Am Marathontag hat Markgraf Karl III Wilhelm von Baden Durlach keine Ruhe in seiner Gruft. Ruhe hatte er eh nie gemocht, er war ein Karl in allen Gassen, trieb die Beamten zur Arbeit, sanierte den verschuldeten Staat, förderte die Wirtschaft und wenn er es nicht gerade mit seinen zahlreichen Mätressen trieb, war er in seinem Tulpenbeet, wo er 1738 ein jähes Ende fand. Deswegen findet der Karlsruhe Marathon traditionell in der tulpenfreien Zeit statt.
Meine Kajaktour am Vortag auf dem Neckar fand auch ein jähes Ende, weswegen ich mit nassen Klamotten in Karsruhe erscheine. Der 2 km-Marsch vom Hauptbahnhof zur Europahalle trocknet auch nicht wirklich, es regnet heftig.
Mein quitschgelber Rucksack trieft vor Nässe. Georg Schweitzer („Nimm Schweitzer und fürchte dich nicht“) ist einer der besten Komiker. Obwohl erst 7:30 Uhr, lässt er mir keine Ruhe, erfasst blitzschnell meine genässte Situation: „Und da, unglaublich! Liebe Läufer und Mitläufer, Applaus für den rasenden Briefträger! Ja! Er verteilt nun seine verheulten Liebesbriefe! Sein müdes Erscheinungsbild, ganz in schwarz, gibt den Kenianern keinen Funken Hoffnung!“
Dann wünscht er mir noch schöne Weihnachten und eine gute Recarnation (ja, ist richtig geschrieben), um sich dann der Läuferin in Rosa zuzuwenden: „Und extra aus den USA angereist: Pink! Meine Damen und Herren! Pink! Applaus für die sagenhafte Pink!“
Vor der Europahalle hat die Fa. ChampionChip benutzerfreundliche Automaten für Leihchips aufgebaut. Zügig und stressfrei rattern die Münzen hinein. Läuferfreundlich auch die Nachmeldung, nur bei der T-Shirt-Ausgabe bildet sich eine Warteschlange.
Ausnahmsweise bin ich heute Kleiderbeutelabgeber und hinterlasse in dem angewiesenen Schulgebäude den nassen Postsack seinem Schicksal. Schnell verbreitet sich der wilde Duft des Neckars. Auch im Startbereich verbreitet sich ein wilder Duft. Man kann aber einen weiten Bogen um die zahlreichen Dixis machen.
Ich hechte schnell zum Start (9 Uhr), reihe mich in die Läufergruppe ein, die sich zielzeitmäßig völlig überschätzt. Ich muss hier starten, schliesslich brauche ich noch ein Frühstück, was ich mir bei km 5 erhoffe.
Nach einem Kilometer sind wir auf der Kriegsstrasse. Zu Karls Zeiten waren noch alle Soldaten bei den Bürgern einquartiert. Zu Napoleons Zeiten änderte sich das. Baden gewann als Günstling vom Korsen enorme Ländereien, stand deswegen auf französischer Seite. Damit die Truppen ihren Weg in Deutsche Länder nicht durch die Innenstadt nehmen mussten, wurde die Kriegstrasse quer durch die Fächerstadt planiert. Das Arbeitsamt rief alle Bürger auf, anzupacken. Die Ärzte waren angewiesen, keine Atteste auszustellen, die gegen den Arbeitseinsatz sind. Kasernen, Bäder und Küchenhäuser entstanden entlang der Strasse.
Viel später, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde die Kriegstrasse wegen seiner vielen rot beleuchteten Fenster berühmt. Schliesslich waren die französischen Soldaten weit weg von zuhause. Bezahlt wurde in Franc.
Die Unterführungen stammen noch von Napoleon, hier ertönt jetzt jedesmal ein vielkehliger Läufergruss. Wie jedes Wochenende überholt mich Christoph nach 3 Kilometern, obligatorisches Foto, dann ist er fort. Der östliche Teil der Kriegstrasse wurde in Ludwig-Erhardt-Allee umbenannt, an derem Ende wir der Strecke nach Durlach folgen.
Durlach (km 7-9) ist die eigentliche Heimat vom Karl gewesen, aber die mittelalterliche Stadt und das Schloss wurden im pfälzischen Erbfolgekrieg (1689) zerstört. Was sich anhört wie ein innerdeutscher Krieg, war begründet in dem Drang des Sonnenkönigs Richtung Rhein und weitete sich in einen Krieg von Spanien bis zur Türkei aus.
Wir drängen nun in einem weiten, großen Bogen wieder Richtung Osten zum Rheinhafen, überqueren die Südtangente, die A5 und passieren zunächst den Tierpark Oberwald (km 11), der als „Refugium für bedrohte Tierarten aus Europa und Asien und für Männergruppen als Genpool zum Arterhalt (Wikipedia)“ diente, also ganz im Sinne vom alten Karl.
