Fotos: Klaus Duwe
Silvester 2009 war es. Ich hatte auf der Wöhrder Wiese in Nürnberg an einem 10km-Lauf teilgenommen und bei Siggi stieg eine Silvesterparty. Viele LäuferInnen waren dabei. Hier lernte ich unter anderen Micha kennen, die vom Laufclub 21 und von den erstaunlichen Laufaktivitäten der Menschen mit Down-Syndrom berichtete. Man weiß ja, dass Trisomie 21 sehr oft mit einem Herzfehler einher geht. Umso beachtlicher die sportlichen Leistungen.
Die treibende Kraft hinter dem Laufclub 21: Anita Kinle. Von dieser Anita hörte ich an jenem Abend zum ersten Mal. Gut ein Jahr später sollte sie erstmals zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21.3. den Welt-Down-Syndrom-Lauf veranstalten. Den Marathon anno 2011 hat übrigens Sportsfreund Ewald vom Trirun Linz gewonnen, es war sein 99. Marathon.
Seitdem hat Fürth zum Metropol-Marathon im Juni nun einen zweiten Marathon im Jahreslauf. Glückliches Fürth! Und heuer am Vortag auch noch einen 6-Stunden-Lauf als Konkurrenz im nahen Nürnberg!
Das Geld das Anita mit dieser Veranstaltung erlöst, geht an die Thomas Benjamin Kinle Beratungsstelle für Menschen mit Down-Syndrom. Spenden werden gerne entgegen genommen.
Die bisherigen Läufe hier hat Anton Lautner, der viel und schnell laufende Reporterkollege bereits bestritten und dokumentiert. Auch diesmal ist er dabei, mit einem Marathon gibt er sich aber nicht zufrieden, 6 Stunden und 60km sollen es schon sein. Im Gegensatz zu mir. Mir reichen 42,195km
32 Runden haben die maximal 100 Marathonis zu laufen, sie sind also nie weiter als 1,3km vom nächsten Getränk entfernt. 150 Halbmarathonis dürften auch mitmachen, Staffeln sind dabei mit ein paar hundert LäuferInnen, außerdem kann man Stundentickets lösen und mitlaufen.
Ich muss gestehen, Fürth kannte ich bisher nur vom Vorbeifahren, gleich hinter Nürnberg und Erlangen. Und dass hier die Unaufsteigbaren Fußball spielen, bis sie im Vorjahr dann doch endlich den Aufstieg in die 1. Bundesliga schafften, habe ich auch in Österreich mitbekommen. Wie es aber nun aussieht, scheint die zweite Liga das natürliche Habitat der Kleeblatt-Kicker zu sein.
Bevor Siggi heuer wieder in Linz startet, mache ich vorab den Gegenbesuch. Wir holen am Samstag die Startunterlagen ab. Strahlender Sonnenschein bei recht gedämpften Temperaturen. In der Grünen Halle wird eifrig gearbeitet und für den Sonntag dekoriert. Da lerne ich Anita, die Veranstalterin kennen. Dem Vernehmen nach plant sie einen Ironman, nicht als Veranstalterin, sondern als Teilnehmerin.
Sonnenschein auch am Sonntagmorgen, bei um die Null Grad und etwas Wind. Siggi und ich laufen Klaus – Mr. Marathon4you.de – und seiner Frau Margot über den Weg. Dann ist auch schon Zeit für den Start. In der Halle herrscht wohlige Starthektik, hier werde ich also 32x durchlaufen. Ein großes Rechteck ist zu umlaufen, der Südpark, mit einer Schikane, wenn es durch die Halle geht. Der Down-Syndrom-Marathon ist irgendwie auch ein partieller Indoor-Marathon. Zumindest zu ein paar Prozent. Die 6-Stunden-Läufer starten drinnen, die Halbmarathonis im „Infield“, die Marathonis 100m dahinter. Keine 40 sind es beim Marathon. Der Wind ist etwas böig, sodass ich zum Aufwärmen die ersten 1,3km mit Jacke laufen will.
Um 9 Uhr geht es los. Es werden recht unterschiedliche Geschwindigkeiten gelaufen. Die schnellen Marathonis haben anfangs sicher etwas Mühe, sich durch das Feld der 6-Stunden-Läufer zu kämpfen, denn hier haben es so manche nicht besonders eilig. Der Stau löst sich aber schon nach wenigen 100m auf. Da steht ein vielstimmiger Chor und singt „Hallelujah“. So ersetzt uns der Chor die Sonntagsmesse, wie Erwin Bittel, der 4h-Zugläufer bemerkt. Erstaunlich, dass er seinen Lederhut nicht verliert, es ist doch recht zugig. Kurz vor Ende der ersten Runde kommen wir am zentralen Versorgungsposten vorbei, der vom Cola über Kuchen und Gurkenstücken ein äußerst umfangreiches Angebot hat. Ich bin schon durstig gestartet und nehme einen Becher.
