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Laufberichte

Novi Grad Maraton – Herausforderung für Ländersammler

30.05.15 Special Event
 

Marathonsammeln in Kombination mit neuen Orten und Ländern kann für einen zusätzlichen Motivationsschub sorgen. Novi Grad, eine knapp 30.000 Einwohner zählende Stadt im Nordwesten von Bosnien-Herzegowina, an der Mündung der Sana in die Una gelegen, ist diesmal meine Destination  – und auch Ziel einiger in der Laufszene bekannter und renommierter Mitglieder des Country Marathon Club.

Von Wien bis nach Novi Grad sind es mit dem Auto mehr als 500 km, ich rechne mit mindestens 6 Stunden. Da der Marathon am 30. Mai stattfindet, muss ich mir den Freitag von der Arbeit freinehmen. Rajko Risojević, vom AK „Sloboda“ Novi Grad einer der Organisatoren des Rennens, empfiehlt mir per E-Mail eine zwar etwas längere, aber bequemere Route über die kroatische A3 bis nach Novska. Doch nach der Umfahrung in Zagreb vertraue ich meinem Navi und benötige für ca. 120 km an die 2 ½ Stunden über eine durch alle Ortschaften führende, kurvenreiche Straße mit vielen Steigungen. Die Einreisekontrollen im bosnischen Teil von Konstajnica  ziehen sich in die Länge. Der ÖAMTC weist darauf hin, dass Autofahrer gewisse Extras mitführen sollen. Für alle Fälle habe ich meine Erste Hilfe-Tasche ersetzt, einen Wagenheber, ein Abschleppseil und ein Lampenset mitgenommen, gleich fünf Warnwesten verstaut, obwohl ich alleine unterwegs bin, die Autopapiere inkl. internationalem Führerschein, grüner Karte vor der Abreise gesichtet und dann erst in Slowenien bemerkt, dass ich meinen Reisepass zuhause vergessen habe. Aber der Personalausweise reicht aus, ich komme gut über die Grenze. Die M14 verläuft entlang der Una, bis Novi Grad sind es noch 27 km.

Ich bin zum ersten Mal in der Republika Srpska, der serbischen Republik, die neben der Föderation Bosnien und Herzegowina eine von zwei Entitäten des Staates Bosnien und Herzegowina, mit einer unabhängigen Legislative, Exekutive und Judikative ist. Bosnien ist ein Bundesstaat mit ca. 51.000 km² und rund 3,8 Mio. Einwohnern. Amtssprachen sind Bosnisch, Serbisch und Kroatisch, Zahlungsmittel ist die Konvertible Mark (KM) mit einem festen Wechselkurs von 1:1 an die frühere Deutsche Mark gebunden. Derzeit bekommt man für einen Euro 1,96 KM. In Hotels und kleineren Geschäften kann man auch mit dem Euro bezahlen.

Um 15 Uhr 30 beziehe ich das Hotel New Sanatron, 45 Euro kostet mein mit zwei Räumen über booking.com reserviertes Zimmer. An der Rezeption erfahre ich, dass nur Barzahlungen angenommen werden, Kreditkarten traut man nicht so recht.
Es ist ein herrlicher Sonnentag, auf der relativ breiten, langsam fließenden Una, die nach 212 km bei Jasenovac in die Save mündet, ankern einige Fischerboote. Im Juli findet hier eine internationale Regatta statt. Mit Kajak- und Kanutouren, Jagen (Wildschweine) und Fischen sowie kulturellen und gastronomischen Veranstaltungen versucht man den Tourismus anzukurbeln.

Ich spaziere durch die Stadt, hie und da sieht man ein Auto mit deutschem oder österreichischem Kennzeichen. 70.000 Bosnier haben während des Balkankriegs alleine in Österreich Asyl bekommen, viele sind bei uns geblieben, haben aber ihre alte Heimat nie vergessen und investieren dort in die Infrastruktur.

Rajko hat mir auch den Ort für die Startnummernausgabe und die Pastaparty genannt–  es ist die Schule Djuro Radmanovic. Doch dafür habe ich noch gut 3 Stunden Zeit.

Im Gastgarten eines Lokals  gönne mir ein Pivo (50 Cent) und entspanne mich. Als ich gegen 19 Uhr beim im Krieg zerbombten und  seither nicht mehr restaurierten Hotel Una vorbei komme, erblicke ich einen Campingbus mit italienischem Kennzeichen. Hartmann Stampfer bereitet gerade seine Spaghetti zu. Er ist einer von den renommierten Ländersammlern, dem ein Marathon in Bosnien-Herzegowina noch fehlt – mit derzeit 58 Ländern rangiert er im vorderen Drittel. Den Rekord hält übriges Mr. John Wallace (USA), Präsident des Country Marathon Club, mit 124 Ländern. Wer dort Mitglied werden will, muss bereits 30 Länder abhaken können – das trifft bei mir zu.