Der Erlacher See (1970) auf der linken Seite lieferte den Kies für die Südtangente, die A5 entstand aber schon 1933. Das Adelsgeschlecht der Rüppurrer starb aus, bevor der Genpool im Oberwald seine Wirkung entfalten konnte. Vom Schloß der Rüppurrer ist nur noch die Meierei erhalten, was uns aber nicht interessiert. Wir trinken Wasser und Iso, dann überqueren wir die Alb.
Nach Weiherfeld geht es Richtung Nordwesten, schon vor Bulach ist der „Dom der Hardt“ weit sichtbar. Er ist dem Heiligen Cyriakus geweiht, der 303 in Rom mit siedendem Öl übergossen und dann enthauptet wurde. Einige Halbmarathonläufer laufen nun kopflos Richtung Stadion zum HM-Ziel, diejenigen HM-Läufer, die sich die Marathonstrecke teilen, müssen aber weiter geradeaus laufen und der Marathonstrecke folgen, denn dort ist deren Wechsel.
Es gibt also Einzel-HM-Läufer und welche, die sich die Strecke teilen, aber auch noch Staffelläufer, die sich Teamläufer nennen. Kurz vor dem Ziel gibt es dann noch „Marathonengel“, die ihre Liebsten die letzten Kilometerchen begleiten. Diese Konstruktion ist einmalig und bringt Leben auf die Strecke. Finde ich gut!
Zunächst aber ist tote Hose. Wegen des Alb-Hochwassers vor einigen Tagen ist die Strecke verlegt worden. Leider, denn die romantisch-grüne Strecke über Brückchen und schmale Wege war schon ein Highlight. Dieses Jahr müssen wir uns über unromantische, breite Strassen quälen, an denen nur sporadisch einige wenige Zuschauer stehen. Dafür kann man jetzt richtig Tempo machen. Ich hänge mich an Joachim und Klaus-Peter dran, die jetzt die 4:30 Marke anpeilen. Joachim hat kein Startgeld bezahlt, denn wer 25mal hier dabei war, der bekommt immer einen Freistart.
Lange Zeit laufe ich in deren Windschatten, dann lasse ich sie ziehen, denn Windschatten ist nicht immer angenehm. Kleines Wunder: Klaus-Peter nimmt mir netto 7 Hunderstel im Ziel ab, genau wie letzte Woche beim P-Weg auf 73 km.
Ab Mühlburg laufen wir Richtung Schloss. Auch Mühlburg wurde im Pfälzischen Erbfolgekrieg komplett zerstört. Die vom französischen Sonnenkönig ausgegebene Losung „Ruinez les pays de Bade“ wurde mit aller Härte umgesetzt. Die Steine von Mühlburg und seinem Schloss befinden sich heute in den Mauern des Karlsruher Schlosses.
Wir passieren den Alten Flughafen (km 30), der wegen des Versailler Vetrages erst ab der Machtübernahme an Bedeutung gewann, als 39 europäische Städte von hier aus angeflogen wurden. Heute ist das Gebiet mit seinen eiszeitlichen Sanddünen ein bemerkenswertes Biotop und steht unter europäischen Naturschutz.
Von km 32 bis 36 steht das Karlsruher Schloss im Mittelpunkt der Laufstrecke. Mit Bögen und einigen Richtungsänderungen wird dem Zentrum des Karlsruher Fächers angemessene Ehrerbietung erwiesen. In einem weiten Bogen geht es auf den Platz und in den Schlossgarten.
Zurzeit wird das Schloss renoviert, bröckelder Sandstein und verfaultes Holz muss entfernt werden, ehe das Schloss im März 2015 zum 300 jährigen Stadtjubiläum wieder erstrahlen kann. Schon 35 Jahre nach seinem Bau (1715) mussten Steine und Hölzer ausgetauscht werden, denn das Baumaterial aus dem zerstörten Mühlburg war zwar billig, aber nicht so gut geeignet. Vor genau 70 Jahren, am 27.09.44 wurde das Schloss, trotz schwarzem Tarnanstrich, von amerikanischen Brandbomben komplett zerstört.
Jetzt kommen uns Fussballfans entgegen. Schon in der ersten Stunde des Marathonlaufes hörte ich immer wieder diesen Satz: „Heute muss ich schnell sein, um 13:30 ist Anpfiff“.
