Quizfrage: Wieviel 4000er-Gipfel kann man vom Riffelberg, dem Ziel des Zermatt Marathons, sehen? Vielleicht 4 oder 7 – nein es sind unvorstellbare 27 Gipfel mit einer Höhe von über 4000 Metern. Vom Gornergrat, das ist das Ziel des Ultras sind es sogar 38, inklusive des höchsten Berges der Schweiz: der Dufourspitze mit 4.634 Metern.
Norbert und ich reisen bereits am Donnerstag nach St. Niklaus, dem Hauptort des Mattertals. Dort wird am Samstag der Start des Marathons, des Ultras, sowie der Staffeln erfolgen, und es gibt die Startunterlagen im Schulhaus gegenüber der Kirche. Sehr übersichtlich sind in verschiedenen Klassenzimmern die Startnummern der Wettbewerbe verteilt. Eine kleine Marathonmesse bietet allerlei Nützliches; schnell sind wir hier durch.
Die Startnummer berechtigt uns, das gesamte Wochenende zur Fahrt mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn zwischen Brig und Zermatt, sowie der Gornergratbahn. Das ist vor allem für uns Schwaben interessant, da wir mit 3mal Fahren das Startgeld schon wieder heraus haben. Das nutzen wir auch gleich am Freitag, denn wir wollen nach Zermatt zur Pasta Party.
Mein erster Eindruck von Zermatt ist ernüchternd. Schweizer treffen wir so gut wie keine, die Hauptstraße vor dem Bahnhof quillt über vor Touristen. Vor allem bei Asiaten scheint Zermatt der Renner zu sein. Obwohl hier keine Autos zugelassen sind, herrscht ganz schöner Verkehr. Für die kleinen Elektrobusse der Hotels gibt es wohl keine Geschwindigkeitskontrolle. Mehr als einmal springe ich schnell zur Seite, wenn von vorne und hinten gleichzeitig solche Gefährte an mir vorbeirauschen.
Heute ist es warm und sonnig, Einheimische behaupten sogar, so eine stabile Hitzephase hätte es hier sonst selten bis nie. Im Festzelt bei den Sportanlagen ist es gegen Mittag schon recht heiß. Für den Bon an der Startnummer gibt es leckere Nudeln und ein Zermatt Bier inklusive stimmungsvoller live Musik.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof bekomme ich Gänsehaut, als unerwartet das berühmte Matterhorn hinter den Häusern auftaucht. Also schnell rein in die Gornergratbahn (GGB), denn das will ich genauer sehen.
Die GGB ist eine elektrisch betriebene Zahnradbahn und ist nach der Jungfraubahn die zweithöchste Bahn in Europa. Sie fährt mit einer maximalen Steigung von 20 % auf einer Länge von etwa 9 km in einer guten halben Stunde hinauf auf den Gornergrat mit 3089 m über Meer. Als man 1896 mit dem Bau begann, war schon klar, dass man nur zwischen Schneeschmelze und Wintereinbruch würde arbeiten können. Rund 2.400 Arbeiter, meist Italiener, waren 2 Jahre beschäftigt, bis am 20. August 1898 die Bahn eröffnet werden konnte. Erst 10 Jahre später wurde sie um 310 m verlängert, um die Endstation näher an den Gipfel zu verlegen. Bis 1928 verkehrte die Bahn nur im Sommer, später auch im Winter. Die Züge fuhren je nach Schneeverhältnissen bis zu den Stationen Riffelalp oder Riffelboden, ab 1942 sogar bis zum Gornergrat.
Schon zu Beginn geht es steil bergauf. Zuerst durch Wald, immer wieder zeigt sich zwischen den Bäumen eine sich ständig verändernde Aussicht, bis dann postkartengleich Zermatt zu Füßen des Matterhorns zusehen ist. Nächster Halt ist Riffelalp, wo auf 2206 m Höhe das Starttor der Junioren Europameisterschaften im Berglauf steht und auch unsere Laufstrecke vorbei führt.
