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Laufberichte

Diesen Weg auf den Höh'n ....

19.05.07
Autor: Lisa Metz

Marathon von Neuhaus nach Schmiedefeld

Warum muss ein jeder Lauf ein - meist umständliches, zeit- und Kräfte raubendes - Vorspiel haben? Der Rennsteig ganz besonders: Die Orte verstreut, die Schlafplätze begrenzt, die Anfahrt in Käffergegenden langwierig (zumindest für mich im Grunde überzeugte "ummeEcke-Läuferin".)

Fehleinweisungen auf Parkplätzen, nicht vorhandene Nachtruhe im Massenquartier mit Geräusch- und Geruchsbelästigungen unterschiedlichster Arten, Busfahrt in gefühlter Nachtmitte, warten, warten, warten auf den Start.

Zum Trost aber auch unterhaltsame Foren-Vortreffen am Vorabend bzw. vor dem Start. Bekannte und neue Gesichter, Vorfreude, Aufregung bei den meisten oder wie bei mir die übliche leichte Genervtheit angesichts der vergessenen Gründe, mich für diesen Quatsch mal wieder angemeldet zu haben und warum lauf' ich eigentlich nicht gemütlich die Isar lang? Null Aufgeregtheit und die Hoffnung, dass der Spaß an der G'schicht' sich schon einstellen wird. Wie meistens.

Unter sechs Stunden zu bleiben schien mir ein passendes Ziel angesichts des quasi nicht vorhandenen Trainings, des Körpergewicht-Maximalstandes, der fehlenden Motivation und der offensichtlich nicht ganz einfachen Strecke.

Unter sechs Stunden (und möglicherweise auch ein halbes Stündchen schneller ....) - das sollte locker auch ohne alles drin sein, so dachte ich mir im nicht mehr ganz jugendlichen Leichtsinn und stellte mich in der Läuferschar auf. Innerlich etwas überheblich-ironisch der angekündigten Kitschorgien harrend, die in Form von Schneewalzer und Rennsteiglied auf mich zukommen sollten, mußte ich schon während dieser Zeremonien eingestehen, dass sie verflixt gut kamen.

Endlich ein vorfreudiges Kribbeln, ein strahlendes Lachen, das innerlich aufkeimte. Vermutlich, weil die meisten Läufer schon wußten, was auf sie zukam, verströmten sie dieses Hufescharren, diese positive Erwartung schon vor dem Start, sangen es in Walzertönen, grölten es im Rennsteiglied und steckten wohl alle Ersttäter gleich mit an.

So war die Musik, die Leichtigkeit, Farbe, Buntheit, Konfettischnippsel - alles, was ich bei fast allen Läufen unterwegs irgendwann fühle, es war diesmal *peng* von Anfang an vorhanden.

Schon auf den ersten Kilometern wußte ich wieder, warum ich mich gelegentlich zu so seltsamen Dingen wie Wettläufen, Bergtouren, Kletterkursen etc. anmelde: Weil mir das alles zeigt und mich spüren läßt, wie verdammt gut es mir geht. Weil ich spielen kann und lachen, fliegen und dankbar werden. Weil sich in Bewegung und Gesellschaft besser spüren läßt, dass es 1001 Gründe gibt, das Leben schön zu finden. Zu den Glücklichen dieser Welt zu gehören, bei denen nicht früher alles besser war, sondern scheinbar alles immer besser wird im Lauf der Zeit. Ein Quell der Zufriedenheit eben.

Wirklich gemütlich walzte ich im gefühlten 3/4 Takt über die Startlinie. Von Anfang an auf Beobachtung, Kommunikation und Genuss gepolt (was hatte ich auch schon für andere Optionen angesichts der misslichen nichtTrainingsAusgangslage) ließ ich diese wunderwunderschöne Landschaft mich verzaubern, ging auf alle kleineren und größeren Wortwechsel ein, lief mit dem "Zeitziel"  angepassten 2:24 h über die Messmatte am 18,8 km-Messpunkt (komischer Ort für die einzige Zwischenzeitmessung eigentlich) und fühlte mich großartig. Aber obwohl ich meine Digicam dabei hatte, war mir nur sehr selten nach Fotos. Mir war, als ließe sich das alles ohnehin nicht einfangen. Schmalzbrote hätte ich fotografieren können - aber wie knippst Frau den Schmalz, der aus Herz und Nervenbahnen quillt? Die Gefühlsduselei, die Musik im Blut, den Rhythmus im Körper, die Buntheit der Momente?

