marathon4you.de

 

Laufberichte

Wie passen Kunst und Laufen zusammen?

16.09.07
Autor: Klaus Duwe
Ich sag es gleich: ich weiß es nicht. Aber ich verstehe auch nichts von Kunst. Dass ich was vom Laufen verstehe, wird verschiedentlich auch bestritten.

Unbestritten ist, dass ich ziemlich viel laufe und weit rum komme. Dabei kriege ich mit, dass viele Veranstalter versuchen, für ihren Lauf etwas zu entdecken oder zu kreieren, was ihn von anderen unterscheidet. Marketingspezialisten nennen das den USP (unique selling proposition), was soviel heißt wie Alleinstellungsmerkmal.

 

Keine schlechte Idee, in einem enger werdenden Markt. Nur wenn man seinen Lauf in Berlin ausrichtet, braucht man sich darüber keine Gedanken zu machen. Aber Selbstläufer sind selten und so kommt es dann zu einem  "Marathon op Kölsch", zu "run vienna – enjoy classic" und zu 42 Live-Bands an der Strecke, um nur einige Beispiele zu nennen.

 

In Karlsruhe sucht man die Verbindung zur Kunst. Die künstlerisch gestalteten Kilometerschilder und die Läuferinnen und Läufer mit Ganzkörperbemalung (deutsch: bodypainting) sind auffällige Beispiele. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Die Karlsruher Klangstrahlen wurden erfunden, oder besser: komponiert. Sie sollen auch zum Jubiläum Aktive und Publikum erfreuen. Roman Rothen zeichnet als Komponist verantwortlich. 50 professionelle Musiker setzen das Werk um, in dem sie ausgehend vom Schloss bis zum Ettlinger Tor strahlenförmig von Balkonen und Türmen ihre Blas- und sonstigen Instrumente zum Einsatz bringen.

 

Ich habe einmal einen bitterbösen Leserbrief an die BNN geschrieben, weil deren Redakteur in einer Konzertkritik die Rolling Stones als „Dorfcombo“ bezeichnet hat. Dass der Mann von Rockmusik keine Ahnung habe, war meine harmloseste Behauptung. Weil ich ja schon eingeräumt habe von Kunst nichts zu verstehen, will ich jetzt nicht den gleichen Fehler machen und hier Kritik üben. Aber den Kommentar eines Läufers will ich wiedergeben: „Welcher Musikverein hat hier Probe?“ 

 

Wie kam’s beim Publikum an? Weiß ich auch nicht, ich habe keine Umfrage gemacht, nur Beobachtungen. Während bei meiner Teilnahme vor zwei Jahren am Marktplatz viele Karlsruher mit Livemusik und hübschen Sambatänzerinnen feierten und die Marathonis auf die letzten Kilometer schickten, war es dort diesmal ziemlich ruhig. Ähnlich habe ich das in Wien erlebt, wo die Läuferinnen und Läufer in der Praterallee der Berieselung mit klassischer Musik per iPod und anderem Hightec-Gerät zu entgehen versuchen. 

 

Kommen wir zum Wesentlichen. Der Karlsruher Marathon feiert 25. Jubiläum und gehört zu den Traditionsveranstaltungen in Deutschland. Was am 1. September 1983 als „Rotkreuz-Marathon“ mit 300 Teilnehmern begann, 1997 einmal der Stadtmarathon war und seit 1999 der Baden-Marathon ist, verzeichnet im Jubiläumsjahr mit 10.248 Anmeldungen (davon 2.103 Marathon) ein neues Rekordergebnis. 9.057 Läuferinnen und Läufer gehen an den Start, davon 1.744 Marathonis.

 

Die Infrastruktur um die Europahalle reicht für diesen Ansturm noch gut aus. Einheimische nutzen sowieso die Straßenbahn. Das Abholen der Startunterlagen in der Europahalle klappt bestens und das Nudelessen vom Buffet mit Salat und Getränk für 5 Euro ist stark gefragt. Die Marathonmesse hebt sich von den vielfach üblichen Schnäppchenmärkten deutlich ab. Viel spielt aber sich im Freien ab, denn schon seit Jahren gehört zum Baden-Marathon schönes Wetter einfach dazu.


Nicht weit von der Halle werden in einer Schule die Kleiderbeutel deponiert. Dann geht’s zum Startgelände in der Hermann-Veit-Straße, wo zwei Startblocks eingerichtet sind, aus denen im Abstand von 10 Minuten gestartet wird. Marathonis und die „Halben“ starten zusammen. Blauer Himmel, 16 Grad, echt badisch eben, von der Sonne verwöhnt.