Oben auf dem 2579 m hohen Riffelberg ist das Marathon-Zieltor mit Tribüne und diversen Versorgungszelten auch schon aufgebaut. Die Bahn setzt zum Endspurt an. War es eben noch leidlich grün, wird die Gegend jetzt felsig. Wir versuchen Hinweise auf die Laufstrecke zu finden, die ja hier irgendwo sein muss und finden ein Schild mit 44,5 km. Hier geht es also tatsächlich final hinauf.
Die Bahn hält. Wow: was für eine Aussicht. Das höchstgelegene Hotel der Schweiz, das Kulmhotel liegt auf 3089 m Höhe über uns. Es wurde 1897 bis 1907errichtet und ersetzte das bereits 1896 fertiggestellte Belvedere. Die beiden Türme des Berghotels wurden bis 2010 als Observatorien genutzt.
Wir steigen zur Besucherterrasse hinauf (es gibt auch einen Lift). Man befindet sich hier Aug in Aug mit den höchsten Schweizer Bergen. Obwohl das Matterhorn „nur“ 4.478 m hoch ist, hebt es sich durch sein besondere Form deutlich ab. Es erscheint mit seiner alleine da stehenden Spitze wunderbar symmetrisch und ist das Synonym für einen Berg schlechthin. Heute ist es ausnahmsweise wolkenfrei, angeblich ein Hinweis auf drohendes schlechtes Wetter.
Unter uns ist das Ziel des Ultras aufgebaut. Es sind wohl noch mehr Läufer da, denn das Zieltor wird fast so häufig fotografiert wie das Bergpanorama selber.
Für den Lauftag am Samstag empfiehlt es sich mit dem Zug anzureisen, denn St. Niklaus platzt aus allen Nähten. Die lange Talstraße ist als Eventlocation gesperrt. Unterhalb stehen die LKWs fürs das Gepäck. Man hört laufend interessante Informationen über die Lautsprecheranlage. Die Läufer scheinen noch vollkommen entspannt. Die passende Ausrüstung für den Lauf wird diskutiert, denn der Veranstalter hat nichts vorgeschrieben, die Benutzung von Stöcken aber explizit untersagt.
Norbert läuft ganz ohne Zusatzausrüstung. Für Laura und mich ist eine Grundausstattung aus Wasser, Gels, Rettungsdecke, Regenjacke und Handy selbstverständlich. Der Wetterbericht verspricht bis zum Nachmittag Sonne mit wechselnder Bewölkung. Es könnte auch heiß werden.
Pünktlich um 8Uhr30 starten die Eliteläufer, alle anderen werden anschließend zur Aufstellung gebeten. Norbert startet unter den Anfeuerungen der Zuschauer als Allerletzter. Es geht erst einmal bergauf in den urigen Ortskern mit engen Gassen. Wie bei einem Citylauf stehen die Zuschauer dicht gedrängt. Alphornbläser bereiten uns einen stilvollen Abschied. Unter der Bahn hindurch und am Gleis entlang wird es dann ruhiger.
Plötzlich bremsen die Läufer vor uns. Wir sind schon im Wald und es geht steil bergan. Der schmale Pfad nimmt nur wenig Läufer gleichzeitig auf und so müssen wir warten, bis wir an der Reihe sind. Norbert hat bereits zu mir aufgeschlossen. Gemeinsam steigen wir den steilen Pfad hinauf.
Oben geht es leicht trailig und dann steil bergab auf einen asphaltierten Weg an der Bahnlinie entlang. Gerade kommt ein Zug voll mit Begleitpersonen und Läufern des Halbmarathons, die vom Fenster aus das Läuferfeld anfeuern. Ob der Zugführer wohl extra langsam fährt?
