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Laufberichte

Der Frauenfelder lebt

16.11.08

Bis Anfang dieses Jahrtausends gab es in der Schweiz eine Firma, die mehr war als eine Fluggesellschaft. Der Schweizer identifizierte sich mit „seiner“ Swissair in solchem Maß, dass ihr der Status einer Institution zukam. Dass diese Institution von einem Tag auf den anderen auf dem Boden liegen könnte, hielt niemand für möglich.

Auch eine andere Institution, deren Fortbestand während Jahrzenten niemand in Frage stellte, waren die Waffenläufe, die landauf, landab über verschieden Distanzen ausgetragen wurden. Einer nach dem anderen verschwand, als die Teilnehmerzahlen immer kleiner wurden. Der einzige, der überlebt hat, ist der Frauenfelder, der König der Waffenläufe.  Als ältester und anspruchsvollster  dieser Wettkämpfe führt er mit einer Höhendifferenz von 520 Metern über die klassische Marathondistanz und konnte deshalb auch dann, als die außerdienstliche Verbundenheit mit der Armee bei der jüngeren Generation am Abflauen war, so genannten Nachwuchs anziehen.

42,195 Kilometer mit der 6,2 Kilo schweren „Packung“, bestehend aus Rucksack und Ordonnanzwaffe, sind offenbar genügend Herausforderung für die Strongmen-Generation, die immer auf der Suche nach dem ultimativen Kick ist. Zudem waren die Veranstalter klug genug, vor acht Jahren den Rahmen des Militärwettkampfs zu nutzen und zivile Kategorien über die ganze und die halbe Distanz anzubieten.  Mit insgesamt rund vierhundert militärischen und zivilen Teilnehmenden auf der langen Strecke, 90% davon Männer, und rund tausend auf der kurzen, hier aber ein Drittel Damen, ist das Feld groß genug, um diesen organisatorischen Aufwand zu betreiben.

Weil er mir in der Sammlung noch fehlte, unweit von meinem Wohnort stattfindet und ich vor der Winterpause noch einen Marathon einfahren wollte, habe ich mich gerne für den Frauenfelder zur Verfügung gestellt.

Der Sonntag beginnt locker für mich. Mit der Meldung hat zwar etwas nicht geklappt, weshalb ich die Startnummer nicht nach Hause geschickt bekommen habe und deshalb etwas früher aufbrechen muss, um mich bei der Nachmeldung einzufinden. Trotzdem kann ich so lange liegen bleiben, dass es mir wie ausschlafen vorkommt. Power Porridge lasse ich heute Power Porridge bleiben und genehmige mir ein typisches Sonntagsfrühstück mit einer halben Kanne Kaffee, währschaftem Zopf und Honig.

Der Schritt vor die Tür ist weniger gemütlich.  Dass es draußen grau ist, habe ich schon vom Frühstückstisch aus gesehen, wie kühl und feucht es aber dazu ist, spüre ich erst jetzt.

Auf der Fahrt nach Frauenfeld nimmt die Feuchtigkeit aus dem Nebel zu. Die Scheibenwischer sind fast im Dauereinsatz und die Straße sieht aus wie nach einem Landregen. Immerhin werde ich heute kein Hitzeproblem zu spüren bekommen.

In Frauenfeld angekommen folge ich der Ausschilderung, die mich auf einen Parkplatz auf einem Armeegelände führt, von wo aus das Wettkampfzentrum, die Kaserne, in fünf Minuten zu erreichen ist. Im Nu habe ich meine Startnummer und komme gerade rechtzeitig zur Besammlung der Waffenläufer. Nach der Meldung beim Kommandanten finden die Ehrungen statt. Eine beeindruckende Anzahl Teilnehmer wird für treues Mitmachen an Waffenläufen insgesamt oder am Frauenfelder geehrt. Der Spitzenreiter ist heute zum vierzigsten Mal in Frauenfeld am Start!

Anschließend verschieben die Wettkämpfer hinter dem Militärspiel zum Marktplatz, wo gestartet wird. Der Startbogen ist nur ein von weitem sichtbarer Hinweis, wo sich die breite, mit Sägemehl gezogene Startlinie über den Platz zieht. Die Läufer stellen sich mehrheitlich nebeneinander auf und warten auf den Startschuss, der stilecht aus einer Kanone donnert. Der Engpass hinaus auf die Straße erweist sich nicht als Hindernis; die Läufer scheinen sich und die Strecke zu kennen, kein übermotiviertes, sich falsch einschätzendes Greenhorn scheint in diesen grünen Klamotten zu stecken.

