Ohne diese beider Klassiker gibt es keinen Start beim Rennsteiglauf, der jetzt bereits zum 46. Mal durchgeführt wird. Mit viel Liebe und Engagement sind ca. 1700 Helfer auf allen Strecken damit beschäftigt, den Läufern ein unvergessliches Erlebnis im Thüringer Wald zu bescheren. Hier sind mehr Helfern aktiv, als manche Laufveranstaltung Teilnehmer hat. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Rennsteiglauf vier Mal in Folge zum Marathon des Jahres gewählt wurde.
Jeder Marathoni und jeder Ultraläufer muss einmal beim Marathon in Neuhaus oder beim Supermarathon in Eisennach am Start gewesen sein. Beide Orte liegen ca. 110 km auseinander und haben dennoch in Schmiedefeld gemeinsam ihr Ziel. Egal aus welcher Richtung man kommt, spätestens wenn man erfolgreich im Zelt bei bester Volksfeststimmung zusammensitzt, hat man nur einen Gedanken: Schön war’s!
Und deshalb ist es fast unmöglich, in der Nähe der Startorte eine Unterkunft zu finden. Schon letztes Jahr, als ich beim Supermarathon erstmals Rennsteigluft schnuppern durfte, versuchte ich in Schmiedefeld ein Zimmer zu bekommen, aber dies war unmöglich. Viele Rennsteigläufer sind Stammkunden und buchen beim Einchecken gleich fürs nächste Jahr ihre Übernachtungsmöglichkeit. Wenigstens bekomme ich im 5 km entfernten Frauenwald ein Ferienhaus und bin auf Fußmarschnähe dran am „Schönsten Ziel der Welt“. Vereinskamerad Martin plant auch den Marathon, Monika und Tanja begleiten uns und wir reisen am Freitag nach Frauenwald. Hier ist bereits der direkt an der Straße liegende letzte Verpflegungspunkt vor dem Ziel aufgebaut und man spürt das erste Kribbeln. Wenn wir morgen hier sind, ist es fast geschafft.
Nach dem Check-In fahren wir direkt weiter bis Neuhaus am Rennweg, hier erhalten wir unsere Startunterlagen. 3700 Starter werden für den Marathon erwartet, aber die freundlichen Helfer sind gut vorbereitet. Stress gibt es keinen. Um 18 Uhr beginnt die legendäre Klos-Party. Darüber schreibe ich nichts. Das müsst ihr selber mal mitmachen.
Race Day! Um 6:00 klingelt der erste Wecker. Martin und ich bereiten uns vor, es duftet nach frischen Brötchen. Tanja übernimmt den Shuttle-Service, damit sparen wir uns die frühen Abfahrttermine der Busse ex Schmiedefeld und lange Wartezeiten in Neuhaus am Start. Um 7:15 fahren wir los und werden noch vor 8 Uhr in ca. 300 m Entfernung des Startbereiches von einem Ordner auf unsere Parkposition eingewiesen. Wir treffen uns mit weiteren Mitgliedern unseres Vereins und haben Gelegenheit für ein gemeinsames Foto. Die geplanten/gewünschten Zielzeiten gehen von 3:30 h bis Ankommen. Am Ende werden alle zufrieden sein.
Der Sportplatz füllt sich hinter der Startlinie schnell, auf der direkt an der Linie stehenden Bühne beginnt das Programm mit Musik und kurzen Reden. Schon oft habe ich inszenierte Starts erlebt, aber so urig und authentisch wie hier bringt, bringt man nirgendwo die Läufer in Stimmung. Moderator Hansi heizt die Menge an und selbst Ministerpräsident Bodo Ramelow sorgt mit Witz und Charme für Gelächter unter den wartenden Marathonis. Selbstverständlich dürfen Schneewalzer und Rennsteiglied nicht fehlen. Alle auf der Bühne, inklusive der Landrätin, singen und schunkeln mit. Gänsehautfeeling. Dann ertönt der Countdown und pünktlich um 9 Uhr der Startschuss, knapp bevor man auf die Idee kommt, bei Bier und Gesang hier zu verweilen.
Am Ausgang des Sportplatzes müssen wir durch den Startbogen, der zwangsläufig einen Engpass darstellt und das riesige Feld etwas auseinander zieht. Ich stürme relativ weit vorne los, um viele Fotos schießen zu können. Es dauert bestimmt 10 Minuten, bis die letzten auf die Strecke kommen. Es geht im Ort bergauf, so kommt man gleich auf dem ersten Kilometer auf Temperatur. Das Feld ist dicht und mittendrin stehen zu bleiben und fotografieren ist riskant. Alle schauen auf den Vordermann, achten darauf, ihm nicht in die Hacken zu treten und schnaufen den Berg hoch. Solche Bilder mitten aus dem Geschehen kann man nur als Teilnehmer machen. Für Fotografen ist hier kein Platz.
