweise habe ich 42,195 Kilometer für einen Marathon zu laufen.
Da der 1. Mai praktischerweise auf einen Donnerstag fällt, reichen mir zwei Urlaubstage für ein extra langes Wochenende auf der Insel mit dem einzigen Hochseemarathon der Welt. Mit der Überfahrt am Tag der Arbeit beginnt ein sonniger Marathonkurzurlaub. Zeit zum Entspannen.
Am Freitag gibt es die Startunterlagen wie gewohnt in der Nordseehalle. Die Ausgabezeit von insgesamt zwei Stunden erscheint zwar kurz, ist aber selbst für den Ansturm des Rekordteilnehmerfeldes ausreichend, auch wenn sich bereits kurz nach 15 Uhr am Eingang eine lange Schlange gebildet hat. Die Wartezeit verkürzt sich durch nette Gespräche mit den üblichen Verdächtigen, u. a. HaWe und Günter nebst Anhang. Vorab sei gesagt, dass sich die Insel mit ihrem Marathon in die Herzen der Läufer schleicht, denn viele sind Serientäter, zu denen ich mich mit meiner diesjährigen 3. Teilnahme in Folge auch zähle. 430 Teilnehmer finden Eingang in die Ergebnislisten. Eine unerwartete Steigerung zum silbernen Jubiläum im vergangenen Jahr.
Die 42,195 km werden aus organisatorischen Gründen diesmal in 8 Runden gelaufen, den Teilnehmern am Minimarathon genügt eine Runde. Diese ist so überwältigend, dass Silke sich erneut dafür angemeldet hat.
Am Freitagabend bleibt noch ausreichend Zeit, um mit unseren Freunden die notwendigen Kohlehydrate für den Marathontag zu speichern. Uns erwartet ein sonniger Wettkampftag. Günstig untergekommen sind wir in diesem Jahr direkt am Start des Marathons. Da Silke um 9 Uhr 15 Minuten vor mir startet, habe ich die Gelegenheit, sie diesmal auch läuferisch im Bild festzuhalten. Außerdem kann ich weitere Freunde begrüßen. So auch Bernd, er hat bereits 500 Marathone in den Beinen, ist aber zum ersten Mal auf Helgoland.
Nach einigen Fotos und Schwätzchen verpasse ich fast den Start, lasse mich aber vom Feld mitreißen.
Auf der Promenade zieht der Läuferlindwurm nach Osten, um am Ende nach Norden abzubiegen. Go, go, go werden wir mit Schwung auf die Strecke geschickt. Aufgrund meiner geplanten Zielzeit von etwa 5 Stunden, lasse ich das Gros der Läufer ziehen. Am Hafenbecken entlang grüßt voraus die Düne, der wir am letzten Tag noch einen Besuch abstatten werden. Die Sonne strahlt vom Himmel und spiegelt sich glänzend in der Nordsee.
Verena und Dirk schließen sich mir an, am Ende sind sie zusammen mit ihren Teammitgliedern 2. der Mannschaftswertung. Glückwunsch dazu. Anscheinend haben wir das richtige Tempo gewählt. Gemächlich biegen wir zur Umrundung der Nordseehalle zwei Mal nach links ab. Der erste KM ist geschafft und gefühlt zu schnell. Gut, dass kurz darauf der sogenannte Düsenjäger wartet. Auf einem Abschnitt von 200 Metern haben wir eine Steigung von 40 % zu bewältigen, die auch beim ersten Mal gerne schon im lockeren Schritt angegangen wird. An deren Ende warten zahlreiche begeisterte Zuschauer, die uns eifrig anfeuern.
Wer allerdings gedacht hat, mit dem Erreichen des Oberlandes wären alle positiven Höhenmeter erklommen, der irrt. Der Weg führt hier nach rechts noch kurz durch den Ort und dann über den Klippenrandweg und ist durchweg vom Profil leicht wellig. Am Ende werden wir so insgesamt 500 Höhenmeter bewältigt haben. Doch noch stören diese Höhenmeter nicht wirklich, was sich erfahrungsgemäß im Laufe des Marathons natürlich noch ändern wird.
Erst einmal lasse ich mich von den fantastischen Ausblicken fesseln. An der Nordspitze wartet bereits die lange Anna. Die Meeresbrandung hat diesen markanten Felsen von der Insel abgetrennt. Die Arbeit der Nordsee ist noch nicht beendet, denn immer noch verändert sie die Insel. In den letzten Jahren musste der Klippenrandweg vereinzelt weiter ins Land verlegt werden und der Aussichtspunkt mit dem schönsten Blick auf die lange Anna ist für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Von dort könnte man ganz gut die Basstölpel beobachten, die in Deutschland nur hier auf Helgoland brüten. Ein kurzes Stück gelingen mir ganz aus der Nähe einige Fotos von einer großen Gruppe dieser seltenen Vögel.
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Bequem und locker laufend zieht es mich weiter nach Süden. Das Läuferfeld ist bereits weit auseinandergezogen, so dass ich mein Tempo selbstbestimmt treu bleiben kann. Voraus recken sich der Funkturm und der markante Leuchtturm in den blauen Himmel. Letzterer hat eine Signalstärke, die zu den höchsten in deutschen Gewässern zählt. Bei guten Wetterbedingungen erreicht sein Strahl sogar das Festland bei Harlesiel oder Sankt Peter-Ording.
