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Laufberichte

“Land unter” zwischen den Ozeanen

08.04.12

Immer geradeaus dem Morgen entgegen

 
Auch wenn alles gut ausgeleuchtet ist, gibt es auf den ersten Kilometern doch nicht wirklich viel zu sehen. Schier endlos zieht sich die Vorstadt hin, was ein wenig die Dimensionen der Stadt bewusst macht.

Der historische Teil der 1652 von den Niederländern als erste europäische Ansiedlung  Südafrikas gegründeten Stadt, der so malerisch zwischen der atlantischen Tafelbucht und dem steil aufsteigenden Felsenhalbrund aus Tafelberg, Signal Hill und Lions Head eingebettet liegt, macht heute nur noch einen winzigen Teil der Stadtfläche aus. Vor allem nach Süden und Osten hat sich die Stadt von hier aus scheinbar uferlos und in einer Weise ausgedehnt, in an die Flächenmoloche amerikanischer Großstädte erinnert. Extreme soziale Unterschiede weisen die Vororte auf: Da sind zum einen die traumhaft um den Tafelberg und am Meer gelegenen Wohngebiete der privilegierten wohlhabenden Südafrikaner, vor allem Nachfahren burischer und englischer Einwanderer, etwa in Clifton oder Camps Bay und auch in den kleinen Küstenorten der Kap-Halbinsel oder in Constantia. Und da sind auf der anderen Seite die gewaltigen Townships, etwa Langa, Nyanga oder Khayelitsha, von denen man etwas schönfärbend sagt, dass in Ihnen das “afrikanische Herz” der Stadt schlage. Über die Hälfte der heute etwa 3,5 Millionen Kapstädter, so genau weiß das wohl niemand, lebt dicht an dicht und mit minimaler Infrastruktur in diesem sich weit in die Ebene gen Osten schiebenden urbanen Wildwuchs. Auch heute verirrt sich kaum ein Weißer hier hinein.

Aber es gibt auch noch etwas dazwischen: Das Kapstadt des Mittelstandes, in durchaus propperen, mit viel Grün durchsetzten Wohngegenden, mit Gewerbe und Geschäften entlang der Hauptstraßen, wie wir es auch aus Europa kennen. Und das ist die Gegend südlich der Innenstadt, die wir nun Kilometer um Kilometer durchstreifen. 

Zum Einlaufen ist die Strecke optimal. Flach und ohne Kurven kann jeder schnell seinen Laufrhythmus finden. Ich halte mich tempomäßig zurück und auch den anderen merke ich das Bemühen an, in der Startphase nicht zu viel “Pulver” zu verschießen. Denn man muss sich klar sein: Das “dicke Ende”, konkret die kräftezehrenden langen Steigungen mit insgesamt 500 Höhenmeter kommen fast allesamt erst auf der zweiten Streckenhälfte.

Langsam wird es im Osten heller, immer weiter reicht der Blick, auch wenn es weiterhin wenig gibt, was das Attribut “the world’s most beautiful marathon” rechtfertigen würde. Für 7:02 ist heutige “offizielle” Sonnenaufgang angekündigt, aber statt der Sonne sind es dicke, dunkle Wolken, die sich immer deutlicher am Himmel abzeichnen. Mir schwant schon Übles.

Immer dünner wird die Bebauung, die Natur gewinnt die Oberhand. Und dann schafft es die Morgensonne doch tatsächlich, sich einen Weg durch die Wolken zu bahnen und die Ausläufer des Tafelgebirges, auf das wir zulaufen, in ein wundervoll warmes Licht zu tauchen. Doch das währt keine fünf Minuten. Der hübsche Regenbogen gleich nebenan hätte uns da schon eine Vorwarnung sein können. Denn kurz darauf laufen wir in eine Regenwand hinein, die uns sofort bis auf die Haut durchnässt. Trübes Grau hüllt uns ein, wohin wir auch blicken. Und auch am Horizont ist keine Aussicht auf Besserung erkennbar.

