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Laufberichte

Die Härteprüfung

27.06.09

Andererseits: Es sind, was das - nach wie vor eingeschränkte - Panorama anbetrifft, auch die schönsten Kilometer am Berg und ich genieße den weiten Blick auf die sich permanent ändernden Szenerien. Die Mischung aus nacktem Fels, Geröll, Schnee und wild wabernden Wolken tief unter mir und um mich herum erscheint mir bisweilen wie eine arktische Wüstenei. Nur ist es – zum Glück – nicht ganz so kalt.

Bei km 41 auf 2.660 m üNN werden wir ein letztes Mal verpflegt. Die wundersam schönen Klänge eines einsamen Alphornbläsers durchdringen die Bergesstille. Dann heißt es sich aufzuraffen zum Gipfelsturm. Nur: zu welchem Gipfel überhaupt? In den Wolken kann ich nicht viel erkennen. Hoch über mir sehe ich ein paar Gestalten durch den Fels huschen. Erst denke ich, dies sind normale Bergwanderer. Bald weiß ich es aber besser: Auch dies sind Läufer und auch ich muss da hinauf. Langsam schleiche ich empor, vom Gipfel ist aber weiterhin keine Spur.

Dann ein Schild: „500 Meter“. Zum Ziel? Die Einschätzbarkeit räumlicher Distanzen ist bei mir hier oben völlig verloren gegangen und ich grüble ein wenig, was damit sonst gemeint sein könnte. In steilen Serpentinen geht es den Hang hinauf. Dann ein weiteres Schild: „300 Meter“. Vom Gipfel aber weiterhin keine Spur. Kann das sein? Weiter schleppe ich mich Schritt für Schritt hinauf und sehe in der Ferne schon das „100 Meter“-Schild und ein paar Zaungäste, die „gleich geschafft“ rufen. Aber glauben kann ich es erst, als ich es mit eigenen Augen sehe: Hinter dem Schild erreiche ich einen Hügelabsatz und erst von hier sehe ich direkt vor mir den in Wolken gehüllten Aufbau der Bergstation der Rothornbahn, wie ein UFO aus fernen Welten auf der Bergspitze thronend, und davor den gelben, sonnenartig gestalteten Zieleinlaufbogen. Ein letztes Mal mobilisiere ich meine Kräfte und stürme das Sonnentor. So laufe ich heute wenigstens einmal der Sonne entgegen ....

Geschafft. Ich bin erleichtert und erst einmal nur glücklich, es gepackt zu haben. Völlig egal ist mir, dass ich von Lenzerheide ganze drei Stunden bis hierher und damit fast so lange wie für die 31 km nach Lenzerheide benötigt habe. Mit Handschlag werde ich wie alle anderen Ankömmlinge beglückwünscht. Statt einer Medaille erhalte ich die beim Graubünden Marathon übliche Anstecknadel.

Nur vereinzelt sind Zuschauer anzutreffen und es ist selbst im Zieleinlauf ausgesprochen ruhig. Was allerdings bei den alles andere als zuschauerfreundlichen Wetterverhältnissen verständlich ist. Ich kann es selbst nachfühlen, als ich mich neugierig noch für ein Weilchen zum Zuschauen an das letzte Wegstück stelle und die in weiten Abständen abgekämpft ins Ziel tröpfelnden Einläufer beobachte.

358 Läufer beenden in diesem Jahr den Marathon innerhalb der Sollzeit von 8 3/4 Stunden, hinzu kommen 95 Absolventen des Rothorn-Run. Zwischen dem Einlauf des ersten, wie erwartet Jonathan Wyatt in 3:29:08, und des letzten Läufers liegen stolze 5 1/2 Stunden.

Mehr los als im Zieleinlauf ist im geschützten Inneren der Bergstation. Hier bekomme ich wohltuend heißen Tee und Suppe, ehe ich mich in die Gondel setze, um durch die weiße Wolkenwand zur Mittelstation Scharmoin zu schaukeln. Dort heißt es von der modernen Großraumgondel in betagtere Kleingondeln umzusteigen. Kaum haben wir das noch immer wolkenverhüllte Scharmoin verlassen, wage ich meinen Augen kaum zu trauen: Unter mir erstrahlt das Hochtal von Lenzerheide im satten nachmittäglichen Sonnenschein. Auf dem Heidsee drehen Segelboote friedlich ihre Runden und nichts scheint hier das herrliche Wetter zu trüben.

Von der am Heidsee gelegenen Talstation der Bahn bringt uns der Linienpostbus direkt zum Festzelt in Lenzerheide, wo die Bankreihen vor dem Zelt schon dicht gefüllt sind und die Menschen die Sonne genießen. Nur hoch oben, in den von hier aus so weit entfernt scheinenden Gipfelregionen, halten sich weiterhin hartnäckig dicke Wolken.

Marathonparty zum Abschluss

Der Marathontag ist noch nicht zu Ende. Im und um das Festzelt sammeln sich immer mehr Läufer und Begleiter, um bei Speis und Trank den Erfolg zu feiern und über das Erlebte zu diskutieren. Läufer können hier ihren Pasta-Bon aus dem Starterpaket einlösen. Richtig voll wird das Zelt gegen 18 Uhr. Denn nun ist die Stunde der Sieger. Die drei ersten Männer und Frauen des Marathons werden aufs Podium zum Talk gebeten und dürfen es sich auf einem großen Sofa bequem machen.

Star des Abends ist natürlich Jonathan Wyatt, der nun schon zum fünften Mal diesen Marathon gewonnen hat. Seine übermächtige Position wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Nächstplatzierten, Michael Barz und der Schweizer Urs Jenzer, erst 20 Minuten später das Ziel erreichten. Bei den Frauen ist der Triumph erwartungsgemäß ein rein schweizerischer. Nicht zu erwarten war aber der Sieg durch Rita Born, die sich mit einer Zeit von 4:21:58 vor Deborah Balz und Mitfavoritin Carolina Reiber platzieren konnte. Jeder der sechs berichtet, wie er das Rennen und auch seine Konkurrenten erlebt hat – eine nette, unkomplizierte Art, die Spitzenläufer etwas kennen zu lernen. Es folgen die Siegerehrungen in den diversen Altersklassen, aber da habe ich mich schon verabschiedet – ein paar Kilometer sind es eben doch zurück nach München.

Ein harter, aber doch auch wunderschöner Tag liegt hinter mir. Bei wenigen Berglaufveranstaltungen wird man wohl die Bergwelt in allen ihren Facetten so intensiv erleben können wie hier. Auch wenn das Wetter - zumindest was den optischen Genuss anbetrifft - heute nicht hundertprozentig optimal war. Die Strecke hat mich in jeder Beziehung beeindruckt. Die großzügige Zielschlusszeit und die schon erwähnte hervorragende Versorgung unterwegs ermöglichen es auch demjenigen, der sich nicht als Berglaufcrack fühlt, sich auf dieses großartige Landschaftserlebnis einzulassen. Nur trauen muss man sich.

 
 

Informationen: Graubünden Marathon
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