Ich klopfe die Taschen meiner Jacke ab, bevor ich sie ausziehe und bemerke das Fehlen meines Autoschlüssels. Ich beruhige mich damit, dass ich ihn wohl zusammen mit dem Fotoapparat in der Sporttasche versenkt habe. Denn heute mache ich einmal keine Bilder von unterwegs.
Ohne Jacke geht es in die zweite Runde, ich bin aufgewärmt. Auch Halbmarathonis laufen mit Erwin, er ist ein guter Maßstab und schafft es, das Tempo zu halten, obwohl es keine km-Markierungen gibt. Außerdem weiß er ständig etwas zu erzählen, und wenn es der Witz vom erfrorenen Kamel ist.
Bald setzen die Überrundungen ein. Ein Marienkäferl ist unterwegs, eine Hexe mit privater „Tankstelle“, das Traummännlein, eine Art Pumuckl und andere Kostüme. Viele der Down-Syndrom-Starter laufen in Begleitung. Erwin lässt seine Partie alle 3 Runden zur Tränke, das sind knapp 5km, das ist bei vielen Marathons Standard. Ein Highlight pro Runde ist der Durchlauf durch die Halle. Der Sprecher Artur Schmidt sorgt für Kurzweil vor allem bei den Fans und Angehörigen, aber auch bei den Läufern. Immer wieder hat er aufmunternde Worte, sehr gut macht er das und nicht zum ersten Mal.
Nach dem Highlight Halle kommt immer der Gegenwindabschnitt, die ca. 500m sind hart, bevor man wieder abbiegt und kurz darauf Rückenwind hat. Das Zuseherinteresse konzentriert sich vor allem auf die Halle. Aufgefallen ist mir ein älterer Herr, der jedes Mal, wenn ich an ihm vorbei gekommen bin, mich angefeuert hat. Stundenlang! Irgendwann habe ich angefangen, mich jedes Mal bei ihm zu bedanken.
Für 8 Runden haben wir genau 1 Stunde gebraucht, passt perfekt. Der Chor gibt „Let it be“ zum Besten und ist nach einer guten Stunde mit seinem Programm durch. Ich mache mir Gedanken, wie ich nach dem Lauf hier weg komme. Ohne Autoschlüssel. Aber vielleicht ist der Schlüssel ja in der Sporttasche. Ich mache einen Boxenstopp und durchsuche meine Tasche. Nichts, vielleicht doch in der Jacke? Nein. Ich habe ein Problem.
Mangels Absperrungen stehen HelferInnen als Wendebojen an den rechten Winkeln der Strecke, um ein Abkürzen zu verhindern. Sieht so aus, als wäre ihnen kalt. Ein undankbarer Job. Nach 1h40 kommt wieder etwas die Sonne raus, damit wird es etwas wärmer. Ein Streifenwagen steht am Streckenrand, hinterm Steuer ein Polizist. Ich frage ihn, ob sie nicht einen begnadeten Autoknacker in ihren Reihen hätten. Als er hört, um welches Auto es sich handelt – keine Chance. Er kann sich mal umhören, empfiehlt mir aber den ADAC.
Nun habe ich schon ein paar Mal Begleitläufer vom Laufclub 21 überholt, sie scheinen sich mit ihren Schützlingen abzuwechseln. Als ich wieder durch die Halle komme, wird die HM-Siegerin erwartet. Raus aus der Halle riecht es nach Rauch. Hier scheint jemand die Grillsaison zu eröffnen, auch wenn es gerade wieder bewölkt ist.
Unverdrossen feuern uns ganz junge Mädchen an, Respekt! Sie bilden ein Spalier und wir laufen jede Runde durch.
Für die ersten 16 Runden habe ich etwas über 2 Stunden gebraucht und ich spüre, dass die zweite Hälfte deutlich länger dauern wird. Bei jedem Hallendurchlauf erscheint der Name des Teilnehmers, die Rundenanzahl, die Platzierung in der AK und insgesamt auf der Anzeigentafel. Wenn man nicht zu viele Teilnehmer hinter sich hat, hat man Zeit genug, das alles abzulesen.
