Das Dutzend ist voll: Bereits zum 12. Male bittet an diesem regnerischen 06. Mai 2012 das Organisations-Team des Trollinger Marathon Läuferinnen und Läufer , die Region um Heilbronn laufend zu erkunden. Rund 600 Marthonis und 4500 Halbmarathonis folgten bei Regen und relativ kühlen Temperaturen diesem Aufruf. Neu in diesem Jahr ist der Staffel-Marathon, bei dem sich drei Läufer die Marathon-Strecke teilen können.
Heilbronn liegt mitten in einer Weinbau-Region, in der am häufigsten die Rebsorten Trollinger und Lemberger angebaut werden. Aber auch Schwarzriesling und Spätburgunder sind hier zu finden. Da ich kein Sommelier bin, kann ich Euch leider nicht den geschmacklichen Unterschied dieser Rebsorten schildern. Als Geschmacksbanause kann ich nur sagen, dass sie alle genießbar sind.
Meine Startunterlagen hole ich bereits am Samstag in einem großen Zelt am Frankenstadion ab, wo der hiesige Fußballclub, der FC Heilbronn, seine Heimspiele ausrichtet. Neben einer Flasche der Rebsorte, die diesem Marathon seinen Namen gibt, erhalte ich noch ein Laufshirt, diesmal in neutralem Schwarz-Weiß gehalten. Einer der Hauptsponsoren, eine große Bank, die, die den Weg frei macht, verteilt noch Laufsocken. Eine kleine Marathon-Messe ist ebenfalls in diesem Zelt beheimatet. Direkt neben dem Zelt befinden sich zahlreiche kleinere Zelte, für die Fachleute SG30-Zelte („Sanitätszelte“), in denen man am Folgetag seine Sporttasche zur Aufbewahrung abgeben kann. Zahlreiche Dixis im Bereich des Startgeländes in der Badstraße sorgen dafür, dass keiner sein kleines oder großes Geschäft in der freien Wildbahn erledigen muss.
Die Strecke ist recht wellig und mit einigen markanten Anstiegen gespickt und führt im Uhrzeigersinn von Heilbronn aus durch den südlichen Landkreis. Der längste Anstieg ist der berühmte „Haigern“ bei Flein. Eine weitere nicht zu unterschätzende Steigung ist nach der HM/M-Streckenteilung in Talheim. Der Höhepunkt kommt aber in Nordheim, wo nach 35 km ein 500 Meter langer Anstieg bewältigt werden muss. Klingt nicht dramatisch, aber hier hat schon so mancher sein persönliches Waterloo erlebt. Ich selber bin hier im vergangenen Jahr mit der Zunge auf dem Asphalt schleifend auf allen Vieren hochgekrochen. Okay, ganz so dramatisch hat sich das vor 12 Monaten nicht zugetragen, viel gefehlt hat aber auch nicht. Deshalb ist dieser Anstieg für mich mein persönlicher „Heartbreak Hill“. Meine Gedanken drehen sich nur um diese 500 Meter, die restlichen 41,7 Kilometer sind bereits abgehakt.
Am Sonntag finde ich mich etwa eine Stunde vor dem Start in Heilbronn ein. Genügend Zeit, um nochmal über das Veranstaltungsgelände rund um das Frankenstadion zu schlendern und mit dem einen oder anderen Bekannten zu plaudern. So wie mit Gerd und Thomas, die heute ihr Marathon-Debüt geben.
Nach weiteren Begegnungen und Gesprächen begegne ich auch Klaus Neumann und Gerhard Bracht.
„Lange nicht gesehen“ kann ich zu den beiden nicht sagen. Wir haben uns erst in der Nacht von Montag auf Dienstag in Bad Dürkheim getroffen, wo Frau Werwolf Gabi Gründling und ihr Mann Peter den ersten 12-Stunden-Nachtlauf ausrichteten. Ein Gewitter, bei dem der Regen teilweise waagerecht kam, hat aber nach rund 4 ½ Stunden dafür gesorgt, dass die Technik das Zeitliche segnete und der Lauf abgebrochen werden musste.
