Vor 250 Jahren wurde Johann Christoph GutsMuths geboren, jener Pädagoge und Philanthrop, der im thüringischen Schnepfenthal ein System des Schulturnens entwickelte und seit 1974 Namenspatron des Rennsteiglaufes ist. Anlass genug, den 37. Rennsteiglauf Mitte Mai 2009 GutsMuths zu widmen.
Der GutsMuths-Rennsteiglauf ist Kult - und zwar von Anfang an. Nahe der Bundesgrenze im unübersichtlichen „Grünen“ gelegen war die Veranstaltung von der DDR-Führung nicht erwünscht. Zu den Sanktionen gehörte, dass keine Sportler aus dem Ausland am Rennsteiglauf teilnehmen durften. Doch gerade dieses Verbot versprühte seinen Reiz, so dass es in den Jahren vor dem Mauerfall einigen hundert westdeutschen Sportlern über Verwandte im Osten gelang, unter falschem Namen zu melden und teilzunehmen. Das blieb den DDR-Oberen nicht verborgen. So liefen denn in der Folge einige Informationen sammelnde Stasi-Spitzel am Rennsteiglauf mit.
Die Zeiten sind längst vorbei, doch der Rennsteiglauf hat seine Anziehungskraft nicht verloren. Er gehört in Deutschland zu den Top Ten. 15 000 Sportler aus Nah und Fern reisen am Rennsteig an, um in Natur- und Bewegungsverbundenheit an einer der angebotenen Lauf- und Wanderwettbewerbe teilzunehmen.
Von Westen aus kommend liegt Eisenach näher, aber wir fahren weiter gen Osten nach Neuhaus am Rennweg. Die 72,7 km von Eisenach aus trauen wir uns nicht zu und visieren lieber die 43,5 km von Neuhaus aus an. Der Halbmarathon wird in Oberhof gestartet. In einer Art Sternenlauf führen alle Läufe ins gemeinsame Ziel nach Schmiedefeld.
Ohne Frage verdankt der Rennsteiglauf seinen Boom der Stimmung und dem Service rund um die ganze Veranstaltung. Vorabends in den Startorten geht es bei Roulade mit Klößen und Rotkohl sowie einheizender Schunkelmusik alla Schneewalzer und legendärem Rennsteiglied gemütlich locker her. Neue Kontakte werden geknüpft. Das Köstritzer Bier verlockt, doch da ist bewusster Genuss angesagt.
In der Nacht regnet es ordentlich. Aber morgens werden die Wolken von auffrischendem Wind verdrängt und die Sonne setzt sich durch, dazu 15 Grad Celsius - gutes Laufwetter. Um 9.00 Uhr ist Start, auch der ist legendär. Wieder werden Schneewalzer und Rennsteiglied live gespielt und tausende Arme erheben sich, um in aufwärmender Manier einträchtig mitzuschunkeln. Auch nach dem Start der über 3000 Läufer schwingt über dem Feld ein Flügel ratternder Helikopter mit, aus dem aus Kameras auf uns geschossen wird. Das und die anfeuernde Menge an den Straßenrändern motiviert auf den ersten Kilometern. Doch die sind ob ihrer vermeintlichen Leichtigkeit mit Vorsicht zu genießen. Sacht bergab lässt sich so mancher zu schnellem Anfangstempo verführen.
Doch gerade bei einem anspruchsvollen Landschaftsmarathon wie diesem, bei dem über 1 400 Höhenmeter zu bezwingen sind, ist verhaltener Beginn gefragt. Mein Lauffreund Jan und ich laufen denn auch die ersten 15 km recht locker zusammen. Beim längeren Anstieg auf den Masserberg setze ich mich leicht forcierend ab. Noch ist das Laufen purer Genuss und auch die Verpflegungsstellen halten mehr als das bereit, was der schlemmende Sportfreund genießen kann: warmer Schleim, belegte Butter- und Schmalzbrote, verschiedenstes Obst, dann Tee, Wasser, Sportgetränke, zuletzt auch Cola und Bier. Unmöglich von allem zu kosten. Und die sind selbst Schuld, die eine schnelle Zielzeit im Kopf, nicht zugreifen und weiterhetzen.
Denen wird ohnehin bald Einhalt geboten, denn zur Streckenhälfte staut sich das Feld. Ein abschüssig enger Hohlweg zwingt zu einigen Minuten Pause. Gemächlich plaudernd geht es hindurch. Der Körper bedankt sich ob der Kräfte sparenden Pause, denn nun gilt es 5 km bergan zu laufen. Darauf ist die üppige Verpflegungsstelle in Neustadt willkommen. Sie ist nötig, denn jetzt erst geht es richtig los. Nach 30 km führt die Strecke richtig steil bergan. Eine Trommlergruppe heizt ein, aber die meisten Teilnehmer um mich gehen hinauf. Ich laufe eisern, doch oben tut es denn auch weh. Dann das Kilometerschild 32, von nun an rechne ich scharf mit: noch 11,5km, noch 10,5 km...
Immerhin sind die steilsten Passagen geschafft. Das Höhenprofil weist jetzt überwiegend Gefälle auf, aber in der Laufrealität fühlen sich die letzten 10 km wie ein permanent welliges Auf und Ab über Wurzeln und Steine an. Der Laufgenuss schwindet, das Ziel wird herbei gesehnt. Ich würde jetzt lieber den Rennsteig erwandern, doch es gelingt mir, die Müdigkeit zu verdrängen und lasse es laufen.
Das letzte Highlight vor dem Ziel ist der bald einen Kilometer lange Schlussanstieg. Ein lautstark anfeuerndes Zuschauerspalier jagt die verausgabten Läufer hinauf. Tatsächlich laufen fast alle um mich herum. Weiter im tosenden Spalier auf dem Schmiedefelder Sportplatz trägt uns die Menge wahrlich bis ins Ziel hinein. Anstrengung, Schmerz und Müdigkeit – alles ist weg. Was bleibt sind der Stolz und die Freude, diesen Höhenweg gemeinsam mit anderen bezwungen zu haben.
Mit meiner Laufzeit von 4h:26min:45sec bin ich zufrieden, mehr noch damit, auch den dritten Marathon in diesem Jahr geschafft zu haben. Jan erreichte mit 65 Lebensjahren als erst jüngst zum dritten Mal gewordener Opa wohlbehalten nach 4h:43min:30sec das Ziel. Jetzt sind wir im riesigen Volksauflauf am Schmiedefelder Sportplatz mitten drin. Und bekanntlich schmecken Thüringer Bratwurst und Köstritzer Schwarzbier dort am besten, wo sie herkommen.