Die ersten 3 Kilometer gehen schnell vorbei. Wir passieren typische Walliser Bauernhäuser, dann wird es grün. Weite Wiesen und Birkenwäldchen, darüber zwischen Felsen dunkler Nadelwald, mit der weiß schäumenden Matter unter uns eine traumhafte Kulisse. Der asphaltierte Weg führt wellig, aber tendenziell bergauf. Obwohl ich, wie immer, die Anstiege gehe, komme ich im Feld gut mit. Für den Halbmarathon bis Zermatt peile ich eine Laufzeit um 2h45 an.
Die Matter fließt hier durch ein eingezäuntes Staubecken, vorne sieht man zum ersten Mal schneebedeckte Berge, die sich in den kleinen Wellen im See spiegeln. Kurz darauf erreichen wir den ersten Verpflegungsposten mit Wasser und Iso bei km 5. Ich greife zum Wasser, trinke ein paar Schluck und kippe den Rest über mein Shirt. Puh, ist das kalt. Was hab ich mir nur dabei gedacht? Aber sobald ich aus dem Schatten herauskomme, bin ich doch froh darüber. Die Sonne heizt schon früh am Tag mächtig ein.
Es geht nun unterhalb von Herbriggen auf einem Schotterweg entlang, meist in der Sonne. Ein kurzes Stück bergab bringt uns direkt auf den Wiesenweg am Ufer der Matter. Hinter km 7 steigen wir über Treppen auf eine Fußgängerbrücke und überqueren den Fluss. Wieder auf dem Feldweg geht es nun flach zwischen Matter und Zuggleis weiter. Während das Bahngleis linker Hand ansteigt, bleiben wir auf Flussniveau. Eine Kuh steht neugierig am Zaun. Die Läufer vor mir bleiben stehen und machen Selfies; das sieht so witzig aus, dass ich mir das Lachen verkneifen muss.
Nach km 8 überqueren wir ein Schotterfeld und erreichen erneut einen asphaltierten Weg. Dieser hat jetzt Steigung, so dass ich Gehen und Laufen abwechsle. Petra überholt mich hier. Sie erzählt, dass sie vor 5 Jahren zu ihrem 25ten Hochzeitstag schon mal hier war, und jetzt zum 30ten wieder. Gut, wenn man einen Mann hat, der jeden Quatsch mitmacht!
Rechts fließt hinter Bäumen die Matter, links müssen irgendwo Schienen und eine Straße sein. Man sieht aber nur grüne Almen mit reizenden kleinen Heuschobern. Schweiz, wie aus dem Bilderbuch. Es ist auch unglaublich ruhig, nur das Rauschen des Wassers und das Zwitschern der Vögel ist zu hören.
Bei km 10 geht es über das Bahngleis und weil gerade keiner kommt, kann ich ungehindert weiter nach Randa. Hier an der 2. Verpflegungsstelle zeigt eine Blaskapelle Einsatz. Ich nehme nochmal einmal Wasser. Anschließend geht es durch den schönen Ort. Hier stehen Fans an der Strecke, die mich sogar namentlich anfeuern während sie große Kuhglocken läuten. Ich habe Spaß.
Ab km 12 geht es auf Schotter ungefähr 2 km an der wenig befahrenen Straße nach Täsch entlang. Rechts liegt der Golfplatz und weiter hinten die großen Parkplätze für die Leute, die nun weiter mit dem Zug nach dem autofreien Zermatt fahren. Wir laufen auf einer frisch asphaltierten Straße von unten nach Täsch hinein. Hier scheint bei km 15 die ganze Alte Kantonstraße eine einzige VP zu sein. Alle paar Meter gibt es Wasser, Iso, Bananen, Gel, Riegel und Schwämme, sowie natürlich viel Beifall.
Während nun die Bahn unter uns vorbeikommt, schraubt sich die Straße immer höher und läuft dann durch einen Tunnel. Hier ist es angenehm kühl und die Steigung hält sich in Grenzen. Ein Stück hinter dem Tunnel stehen Helfer und weisen uns nach links auf einen Weg, der nach kurzer Zeit zum Pfad wird. Die Matter hat rechts eine tiefe Schlucht gegraben; eine überdachte Holzbrücke führt darüber. Eine optimale Stelle für den Fotografen.
