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Laufberichte

Atemlos durch die Nacht

 

Elchingen – Thalfingen

 

Frühzeitig sehe ich auf der Anhöhe bereits die Klosterkirche Oberelchingen. Und da müssen wir hoch. Heilandzack, würde der Schwabe bei dem Anblick sagen. Ich nähere mich Elchingen und da ist die markante Bahnüberquerung. Beim Briefing wurde vorgewarnt: „Irgendeinen wird’s erwischen mit geschlossener Schranke.“ Ich habe Glück, die Sperre ist offen. Ich laufe drüber und dann auf dem Radweg Richtung Unterelchingen. Kilometer 60.

Dann folgt eine 180 Grad-Kehre und wir laufen sanft ansteigend wieder nach Westen, ein Aufgalopp, für das, was noch kommt. Denn nach einer Rechtskurve stehen wir wie der Ochs am Berg, etwa 20 Prozent Steigung. Für zehn Meter dürfen wir dann verschnaufen, dann geben uns die Serpentinen auf dem Kinderspielplatz den Rest. Das ist also die Napoleonrampe mit ihren rund 100 Höhenmetern.

Bei meiner ersten Teilnahme hat man die Teilnehmer noch durch den Friedhof geschleust, um ihnen im Anschluss an die Flucherei an der Steigung noch die Absolution zu verpassen. Heute passieren wir die Klosterkirche auf der Nordseite durch den Elchinger Festplatz.

1120 wurde das Kloster von Adalbert Graf von Ravenstein und seiner Frau Berta von Boll gegründet. Bei schöner Wetterlage soll man sogar bis an die Alpen sehen. Hat jemand schon etwas von der Schlacht von Elchingen gehört? Am 14. Oktober 1805 trafen sich in den umliegenden Feldern die Armeen Frankreichs und Österreichs. Der Dritte Koalitionskrieg entschied sich da zugunsten von Napoleon. Nach Ende der Schlacht hatte sich der Franzosenführer im Kloster einquartiert.

Mit Regeneration und Schlafen ist es jetzt noch nicht weit her, wir können aber wieder auftanken. Auf dem Panoramaweg geht es unweit der Autobahn 8 in Richtung Thalfingen. Vier Burschen an der Tankstelle in Thalfingen grölen wegen meines Spruches „Des Wasser kinnts selber saufa“ und greifen zum Bier.

 

Kilometer 70, Jungingen

 

Eine privat betriebene Trinkstation erwartet uns genau bei Kilometer 70. Ein kleiner Campingtisch, Bier in mehreren Variationen, Wasser und Iso, das reicht hier völlig. Mittlerweile hat sich das Feld gehörig auseinandergezogen. Zwar trifft man immer zwei oder drei an den V-Stellen, aber jeder macht sich nach dem letzten Zug wieder vom Acker. Und der Abstand zum Vordermann bleibt gleich. Lediglich die IVV-Wanderer, die ich überhole, werden jetzt mehr.

Ein recht ödes Stück sind die zwei, drei Kilometer entlang der Bahnstrecke nach Dornstadt.  Am Ende laufen wir in Jungingen ein, dem nördlichsten Stadtteil Ulms. Die evangelische Kirche dominiert das Ortsbild. Ja, und das Gotteshaus war zwischen Österreichern und Franzosen 1805 stark umkämpft. So wechselte die Kirche an einem Tag fünf Mal den Besitzer und wurde dadurch schwer beschädigt. An der Brotzeitstelle in Jungingen versucht eine Helferin, ein warmes Wienerle an den Mann zu bringen. Bei einer Weißwurst hätte ich zugegriffen. Der Alexander lässt sich dann das Wienerl zum Frühstückskaffee schmecken.

 

Wilhelmsburg, Botanischer Garten Ulm

 

Kilometer 80. Ein Höhepunkt für das Auge des Läufers, die Wilhelmsburg, die als ein Teil der Bundesfestung Ulm gilt. Zu Beginn des 19 Jahrhunderts nach der der endgültigen Niederlage Napoleons war man sich einig, dass eine Sicherung des Bundes zu erfolgen habe. 10.000 Arbeiter haben ab 1842 die Festung erbaut, die rund neun Kilometer Umfang hatte. Die Wilhelmsburg war darin das stärkste Element, darin konnten knapp 7.000 Mann untergebracht werden. Später wurden dann immer wieder Truppen der Reichswehr und Wehrmacht untergebracht.  Auch die Bundeswehr zählte zu den Nutzern. Seit knapp 30 Jahren gehört die Burg der Stadt Ulm, die den Bau damals für eine Mark der Bundesrepublik abkaufte.

Wir dürfen ein Stück an der Festung entlanglaufen und werden dann im Burggraben verpflegt. Ich schieße auf diesem historischen Platz noch ein paar Bilder und mache mich weiter auf den Weg im Gelände der Anlage. Dabei verlieren wir viele Höhenmeter hinunter zum Lehrer Tal.

Am Eingang zum Botanischen Garten kommt eine harte Prüfung. Mit Laufen geht da gar nichts mehr, denn 50 Höhenmeter stellen sich dir entgegen. Wer noch Augen für die verschiedenen Baumarten und den Neuen Apothekergarten hat, der kann das genießen. Aber die meisten werden aufgrund der Steigung schimpfen wir ein Rohrspatz. Mich eingeschlossen. 1981 wurde der Garten erbaut, der zur Universität Ulm gehört. Der Biergarten am Ausgang ist auch noch geschlossen. Shit!