Nach dem Start der harten Kerle bleibt mir Zeit, meine Tasche ins Auto zurückzubringen und dort die Entscheidung für die Kleidung zu treffen. Da ich die ärztliche Auflage habe, zurzeit nur im tiefen Pulsbereich zu laufen, schalte ich auf dem Rückweg zum Startgelände meinen Pulsmesser ein, um mein Gefühl mit der Elektronik zu überprüfen. Beim Marktplatz angekommen, bin ich aufgewärmt und das tickende Nordlicht am Handgelenk am Ende. Fertig, ausgehaucht, Schluss. Ausgerechnet heute, wo ich das Zeiteisen in erster Linie als Pulsüberwacher gebraucht hätte und die Zeit keine Rolle spielt. Den nutzlos gewordenen Sendegurt kann ich noch ausziehen und Klaus zum Hüten geben, womit meine „Packung“ etwas leichter wird.

Um 10.30 Uhr bringt ein erneuter Kanonendonner die Fenster der umliegenden Häuser zum Zittern und die zivilen ganzen Kerle – wozu ich erst recht auch die wenigen Damen zähle – zum Loslaufen. Bereits zu Beginn ist die Strecke ansteigend; eine Warnung, es nicht zu schnell angehen zu lassen.

Während die Spitze längst außer Sichtweite ist, halte ich einen Schwatz links, einen Schwatz rechts. Von Klaus Neumann lasse ich mir noch einen persönlichen Bericht zum Indoor-Marathon vom letzten Wochenende geben. Nach einem kräftigen Gefälle kommt ein ebensolcher Wiederaufstieg, wo ich mich umsehe und ein Fotomotiv suche. Dabei höre ich, wie ein Läufer einem anderen erzählt, dass dies sein erster Marathon sei. Wir kommen ins Gespräch und von da an sind wir zu dritt unterwegs. Pietro wollte seine Premiere mit einem Freund zusammen laufen, doch dieser ist  verletzt und hilft nun Pietros Frau bei der Betreuung vom Streckenrand aus. Dieter ist ein Marathon-Sammler und ist aus Berlin angereist, um hier mitzutun. Die Berichte auf Marathon4you haben ihm die Entscheidungsfindung dazu leicht gemacht.

Während wir uns blendend unterhalten, zieht die Landschaft vorbei. Kühe, Obstbäume, Wiesen und Wohnquartiere wechseln sich ab und immer wieder stehen Gruppen von Zuschauern am Straßenrand und feuern uns an. Der Frauenfelder ist in dieser Region eben auch eine Institution und entsprechend verankert. Davon profitieren auch die zivilen Läufer, die sich vom Zuspruch der an der Strecke weilenden Supporter antreiben lassen dürfen. Trotz nach wie vor nicht einladendem Wetter belassen es ein paar Senioren eines Altenheims nicht dabei, dem Treiben vom Fenster aus zuzusehen, sondern kommen nach draußen, dicht ans Geschehen. Zwei Treichler geben mit dem rhythmischen Schwenken ihrer Treicheln klangvollen Schub für die weitere Strecke. Was den einen oder anderen am Streckenrand irritiert, ist die Tatsache, dass das Trio, das an ihnen vorbeitrabt, lacht, scherzt und einer davon sogar anhält um zu fotografieren. Auch Dieter lässt es sich nicht nehmen, sich mit dem Alphorn – von ihm Alpen-Didgeridoo genannt – ablichten zu lassen.

Wir sind nicht die einzigen, die es fidel haben. Mit den Startnummern 7200 bis 7202 sind Ben, Philipp und Jonas auf ihrem ersten Marathon unterwegs. Mit der Erfahrung der zweiten Hälfte im Hinterkopf, haben Dieter und ich den Eindruck, dass sie etwas zu unbesorgt unterwegs sind. Was wir ihnen nicht wünschen, trifft zum Glück auch nicht ein. (Mit guter Einteilung der Kräfte schaffen sie es, auf der zweiten Hälfte das Tempo zu halten und miteinander das Ziel in vier Stunden und einem Wimpernschlag zu erreichen. Das dürfte wohl reichen, um Appetit auf mehr zu machen!)