Aber ich schweife ab. Da es an diesem Morgen unablässig regnet, suchen die meisten Läufer bis kurz vor dem Startschuss durch Oberbürgermeister Himmelsbach Schutz im großen Zelt der Startnummernausgabe. Im Startblock angekommen, sehe ich einen anderen Thomas, der den Zugläufer über 3:59 h macht. Ihn plagen noch die Auswirkungen einer Erkältung und er deutet mir an, dass ich eventuell im Laufe des Rennens seine Posten übernehmen muss. Auch das noch, ich will doch heute nur eines: Meinen Heartbreak Hill laufend bezwingen.
Pünktlich um 8:45 Uhr erfolgt der Startschuss durch Heilbronns Oberbürgermeister Himmelsbach. Die ersten Meter folge ich noch Thomas und seinem Luftballon. Nach ein paar Metern, die uns die Streckenführung am Neckar entlang in Richtung Heilbronner Innenstadt führt, kommt Peter, der Zugläufer über 4:29 h, angebrettert und es gibt ein großes Hallo. Das ist meine Chance: Ich beschließe, mich an Peter zu hängen und lasse Thomas ziehen. So habe ich hoffentlich genügend Körner für den Heartbreak Hill übrig. Thomas wird noch von Gerhard, einem weiteren erfahrenen Marathoni begleitet, der dann den Luftballon übernehmen kann, wenn bei Thomas die Luft raus ist.
Wir überqueren den Neckar und laufen auf der anderen Seite entgegengesetzt zu unserer ursprünglichen Laufrichtung am Freibad Neckarhalde vorbei nach Sontheim. Trotz der widrigen Verhältnisse stehen hier etliche Zuschauer und feuern uns an. Während wir hier in einem Linksknick weiterlaufen, müssen die Halbmarathonis, die 1 ½ Stunden später starten, für einen kurzen Schwenk geradeaus weiterlaufen. Noch in Sontheim werden die beiden Strecken wieder zusammengeführt und man muss nun genauer auf die Kilometer-Markierung schauen, um zu erkennen, ob man da gerade den Halbmarathon- oder Marathonkilometer passiert.
Als erste Stärkung verteilt ein netter Herr mit Schirm, Charme und Hut leckeren Hefezopf. Diese Wohltat muss abgelichtet werden. Ich schnappe mir zwei Stückchen und jage Peter, der inzwischen, seinem Zeitdiktat folgend weitergezogen ist, hinterher. Ein Stückchen Hefezopf für Peter, eins für mich.
Wir verlassen plaudernd Sontheim und laufen tendenziell leicht bergan nach Flein. Hier werden wir von einer Menschenmenge begrüßt, die uns wegen der immer noch widrigen Verhältnisse überrascht. Letztes Jahr wurden wir hier noch auf Rosenblättern gebettet. Verständlich, wenn das diesmal nicht so ist. Denn wer soll später die aufgeweichten Blätter von der nassen Straße kratzen? Das schafft keine Kehrmaschine. Wir passieren den Bogen eines hiesigen Radiosenders und es geht nun merklich immer steiler ansteigend aus Flein hinaus in Richtung des Kulminationspunktes der Strecke, dem Haigern. Kilometer neun und es schallt uns der berühmteste Satz der Sportgeschichte entgegen: „Quäl Dich Du Sau“.
Preisfrage: Wer hat diesen Satz gesagt und wen hat er gemeint? Richtig: Es war Udo Bölts, der solches dem schwächelnden Jan Ullrich zurief.
Doch der Haigern ist keine Qual, nur der Aufgalopp zu meinem Heartbreak Hill. Kurz vor der Bergwertung steht wie jedes Jahr der Alphornbläser und bläst uns den Marsch. Ob sein Horn unten ein Ablaufloch hat, damit das ganze Regenwasser abfließen kann?
Oben angekommen gibt es zur Belohnung das erste Gläschen Trollinger. Es sollte nicht das letzte sein. In für unsere Verhältnisse rasantem Tempo geht es bergab nach Talheim. Hier teilt sich zwar nicht die Spreu vom Weizen, aber die Halbmarathonis von den Marathonis.
