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Laufberichte

Im Reich der Viertausender

 

Zermatt ist unser Ziel an diesem schönen Sommerwochenende. Hier wollen wir nach 2016 erneut den Gornergrat Zermatt Marathon in seiner Ultra-Version bestreiten. Das bekannte Bergdorf, Eldorado der Skiläufer, Snowboarder, Mountainbiker, Wanderer und Kletterer, liegt am Ende des Mattertals im Schweizer Kanton Wallis nahe der Grenze zu Italien. Diese verläuft auf dem Alpenhauptkamm. Rundherum liegen drei der vier höchsten Massive der Alpen und einer der bekanntesten Berge überhaupt, das 4478 m hohe Matterhorn.

Der in diesem Jahr zum 17. Mal stattfindende Lauf führt allerdings nicht auf den "schönsten Berg der Welt", sondern für Marathonis, Halbmarathonis und Marathon-Staffelläufer auf den gegenüberliegenden Riffelberg und für uns Ultras weiter auf den immerhin auch über 3000 m hohen Gornergrat.

Wir fahren zuerst nach St. Niklaus in der Mitte des Tals. Die Startunterlagen erhalten wir in der Schule der kleinen Gemeinde. Davor ist eine kleine Marathonmesse aufgebaut. International geht es zu, Sportler aus über 40 Ländern sind angereist. Im großen wiederverwendbaren Starterbeutel befinden sich Müsliriegel, unterschiedliches Informationsmaterial und auch ein Päckchen Pflaster.

Unseren fahrbaren Untersatz lassen wir gleich hier stehen und nutzen das im Startpreis enthaltene Ticket der Matterhorn Gotthard Bahn für die Anreise nach Zermatt. Dorthin wären wir mit dem Wagen sowieso nicht gekommen. Das Tal ist ab Täsch für den privaten Autoverkehr gesperrt. Dort müssen alle in den Zug umsteigen, es sei denn, sie sind per Pedes, auf dem Rad oder mit dem Hubschrauber unterwegs. Ob Teilnehmer des Laufs mit dem Heli eingeflogen sind, wäre auch mal eine interessante Frage. Bis ins weit entfernte Zürich werden Verbindungen angeboten.

 

 

Die rund 40-minütige Bahnfahrt vermittelt schon mal einen schönen Eindruck von der Laufstrecke zwischen St. Niklaus und Zermatt. Genau 21,1 km werden wir am Samstag oft neben den Gleisen  im "tiefsten Tal der Schweiz" zurücklegen. Mit im Zug sind viele weitere Läufer und einige Sportler mit Seilbündeln. Denen steht wohl eher der Sinn nach einer Kletterpartie.

Die Züge selbst sind eine Wucht: Große Fenster, sauber geputzt wie sonst nirgendwo, geben den Blick auf die Bergwelt frei. An mehreren Stellen geht es mit Zahnradtechnik steil und schnell bergauf. Die Conducteure sind ausgesprochen freundlich.

Im Zelt vor dem großen Kopfbahnhof in Zermatt sehen wir uns am Freitagabend bei der Pasta-Party die Vorstellung der Topläufer und Honoratioren an. Wir werden angewiesen, am Samstag ausreichend zu trinken. Der Wetterbericht der letzten Tage ist also kurzfristig noch auf sehr hohe Temperaturen umgeschwenkt. Damit erübrigt sich auch die Frage nach der richtigen Kleidung. "So wenig wie möglich" heißt jetzt die Devise. Auch auf 3000 Metern Höhe wird es noch warm sein. Nach dem Absingen der Marathon-Hymne "Alli gliich" verlassen wir vor dem Guggenmusi-Konzert das Zelt. Geschlaucht von der langen Fahrt geht es früh ins Bett. Wie viele andere Hotels bietet auch das unsere am Samstag ein frühes Frühstück an.

Der Start ist um 8:30 Uhr angesetzt. Sonderzüge und Busse bringen die Sportler am Morgen nach St. Niklaus. Parkplätze gibt es natürlich auch. Trotz 2.000 Startern geht es recht locker zu. Mobile Toiletten sind in ausreichender Zahl vorhanden. Es gibt auch schon Getränke.