Allerdings: in meine kleine Neoprentasche hatte sich auch eine ganz handfeste Versuchung geschlichen. In Form einer Powergeltüte. Das Ding war in meinem Startpaket gewesen. BigBiggi hatte eine Rennsteig-Anstecknadel in ihrer Tüte. Ich nicht. Dabei wäre mir die wirklich lieber gewesen als dieses blöde PowerGel 

Die innerliche Stimme murmelt (wenig überzeugend): "Sowas wolltest du doch nie nehmen. Sagste ja immer jedem, der das hören oder nicht hören will." Ich entgegne (mit der üblichen Logik): "Andererseits sollte man ja nur Dinge be- oder verurteilen, die man auch kennt. Das wäre die Gelegenheit zum Selbstversuch." 

Am ersten Verpflegungsstand (viel zu spät für mein Gefühl - zumindest bei dieser Affenhitze) bei km 11 km hole ich es aus dem Täschchen. Will es aufreißen, das Gel. In diesem Moment sagt ein älterer Läufer neben mir: "Das brauchste doch nicht. Nimm lieber den Schleim, der ist besser." Sprach's, machte mir die "Stimme von oben am Wegesrand" und lief weiter. "Ja klar", denke ich mir "der Mann hat Recht! Ich bin hier am Rennsteig, der Schleim hat Tradition und ich will ausgerechnet hier dieses Chemiezeug in mich reinquetschen. Blödsinn!"

Zurück in die Tasche mit dem Zeug, Schleim getrunken (lecker! ... naja .... sagen wir: nicht schlimm) und eine Viertelstunde später in den Büschen verschwunden. Eine Premiere. Das hatte ich noch nie. Ob's der Schleim war? Bei den weiteren Verpflegungständen überprüft und zwar nicht mehr in die Büsche gemusst, aber nach jedem Schleimbecher fast pünktlich ca. 10 Minuten später Pupsorgien abgehalten. Ist wohl doch nicht so mein Ding, der Haferschleim.

Herausgegriffen aus den Massen an Einzelepisoden, Einzelschicksalen, Einzelgedanken und Eindrücken am Wegesrand ein, zwei exemplarische Anekdoten:

Bei ca. km 25 - 28 auf ziemlich ebener Grasstrecke (tatsächlich ging es nur FAST immer bergauf und bergab) höre ich hinter mir die Stimme des männlichen Parts eines schon länger hinter mir laufenden Pärchens: "Komm, jetzt ziehen wir an der vorbei." Dass ich "Die" bin, war mir klar und im Prinzip habe ich an dem Tag so ziemlich jeden vorbeigelassen, der das wollte. Viele waren es ja gar nicht, immerhin bin ich fast ganz hinten gestartet. Aber warum muss der Mann so doof sein, das zu sagen? Sowas weckt doch nur meinen Spieltrieb. Kann er nicht wissen - ist aber so 

Die beiden ziehen an. Ich ebenfalls. Noch ganz locker und scheinbar unverbindlich. Sie ziehen schärfer an. Ich mit. Da sagt er knapp hinter mir: "Na, du hast aber noch Kraft". Antworte ich: "Wär' ja auch schlimm, wenn hier schon nicht mehr ... " Er wird noch schneller - ich gehe mit. Von seiner zurückgefallenen Partnerin ein etwas scharfer Bremslaut nach dem Motto: "Jetzt lass ...". Aber er zu mir: "Okay, du willst das wissen, was?" und sprintet wie ein total Bekloppter los wie zum 100-Meter-Bahnlauf. Und ich Bekloppte? Mache mit! Wir donnern im Gewaltsprint an mehreren Läufern vorbei und erst als einer davon trocken fragt: "Sacht ma - was macht'n ihr da. Was wird'n das jetzt?" .... geht beiden - Nase an Nase prustend - die Luft aus und wir torkeln pfeifend, ächzend und nach Luft japsend aus. Lachen. Ich habe ein, zwei Kilometer gebraucht, bis ich mich von dem Blödsinn erholt hatte. Aber mindestens so lange hielt auch das Grinsen darüber an.