Es geht auf einem schmalen Trail bergauf und über die Bahn, die hier in einen Tunnel fährt. Oberhalb führt der Pfad nun mal hoch und mal runter. Das macht Spaß, trotzdem blicke ich mit Sorge auf die Uhr. Ich hab irgendwo wertvolle Minuten verloren und werde daher meine eigene Zeitvorgabe nicht einhalten können. Ich komme zwar gut, aber nicht sonderlich schnell voran. Das ist kein Problem für das großzügige Zeitlimit von 3h10 in Zermatt. Aber für die folgenden schon, denn ab da geht es bergauf.
Ich kann es nicht mehr ändern und genieße die, für mich nun besser zu laufende, weil unebene Strecke. Andere kommen damit scheinbar nicht so gut zurecht. So kann ich einige unsichere Mitstreiter einsammeln. Um eine felsige Ecke herum liegt plötzlich Zermatt vor mir mit dem Matterhorn im Hintergrund. Mein Herz hüpft vor Freude über diesen bezaubernden Anblick. Es geht noch einmal scharf runter und dann wieder hoch.
Ein wunderbarer Bergabtrail liegt nun vor mir. Leider findet das der Läufer vor mir nicht so toll. Er hat sichtbar Schwierigkeiten, so dass ich bald auf ihn auflaufe. An einer etwas breiteren Stelle versuche ich zu überholen. In diesem Moment schießt mir ein Krampf in den Oberschenkel. Trotz des Schwungs muss ich anhalten, so ist mein Kontrahent wieder vor mir. Langsam laufe ich hinter ihm her, denn der Krampf will nicht weichen.
An der VP vor dem Bahnhof von Zermatt bei km 20,5 bleibe ich erst einmal stehen und trinke Iso. Der Helfer bietet mir Bouillon an, das wird bestimmt helfen. Noch ein Stück Riegel, dann mache ich mich auf den Weg um den Cutoff nicht zu gefährden. Laufen geht noch nicht, schnelles Gehen muss daher reichen. Andere haben wohl ebenso Probleme, denn keiner überholt mich, als ich durch die belebte Hauptstraße von Zermatt marschiere.
Die Laufstrecke ist mit Flatterband abgesperrt, ich komme gut an den Menschenmassen vorbei. Aus den Kaffees und Restaurants wird häufig applaudiert, aber die restlichen Touristen scheinen nur mäßig begeistert. Gut, dass es hier etwas bergauf geht, so verliere ich nicht so viel Zeit. Wir durchqueren Zermatt der Länge nach, dann geht es auf den Edelweißweg über die sogenannten Matten.
Am Schild für km 22 atme ich auf, denn die Zeitmessung für den Cut-off muss wohl schon hinter mir liegen. Ich hab also um die 3 Stunden für den Halbmarathon mit 500 Höhenmetern gebraucht. Das liegt durchaus in meinem Leistungsbereich und ich kann zufrieden sein. Ob das allerdings für die kommenden 2000 Höhenmeter auf 24 Kilometer in restlichen 5 Stunden reicht, muss ich leider bezweifeln.
Im Moment aber befinde ich mich auf dem Rückweg der Schleife durch Zermatt. Daher geht es leicht bergab und die ersten Häuser sind schon wieder zu sehen. An jedem Abzweig stehen nun Helfer und feuern mich an. Es sind wieder mehrere Läufer um mich herum. An der nächsten VP bei km 25 lasse ich meine Wasserflasche füllen und nehme, neben Iso und Riegel, auch noch eine ausgiebige Dusche beim Helfer am Wasserschlauch. Pitschnass geht es dann weiter durch den beschaulicheren, weil weniger von Touristen besuchten Teil von Zermatt.