 

 

Nach der Elite starten die Staffelläufer, danach die Blöcke der Marathonis und Ultras. Etwas unkoordiniert, wie die Sprecherin selbst erkennt. Über eine breite Straße geht es am Gemeindezentrum vorbei, dann durch ein Gässchen zurück. Es kommt zum Stau, aber das nehmen alle recht gelassen, schließlich liegen noch viele Stunden vor uns. Ich fühle mich an den Stau samt Blockabfertigung am Gotthardtunnel erinnert. Ein einheimischer Läufer meint spaßeshalber, ich solle doch links abbiegen und über den San Bernadino ausweichen. Gleich geht es weiter und von Alphornbläsern werden wir auf einen Waldweg geschickt, der uns bald auf ein Teersträßchen ausspuckt.

Weiter laufen wir auf kleinen Straßen oft leicht bergauf. Nach einer Talstufe öffnet sich der Blick auf strahlend weiße Gletscher in Richtung Talende. Auf der rechten Seite gibt es in der Sonne glänzendes Eis zu sehen. Und viele pittoreske Wasserfälle von den steilen Hängen auf beiden Seiten des Tals. Die „rollende Tribüne“, ein Zug speziell für die Begleiter und die nichtlaufende Presse, erreicht uns bei km 3, da wird gewinkt und angefeuert. Bei den älteren Waggons kann man die Fenster noch öffnen.

Die ersten Häuser der Ortschaft Mattsand sind erreicht. Das Ausgleichsbecken hier unten hat nichts mit Beschneiung zu tun – ich vermute mal, dass auf dieser Höhe im Winter wirklich genug Schnee liegt -, sondern mit einem Wasserkraftwerk 12,5 km weiter talabwärts. Die Schweiz erzeugt 59,0% ihres Stroms aus Wasserkraft, allerdings auch 32,8% durch vier Kernkraftwerke.

Oft werden Judith und ich von M4Y-Lesern angesprochen. Wir versichern, dass wir natürlich einen Bericht schreiben werden, und ein Foto ist auch gleich gemacht. Einzige Bedingung: Wir müssen ankommen.

Links auf der Landstraße sehe ich einen Einradfahrer, der tapfer bergauf radelt und der uns in Randa bei km 10 nochmals begegnet.

 

 

Nach neun Kilometern taucht auf der rechten Seite ein riesiger Schuttkegel auf. Der Bewuchs mit kleinen Nadelbäumen zeigt, dass der hierfür verantwortliche Bergsturz schon eine Weile zurückliegen muss: Im Frühjahr 1991 fielen in drei Etappen zwischen dem 18. April und dem 9. Mai  33 Mio m³ Gestein auf einen kleinen unbewohnten Weiler. Eine Staubschicht bedeckte das Tal und der aufgestaute Fluss Matter Vispa musste mit Pumpen über das Geröll geleitet werden. Wir laufen über eine „Umgehungsstraße“ am Geröll vorbei.

Hinter Täsch (Km 14,8) ist die Straße für den Pkw-Verkehr gesperrt, es sei denn, man hat eine Sondergenehmigung. Durch einen Tunnel geht es lawinengeschützt weiter. An der nächsten Talstufe werden wir auf einen Wanderweg abgeleitet. Die Matter Visp fließt tief unter uns. Wir überqueren ihn auf einer schönen kleinen Brücke und finden uns nach einigen Höhenmetern auf der Lawinenverbauung der Eisenbahn wieder. Der Weg hält allerlei Steine und Felsen bereit, sodass man ein wenig aufpassen muss.

 

 

Dann, hinter der nächsten Kuppe, zeigt sich das Matterhorn in seiner ganzen Pracht. Dieser Anblick ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Gestern beispielsweise hielt sich der Berg die ganze Zeit hinter Wolken versteckt. Klar, dass jetzt fast jeder Läufer sein Smartphone zückt. Weiter am Heliport vorbei und dann hinunter zum Bahnhof, an dem uns eine große Verpflegungsstelle erwartet. Frisch machen, bevor es zum Sightseeing nach Zermatt geht. Die HM-Marke ist erreicht. Hier wurden zuvor in fließendem Start die  Halbmarathonis auf die Piste geschickt. Stadtlauffeeling kommt auf. Die Mädels der Guggenmusi machen Stimmung.