Oben angekommen geht’s auf der Hauptstraße durch den Ort. Die Straße ist abgesperrt bis zur ersten Getränkestelle. Man braucht den Platz um die Massen an Läufern bewältigen zu können. Die langsameren und Marathon Wanderer werden ab 9:15 Uhr bei km 1,5 direkt auf den Rennsteig geleitet und treffen bei km 5,8 bei der Getränkestelle Steinheider Hütte wieder mit der Laufstrecke zusammen. Ein Moderator begrüßt die Läufer und sorgt für Stimmung. Ich verewige ihn auf einem Foto und klatsche ihn ab. Bereits beim Start ist die Sonne spürbar, die Helfer kommen kaum mit dem Nachfüllen der Becher nach. Ich laufe durch zu den letzten Tischen, dort ist erfahrungsgemäß das wenigste Gedränge. Weiter geht’s! Ab hier beginnt der Rennsteig, nach dem VP biegen alle auf den Waldweg ab. Es geht zunächst leicht bergab, bevor nach ungefähr 8 km der erste spürbare Anstieg folgt. Wir kämpfen uns bis auf 827 Höhe zum Verpflegungspunkt Dreistromstein.
Der nächste Streckenabschnitt führt uns dann wieder gemächlich abwärts. Mitten auf einer Wiese steht ein Pavillion, ein Blasorchester sorgt für Stimmung. Dann geht es steil zum höchsten Punkt der Strecke. Die Rennsteigwarte Masserberg auf dem Eselsberg ist auf 841 m Höhe eines der Wahrzeichen des Thüringer Waldes und bietet bei km 18,3 die nächste Verpflegungsstation und die erste Zwischenzeitnahme. Um den Turm herum sind die Verpflegungsstände aufgebaut, das Angebot ist reichhaltig. Wasser, Tee, Cola, Schleim, Brote, Bananen, alles ist da. Man könnte die 150 Stufen erklimmen und eine Aussicht bis in die Rhön genießen, aber mittlerweile ist es ziemlich heiß geworden und ich laufe lieber weiter. Der höchste Punkt einer Strecke hat immer die gleiche Eigenschaft: Es geht bergab!
Die Freude darüber ist jedoch nur von kurzer Dauer. Die verlorenen Höhenmeter müssen beim nächsten Anstieg auf 833 m gleich wieder erarbeitet werden. Es folgt der wohl spannendsten Abschnitt der Strecke, ich nenne ihn mal Thüringer Ho-Chi-Minh Pfad. Einen Stau beim Start kennt man ja. Aber dass bei einem Marathon das Läuferfeld nach 21 km zum Stillstand kommt, habe ich noch nicht erlebt. Hier ist das so. Ein gut 1 km langes äußerst rustikales Trailstück bergab ist die Ursache. Wer hier nicht aufpasst, riskiert einen Sturz. Ich schaue auf die Uhr: 12 Minuten brauche ich. Bergab! Mit halsbrecherischen Überholmanövern sparen einige ein paar Sekunden. Bei der Triniusbaude haben wir dann wieder eine Straße unter die Füße. Kurz danach erreichen wir den Verpflegungspunkt Schwalbenhauptwiese. Schön ist, dass immer ein Schild mit Kilometerangabe an den VPs steht und gleichzeitig auch die Information, wie weit es bis zum nächsten ist.
Es geht ein Stück durch die Wiesen, bevor beim nächsten langen Anstieg der Rennsteig parallel zur Verkehrsstraße verläuft. Einige Läufer bevorzugen tatsächlich den Asphalt, die meisten bleiben auf dem Waldweg. Egal, es geht immer bergauf, bergab. Nicht steil, 150 HM kommen auf den nächsten ungefähr 10 km so zusammen. Für Ablenkung und Motivation sorgen etliche Musiker an der Strecke. Für einen Landschaftslauf erstaunlich und auch eines der besonderen Merkmale des Rennsteiglaufs. Genau wie die Hammer-Verpflegung.
Eine Begegnung der besonderen Art sind Carolin & Roman. Sie läuft mit weißem Schleier, gefolgt von einer großen Gruppe Läuferinnen und Läufer. Letztes Jahr kam es auf gleicher Strecke zum Heiratsantrag, heute folgt die Trauung. Am Bahnhof Rennsteig geben sie sich das Ja-Wort und laufen als Ehepaar ins Ziel. Sachen gibt’s. Aber tolle Idee! Herzlichen Glückwunsch an euch Zwei!