Ein Anwohner sitzt mit Gartenschlauch an der Strecke und hält meine Kühlung aufrecht. Nun kommt der eigentliche Anstieg. Zunächst befinde ich mich noch im bebauten Hang. Dann geht es links. Bei Live-Musik wird mir ein Becher Wasser in die Hand gedrückt; das tut noch einmal gut. Dann führt die Straße in den Wald. Mein nächstes Ziel ist jetzt Sunnega bei km 31,7 in 2280 m Höhe (Zermatt liegt auf 1616 m). Dort muss ich spätestens um 13Uhr45 sein, also 1h15 für 6 km und 660 Hm. Das wird knapp.
Trotz kraftvollen Schrittes überholten mich mehrere Läufer, aber ich werde nicht aufgeben. Es geht immer höher. Hinter km 26 verlassen wir den Wald. Aus der Asphaltpiste wird nun Schotterstrecke. Die Felswände des gegenüberliegenden Massivs kommen näher. Es ist trotz der Höhe immer noch sehr warm. Weil der Weg in Serpentinen führt, können wir immer wieder den Anblick des Matterhorns genießen. Was für ein Genuss! Wenn ich gerade etwas in mich versunken dahin schlappe, forciere ich daraufhin sofort meine Schritte.
Mittlerweile läuft es erstaunlich gut. Überholt werde ich nun nicht mehr. Im Gegenteil: ich erkenne immer wieder Läufer, die vorhin an mir vorbei gestiegen sind. Schwerfällig schleppen sie sich nun den Berg hinauf. Bei km 27 führt der Weg nun einen Kilometer im schattigen Wald. Ich genieße die üppige Vegetation, die richtig verwildert wirkt.
Bei km 28 warten die Helfer der VP in der prallen Sonne. Viele Läufer haben sich im Schatten aufgestellt. Wollen die alle aufhören? Immer wieder begegnet mir ein Helferquad und bringt Läufer nach unten. Ich greife zu Iso und Cola und mach mich weiter auf den Weg nach oben. Die kurze Pause bewirkt, dass ich trotz latenter Krampfneigung doch zügig vorankomme.
Richtig freuen kann ich mich aber auch nicht, denn das Ausdünnen des Läuferfeldes setzt sich fort. Etliche Läufer sitzen am Streckenrand und rasten. Nicht jeder von ihnen wird den Lauf fortsetzen. Einer übergibt sich vor meinen Füßen - schnell weg hier. Ich leide mit jedem, der hier an seine Grenzen kommt.
Langsam wird für mich aber die Zeit knapp. Über mir sehe ich eine Hütte, das kann noch nicht Sunnegga sein. Es ist das Restaurant Tufternalp bei km 30. Keine 2 Kilometer mehr, aber auch kaum noch Zeit bis 13Uhr45.
Wir kommen um den Berg herum, plötzlich wird es flach. Ich kann es kaum glauben, vielleicht schaffe ich es doch noch. Mein Versuch anzulaufen ist wenig erfolgreich, meine Beine sind schwer wie Blei. Ich versuche mein Glück mit ein paar Schritte gehen, dann ein paar Schritte laufen. Dadurch komme ich etwas schneller voran. Bei km 31 habe ich noch 6 Minuten bis zum Cut-off. Ich versuche schneller zu laufen. Nach 500 m geht es steil bergauf, aber ich kann bereits oben ein Marathontor erkennen.
Um 13 Uhr 44 laufe ich jubelnd an der Zeitmessung vorbei. Die Helfer gratulieren mir. Ich labe mich an Iso, Cola und Bouillon. Plötzlich bläst eine Böe über das ausgesetzte Areal der VP. Die Helfer versuchen diverse Banner einzufangen und sprechen von „Regenwind“. Mir fällt jetzt erst auf, dass es zugezogen hat. Die kühle Luft tut mir gut.
Nun geht es erst einmal angenehm auf einem breiten Schotter den 5 Seen Weg bergab. Unten werde ich auf einen Trail geleitet und unter einem Holzbogen hindurch in den Wolli Erlebnispark geführt. Hier geht es am Leisee entlang. Touristen entspannen auf Holzliegen oder wandern. Freundlich machen sie Platz, wenn ich angerannt komme.
