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Laufberichte

“Land unter” zwischen den Ozeanen

08.04.12

 
Von der Hout Bay zum Constantia Nek

 

Etwa bei km 39 passieren wir, fast auf Meereshöhe angelangt, den Hout Bay Beach. Der nahe Strand würde bei Sonnenschein durchaus zu einem kurzen erfrischenden Badestopp einladen. Aber heute ist wohl kaum jemand danach. Das zumindest visuelle Strandvergnügen währt nur kurz: Denn sogleich müssen wir uns von Strand und Meer verabschieden. Weiter geht es durch den in viel Grün eingebetteten Ort Hout Bay auf der landeinwärts  führenden M 63 geradewegs Kapstadt entgegen.

Eine herrliche Naturstrecke liegt vor uns. Riesige knorrige alte Eichen, hochgewachsene Kiefern und anderes üppiges Laubgehölz umrahmen die Straße, dahinter erstrecken sich Wiesen und kultivierte Landgüter. Links und rechts des Tales erheben sich schroffe Felswände, deren Gipfel sich im Wolkengrau verlieren. An manchen Stellen wiederum tauchen wir geradezu in einen Urwald ein, Nichts außer verschlungenen Ästen und Blättern umranken hier die Straße. Und es regnet. Ohne Unterlass. Aber das merke ich kaum noch. 

Kurz vor dem Marathonpunkt ist es dann soweit: Die Steigungen nehmen zu, die Kurven auch. Die vier schwersten Kilometer des Rennens liegen vor uns, hinauf zum Constantia Nek, einem Pass auf der Rückseite des Tafelparks und der höchstgelegene Punkt unserer Strecke. Erstmals fällt das Gros der Läufer hier nun in einen schnellen Gehschritt. Die bisherige Anstrengung fordert ihren Tribut. Ausgesprochen ruhig ist es im Läuferfeld. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. 

Erlösung bedeutet das Erreichen des km 46,1. Schon vorher wird das Nahen dieses Punktes mit immer enger gesteckten Entfernungsschildern und Tafeln mit Motivationssprüchen angekündigt. Denn hier, 215 m üNN, ist der Kulminationspunkt, die Passhöhe des Constantia Nek erreicht. Spätestens bis 12.15 Uhr muss man es bis hierher geschafft haben, sonst war alle Anstrengung umsonst.

Zu meiner Überraschung sind wir auf der Passhöhe nicht allein: Trotz des ungemütlichen Wetters wird uns ein launiger Empfang bereitet. Musik hämmert aus Lautsprecherboxen und die Zuschauer bilden einen Kanal, in dem sie uns klatschend und mit aufmunternden Worten begrüßen.

 
Durch das Constantia Valley

 

Jenseits des Passes folgen wir dem Rhodes Drive am Rande des Stadtbezirks Constantia, ohne Zweifel eine der besten Adressen Kapstadts: zentrumsnah und ländlich zugleich, eingebettet in Eichenhaine und Rebkulturen - und mit dem Tafelberg in direkter Nachbarschaft. Hier siedelt der alteingesessene Geldadel hinter traditioneller kapholländischer Landhausarchitektur. Dazu passt auch, dass in Constantia die ältesten Weingüter der Kapregion beheimatet sind - schon seit 1705 wird hier Wein gekeltert -, auch wenn die in den Export kommenden Tropfen primär aus dem Weindreieck Stellenbosch, Paarl, Franschhoek östlich von Kapstadt stammen.

Wie gesagt, verläuft unser Weg jedoch am Rande des Bezirks, auf einem kurvigen Sträßlein, zumeist eingehüllt in dichten Wald, der nur selten einen Blick in die Ferne gestattet, sodass wir von Constantia kaum etwas mitbekommen.

Wer nun denkt, es ginge nun nur noch bergab, der hat sich zu früh gefreut. Immer wieder durchbrechen Steigungen den Bergablauf. Und diese sind nun richtig hart.. Wie bleibelastet kleben meine Beine hier am Boden.  

Etwa ab km 49 öffnen sich jedoch wieder weiterreichende Perspektiven auf die Hänge des Tafelbergmassivs, zumindest soweit, wie es die tief hängende Wolkendecke zulässt. Besonders schön ist das Teilstück zwischen km 50 und 51 entlang des Kirstenbosch National Botanical Garden. Er ist eine der großen Attraktionen Kapstadts. Der 1913 gegründete Park mit einem Bestand von über 25.000 Pflanzenarten gilt, auch aufgrund seiner einmaligen Lage unterhalb des Tafelbergs, als einer der großartigsten der Welt, was ihm 2004 sogar den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes eingebracht hat. Das Parkgelände geht nahtlos in die schroffen Bergflanken des Tafelbergs über, dessen bis auf 1.087 m üNN ansteigendes Gipfelplateau  man von hier aus in etwa zwei Stunden über die Skeleton Gorge oder die Nursery Revine erklimmen kann. Interessant ist auch, dass der Park fast ausschließlich einheimische Flora beherbergt, was vor dem Hintergrund verständlich wird, dass die Kapregion als die artenreichste der Welt gilt. Große Beliebtheit genießt der Park bei der Bevölkerung, die sich hier zum Picknick oder einem “Braii”, der südafrikanischen Variante eines Barbecue, trifft. 

Mit gut 50 km in den Knochen erscheint ein Picknick im Moment äußerst verlockend, wenn auch zu anderen äußeren Bedingungen. Noch ein Weilchen geht es durch den adretten, wohlsituierten Villenvorort Rondebosch, bis wir schließlich bei km 53 auf die nur einseitig für die Läufer gesperrte Schnellstraße M3 geleitet werden. Nicht allzu motivierend ist, dass wir uns die Straße mit dem Autoverkehr teilen müssen, noch weniger allerdings, dass es weiterhin  immer wieder einmal bergan geht, selbst noch bei km 55. Die Steigungen sind zwar nur leicht, aber in der momentanen physischen Situation doch sehr fühlbar. Da kann man über die zahlreichen Motivationsschilder, etwa mit der Aufschrift “Looking good” oder “So beautiful it hurts”, die viele der Laternenpfähle zieren, nur müde lächeln, soweit man dazu überhaupt noch in der Lage ist.

Doch auch bei dieser Plackerei ist irgendwann der Zeitpunkt erreicht, in dem das berühmte Licht am Ende es Tunnels sichtbar wird, hier in Gestalt der Universität von Kapstadt. Erst kurz vor dem Ziel werden die pflanzenüberwuchterten Gemäuer aus dem 19. Jh., die so malerisch in die  Ausläufer des Tafelbergs gebettet liegen, sichtbar. Dann geht alles recht schnell.

 
 

 
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