Nach 28 km ist der VP Neustadt erreicht und die nächste Anhöhe bezwungen. Auch das Thermometer erreicht seinen Höchststand. Aufziehende Wolken bringen im letzten Drittel etwas Erleichterung. Ich laufe an Cola und Schleim vorbei, weiß ich doch, dass bei KM 29 ein gekühltes Radler an meinem privaten Service-Pont erwartet. Neidische Kollegen stellen zwar die Doping-Frage, aber ich darf weiterlaufen.
Von der nächsten Getränkestelle am Dreiherrenstein auf 810 Höhe trennen uns der Große Burgberg auf 811 m und der Morast. Nö, kein Sumpf, sondern auch ein Berg, 838 m hoch. Laut Ausschreibung kommen auf dem Marathon 769 m bergauf und 841 bergab zusammen. Nach dem Örtchen Allzunah, welches wir bei Kilometer 36 streifen, folgt der letzte ernstzunehmende Anstieg auf den Meisenhügel. An einem Baumast hängt ein Lautsprecher und beschallt mit lauter Musik den Wald. Das lenkt ein wenig vom kräftezehrenden Bergauf ab. Dann rollt es bergab nach Frauenwald zum letzten VP, ab hier sind es nur noch 5 km bis ins Ziel. Wer möchte, darf hier mit Köstritzer Schwarzbier dopen! Ganz offiziell!
Jetzt geht es größtenteils bergab, wer noch kann, zieht das Tempo an. Aber Vorsicht, das dicke Ende kommt noch. Mit Bahnhof Schmiedefeld erreichen wir den tiefsten Punkt der Strecke und jetzt geht es einen Kilometer bergauf zum Sportplatz, dem „schönsten Ziel der Welt“. Ab hier tragen die Zuschauer einen ins Ziel, die letzten paar hundert Meter sind wie ein Schaulaufen. Kurz vor dem Ziel kommen die Strecken vom Halbmarathon ex Oberhof und vom Supermarathon ex Eisenach auf dieselbe Strecke, somit ist im Ziel den ganzen Tag etwas los. Der Rennsteiglauf ein riesiges Volksfest, das ausgiebig genossen wird. 15781 Finisher meldet der Veranstalter, und keiner will heim, so scheint es mir.
Ich genieße die letzten Meter, bleibe noch mehrmals für Fotos stehen und laufe durch’s Ziel. Die silberne Medaille mit Rot-Weißen Band bekommen die Marathonis, die goldene an gelben Band die Supermarathonis. Jetzt schnell zum Läuferbier! Martin und Rüdiger sitzen schon dort, fertig geduscht und die Flasche leer. Daniela und Andre finishen ihren ersten Marathon, herzlichen Glückwunsch dazu!
Zum Auslaufen wandern wir von unserem Ferienhaus in Frauenwald frisch geduscht und umgezogen die 5 km nach Schmiedefeld und sichern uns einen Platz im riesigen, rappelvollen Festzelt. Die Live Musik donnert durchs ganze Tal und es wird bereits auf den Bänken getanzt. Die Finisher des Supermarathons sind leicht zu erkennen. Sie tragen das orange-graue Finisher Shirt, das nur ihnen vorbehalten ist. Die Farbe dominiert. Einige Thüringer Rostbratwürste und Bier später wandern wir wieder nach Frauenwald. Und damit ist es auch für uns ein ultraschöner Ultratag.
Der Rennsteiglauf ist und bleibt etwas ganz Besonderes, ein Landschaftslauf mit einer Stimmung, fast wie bei einem Citymarathon. Schmiedefeld ist ein Hexenkessel und die ganze Gegend um den Rennsteig im Ausnahmezustand. Aber Achtung: Schmiedefeld am Rennsteig! Nur 40 km entfernt gibt es noch ein Schmiedefeld. Dort ist aber gar nichts los. Der Hinweis ist durchaus angebracht. Es soll tatsächlich noch immer Läufer geben, die ihr Navi falsch informieren.
Ich kann vom Rennsteig nicht lassen. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei. Dann wieder auf Supermarathon-Kurs, Goldmedaille und Finishershirt inklusive.
Marathonsieger
Männer
1. Sebastian Nitsche – BMW DHfK Leipzig - 2:42:53
2. Michael Chalupsky – TSG 78 Heidelberg - 2:47:12
3. Marcel Krieghoff – SC Impuls Erfurt – 2:49:24
Frauen
1. Nora Kusterer– SV Oberkollbach – 2:56:23
2. Johanna Schreier – SG Motor Arnstadt – 3:21:02
3. Monika Kahl – Thüringer Energie - 3:21:02
Finisher:
Supermarathon: 1985
Marathon: 3306
Halbmarathon: 6717