Informationen: Frauenfelder Marathon
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Mittlerweile sind wir nach Matzingen und Wängi schon bei der dritten Ortschaft, die wir heute streifen oder durchqueren. In Eschlikon schaue ich mich ein bisschen mehr um als zuvor. Hier findet ein Silvesterlauf statt, der zur Swiss Lauf Trophy zählt, und einen solchen Lauf brauche ich noch, wenn ich dieses Jahr das Goldabzeichen möchte. Kilometer dazu habe ich weit mehr als nötig gesammelt, jetzt fehlt mir nur noch die notwendige Anzahl von Läufen.  Wenn bei diesem Dorflauf die Stimmung ähnlich gut ist wie heute und die Leute so nett sind wie am Verpflegungsposten, dann wird auch dieser“ Bambini-Lauf“ ein schönes Erlebnis.

Der eine oder andere Waffenläufer hat seinen Vorsprung von einer halben Stunde schon eingebüßt, womit auch wir noch etwas mehr in den Militärwettkampf integriert sind. Aber auch die zahlreichen von der Armee gestellten Streckenposten, die uns problemlose Straßenüberquerungen ermöglichen und uns bei Verzweigungen den Weg weisen, erinnern uns an diese besondere Veranstaltungsform.

Eingangs Wil ist unser Thema die Wettkampfernährung. Der Grund ist ein einfacher: Wir haben alle Durst und sehnen uns nach dem nächsten, erst dritten Verpflegungsposten, der uns in Will bei der Halbmarathonmarke erwartet. Ich stelle mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich bei wärmeren Temperaturen volle Kanne laufen würde. Eine oder zwei zusätzliche Wasserstellen würden da nichts schaden.

Die Labstelle muss zuerst verdient werden. Bis wir dort sind, steigt die Strecke im Ortskern erst mal ordentlich an. Dafür nehmen wir uns dort Zeit und lassen uns von Klaus fotografieren. Im Stil eines Kamels leere ich drei Becher angenehm gewärmtes Iso und stopfe mir statt eines St. Galler-Schübligs (eine Brühwurstspezialität aus der Gegend) die typische Marathon-Frucht, hier auch Affen-Schüblig genannt, in den Mund. Wir freuen uns mit Pietro, dass er sich noch so fit fühlt und machen uns auf die zweite Streckenhälfte. Die Damen des Halbmarathons sind zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Strecke, die Herren werden in gut zehn Minuten folgen. Wir genießen die Aufmerksamkeit der Zuschauer, die noch uns Marathonis alleine gilt, bevor dann die Spitze des zweiten Feldes heranbraust. 

Während auf der ersten Streckenhälfte nur alle fünf Kilometer  Distanztafeln aufgestellt waren, ist die Halbmarathonstrecke durchgehend ausgeschildert. Pietro fühlt sich immer noch gut, hat aber ein banges Gefühl, dass nach dreißig Kilometern der Hammermann auftauchen könnte. Wir versichern ihm, dass wir mit oder hinter ihm ins Ziel kommen, ihn aber auf keinen Fall zurücklassen werden – auch wenn wir ihn über die Finish Line schleppen müssen! Auf dem Feldweg bei Lommis müssen wir unsere Aufstellung trotzdem ändern und nicht mehr neben-, sondern hintereinander laufen. Wir wollen uns ja nicht dem Vorwurf der Halbmarathonis aussetzen, wir seine keinen Deut besser als die vielgeschmähten Nordic Walker, die immer die gesamte Streckenbreite blockieren.

Ganz positiv überrascht sind wir, dass zusätzlich zu den Verpflegungsposten jetzt auch an Samariterstationen Getränke gereicht werden. Irgendwie kommt es mir vor, dass -im Vergleich zwischen Marathon und Halbmarathon - die Anzahl der Verpflegungsstellen umgekehrt proportional zur Streckenlänge ist. Da meine mathematischen Fähigkeiten hinlänglich bekannt sind, lasse ich dies einfach mal als unqualifizierte Behauptung im Raum stehen.