Die Fans sind auf dem Weg zum Wildparkstadion. Als 1903 zum ersten Mal die Deutsche Meisterschaft ausgespielt wurde, waren die Karlsruher Titelfavorit. Das Halbfinalspiel sollte in Prag stattfinden. Der DFC Prag nahm als österreichisch-böhmischer Club damals selbstverständlich an der Deutschen Meisterschaft teil. Prag wurde nur deswegen erster Deutscher Vizemeister, weil der KFV aufgrund eines gefälschten Telegrammes nicht zum Spiel anreiste.
Doch heute ist Heimspiel, der KSC muss nicht anreisen, gewinnt souverän 3:0 gegen Nürnberg. Ich laufe auch souverän, doch einigen Läufern fehlt jetzt offensichtlich eine Getränkestation, sie schwächeln sichtbar.
Tatsächlich hat sich auch hier die Streckenführung geändert, der Abstand zur nächsten Station verlängert. Die Wege im hinteren Teil des Schlossgartens sind aber nicht schlecht. Gefällt mir sehr gut, könnte man beibehalten, oder sogar ausweiten. Auf den kleinen Gleisen fährt die Schlossgartenbahn, die einzige rentable Strecke des KVV, doch es fehlt halt die Versorgung.
Die Getränkestation kommt erst kurz nach dem Fasanenschlösschen. Der Förster liess die Vögel kurz vor Jagdbeginn fliegen, dann hechteten die edlen Herren hinter den Leckerbissen hinterher. Wir hechten an den zwei Teehäuschen vorbei, wo früher die aufgehübschten Damen warteten, um nach der Jagd die heroischen Jäger samt den erlegten Tieren zu bewundern. Ich erlege nun Läufer nach Läufer. Das macht richtig Spaß. Und bewundern lasse ich mich von den Läuferinnen an der Wechselstation, wo ich mit Höllenspeed und bester Laufhaltung vorbeidüse.
In einem Bogen geht es zur Haupttangente des Schlosses, führt nun direkt auf die Gruft des alten Karl. Sie befand sich unter der vom Napoleon abgerissenen Konkordienkirche, jetzt steht die Pyramide drüber. Erst dreimal wurde die Pyramide betreten. Wenn einmal meine Gruft besichtigt wird, dann wird man festzustellen, dass Marathonlaufen jung hält. Ich werde eine Kamera anbringen, denn ich möchte die dummen Gesichter sehen!
Leider, vor der Gruft vom Karl auch Baumaßnahmen, sodass kein Foto möglich ist. Aber ich bin ja nächstes Jahr wieder hier, wenn Karlsruhe zur 300Jahrfeier genau wie ich seit meiner OP komplettsaniert sein wird.
Groteskt, dass in der Herrengasse „feminin coiffure“ verkauft wird. Der Name Herrengasse erinnert an die Ritterherren des Fidelitasordens, dem Hausorden der Treue, den Karl anlässlich der Gründung von Karlsruhe im Jahr 1715 stiftete.
Bei km 37 warten die „Marathonengel“. Man muss sich die Dingerchen aber schon vor dem Start im „wirklichen Leben“ suchen. Maximal sind drei „Stück“ erlaubt. Ich würde mir gerne 10 buchen, das kostet dann 50 Euro. Aber als Marathonsammler habe ich kein „wirkliches Leben“. Für mich also nur Fotos und dann weiter.
In der Unterführung meine Lieblingsrockband: The Rolling Dices (die rollenden Würfel). Biggi wird nervös, als ich sie fotografiere, ich glaube ich ruf sie mal an. Der kräftige Sascha (Zitat: „Ich dreh noch durch..“) schwitzt wie Sau, muss ein Auge zukneifen, damit der Schweiss nicht im Auge brennt. Die Namenscombi Biggi-Sascha ist hier rein zufällig. Kurti legt noch ein Gitarrensolo hin und Mike gibt alles auf den Trommeln, damit ich endlich weiterlaufe. Spitze, wie die 6köpfige Band uns hier mit AC/DC einheizt.
Bei mir sind die Würfel noch nicht gefallen, Endspurt ist angesagt. Ganz grosse Klasse die Streckenführung auf den letzten Kilometern, dann Zieleinlauf ins Stadion. Mein Lieblingskomiker brennt mir einen auf´n Arsch, peitscht mir hinterher. Alles live auf der Großbildleinwand zu sehen. Eindeutig: Mein Marathon-Arsch begeistert die Massen auf den Rängen und vor den Bildschirmen zuhause! Ja, eindeutig: So muss Marathon sein!
Männer
1 Kabede, Dawit (ETH) 02:27:09
2 Kipkorir, Bernard (KEN) 02:27:25
3 Santruschek, Jens Kinostar Bretten 02:41:20
Frauen
1 Bischoff, Natascha (DEU) EnBW AG 03:21:28
2 Schulz, Hannah (DEU) SV Kirchzarten 03:25:59
3 Augsten, Karin (DEU) Tri-Team SSV Ettlingen 03:26:03
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