Während nach und nach die Teilnehmer weniger werden, der Halbmarathon geht zu Ende, kommen immer wieder auch frische Läufer ins Rennen, die einen furchtbar alt aussehen lassen. Die frischen Läufer kommen von den Staffeln oder aber haben sich für eine Stunde eingekauft und die haben es eilig. Es laufen aber auch Erwachsene mit kleinen Kindern an den Händen, die haben alle Zeit der Welt. Abwechslungsreicher könnte das Läuferfeld nicht sein. Mittendrin Klaus der eifrig fotografiert und Anton, der das laufenderweise macht.
Das weiß-grüne Krokodil vom Greuther Fürth Fanclub bringt zusätzlich Farbe in die Veranstaltung. Sergeant Pepper ist aufgetaucht in seinem blitzblauen Kostüm und verteilt Blütenkränze. Passend zum Motto des Laufes: "All you need is LOVE".
Noch 8 Runden, ich habe für die ersten 31km fast 3h15min gebraucht. Der Sieger ist seit einer viertel Stunde im Ziel! Siggi filzt in aller Ruhe noch einmal meine Sporttasche und sucht den Autoschlüssel. Viel Hoffnung habe ich nicht mehr. Der Schlüssel ist auch nicht zu finden, wie ich nach der nächsten Runde erfahre.
Ernähren tu ich mich von gewässertem Cola und etwas Banane, zu einem Sandwich mit Wurst muss ich mich zwingen, aber wegen des Salzes esse ich so ein Brötchen.
Immer mehr Leute sehe ich in Richtung Dusche verschwinden, auch die Fans in der Halle werden weniger. Die Leute an der Labestelle sorgen beständig für Nachschub. Kontinuierlich muss aufgefüllt werden, von allem ist immer reichlich vorhanden. Ich werde mürbe, der krankheitsbedingte Trainingsrückstand macht sich bemerkbar. Auch dass ich kaum Asphalt-km in den Beinen habe. Seit Bad Füssing vor sechs Wochen sind es nur 10km! Eine zähe Geschichte heute für mich. Um 12 Uhr haben Sambatrommler ihren Dienst aufgenommen. Sie sind ausgeschlafen und trommeln munter lächelnd drauf los.
Eine gute Idee, die Showacts nach und nach zum Einsatz zu bringen, und nicht alles gleich am Anfang zu verpulvern. Ich spule meine Runden ab und freue mich, als mir bei meinem 30. Durchlauf „noch 2 Runden“ gedeutet wird. Die Zeit wird trotz der Umstände nicht allzu mies werden. Wobei: Nichts gegen die Strecke: absolut flach!
In der letzten Runde laufe ich eine Weile gemeinsam mit Anton, er wird heute wieder die 60km schaffen, vorher knipst er mich im Ziel. Ich komme gerade zur Marathon-Siegerehrung zurecht. Wie schon 2011 hat wieder ein Österreicher gewonnen:
Hannes Kranixfeld in Streckenrekordzeit von 2h 59min 12sec, ich bin mit 4h 25min 20sec Zweiter in der Nationenwertung.
Erinnerungsmedaillen sind nicht vorgesehen. Dafür gibt es Süßigkeiten vom Sponsor und ein Schlauchtuch mit Hippie-Aufdruck „All you need is LOVE“. So, wie mir Siggi hinterher geholfen hat, mein Autoschlüssel-Problem zu lösen muss ich ergänzen:
All you need is love UND Freunde wie Siggi! Außerdem einen findigen Engel vom ADAC.
Marathon
Männer
1 KRANIXFELD Hannes AUS 02:59:12.40 MSC Rogner Bad Blumau
2 BROSIG Jochen GER 03:12:48.67 FSV Großenseebach
3 DEUTER Torsten GER 03:15:54.49 SV Würtingen
Frauen
1 RAUTENBACH Jeannette GER 03:41:06.48
2 SCHEID Yvonne GER 03:57:33.24 Post SV Nürnberg
3 SCHWARZ Emma GER 04:12:39.08 Team-Radwelt-Ehningen
6-Stunden-Lauf
Männer
1 PROCHASKA Jan 76,282 km
2 ECKERT Thorsten 70,240 km
3 DIEPLINGER Günter 70,024 km
Frauen
1 SATTLER Annette 66,248 km
2 TEICHERT Jutta 64,265 km
3 FUHRMANN Carmen 62,038 km