Meinen Sprintduellanten habe ich nicht wieder gesehen. Er hatte sich zu seiner mindestens 50 Meter weit entfernten Partnerin zurückfallen lassen und ich sah beide nicht wieder. Hoffentlich gab's keinen Ärger. Einzelschicksale am Wegesrand, die sich nicht weiterverfolgen lassen.

Irgendwann dann - es mag in Neustadt bei gut 30 Kilometern gewesen sein - stellte sich erstens eine ziemliche Erschöpfung ein. Andererseits aber auch das Bewußtsein, dass ich mir noch mehr Langsamkeit nicht leisten kann, wenn ich irgendeinen Wert auf die 6 Stunden lege. Versuchte, Gas zu geben - der Gastank war leer. Puh! Die Strecke ist deftig, heftig. Herrlich - aber idiotisch anstrengend. Hitze, Berge ... Mädel! sieh' zu! Bisschen weniger Genuss und bisschen mehr Laufen (Steigungen bin ich prinzipiell hochgewalkt von Anfang an) stünde deinem 6-Stunden-Plan gut zu Gesichte.

Irgendwo bei km 35 der erneute Gedanke ans Geltütchen und die Versuchung. "Weiche von mir  " ... wollte ich denken .... da nahte aber wieder ein Getränkestand, das wäre die Gelegenheit und wirken könnte es auch vielleicht noch ... und der  wich tatsächlich:

Ein erschöpfter Läufer saß am Wegesrand. Und weil nicht sicher zu erkennen war, ob er sich nur so ausruhte oder womöglich ernste Probleme hatte, hielt ich an und fragte, ob ich helfen könne. Er schüttelte den Kopf. Sehr trostlos. "Soll ich da vorne jemandem Bescheid sagen?" Er schüttelte wieder mit dem Kopf. "Was isses denn? Kreislauf, Muskeln?" Ich wollte nichts unversucht und ungefragt lassen - auch auf die Gefahr hin, ein wenig zu nerven. Aber wenn jemand so hingesunken im Staub hockt, dann sind Sorgen um dessen Wohlbefinden evtl. angebracht. Fand ich ...

Letzter Versuch: PowergelTüte aus der Tasche gefriemelt, hingehalten "Das hab' ich zufällig dabei. Brauch' ich aber gar nicht. Wollense das vielleicht haben?" Endlich eine Reaktion. Aufleuchten der Augen und die Gegenfrage: "Broochen se des wirklisch nisch mehr?" "Nö - wirklich nicht. Aber ich glaube, das soll man besser mir Wasser nehmen und wenn man's nicht gewöhnt ist, kann's auf den Magen schlagen, hab' ich gehört ..." Er hatte aber Wasser bzw. ein Eigengetränk dabei, kannte außerdem das Zeug und griff jetzt begierig zu. Erleichtert um weitere Sorgen und um eine Versuchung, ließ ich mich, als edle Samariterin fühlend, die ihrer Namenspatronin alle Ehre macht - auch dieses Einzelschicksal zurück am Wegesrand und schaffte es tatsächlich mit Mühe, unter 6 Stunden  nach 5:55 Stunden ins Ziel zu laufen.

Mehr als auf der Strecke habe ich abends im Festzelt geschwitzt. Das ist die Hölle, was da abgeht und vermutlich kommt der Muskelkater in meinen Beinen nur vom Geschunkel - stehend auf Biertischen zwischen mitschunkelnden, -singenden, -trinkenden Foris. Leider fühlte sich mein Kopf irgendwann an wie ein Riesenkürbis, der zwischen Eisenzwingen geklemmt wurde und ich mußte das Handtuch werfen.

Nächstes Jahr - das nehme ich mir fest vor - bin ich in besserer Form: dann wird wieder sub 6 gelaufen, aber anschließend mindestens 4 Stunden gesungen, getanzt und geschunkelt .

 

Informationen: GutsMuths-Rennsteiglauf
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