 

Auf  Pacemaker braucht der zeitorientierte Läufer auch in Karlsruhe nicht verzichten. Wer bei diesen optimalen Bedingungen endlich die 3 Stunden knacken will, kann sich sogar auf prominente Unterstützung freuen. Jens Lukas, vor drei Wochen noch sensationell Zweiter beim 163km-Rennen um den Mont-Blanc, nutzt den Baden-Marathon als Vorbereitung auf sein nächstes großes Vorhaben (Spartathlon) und macht als Pacer mit 2:59:38 Stunden eine Punktlandung.

 

Zurück zum Start. Riesenjubel der vielen Zuschauer, als pünktlich um 9.00 Uhr der erste Startschuss fällt. Gleich sind wir in der Brauerstraße, wo links das ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie) zu sehen ist, in dem es unter anderem 10 Kinosäle mit insgesamt ungefähr 3000 Plätzen gibt.

 

Nach einem Kilometer sind wir in der Kriegstraße, einer der Hauptverkehrsstraßen von Karlsruhe. Am rechten Straßenrand sehen wir Rolf Huber mit einem merkwürdigen hölzernen Zweirad. Es ist eine Nachbildung der „Draisine“ genannten Laufmaschine, einem Vorgänger des Fahrrades. Karl Drais (1785 – 1851), geboren und gestorben und Karlsruhe, hat sie erfunden. Er bastelte auch an einem vierrädrigen Gefährt, denn die drastisch gestiegenen Preise für Hafer machten Pferdefuhrwerke ziemlich teuer. Einszwanzig kostet der Liter Diesel an der Tankstelle nur ein Stück weiter. Wie sind denn die Haferpreise heute?

 

Am Badischen Staatstheater geht es vorbei und in der Oststadt geht es dann Richtung Durlach. In der Ferne sehen wir den Turmberg, nördlichster Berg des Schwarzwaldes, vor uns. Durlach ist mit ungefähr 30.000 Einwohnern der größte Stadtteil von Karlsruhe. Von hier ging 1715 die Gründung  von Karlsruhe als Residenz der Markgrafen von Baden-Durlach aus. Bis dahin war Durlach selbst Residenzstadt.

 

Die erste Getränkestelle haben wir schon hinter uns. Trotz des großen Läuferfeldes kommt es zu keinem übermäßigen Gedränge, die Tische sind (auch an den folgenden Verpflegungsstellen) sehr weit auseinander aufgestellt und die Läuferinnen und Läufer verhalten sich sehr diszipliniert. Von der Durlacher Allee geht es von vielen Zuschauern bejubelt scharf rechts in die Ernst–Friedrich- und dann in die Killisfeldstraße.

 

Von weitem ist schon Bob Dylan’s „Knockin’ on heavens door“ zu hören. Die Fiducia-Leute wissen, wie man’s macht. Obwohl sie mit ihrem Hauptquartier (km 9) etwas außerhalb liegen, herrscht hier eine Riesenstimmung. 2500 Mitarbeiter hat der IT-Dienstleister, jeder 10. läuft mit, die anderen, so scheint mir, sind hier und feuern die Läuferinnen und Läufer an. Die Coverband ist erste Sahne. Wer’s lieber volkstümlich mag, für den spielt 500 Meter weiter der Musikverein Aue auf. Dazwischen ist eine Verpflegungsstelle mit allem, was der Läufer braucht: die Sponsor-Kollegen von Fontanis haben ihr gesamtes Getränkesortiment aufgefahren, dazu gibt’s Bananen und Trockenfrüchte gegen den ersten Hunger.

 

Einen Kilometer weiter geht es über die Autobahn und dann in den Oberwald (km 10), der Joggern und Walkern ideale Trainingsmöglichkeiten bietet. Auch heute sind viele unterwegs und beäugen die Marathonis bewundernd und manchmal auch etwas kritisch. Oder ist es Neid? Dem Wald folgen Kleingärten und bei den nächsten Häusern (Rüppurr, km 12,5) haben sich schon wieder viele Schaulustige versammelt. Lautstark feuern sie die Läufer an, denn es geht über eine steile Brücke. Früher war der Karlsruher Marathon ja als „Brücken-Marathon“ berüchtigt. Auch heute noch summieren sich die Steigungsmeter infolge Unter- und Überführungen zu einem netten Sümmchen. Allerdings kann man die Strecke nicht als „schwer“ bezeichnen. Dagegen sprechen eindeutig auch die Zeiten, die heute gelaufen werden: 2:14 für den Sieger (Ben Kimwole, Kenia) und neuer Streckenrekord bei den Frauen (2:39 - Irene Cherop, Kenia).