 

Am und im Wasser entlang der False Bay

 
Daran ändert sich auch nichts, als wir den Bahnhof von Muizenberg, den ersten Ort unseres Laufkurses an der False Bay, erreichen. Das prächtige viktorianische Bahnhofsgebäude kündet von feudaleren Zeiten Muizenbergs. Einst galt Muizenberg als elegantester Badeort Südafrikas, doch davon ist in der Gegenwart nur punktuell etwas übrig geblieben. Dennoch: Dank seines schönen, langen Sandstrandes und der optimalen Erreichbarkeit mit der Metrorail zieht es die Kapstädter auch heute noch in Massen her und machen Muizenburg zum populärsten Badeort der Kaphalbinsel. Ein weiterer begünstigender Umstand dürfte sein, dass das Wasser in der False Bay unter dem Einfluss des Indischen Ozeans häufig ein paar Grad wärmer und ruhiger als die dem offenen Atlantik ausgesetzte andere Seite der Kaphalbinsel ist.

Gleich hinter dem Bahnhof dürfen wir erstmals einen Blick auf das Wasser der Bay werfen, deren Küstenlinie wir auf den nächsten 6 km folgen werden. Schwer brechen die Wellen gegen das Ufer. Im Kontrast zum Meer steigen die steilen, grün überwuchterten Felsen des Silvermine Nature Reserve, einem Teil des Tafelberg-Nationalparks, hinter den Häusern zu unserer Rechten hoch in den Himmel. Ein schönes Bild, das ich auch schon bei Sonnenschein erleben durfte. Nur heute ist davon nicht viel zu sehen und ich bin wie die anderen Läufer mehr damit beschäftigt, den sich rasch bildenden Pfützen auszuweichen.

Ab dem Bahnhof folgen wir der sogenannten “Historical Mile” mit ein paar netten alten Gebäuden, darunter dem blendend weiß getünchten, reetgedeckten Posthuys, mit seinem geschwungenden Giebel ein Paradebeispiel der kapholländischen Architektur aus dem 17. Jh. Auch das als Museum umgebaute Haus von Cecil Rhodes ist dabei, jenes legendären südafrikanischen Diamantenschürfers, dessen einstige Macht und Einfluss sich schon daran ablesen lässt, dass ein ganzes Land - das ehemalige Rhodesien und heutige Simbabwe - nach ihm benannt wurde. Das hübsche Häuschen nimmt sich dafür ziemlich bescheiden aus.

Fast übergangslos folgt mit St. James der nächste Ort an der False Bay, postkarten- und reiseführerberühmt vor allem durch seine knallbunten viktorianischen Badehäuschen. Auch von unserer Laufstrecke, immer noch entlang der Main Road, sind sie zu sehen und wären bei Sonnenschein ein echter “eyecatcher”. Festzustellen ist auch, dass sich die Society Kapstadts heute anscheinend mehr diesem Ort zugewandt hat. Eine Villa reiht sich an die andere. Deutlich lebensfroher wirkt allerdings das sich nahtlos anschließende Kalk Bay, das heute einen Namen als Szene- und Künstlerort hat. Einige unentwegte Schaulustige haben sich hier unter schützenden Vordächern versammelt. Für uns hält der Ort insofern besondere Herausforderungen bereit, als es hier gilt, den sich mittlerweile  über die Straße ergießenden Bächen möglichst geschickt auszuweichen. Was allerdings nicht immer gelingt.

Der Regen nimmt auch kein Ende, als wir nach einem Küstenschlenker schließlich in den sehr viel profaner wirkenden Ort Fish Hoek einlaufen. In Fish Hoek heißt es für uns Abschied zu nehmen von der False Bay und der östlichen Kaphalbinsel.

Ab hier würde die Strecke gen Süden noch deutlich attraktiver werden. Das gilt zum einen wegen der einige Kilometer südlich folgenden Ortschaft Simons Town, die, etwa auf halbem Weg zwischen Kapstadt und dem Cape Point liegend, mit ihrem nahezu perfekt erhaltenen historischen Stadtbild als “die” Perle unter den Orten an der False Bay gilt. Bekannt ist der Ort auch für den Boulders Beach, an dem man die Gelegenheit hat, in höchstpersönlichen Kontakt zu einer Festlandskolonie putziger Brillenpinguine treten. Zum anderen wird die Küstenlandschaft vor allem ab Simons Town zunehmend dramatischer, rücken die Berge bis direkt an die Küstenlinie heran und mitten durch die Felsen windet sich hoch über der Steilküste die Straße bis zum Kap der Guten Hoffnung. Zumindest das weitere Küstenstück bis Simons Town kann man übrigens von Kapstadt aus bei einem weiteren Marathon, dem Peninsula Marathon, im Februar  läuferisch entdecken.

Für die Two Oceans-Läufer heißt es in Fish Hoek bei km 21,5 jedoch: good bye, False Bay - und ab nach rechts. 

 
 

 
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