 

Lehr – Mähringen und die letzten Zehn

 

So langsam werden die Restkilometer übersichtlich, denn in der Ortschaft Lehr haben wir den 85. hinter uns.  Die Kameraden der Feuerwehr betreiben den Getränkestand. Ich muss schmunzeln, als ich auf dem Tisch eine Dose Marathon-Vaseline entdecke. Wer sich einen Wolf geholt hat, wird jubeln. Besonders dann, wenn die Salbe auf die wunde Stelle kommt. Na servus.

Wie verlassen den Ulmer Stadtteil, der Kurs verläuft recht wellig durch die Felder. Nach einem Kilometer führt ein geteerter Feldweg nach unten, dann nach oben, wo ich einige wenige Läufer und Wanderer nach links laufen und marschieren sehe. Das muss die Mördersenke sein. Wahrscheinlich soll die Senke den Willen des Läufers brechen. Die Schleife durch den Standortübungsplatz bringt außer den zwei, drei Kilometern auch kein Prickeln ins Laufgeschäft. Hier muss ich zum ersten und einzigen Mal Wasser saufen, denn was anderes gibt es nicht. Der Helfer beschreibt mir aber die Strecke als relativ kurz und flach bis zum 90. Kilometer in Mähringen. Und er begleitet mich noch ein Stück mit seinem Rad. Danke. 

In Mähringen greife ich am Verpflegungstisch in die vollen. Ein anderer lässt sich die Füße massieren. Ich mache mir einen Plan, um die letzten zehn Kilometer nicht langweilig werden zu lassen. Ich will jedes Schild fotografieren, denn die letzten zehn Kilometer sind ausgeschildert.

In Bollingen auf dem Sportplatz erhalten wir die letzte Labe. Auf der Teerzufahrt hat ein Witzbold noch ein „Lass die Sau raus“ hin gekritzelt. Da geht nix mehr. Einen Becher Cola würge ich hinunter und dann gehe ich das letzte Stück an, das mich hinunter ins Kiesental führt. Anfangs ist der Weg noch sehr rustikal über Gras und unebenen Boden.

Dann bin ich im Kiesental angelangt. Immer leicht fallend. Bis nochmals eine Steigung mit etwa 30 Höhenmetern kommt. Verdammt, das kann doch nicht wahr sein. Ist es aber. Am Ende der Steigung nochmals eine Tränke. „Ein kühles Bier, extra für dich.“ So eine Einladung kann ich nicht ausschlagen.  Noch vier Kilometer.

Eine Zeit von unter zwölf Stunden wird sich nicht mehr ausgehen. Ist mir mittlerweile wurscht. Die Füße haben gehalten, keine Blasen und verdauungstechnisch war bis auf den Prosecco alles im grünen Bereich. Was will ich mehr. Beim Kilometer 99 reitet mich der Schalk, schaut euch das Bild an. Und dann macht die Kamera doch noch schlapp, Batteriewechsel.

Je näher ich dem Stadion komme, desto mehr applaudieren die wenigen Zuschauer. Es geht auf die Tartanbahn. Noch 300 Meter. Wahrscheinlich die schönsten 300 Meter der letzten zwölf Stunden. Gänsehaut beim Einlaufen. Super. Ich bin zufrieden und glücklich, als es unter dem Zieltransparent hindurchgeht.

 

Im Ziel

 

Schulterklopfen, Gratulation, Medaille im Ziel. Sofort denke ich wieder an meinem Job und lasse mich zum Fotografieren auf der Tartanbahn nieder. Die wärmt von unten, so dass ich augenblicklich saumüde werde und mir die Kamera aus der Hand fällt. Doch dann sammele ich noch einige Bilder im Zielbereich von den glücklichen Finishern. Und dabei ist einer mit selbstbebastelten Schlappen, der in diesen Dingern nicht schlapp gemacht hat: Thomas Roselt. Einer berichtet mir dann von Patric, der bei Kilometer 80 recht zielstrebig und kämpferisch unterwegs war. Partic kommt dann etwa eine Stunde nach mir ins Ziel. 

In mir erwacht der Geist des Interviewers. Ich gratuliere Patric zuseinem 100km-Debut und frage, wie er  zurechtgekommen ist. „Ab Kilometer 22 bekam ich Fußprobleme, die mich des Öfteren zwangen, Gehpausen einzulegen. Doch du hast gesagt, dass wir auf jeden Fall bis Kilometer 50 weitermachen. Ab Kilometer 58 (die endlose Gerade) bis zum Ende des Donaudamms war es sehr herb. Und ich dachte ans Aufgeben. Mein Handicap hat mich nicht mehr als bei einem Marathon beeinträchtigt.“

Stichwort Runner's High, wo lief es gut für ihn? „Kilometer 38 bis 48 lief es gut. Der anbrechende Tag und endlich die Nacht hinter sich zu lassen, haben sich positiv aufs Laufen ausgewirkt.  Zwischen Kilometer 60 und 73 lief es wieder gut. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich den Lauf durchziehen werde.“

Und nach seinen Plänen gefragt: „Dieses Jahr entscheide ich mich spontan, wo ich laufe. Und im nächsten Jahr wäre es schön, wieder in Füssen zu starten und bei einem Bergmarathon dabei zu sein.“ Dem steht nichts entgegen.

Übrigens, in Ulm können alle teilnehmen. Man kann sich langsam hochdienen. In den Staffeln zu acht, zu vier oder zu zweit. Oder solo auf der 50 Kilometer in der ersten oder in der zweiten Hälfte. Und dann die Kür über 100 Kilometer. Na wie wäre das?

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Informationen: Ulmer Laufnacht
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