Durch die Hauptstraße. Auf Bodenplatten sind hier keine Filmstars verewigt, sondern die Matterhorn-Pioniere. Allen voran der Brite Edward Whymper, dem 1865 die Erstbesteigung gelang, sowie seine beiden Zermatter Begleiter Peter Taugwalder senior und junior. Tragisch: Vier weitere Mitglieder dieser Seilschaft stürzten beim Abstieg in den Tod; der Grund dafür konnte nie genau ermittelt werden. Ein Brunnen im alten Dorfteil von Zermatt ist Ulrich Inderbinen gewidmet, der als ältester Bergführer der Welt noch bis ins 96. Lebensjahr seinen Beruf ausübte und 371-mal das Matterhorn, 84-mal den Mont Blanc und 81-mal die Dufourspitze, den höchsten Berg der Schweiz, erklomm. Er starb 2004 im Alter von 104 Jahren. Aber wer schaut hier schon auf den Boden? Viele alte Häuser aus der Zeit vor dem Beginn des Tourismus sind noch erhalten. Aber auch die moderneren Häuser fügen sich harmonisch in das Dorfbild ein. Über 110 Hotels und 1200 Ferienwohnungen bieten Platz für rund 11000 Gäste.

Einige typische Häuser, die in früheren Zeiten teils als Heuschober, teils als Speicher für Lebensmittelvorräte dienten, stehen auf seltsam anmutenden Füßchen mit Platten drauf.  Wie uns ein einheimischer Läufer mal erklärt hat, sollten die flachen Steinplatten Mäuse am Zugang zu den Speichern hindern. Deshalb nennt man sie auch Mäuseteller. Das traditionelle Walserhaus war sehr einfach gehalten, mit kleinen Fenstern und einer geringen Raumhöhe von 1,60 m, damit im Winter die Wärme lange im Zimmer blieb. Und die Winter sollen hier recht kalt sein.

Zurzeit bevölkern Wanderer, Mountainbiker und Matterhorn-Bewunderer vor allem aus Asien den Ort. An einer Begegnungsstelle der beste Blick auf das "Hörnli". Ein asiatisches Paar verewigt es samt Toblerone-Schokolade. Auf dem schmalen Grat direkt vor uns verläuft die einfachste Route auf das 4478 Meter hohe Matterhorn. 41 Viertausender gibt es in den Walliser Alpen. Von der Bergstation am kleinen Matterhorn auf 3.870 m kann man in 2,5 Stunden das 4.146 m hohe Breithorn erreichen.

Das zu absolvierende kleine Schleifchen ist hier sicher nur im Kurs integriert, um uns die schönsten Ausblicke auf das Matterhorn zu ermöglichen. Und wir kommen am Fun Park vorbei. Über uns die Gondeln einer Seilbahn, die uns über mehrere Etappen bis in das Sommerskigebiet auf 3.900 Metern Höhe bringen würde, Skischaukel ins italienische Breuil-Cervinia inklusive.

Am Matterbach entlang, über uns quert eine Brücke das Gewässer. Viele Zuschauer stehen oben. Heute bietet sich den Besuchern exklusiv ein Matterhornblick mit Läufern. An einem Hotel  wird Früchtetee ausgeschenkt. Sieht aus wie Aperol. Da bleibe ich doch gerne mal stehen. Danach beginnt der richtige Aufstieg für uns. Knapp 1000 Höhenmeter fehlen noch bis zum Marathonziel. 500 stecken uns schon in den Beinen.

Vorerst  laufen wir noch durch Zermatt. Viele interessante Hotels und Lofts gibt es zu sehen, viel Holz und Glas. Man sieht von außen quasi durchs Schlafzimmer ins Bad. Und alles ist auf das Skifahren ausgerichtet: Oft gibt es Aufzüge, die Ortschaft, Piste und Lift miteinander verbinden. Auch wir sind auf einer Piste unterwegs. Dann verlassen wir langsam Zermatt und können den Blick auf Matterhorn und Ort genießen. Unten am Bahnhof sieht man die letzten Läufer am Verpflegungsstand.

 

 

VP Patrullarve, 28,8 km und Zeitnahme auf 2.000 m über dem Meer. Die Breisgauer Torsten und Mario sind schon öfter hier gewesen und wissen, dass man ab km 30 wieder ins Laufen kommen wird. Anscheinend habe ich mir da die richtigen Begleiter ausgesucht. Gestern haben sie einen Trainingslauf in Marathonlänge von Randa zu einer der längsten Hängebrücken der Welt absolviert. Nur  65 Zentimeter ist sie breit und 494 Meter lang.