 

An der St. Nikolaus Kirche vorbei geht es in den Ort, der schon 1907 eingemeindet wurde, sich aber seinen dörflichen Charakter erhalten hat. Wie es in den Dörfern so üblich ist, macht man vieles gemeinsam. Heute ist feiern angesagt. Die Stimmung ist super.

 

Auf dem Scheibenhardter Weg, einer lang gezogenen, fast kerzengeraden Allee, geht es zum Belchenplatz (km 16), wo im typischen Guggesound die „Albgoischda“ Hits aus den 60er Jahren zum Besten geben. Das macht gute Laune und schnelle Beine. Auch Rainer Kurbel und Hartmut Thielemann kommen mit ihren Dudelsäcken sehr gut bei den Läuferinnen und Läufern an.

 

Der nächste Kilometer führt wieder durch Wald, ein kurzes Stück geht es parallel zur B 10 (Gut Scheibenhardt mit dem Golfplatz liegt gegenüber) und wir erreichen nach einer Eisenbahnbrücke Bulach auf der Litzenhardtstraße (km 18). Herrliche Fachwerkhäuser und ländliche Idylle erwarten uns hier, aber auch viel Applaus von den zahlreich versammelten Anwohnern.

 

Trommler empfangen uns in Beiertheim (km 20), wo ebenfalls viele Leute an der Straße sind. „Letzter Kilometer ….“ singt eine Frauengruppe und motiviert so die „Halben“ zu einem Endspurt. Noch lauter ist es nach der Unterführung, wo die Halbmarathonis rechts zur Europahalle ins Ziel gewunken werden. Viele Zuschauer sorgen für Stimmung, fast wie im Stadion. „Beißen! Jetzt geht’s zum die Wurscht“ verkündet ein Plakat. Das sieht die junge Frau mit der Marathonnummer gar nicht so. Sie will ins Ziel, wird aber immer wieder von den Ordnungskräften links auf die Marathonstrecke gedrängt. Erst der Dritte kapiert, dass die Dame „fertig hat“ und ihr Marathondebüt auf ein anderes Mal verschiebt.

 

Durch die „Klotze“, wie die Günter-Klotz-Anlage kurz genannt wird, geht es der Alb entlang weiter. Günter Klotz war 18 Jahre (1952-70) Karlsruher Oberbürgermeister und hat große Verdienste beim Wiederaufbau der Stadt. Der künstliche Hügel ist im Winter Rodelbahn und im Sommer, beim legendären „Feschd“, Tribüne für tausende Rockfans.

 

Fast unberührt erscheinen einem die Natur und der Flusslauf in dem stadtnahen Gebiet. Sonnige Abschnitte mit blühenden Sträuchern, Spielwiesen mit Ausflugslokalen und schattige Wäldchen wechseln sich ab. Publikum gibt es hier nicht, nur ein paar Helfer und Spaziergänger sind unterwegs anzutreffen. Es ist einfach herrlich, schöner kann man sich ein Sonntagmorgenläufchen nicht wünschen. Hoffentlich wird die Idee, diese Passage zugunsten einer vermeintlich „schnelleren“ Asphaltpiste zu streichen, nie umgesetzt.

 

Eine Rockband unterbricht die Stille. Aber ohnehin ist es bei km 26 vorbei mit der Landschafts-Idylle, die Stadt zeigt ihr anderes Gesicht. Wir sind am Rheinhafen, überqueren die B 10 nach Landau, kommen nach Mühlburg (km 28) und laufen durch die Hardt- und Hertzstraße. Pünktlich zum Mittagläuten und –essen bin ich um 12 Uhr an der St. Konrad-Kirche (km 29) und der Verpflegungsstelle kurz danach. Weiter geht es zum alten Flugplatz (km 30) und später in die Knielinger Allee (km 32). Die nächste Brücke bringt uns über den Adenauerring, der zum Wildparkstadion führt, der Heimat des KSC. Die Temperaturen haben deutlich angezogen und der schattige Wald kommt wie gerufen.

 

Dann hat die Stadt uns wieder. Bei km 32,5 sind wir auf der Hans-Thoma-Straße, passieren die Orangerie und die Staatliche Kunsthalle und laufen dann links direkt auf das 1715 erbaute Karlsruher Schloss (km 34) zu. 200 Jahre war es Regierungssitz des Badischen Herrscherhauses. Heute ist das Badische Landesmuseum darin untergebracht.