Ich plaudere mit Hartmann, der ja als Ausnahmesportler zu bezeichnen ist: Er ist einer der wenigen, die vor dem morgigen Lauf bereits 222 Marathons in Europa und Übersee gelaufen sind und zwar an jedem Ort nur einmal. Hartmann führt eine hervorragend gestaltete Webseite, die dokumentarischen Wert hat.

Gegen 20 Uhr finden wir uns vor dem Seiteneingang der Schule Djuro Radmanovic ein. Rajko begrüßt uns und zwei Finnen, Tenho Lauri und Unto Peltoniemi mit je 61 gesammelten Ländern, die ebenfalls wie Hartmann dem Country Marathon Club angehören. Wir erfahren, dass die Läufer ihre Startnummern und das T-Shirt erst morgen am Trg Mladena Oljace, also am Startplatz, bekommen werden. Es gibt Nudeln mit Fleischsauce, als Getränke Wasser, Fruchtsaft und Cola. Ein DJ legt auf, die Musik übertönt die Gespräche  – über Laufen. Zum Abschluss trinken wir noch ein Bier.

Tenho und Unto wohnen im selben Hotel wie ich – sie sind nach Zagreb geflogen und wurden mit einem Privatauto für je 20 Euro abgeholt. Auch sie waren zwei Stunden unterwegs und haben die Panoramafahrt genossen. Ein Abend ohne TV und Internet – ich probiere erst gar nicht, ob das WLAN funktioniert  – dient der Selbsterfahrung. Noch bevor ich zur Pastaparty gegangen bin, habe ich im „Konzum“ einige Lebensmittel als eventuelle Ergänzung zum inkludierten Frühstück eingekauft.

Als ich morgens in den Speiseraum komme, sitzen Tenho und Unto schon da, neben ihnen zwei ebenfalls renommierte deutsche Marathonsammler mit Schwerpunkt auf Länder, nämlich Giuseppe Raguso (52 Länder) und Klaus Westphahl mit 95 vor dem Lauf in Novi Grad an dritter Stelle in der Wertung des Country Clubs liegend. Die beiden sind nette Typen, wir gehen dann gemeinsam zum Startbereich. Ich bin froh, dass ich vor dem Frühstück schon im Zimmer etwas gegessen und getrunken habe – es wäre mir sonst zu wenig gewesen.

Es kündigt sich ein heißer Tag mit Temperaturen an die 30 Grad an. Man hätte statt 10 Uhr auch um 9 oder 8:30 beginnen können. Doch so mancher aus der benachbarten Region reist am Renntag erst an. Die Gebühr in Höhe von 10 Euro ist bescheiden, dafür gibt es ein Baumwollshirt, die Teilnahme an der Pastaparty, eine Medaille und im Ziel ein Essen mit Getränken. Klaus und Giuseppe legen einen Zehner drauf, ich habe nur einen Schein eingesteckt.

Ich nutze die Möglichkeit, meinen Kleiderbeutel im Bus zu deponieren. Die Halbmarathonläufer (schwarze Startnummer) werden mit einem der Busse zu ihrem Startort auf der Laufstrecke gebracht, sie beginnen ihren Lauf um 11 Uhr. Unter den in Novi Grad startenden Marathonläufern ist auch Ernst Fink, der letztes Wochenende einen schweren Trailmarathon mit ca. 2500 Hm in Alta Val Nure absolvierte und heuer wieder in Topform ist. Und wieder und überall bei Marathons im ehemaligen Jugoslawien und in Norditalien: Vojislav Ćurulić, der trotz eines steifen linken Arms als über Sechzigjähriger Spitzenzeiten um 3:45 schafft.

Giuseppe und Klaus reihen sich hinter mir ein, Hartmann nimmt weiter vorne das Rennen nach einer längeren Ansprache eines Lokalpolitikers auf Bosnisch auf. Zunächst werden zwei Runden durch die Stadt gelaufen und anschließend wird ab der halben dritten Runde nach Westen abgebogen. Ich schließe zu einigen Kollegen auf und überhole u.a. auch ein Mitglied der Marathon Maniacs, bei denen ich seit 2009 Mitglied bin. Hartmann ist fast in Reichweite, Klaus und Giuseppe liegen etwas zurück. Nun geht es entlang der Una stadtauswärts.