Mir geht es prächtig, denn er Trail ist nicht schwierig. Durch einen ähnlichen Holzbogen verlasse ich den Erlebnispark. Ein weiblicher Streckenposten weist mich nun nach links, es geht auf schmalem Pfad den Berg hinauf. Bei den nächsten Streckenposten bekomme ich mit, wie die Startnummern der letzten Läufer durchgegeben werden. Viele scheinen nicht mehr hinter mir zu kommen. Ich werde rechts geleitet, es geht erneut bergab. War es bisher einfach zu laufen, so wird der Untergrund nun steinig und führt weiter steil bergab.
Blanke Felsen mit sandigen Stellen mahnen zur Vorsicht. Das könnte rutschig sein, dennoch komme ich gut hinunter. Ab dem nächsten Streckenposten folgt das letzte steile Stück, dann geht ein breiter Schotterweg weiter bergab. Ich lasse es laufen. Bei km 34 erreichen wir ein felsiges Hochtal, das vom tosenden Grindjibachbach durchflossen wird. Eine Brücke bringt uns hinüber auf die nächste breite Schotterstraße. Zwischen ein paar Lärchen verborgen liegt der Grindjisee, bei Botanikern bekannt durch seine reiche Hochmoorflora.
Wir folgen dem Schotterweg zur VP bei km 36,7 am Grünsee. Eigentlich wollte ich nicht anhalten, aber auf einen Becher Bouillon will ich nicht verzichten. Es geht nun wieder angenehm bergab. Beat, ein Läufer im Zermatt-Finishershirt vom letzten Jahr, fragt, ob das bis zum Cut-off an der Riffelalp noch reichen wird, hier müssen wir bis14Uhr55 durch sein. Ich zweifle daran, denn dazu müsste es jetzt richtig gut laufen.
Beat erzählt, dass er letztes Jahr nicht so leiden musste wie jetzt, es ist dem 73-jährigen einfach zu heiß. Gemeinsam joggen wir über den nun folgenden Trail und holen einige Läufer vor uns ein. Es ist hier gar nicht so einfach zu laufen, denn ein großes Geröllfeld zwingt uns ständig von Stein zu Stein zu springen, und im Wald wird es wurzelig. Dafür ist es nahezu flach, tendenziell sogar bergab. Zwischendrin nehme ich mir etwas Zeit, den urigen Wald zu betrachten.
Hinter km 38 verlassen wir den Wald. Die Zeit wird knapp, ich fürchte, den Cut-off nicht zu schaffen. Die Läufer dürfen heute ausnahmsweise an einer sonst verbotenen Stelle über die Gleise. Eine Helferin sichert dabei den Übergang. Neben dem Gleisbett eines kleinen Zubringerbähnchens zum Hotel Riffelalp laufen wir weiter. Vor mir piepst es. Ist das etwa schon die Zeiterfassung? Ja, richtig in der Kurve stehen Helfer. Ich schaue auf die Uhr: 14Uhr54. Im Sprint erreiche ich die Zeitmessung Punkt 14Uhr55 laufe ich vorbei. Ich habe auch diesen Cut-off geschafft.
Gemütlich joggend komme ich bei den freundlichen Helfern am Hotel Riffelalp bei km 39,1 an. Mein gewohntes Programm mit Iso, Cola und Bouillon ist schon Routine. Die Helfer beglückwünschen mich und motivieren mich für die kommende Steigung. Jetzt geht es wirklich steil hinauf. Schon von unten kann ich mein nächstes Ziel erkennen: das Hotel Riffelberg, ungefähr 3 Kilometer über mir. Auf geht‘s!