 

Vor wolkenlosem Himmel präsentiert sich der Prachtbau heute von seiner allerschönsten Seite. Die Bilder sagen mehr als tausend Worte …

 

Vorbei an Brunnen und Skulpturen laufen wir auf der Rückseite des Schlosses durch die gepflegten Grünanlagen. Zuschauergruppen muntern die müder werdenden Marathonis auf. Nach einer kurzen Wendepunktstrecke kommen wir zurück zum Schloss. Die insgesamt drei Kilometer in diesem Bereich sind das Highlight des Baden-Marathon. Alleine dafür lohnt sich die Teilnahme.

 

Jetzt kommt die Kaiserstraße, Karlsruhes Shopping-Meile. Während in den Vororten der Marathon von der Bevölkerung hervorragend angenommen wird, ist hier, was die Stimmung anbelangt, noch deutlich Luft nach oben. Nur in der Lammstraße, bei einer Folkloregruppe, ist gute Stimmung. Auf dem Marktplatz ist dagegen wenig los. Die Pyramide, 1823 von Friedrich Weinbrenner über dem Grab des Stadtgründers Markgraf Karl Wilhelm errichtet, versteckt sich hinter Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr und des Roten Kreuzes. Statt fetziger Guggemusik und Sambatrommeln gibt es Klangstrahlen von Türmen und Balkonen.

 

Auf der Ettlinger Straße laufen wir südwärts und sind spätestens im Stadtgarten davon überzeugt, Karlsruhe ist eine Stadt im Grünen. Ich bin gespannt, ob in Beiertheim die Damen noch bei Stimme sind, um auch den Marathonis den letzten Kilometer gesanglich anzuzeigen. Sie sind, ihr „letzter Kilometer …“ ist nicht zu überhören. Kompliment, ihr seid wahre Marathon-Fans!

 

Als ich die Europahalle ansteuere, wird mir klar, warum in der Stadt nichts los ist. Die Karlsruher sind alle hier. Im Ernst, hinter den Gittern stehen die Menschen in Dreiherreihen, die Tribüne ist auch beim Eintreffen der 4:30-Läuferinnen und Läufer noch voll besetzt. Eine tolle Stimmung und ein toller Zieleinlauf.

 

Was dann kommt, macht den Karlsruhern kaum einer nach. In „Runner’s Heaven“ gibt es alles, was das Läuferherz begehrt, und das in rauen Mengen. Das gesamte Fontanis-Sortiment steht zur Auswahl, dazu Bananen, Äpfel, Trockenobst, Kuchen, Joghurt, Bier …. Und überall heißt es: „Nimm zwei“. Aber zuvor gibt es die Medaille und die Damen bekommen zusätzlich eine Rose.

 

Unterwegs sind mir schon verschiedentlich Läuferinnen wegen ihres ausgefallenen Outfits aufgefallen. Ich meine jetzt nicht die bemalten Nackedeis. Im Gegenteil, die Mädels waren besonders chic angezogen. Ein Blick auf das Label bestätigen meine Vermutung: Liane M.  hat wieder einige ihrer eigenwilligen, modischen und dabei funktionellen Kreationen unter die Frau gebracht. Drei der Damen posieren gerne für ein Foto. Anschließend treffe ich auch die Künstlerin selbst. Sie hat heute ausnahmsweise den „Halben“ gemacht, in Berlin sind dann wieder die 42 an der Reihe.

 

Marathonsieger

Männer

1  Kimwole, Ben (KEN)  02:14:36
2  Njagi, David (KEN)   02:17:27
3  Koech, Gideon (KEN) 02:26:21
4  Diehl, Marco (DEU)  02:28:54

 

Frauen
1  Cherop, Irene (KEN)  02:39:01
2  Ruban, Julia (UKR)  02:40:23
3  Ustianowska, Dorota (POL)  02:41:47
4  Bauer, Beate (DEU)  03:04:58

 

Streckenbeschreibung:

Flacher Rundkurs auf guten Straßen und Wegen, allerdings mit etlichen Brücken und damit verbundenen Anstiegen.
 
Rahmenprogramm:
Marathonmesse in der Europahalle mit Ausgabe der Startunterlagen und Pasta-Essen.
 
Auszeichnung:
Medaille, Urkunde.
 
Logistik:
Startgelände mit Straßenbahn gut zu erreichen. Parkplätze gibt es nicht so viele und sind nur für Frühaufsteher oder Ortskundige.
 
Verpflegung:
Wasser, Iso, Apfelschorle, Bananen und Trockenobst

Zuschauer:
50.000, so die offizielle Verlautbarung. In den Vororten, und im Ziel viele Zuschauer und tolle Stimmung. Auf dem Marktplatz und in der Kaiserstraße kann es noch besser werden.

 

Informationen: Baden-Marathon
Veranstalter-WebsiteE-MailErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024