Ich habe das Streckenprofil nicht studiert, vorerst führt der Kurs auf einer Einfahrtsstraße mit einem tlw.  gesperrten Fahrstreifen. Die erste Labestelle habe ich schon bei Kilometer 5 in der Stadt nahe der Djuro Radomic Schule passiert. Ich blicke zurück, auf geschätzte 800 m sehe ich in der Perspektive drei oder vier sich bewegende Gestalten, vor mir ebenfalls nur mehr zwei Läufer. Es geht schon leicht aufwärts, doch ich fühle mich heute in guter Form. Der Italienkurzurlaub über Pfingsten in Jesolo bei gutem Wetter, während es in Österreich schüttete und keine 10 Grad hatte, war erholsam.

Der Marathonkurs führt in die grüne Einöde, vorbei an vielen unverputzten Rohbauten, in denen die Menschen leben, wobei ich mich wundere, wie unfachmännisch die roten Ziegel vermauert sind. Hier waren keine gelernten Maurer am Werk, sondern offenbar Helfer und Freunde, die unter dem Titel „Nachbarschaftshilfe“ so nebenbei ein Haus bauen. Der Asphalt auf der Straße zerbröselt, die Bauernhäuser sind uralt, die Gegend wirkt arm.

Ich laufe auf eine Kollegin von einem lokalen Club auf, sie klagt über die Hitze, ihr Gesicht ist rot. Die Labestelle bei Km 10 bietet Wasser, Iso, Apfel- und Bananenstücke und Schnitten. Die Arbeiter eines Brennholzunternehmens – wenn man so sagen kann – rufen mir irgendetwas zu. Leider verstehe ich kein Wort Bosnisch. Obwohl ich bis Km 15 gut drauf bin, gelingt es mir nicht, jemanden vor mir einzuholen. Ab und zu kommen Autos, Traktoren. Bei der Labe stinkt es nach Jauche, die direkt in einen Kanal führt: andere Länder, andere Sitten. Die Menschen an der Strecke sind aber freundlich.

Man spürt die Steigungen, auch die Sonne wird nach 2 Stunden Laufzeit gegen 12 Uhr nun stärker. Ich beginne zu rechnen: die Halbmarathondistanz sollte ich nach ca. 2:20 schaffen. Als ich mich umdrehe, kommt auf einem Anstieg  ein Läufer unaufhaltsam näher. Er spricht ein wenig Englisch und stellt sich als Ivan aus Beograd vor. Er würde gerne nach Österreich, Deutschland oder Finnland gehen, um dort eine Arbeit zu finden. In Serbien gebe es kaum Jobs, sagt er.

Wir traben ein Stück des Weges und holen die Startnummer 1 ein – wer eine solche Nummer hat, muss eigentlich ein Spitzenläufer sein – oder er hat sich als erster angemeldet. Srdan dürfte es zu schnell angegangen sein. Bald darauf bleibt er hinter uns.

Entlang der Strecke fallen mir kleine Friedhöfe auf sanften Hängen neben der Straße auf, die es in Mitteleuropa in dieser Dimension nicht gibt. Die Gräber sind gepflegt, mit Blumen geschmückt. Der Tod ist die letzte Gewissheit im Leben eines Menschen, doch solange man in Erinnerung bleibt, lebt man geistig weiter.

Je länger ich in der Hitze unterwegs bin, desto schlapper fühle ich mich. Die gute Form ist wie weggeblasen. Ich hätte die von Hartmann angebotene Kappe doch aufsetzen sollen, anstatt sie in den Kleiderbeutel zu legen. Mein Schweißband hält die Sonnenstrahlen nicht ab, die Gefahr eines Sonnenstichs ist heute groß. Für 26 km habe ich 3:23 h benötigt, das Laufen wird immer mühsamer.

Die Route ist an den heiklen Stellen markiert, an Abzweigungen stehen Posten, auch an den Labestellen wird man gut versorgt. Für die Hitze können die Veranstalter nichts, an den Tagen zuvor war es kühl, wie  Unto gestern bei der Pastaparty erzählte.
Ivan bleibt stehen und gießt sich eine Flasche Wasser über den Kopf. Im nächsten Moment wünscht er mir einen guten Lauf und entwickelt urplötzlich neues Potenzial. Ich kann ihm nicht mehr folgen. Er sollte der einzige bleiben, der mich bis ins Ziel überholt hat, allen andere bleiben zurück.