Ich kann auf Gerd auflaufen, der hier vor zwei Jahren seinen 1.000 Marathon oder Ultra vollendete. Ich ziehe vorbei und habe das Mittelland vor Augen, entstanden durch die größte nichtatomare Sprengung, die es jemals gab. Nach dem 2. Weltkrieg wollten die Engländer Helgoland unbewohnbar machen und zündeten deshalb 6.700 Tonnen Sprengstoff. Wie man sieht, ist ihnen das nicht gelungen. Nur in diesem Bereich verschwand die Klippe.
Vorbei am Krankenhaus erreichen wir die Kurpromenade. Links bieten die Hummerbuden farbige Abwechslung. Dahinter erreichen ich mein Hotel und habe damit die erste Runde bewältigt. Kurzweilig war es und wird es bleiben, denn ich kann mich auf meine Begleitung verlassen, mit der ich weiter Laufanekdoten austauschen darf. Kurz hinter dem Ziel schickt mich Silke weiter auf die Reise. Sie hat ihre wohlverdiente Medaille bereits umhängen.
Die nächsten Runden werden zur Routine. Und doch fallen immer wieder neue Details ins Auge. Der Kapitän mit seiner Seejungfrau, die Klippen, die rot in der Sonne leuchten, der steinerne Seehund, die wehende Flagge Helgolands. Am Fuß des Düsenjägers wartet eine Verpflegungsstelle, deren es auf der Runde insgesamt 4 gibt. Abwechslungsreich und gut bestückt. Es gibt Wasser, Cola und bleifreies Weizen. Dazu u. a. Bananen, Kekse und Gummibärchen. Alles, was der Läufer für einen erfolgreichen Marathon braucht, eifrig gereicht von zuvorkommenden Helfern.
Vor dem Klippenrandweg gönne ich mir noch einen Blick zurück ins Dorf. Der Kirchturm von St. Nicolai ragt spitz in die Höhe. Seine markante Form bekam er mit dem Neubau des Gotteshauses 1952, als die Insel nach dem 2. Weltkrieg für die Insulaner wieder freigegeben wurde. War die Insel als „strategisch wichtige Festung“ in den ersten Kriegsjahren noch verschont geblieben, wurden sämtliche Gebäude bei einem Bombenangriff am 18.04.1945 in Schutt und Asche gelegt. Lediglich der Leuchtturm, als Bunker und Flakturm geplant und gebaut, überstand das Inferno. Ich bin froh, heute hier meinem Laufvergnügen friedlich frönen zu können. Immer angespornt von den freundlichen Zuschauern und Helfern. Besonders zu erwähnen die Griller an der Nordspitze, die tatsächlich bis zum Schluss aushalten, während Verena, Dirk und ich stetig unsere Runden drehen.
Es geht auf Mittag zu. Die Promenade wird voller, die neuen Gäste erreichen die Insel und streben zu ihren Quartieren. Gut, dass bereits über die Hälfte des Laufes bewältigt ist, denn der Platz wird hier eng.
Es fehlen lediglich noch etwa 3 Runden, als Dirk sich langsam nach vorne absetzt. Ich begleite weiter Verena. Durch die angenehme Begleitung fällt der wellige Kurs auf dem Oberland weniger schwer. Vor dem Osthafen hat mittlerweile ein Kreuzfahrtschiff angelegt. Es bringt eine große Menge an Tagestouristen mit, die mit einem deutlich kleineren Zeitfenster alles von Helgoland erleben wollen. Ein Highlight ist da natürlich das Oberland mit seinen Klippen.
Auf den letzten beiden Runden wird es auf den schmalen Wegen deshalb heute ungewöhnlich eng. Tatsächlich ist teilweise stop and go angesagt. Bei dem unregelmäßigen Tempo setze ich mich doch noch von Verena ab. Ich komme bei Silke vorbei, die mir berichtet, dass für Sonntag aufgrund zu erwartender stürmischer See bereits einige Fährfahrten gecancelt sind. Für uns kein Problem, da wir bis Montag bleiben. Doch wer dann schon wieder arbeiten muss, hat umzuplanen. Ich laufe ganz entspannt die letzte Runde, genieße noch einmal die abwechslungsreichen Eindrücke, verabschiede mich von den netten Zuschauern und bedanke mich bei den unermüdlichen Helfern.
Immer öfter schaue ich auf die Uhr. Mein selbst gestecktes Ziel kann ich locker erreichen. Beim Einlauf die Promenade kann ich sogar noch Sylvia und HaWe grüßen, bevor ich pünktlich einlaufe. Dirk wartet bereits und Verena finisht kurz nach mir. Wir sind uns einig, dass wir einen außergewöhnlichen und schönen Marathon erleben durften.
Auch Oke als Initiator und Hauptverantwortlicher ist zufrieden. Er hat den Marathon 1998 ins Leben gerufen und begleitet ihn nun schon bei seiner 26. Auflage. Und das mit nur einem Hauptsponsor. Man sieht, was man mit einer guten Idee und viel Initiative in seinem Umfeld bewirken kann. Während ich mich von diesem wunderschönen Marathon erholen darf, schweifen meine Gedanken bereits zu den nächsten Austragungen. Silke und ich sind von diesem Lauf infiziert und kommen sicher wieder.