Die erwartete flache Stelle auf unserem Forstweg beginnt und Judith, Torsten, Mario und ich laufen zügig dahin. Knapp dreißig Minuten später erreichen wir den VP Sunnegga. Von Zermatt aus kann man mit einer Standseilbahn im Tunnel auf 2.280 m in wenigen Minuten hier hinauf rasen. Dementsprechend haben sich auch viele Zuschauer und Wanderer eingefunden. Die Verpflegung ist Spitzenklasse. Fast an allen VPs gibt es neben Wasser und Iso-Getränken auch Cola, Gel und Riegel vom Sponsor PowerBar. Dazu natürlich Bananen und oft auch Bouillon.

Quasi voraus auf einem Gebirgskamm sieht man ein Gebäude mit zwei silbernen Kuppeln. Das ist unser Ziel, von dem uns nur noch schlappe 14 km trennen. Die beiden Breisgauer sind schon auf und davon. Gerade hatten wir noch darüber diskutiert, ob ein sub 7h möglich ist. Dass sie dann nach 6:49 Stunden oben ankommen, ist wirklich beeindruckend. Für mich und Judith, die von einer Hüftverletzung geplagt wird, ist das heute nicht zu schaffen.

Für die Kinder und uns Sportler geht es nun in den Wolli-Erlebnispark. Trotz der großer Hitze sieht man keine Schwimmer im kleinen Leisee. Die Kinder toben auf den Spielgeräten herum. Wir machen jetzt einen Schlenker ins Gant Tal, um uns später auf der gegenüberliegenden Seite wiederzufinden. Hier gilt es auch einige Abwärtsmeter zu meistern oder zu genießen. Auf schmalem Wanderweg geht es dahin. Es folgt ein breiter Fahrweg durch Schotterhalden. Erinnert mich irgendwie an die Halde des Hartfüsslertrails. Dort erzählten mir zwei Läuferinnen im letzten Jahr, dass sie den Event als Training für Zermatt nutzen. Hier fallen die vielen asiatischen Wanderer auf, übrigens kein Zufall, unterhält Zermatt doch Partnerschaften mit Städten in Japan und China.

An dieser Stelle muss vor einigen Jahrzehnten noch der Findelgletscher gewesen sein. Seit den 1970er Jahren hat sich der heute 7,3 km lange Gletscher um 500 Meter zurückgezogen. Weiter hinten im Tal sieht man ihn noch. Entsprechend interessant ist die Landschaft. VP Grünsee und Szenenwechsel. Wir kommen auf einen Wanderweg mit allen Facetten: kurzer, rutschiger Steinverhau, duftender Nadelwald, Bergrosen, dann Bahnstation samt Querung der Gleise. Auf der anderen Seite wartet eine kleine Straßenbahn auf mich, die Gäste zum Berghotel bringt, das wenige hundert Meter entfernt ist.  Nach Mark Twain ist der beleuchtete Weg zwischen Hotel und Bahnstation benannt. Der weitgereiste amerikanische Schriftsteller hat auch Zermatt mit seiner Anwesenheit beehrt.

 

 

Das Riffelalp Resort (2222 m) empfängt uns mit dem Slogan "Wer Zeit hat, nimmts gemütlich und lässt die Seele baumeln... ", wobei die Schweizer Kabarettistin Hazel Brugger letzthin in ihrem Programm darüber sinnierte, ob "jemand schon mal eine Seele herumhängen gesehen hat".

Die Tell Symphoniker machen gerade Pause, als ich meine Kamera zücke. Im Nu haben sie ihre Instrumente  gegen ein Bier eingetauscht. Da lasse ich mir doch auch einen Becher einschenken. Zu spät erkenne ich, dass es sich um Starkbier handelt. Daher die gute Laune der Musiker. Kommt mir deshalb der Aufstieg so schwer vor? Baumelt meine Seele noch irgendwo rum? Ein Quad bringt eine Läuferin nach unten. Wer die Strecke kennt, sieht farbige Pünktchen, die sich im rechten Halbkreis nach oben bewegen, entlang der Lawinenverbauung der Gornergratbahn. Noch mal etwas trinken und dann stetig hinauf. Uns kommen auf der eingleisigen Strecke drei Züge entgegen. Die fahren heute im Verbund, um die vielen Finisher wieder nach unten zu bringen. Diese mustern uns traurig, vermutlich weil ihr Abenteuer schon vorbei ist und wir noch unseren Spaß haben.