Bei Km 29 erblicke ich Hartmann, er hat die Wende schon hinter sich und liegt somit 2 km vor mir. Meine Uhr zeigt 3:45 h an. Während ich einen Anstieg zu bewältigen habe, kommen mir nun zahlreiche voran liegende Läufer auf der anderen Straßenseite entgegen, darunter auch Unto, der Finne. Ihr Vorsprung beträgt zwischen 15 und 30 Minuten.

Endlich bin ich auch bei der Labe am Wendepunkt bei km 30 angekommen. Ich genieße die süßen Orangenstücke, die wohl kaum in Bosnien wachsen, sondern importiert sind. Nun geht es für mich einen Kilometer abwärts. Ich sehe und knipse erstmals alle noch im Rennen verbliebenden Läufer, die hinter mir liegen – es sind mehr als ein halbes Dutzend.

Aber noch liegen 11 lange Kilometer vor mir. Immer wieder geht der Marathonkurs aufwärts, mir fehlt die Kraft zu laufen. Die Sonne hat mich ausgezerrt. Bei der Labe um Km 35 nehme ich die Wasserflasche mit, die hügelige, nie enden wollende Marathonstrecke mit großer Fernsicht liegt in der prallen Frühnachmittagssonne. Ich blicke zurück, endlich sehe ich winzige Gestalten geschätzte zwei Kilometer hinter mir. Die Kollegen gehen wie ich, keiner hat die Kraft mehr zu laufen. Ein Marathon sur la sable ist es nicht, dazu sind die Asphaltreststücke noch zu groß – die EU nimmt aber in den nächsten Jahren keine neuen Mitglieder mehr auf, der Zerfall der Straße könnte voranschreiten – aber eine Bewährungsprobe gegen Hitze allemal (und Herz-Kreislaufpatienten nicht zu empfehlen).

Die Kilometer ziehen sich. Habe ich bei anderen Marathons erst einmal 35 km erreicht, rechne ich mit ca. 50 Minuten für die restlichen 7 km. Doch heute brauche ich in der Schlussphase für jeden Gehkilometer zwischen 9 und 10 Minuten. Der Kurs ist allerdings 6 Stunden offen. Bei Kilometer 40 folgt eine 1 ½ km lange Abwärtspassage, auf der ich endlich wieder zu laufen imstande bin und so eine Finisherzeit unter den erforderlichen 6 Stunden sicherstelle. 500 m vor dem Ziel in Hasani kommen mir zahlreiche Autos entgegen, die bereits auf dem Rückweg sind. Einzelne Fahrer hupen oder bleiben kurz stehen, die Mitfahrer applaudieren.

Mit 5:53 erreiche ich das Ziel. Jemand vom Team hat die Zeit gestoppt und mitgeschrieben. Man kann sich eine Urkunde mitnehmen und bekommt eine Suppe und Getränke. Viele sitzen unter einer Überdachung auf Bänken und gönnen sich die Erholung. Duschen gibt es nicht. Mein Kleiderbeutel ist im Bus, ich ziehe mich nicht um.

Die Abfahrt des Buses wird angekündigt, während die letzten Läufer ins Ziel kommen. Man hat die 6 Stunden-Hürde aufgebrochen und alle noch auf der Strecke befindlichen Kollegen in die Wertung genommen. Das ist anderswo gar nicht selbstverständlich.

Ich hole mir eine große Flasche Bier mit 12% Alkoholgehalt, den ich bald darauf spüre. Klaus und Giuseppe hat wie mir die Hitze zugesetzt, auch Unto ist mit seinen 5:30 nicht zufrieden. Doch bei den Ländersammlern überwiegt die Zufriedenheit, ein weiteres Land dazuzählen zu dürfen.

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Ich stelle für mich fest, dass ich die Schwierigkeit des Novi Grad Marathons völlig unterschätzt habe – es dürften in Summe 800 oder 900 Hm sein, die bei praller Sonne viel Substanz kosten. Entsprechend hoch ist auch die DNF-Rate.

Den Organisatoren um Rajko ist ein Lob auszusprechen, sie haben sich große Mühe gegeben, einen Marathon mit bescheidenen Mitteln so professionell zu organisieren. Die Plakette aus Holz mit eingebrannter Schrift unterstreicht ihr Engagement.


Männerwertung (die Nationalität wird nicht ausgewiesen):

1. Nermin Okanović: 3:25:40
2. Mihal Šulja:3: 44:00
3. Miroslav Ranđelović: 3:55:15

Frauenranking:

1. Sanja Kavaz: 4:30:23
2. Gordana Maksimović: 4:52:29
3. Dubravka Vejnović: 5:20:00

41 Finisher laut Ergebnisliste vom 1. Juni 2015

 


 
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