Ein kurzes Flachstück lässt uns nur kurz verschnaufen, bevor es wieder bergan in Richtung Lauffen geht. Habe ich ein Déjà-vu? Die beiden weiblichen Clowns, die ich am Streckenrand erblicke, sind mir doch schon in Sontheim begegnet.
Nach einem kurzen Flachstück auf der für uns Läufer gesperrten Landstraße bringt uns ein gut zu laufendes Abwärtsstück zum imposanten Zementwerk vor den Toren von Lauffen. Mitten durch das Zementwerk verläuft auch der offizielle Neckarradweg.
Wir erreichen in Lauffen die nächste Verpflegungsstelle und lassen uns beim Trollinger nicht zweimal bitten. Peter vergisst für einen Schluck das Zeitdiktat. Er liegt gut im Soll. Aber etwas Vorsprung brauchen wir auch. Ich sag nur: Heartbreak Hill.
Es geht unter der Eisenbahnlinie hindurch ins Gewerbegebiet und wir verlassen Lauffen in Richtung Brackenheim und das Zabergäu. Der Regen lässt nach und Peter meint nur: „Logisch, wir kommen auch in meine Heimat“.
Wir erreichen die größte Weinbaugemeinde Baden-Württemberg Brackenheim, wo wir in 2:14 Stunden die Zeitmess-Matten der Halbmarathon-Marke passieren. Punktlandung.
Eine jubelnde Menge peitscht uns weiter, es geht mal wieder bergan. Der Anstieg ist mir egal, ich denke an was ganz anderes. Kurze Zeit danach erreichen wir Hausen und ich freue mich schon auf einen Schluck Trollinger vom Weingott Jupiter, so wie jedes Jahr. Nur diesmal fehlt er. Hat es ihm die Laune oder den Wein verregnet? Wir erreichen Dürrenzimmern und halten uns an den Spruch „Trollinger hilft der Seele“.
Über drei Kilometer zwischen Dürrenzimmern und Neipperg geht es nun rund 70 Höhenmeter bergan, das klingt nicht dramatisch, zieht sich aber doch wie Kaugummi. Reihenweise sammeln wir nun gehende Läufer ein.
In Neipperg, dem zweithöchsten Punkt der Strecke, werden wir abermals von einer großen Menschenmenge erwartet und gefeiert. Zwei Drittel sind geschafft, aber eine alte Läuferweisheit sagt, dass man auf dem letzten Drittel eines Marathons genauso viel Energie braucht wie auf den ersten beiden Dritteln. Heute sowieso: Heartbreak Hill.
Die nächsten Kilometer geht es zur Erholung der geschundenen Muskulatur bergab.
Kurz vor Nordhausen laufen wir auf einen Läufer mit einer Halbmarathon-Startnummer auf. Er ist aber auf dem richtigen Weg, denn als Nachmelder hat er keine Marathon-Nummer mehr bekommen. Wir kommen nach Nordhausen und am Sportplatz werden wir von einer frenetisch feiernden Menschenmenge begrüßt. Jetzt gibt’s nur Wasser, der Heartbreak Hill ist nicht mehr weit.
Wir gewinnen wieder an Höhenmetern, bevor wir nach Nordheim kommen.
achdem wir den Kreisverkehr passieren, geht es beinahe im Sturzflug bergab. Mir wird schon ein bisschen mulmig bei dem Gedanken, dass wir uns die verlorenen Höhenmeter gleich wieder zurückkämpfen müssen. Im Gegensatz zum Vorjahr ist auch im Fußgängerbereich von Nordheim wieder die Hölle los. Also gut, doch noch ein kleines Schlückchen vom Rebensaft. Ich hoffe auf den Energieschub vom Zucker in Form von Alkohol im Wein.