Obwohl ich guten Mutes bin, muss ich zugeben, dass es von unten nicht so steil ausgesehen hat, wie es tatsächlich ist. Nur mit kleinen Schritten komme ich voran. Das dauert natürlich und schon nach der ersten Kurve wird klar, dass ich niemals rechtzeitig um 15Uhr30 an der Marathonweiche sein werde. Das ist allerdings Voraussetzung, für die Fortsetzung des Ultras. Beat sieht das ebenso. Der ernst dreinblickende Verantwortliche an der Strecke macht uns das auch nochmal klar.
Wir halten noch ein Schwätzchen mit den Helfern an der für uns letzten VP, die tatsächlich bei km 40,6 noch Getränke ausschenken. Dann geht es in den finalen Anstieg direkt am Gleis der Gornergratbahn entlang. Die Fahrgäste des Zuges hängen an den Fenstern und jubeln uns zu. Das oberste Stück besteht aus Brettern, die über den Abgrund gelegt wurden und mit Fangnetzen gesichert sind. Geschafft, vor mir liegt die letzte Kurve.
Wie, ich bin immer noch nicht oben? Zunächst muss ich ein Bächlein überqueren, dann einen steilen Grashang hinauf. Es geht mit den Krämpfen wieder los. Trotzdem nochmal einen steilen Grashang hinauf und an einem Schneefeld vorbei. Oben warten bereits einige Angehörige auf ihre Läufer, sie rufen und klatschen.
Ich bin immer noch nicht oben. Rechts ist die Strecke auf Schotter markiert, dann geht es auf einem schmalem Wiesenweg weiter bergauf und vom wenige Meter entfernten Ziel wieder weg. Eine stilvoll mit Schweizer Fähnchen bestückte und mit rotem Flatterband eingefasste Wegführung geleitet mich in weitem Bogen um die Kapelle herum. Der Fotograf macht Bilder - bestimmt mit dem Matterhorn im Hintergrund. Eine Windböe wirbelt Staub auf, es beginnt zu regnen. Ich laufe schnell das letzte Stück bergab, mit Tempo überquere ich die Ziellinie und per Handschlag im Ziel begrüßt. Ich bekomme jetzt als Marathonfinisher eine schöne Medaille, von jedem Helfer Glückwünsche, das Finishershirt und einiges zu trinken.
Wie schnell sich in den Bergen das Wetter ändert erleben wir am nächsten Morgen. Nach einer ruhigen Nacht im schönen Hotel auf dem Riffelberg sitzen Laura, die ebenfalls den Marathon geschafft hat, und Norbert, der nach super 7 Stunden auf dem Gornergrat einlief, beim Frühstück.
Aus den Panoramafenstern erleben wir wie innerhalb kürzester Zeit das umliegende Bergpanorama zuzieht und ein heftiger Regenschauer das Marathonzielareal überschwemmt. Unvorstellbar, dass hier und heute noch die Europameisterschaften im Berglauf ausgetragen werden sollen. Aber gute zwei Stunden später laufen die ersten Junioren bei strahlendem Sonnenschein ins Ziel.
Fazit:
Beim Gornergrat Zermatt Marathon muss man mindestens einmal gewesen sein. Aber Vorsicht: Diese Strecke sollte man nicht unterschätzen. Die ersten 21 Kilometer laden zum flotten Laufen eine, was sich auf den folgenden Anstiegen bitter rächen kann. Insgesamt ist der Untergrund auf der Marathonstrecke wenig schwierig, wobei ich auch bei trockenem Wetter wenigstens zu leichten Trailschuhen raten würde.
Wer mit den angebotenen Gels, Bananen und Riegeln gut zurecht kommt, braucht keine weitere Verpflegung, etwas zusätzliches Wasser ist bei hohen Temperaturen aber nicht verkehrt. Verlaufen kann man sich hier nicht, alles Organisatorische entspricht dem hohen Schweizer Niveau, wie man es von anderen Großveranstaltungen her kennt. Obwohl die Elite vielleicht etwas mehr im Fokus steht, wurde selbst ich als langsamer Läufer herzlichst umsorgt. Insgesamt ist es ein wirklich toller Lauf „Am schönsten Berg der Welt“.