In Zeitlupe überhole ich viele Geher.  Die gute Nachricht: Ab der aufgeständerten Strecke wird es wieder flacher. Zeitnahme. Noch 10 Minuten bis zum Marathonziel und fürwahr, nach der Linkskurve sieht man viele Gebäude, Liftanlagen und Menschenmassen. Aber noch warten einige Höhenmeter auf uns. Die Trennung von den Marathonis liegt oberhalb von deren Ziel. Hinter der Bruder Klaus Kapelle erstrahlt das Matterhorn. Was für ein fantastischer Tag.

VP an der Streckentrennung. Hier kann man sich als Ultraläufer umentscheiden und mit Wertung ins Marathonziel laufen. Aber mal ehrlich, die zusätzlichen paar Meter dürften wohl noch zu schaffen sein. Wie viele eigentlich? 3,6 km und etwas weniger als 500 Höhenmeter. Ein Läufer erkundigt sich, wie lange das wohl dauert. Ich vermute, eine Stunde. Mir bleiben rechnerisch 45 Minuten für sub 7h.

 

 

Mal flacher, mal steiler geht es dahin. Mein persönlicher Feind ist hier die dünne Luft. Ab 2.500 Meter über dem Meer geht es los: Die Atemfrequenz steigt, ich fühle mich schwach, der Kopf brummt. Trotzdem gelingt es mir, einige Läufer zu überholen. Am Riffelsee fotografieren die Touris  nicht uns, sondern den See mit Matterhorn. Aber egal. Der letzte VP Rotenboden erwartet uns auf 2.815 Metern. Durchschnaufen. Ein Betreuer gibt in breitestem Sächsisch den Tipp, es nicht zu übertreiben. Recht hat er. Umsichtig geht es weiter. Die Steigung verdoppelt sich hier noch mal: In Serpentinen geht es einen steilen Hang hinauf. Eigentlich völlig harmlos, nicht ausgesetzt, gut mit Stufen versehen. Der Blick nach rechts auf die Viertausender Castor und das Breithorn samt Gletscher ist fantastisch. Den Blick gibt es nur für Ultras und eine Gruppe Inder, die mir entgegen kommt. "Vanakkam" rufe ich ihnen als Begrüßung zu. Keine Reaktion, also handelt es sich nicht um Tamilen. Mit dem Hindi-Ausdruck "Namaste" habe ich mehr Glück und zünde ein Feuerwerk der Begeisterung. Also handelt es sich wohl um Nordinder. Damit ist mein Wortschatz der mehr als 100 indischen Sprachen erschöpft und ich höre, wie die Wanderer hinter mir noch einige Male den Läuferrn "Namaste" zurufen. Ganz nett finde ich auch die Japaner mit ihren Handschuhen und Sonnenschirmchen. Wenn sie nicht gerade im Weg stehen.

Wir erreichen die Kuppe und das Ziel, quasi einen Steinwurf entfernt, kommt ins Blickfeld .  Sieben Stunden sind gerade vorbei. Kleine Schneefelder erwarten uns,  eine kurze flache Laufeinlage, dann noch wenige Meter an der Bahntrasse entlang nach oben. Meine Begleiter entschwinden. Ein Läufer versucht sich im Zickzackwandern und wackelt bedenklich. Ich werde noch vorsichtiger. Der Bahnhof Gornergrat ist erreicht. Noch zweihundert Meter. Viele Wartende feuern mich an. Die Treppe nehme ich im Sauseschritt. Mein Begleiter und ich werden angekündigt. Den möchte ich nun auch nicht mehr überholen und so schreiten wir zusammen ins Ziel, das direkt neben der Kapelle mit vielen flackernden Lichtlein aufgebaut ist. Engel sehe ich noch nicht. Freundliche Helfer reichen mir einen Becher Cola und natürlich die Medaille. Gleich geht es mir wieder besser. Ich warte auf Judith, die ein paar Minuten später eintrifft.

 

 

70 Minuten haben wir für die 3,6 km mit 500 Höhenmetern gebraucht. Für das letzte Stück war das ein mittlerer Wert im Läuferfeld. Insgesamt sind Judith und ich im letzten Viertel gelandet. Das Ziel ist gut acht Stunden lang offen.