Wir verlassen die Fußgängerzone und der erste Vorgeschmack auf den Heartbreak Hill erwartet uns. Wir erklimmen erfolgreich den Vorgipfel, ein kurzes flaches Stück lässt nur wenig Erholung zu, bevor er beginnt: der Heartbreak Hill. Oben auf der Höhe kann ich schemenhaft bereits die Bushaltestelle erkennen. Wenn ich dort oben noch laufe, habe ich ihn bezwungen, meinen Heartbreak Hill. Nur ganz wenige um uns herum sind noch am Laufen, die meisten sind zu Marschierern mutiert. Wir erklimmen Meter um Meter. Meine Schläfen pochen, das Herz rast, die Lungen pfeifen und die Muskulatur bettelt um Gnade. Nur noch ein paar Meter bis zur Bushaltestelle. Meine Schädeldecke platzt fast. Ich passiere noch laufend die Bushaltestelle und die kurz darauf folgende Verbindungsstraße nach Klingenberg, die den endgültigen Kulminationspunkt dieses Anstieges markiert. Ich schnaufe und pfeife wie ein altes Dampfross, aber ich habe es geschafft und habe ihn bezwungen, meinen Heartbreak Hill. Peter meint spöttisch, ob er mich anschieben soll. „Nee, geht noch ohne“ entweicht es mir mit letzter Kraft.
In Klingenberg treffen wir aber auf eine weitere Herausforderung, mit der ich nicht gerechnet habe: Wir treffen auf die Nordic Walker, die auf der Halbmarathon-Strecke unterwegs sind und müssen uns möglichst unfallfrei einen Weg durch das Steckengeäst bahnen. Zum letzten Male stoßen Peter und ich auf den erfolgreichen Sturmlauf auf den Heartbreak Hill mit einem Tröpfchen feinstem Trollinger an.
Die Sonne kommt heraus und ich fühle mich so gut, dass ich mich von Peter verabschiede und das Tempo noch etwas anziehe. Ich erreiche zwar kein Usain Bolt-Tempo mehr, aber es macht Spaß, nach und nach die Läufer und Walker einzusammeln.
Der rund zwei Kilometer langen geraden Verbindungsstraße von Klingenberg nach Böckingen folgt eine Bergan-Passage hinein in die Altstadt von Böckingen. Auch die nehme ich mit einer gewissen Lockerheit.
Nach einer letzten Verpflegungsstelle geht es unter der Eisenbahnlinie hindurch und auf den finalen Anstieg vor dem rettenden Ziel im Frankenstadion. Ich erreiche die Badstraße, wo vor knapp 4 ½ Stunden unsere Marathonreise begann. Ich sehe Anton und klatsche ihn jubelnd ab.
Noch ein Linksknick, eine Viertelrunde auf der Tartanbahn des Frankenstadion und das Ziel ist erreicht.
Mit Stolz nehme ich von einem hübschen Madl die Medaille entgegen und kurz danach erreicht auch Peter, mit einer Punktlandung, das Ziel. Hier treffe ich Gerd und Thomas, die ihr Marathondebüt in unter Vier Stunden mit Bravour gemeistert haben. Zugläufer Thomas musste hingegen nach zwei Dritteln die Segel streichen.
Ein dickes Lob an alle, die den Marathon möglich machen und großes Lob auch an die Zuschauer, die trotz der widrigen Wetterverhältnisse recht zahlreich an der Strecke vertreten waren.
Nächstes Jahr komme ich wieder, zur dreizehnten Auflage des bestens organisierten Trollinger-Marathons. Mit der Dreizehn als Glückszahl nehme ich Heartbreak Hill im Sturm und ramme auf dem Gipfel meine Flagge in den Grund.
Marathonsieger
Männer
1 Ndusu, David (GER) 02:24:34
2 Müller, Kay-Uwe (GER) TSG Heilbronn 02:32:49
3 Diehl, Marco (GER) DVAG-Marathon-Team 02:38:05
Frauen
1 Feger, Stephanie (GER) LG Neckar-Enz 03:10:19
2 Hartmann, Petra (GER) TV-Hergershausen 03:16:55
3 Sigg-Sohn, Christine (GER) Lebenslauf 03:20:12
538 Finisher