Dieter sorgt für ein verdutztes Gesicht, als er einer Zuschauerin den leeren Becher mit der Bemerkung „Könnten sie den für mich bitte halten, bis ich wieder vorbeikomme?“ in die Hand drückt. Schade, dass ich die Kamera nicht gerade schussbereit habe.

Beim letzten Verpflegungsposten erdreiste ich mich, einen Moment stehenzubleiben und mir einen zweiten Becher Iso zu genehmigen. Da habe ich die Rechnung zwar mit dem Wirt gemacht, nicht aber mit einem eiligen Halbmarathoni, der mich anrempelt und mich mit einer unsportlichen Verwünschung auf den Lippen am liebsten aus dem Geschehen beamen würde.

Da der Weg zu schmal und das gemischte Feld zu dicht ist, müssen wir drei unsere Laufgemeinschaft auf Eis – besser gesagt in  eine Spur – legen. Pietro bekommt von seiner Unterstützertruppe die Stallorder, noch ein bisschen zuzulegen. Da er noch genügend Saft verspürt, ermuntern wir ihn auch, auf den letzten sieben Kilometer noch anzuziehen. Während er langsam aber sicher meinem Blick entschwindet, laufe ich auch ein bisschen schneller und sammle nicht wenige Läufer ein. Erstaunlich dabei  ist, dass viele von ihnen blaue HM-Startnummern tragen, also schon nach 17 Kilometern das Pulver verschossen haben.

Die letzte Steigung, die ich schon vom Hinweg kenne, würde ich gerne voll angehen. Ich erinnere mich aber an die ärztliche Weisung, zügle mich und laufe nach Pulsgefühl. Mit Ausnahme der Kirchturmuhr in Will habe ich kein Zifferblatt gesehen und habe somit keinen Anhaltspunkt, welche Laufzeit beim Zieleinlauf angezeigt wird. Meiner Atmung und meiner Muskulatur nach zu urteilen, schätze ich, dass es um die vier Stunden sein könnte, womit ich nicht schlecht liege. Zwei Minuten nach Pietro bin ich 45 Sekunden unter der ominösen Marke im Ziel, Dieter folgt wenig später.

Klaus ist ebenfalls da und gratuliert und fotografiert das Trio, das heute manchen Zuschauer davon überzeugt hat, dass Marathon eine Menge Spaß bedeutet. Wenn man es richtig angeht, sogar beim ersten Mal, wie Pietro mit seinem frischen Strahlen beweist.

Noch bevor ich bei der Ausgabe des Preises bin – wahlweise eine Medaille, ein Glas Honig oder ein Geldschein – weiß ich, wie ich nach meinem ersten Frauenfelder hier nochmals ein erstes Mal erleben kann. Nächstes Jahr feiert der Frauenfelder  seine fünfundsiebzigste Austragung. Bei diesem Anlass könnte ich ja als Waffenläufer starten und damit meinen Fundus an Erlebnissen vergrößern, die ich einmal den Großkindern erzählen kann. Noch mehr zusagen würde mir natürlich, wenn sie mich dann noch am Streckenrand anfeuern können!

Als Zugabe hier noch die Fotos von Klaus:

Vor dem Start

Start und erste Hälfte

Wil und zweite Hälfte

Ziel

Siegerliste Marathon

Waffenlauf

Männer

1. Wieser Patrick, Aadorf  -  2:47.16,5 (2906) 
2. Berger Marc, Fribourg  -  3:02.13,5 (2001) 
3. Brennwald Adrian, Adliswil - 3:04.35,7 (3901) 

Frauen

1. Balmer Marianne, Davos Platz  - 3:33.05,2 (1501) 
2. Siegenthaler Jeanette, Ettenhausen TG  - 3:33.35,9 (1901) 
3. China Barbara, Wölflinswil  - 3:38.56,2 (1905) 

Zivilwertung

Männer

1. Stoll Roland, Weinfelden -  2:45.31,3 (7178) 
2. Hasler Bruno, Rickenbach b. Wil  -  2:45.56,7 (7141) 
3. Hanser Robin, Kreuzlingen   - 2:47.38,9 (7043) 

Frauen

1. Balz Deborah, Grub SG - 2:55.16,6 (7006) 
2. Gurtner Franziska, Müllheim Dorf  - 3:23.40,2 (7041) 
3. Levi Priska, Kirchberg SG  - 3:27.34,2 (7064)

 

Informationen: Frauenfelder Marathon
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