Im Zielbereich noch eine heiße Bouillon und ein Linzer Törtchen, Riegel und einer Dose Heineken alkoholfrei. Ein Läufer meint, das könne man nur trinken, wenn man gerade einen sehr langen Lauf hinter sich habe. Massage auf 3.100 Metern Höhe wie hier  im Kulmhotel Gornergrat bekommt man auch nicht alle Tage, und das schöne Finisher-Shirt der U- (wie Ultra) Variante auch nicht. Außerdem bekommen wir ein graviertes Weinglas samt Gutschein für eine Füllung auf der abendlichen Marathonparty.

Wer Energie hat, steigt noch ein paar Meter höher auf den Gornergrat. Judith und ich belassen es  bei einem Matterhornblick von hier aus. Einige Läufer haben sich eine Flasche Prosecco gegönnt, wollen sich aber nicht damit fotografieren lassen, sondern drücken stattdessen uns zwei Gläser in die Hand und lichten uns ab.

Unser Kleiderbeutel wartet an der Riffelalp auf uns. Insgesamt muss man die Gornergratbahn loben, die heute zusätzlich zu den Tagestouristen 2.700 Laufteilnehmer plus Begleiter klaglos befördern. Die Duschen auf der Riffelalp sind bis 17:00 Uhr verfügbar. Wir machen uns ungeduscht mit der nächsten Dreier-Zugkombi auf den Weg zum Hotel in Zermatt.  Wir ergattern einen Sitzplatz und befinden uns schnell in angeregtem Gespräch mit Warren aus Sydney, der heute seinen ersten Marathon gelaufen ist und der uns berichtet, dass man in seiner Heimatstadt eigentlich keine Bergläufe trainieren kann. Was ihn aber von einer Anmeldung nicht abhielt.

Zur Siegerehrung kommen wir etwas zu spät, wir sind heute recht langsam. Gerade werden die Altersklassen geehrt. In Judiths Gruppe waren die drei Führenden unter 6:45 Stunden unterwegs. Die Dritte aus Paderborn ist nicht mehr anwesend und kann somit den gewonnenen Käse nicht in Empfang nehmen. Leider wird er nicht an die Vierte der AK weitergegeben. Damit entfällt für uns die Aussicht auf hochsommerliche Raclette-Abende. Danach werden die Teilnehmer/innen geehrt, die schon zehnmal dabei waren.

Musikalisch geht der Abend weiter mit einer einheimischen Combo, den "Genderbüebu". Und wer sich nach  den Strapazen des heutigen Tages noch fit genug fühlt, schwingt das Tanzbein.

 

Fazit:

Das höchste Marathonziel Europas mit Streckenanforderungen, die technisch gut zu bewältigen sind. Beste Verpflegung an 14 Punkten, sodass man keinen eigenen Proviant benötigt. Das Zeitlimit ist relativ großzügig. Ausstiegsmöglichkeit bei der Marathonmarke.

Im Preis enthalten ist die Freifahrt für die Züge der Gornergratgruppe bis hinunter nach Brig von Freitag bis Sonntag. Viele Hotels in den Ortschaften an der Strecke bieten günstige Kombiarrangements an.

Ich werde sicher noch mal wiederkommen und dann mit der Bahn anreisen, entweder  vom Norden aus über den Lötschbergtunnel oder aus dem Osten mit dem Glacier Express. Die Schweizer Bahnen sind schon für sich genommen ein Erlebnis.

Marathon Overall Männer              455 Klassierte  

1.    Simpson Robbie, 1991, GB-Scotland                   3:00.39,8
2.    Wieser Patrick, 1979, Aadorf                        3:16.04,0
3.    Armstrong Vajin, 1980, NZL-Christchurch             3:18.29,3

Marathon Overall Frauen              162 Klassierte
1.    Iozzia Ivana, 1973, I-Como (CO)                     3:36.20,6     
2.    Tunstall Sarah, 1986, GB-Kirkby                  3:44.05,4      
3.    Flynn Annamae, 1987, USA-Colorado                   3:51.59,9

Ultra Marathon Overall Männer       440 Klassierte  
1.    Wyss Roman, 1976, Niederbipp                        4:03.18,1
2.    Eggenschwiler Bernhard, 1985, Oberentfelden         4:09.20,7
3.    Erwee Tiaan, 1983, GB-Gwernsey                      4:10.06,1

Ultra Marathon Overall Frauen        109 Klassierte  
1.    Hegner Simone, 1982, Bern                           4:32.47,3
2.    Hagspiel Alexandra, 1980, D-Blaichach              4:47.09,4
3.    Katz Eva, 1976, D-Otterstadt                        4:47.36,4

 

 

 

 

 


 
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