marathon4you.de

 

Laufberichte

Nichts ist unmöglich

26.02.12

Nichts ist unmöglich: Vorläufer des Comics

 

Kilometer 26, noch immer Begegnungsstrecke. Auf der anderen Seite der Laufstrecke befindet sich der Stadtteil Akihabara, der auch als Elektromeile bezeichnet wird. Aber nicht nur Technikkrams gibt es hier in Massen, es ist auch das Mangaviertel. Mangas kennt man ja bei uns auch. Aber das Mangas 1814 erstmals unter diesem Namen veröffentlicht wurden, wissen die wenigsten. Sie bildet ein einzigartiges Portrait  der damaligen Gesellschaft. So manche Meisterwerke gelangen über Japan nach Europa und inspirierten Maler wie Paul Gauguin und Vincent van Gogh.

Von weitem schon sieht man das Donnertor mit seiner großen roten Laterne. Sie ist eine Touristenattraktion und daher liegt dahinter auch die im Rheinland bekannte Drosselgasse – dies nur als kleine Anmerkung am Rande. Das Tor wird von zwei grimmigen Schutzgöttern flankiert. Dem Gott des Windes und dem Gott des Donners. Mit dem Gott des Windes haben wir seit unserer Ankunft schon mehrfach zu tun gehabt, der Gott des Donners ist uns bislang gnädig gesonnen.

Ich habe den Stadtteil Asakusa erreicht und die Stimmung hier ist gigantisch. Ich bleibe stehen und versuche anhand der Bilder die Stimmung einzufangen. Diese  Gegend stellt das Gegenteil zu den anderen Bezirken dar. Hier befinden sich viele Gebäude der 50er und 60er-Jahre, darunter auch einige traditionelle Ryokan. Der älteste und bedeutendste buddhistische Tempel Tokyos der Sensō-ji und der Asakusa-Schrein liegen in unmittelbarer Nähe.

Hier schlägt das Läuferfeld einen Haken und dicht an dicht geht es zurück in Richtung Ginza. Die Massen der Läufer von vorne und von hinten wollen nicht enden. Den ganz neu gebauten Tokyo Sky Tree, der mit 634 Metern der zweithöchste Turm der Welt ist, kann ich sehen. In den Seitengassen ganze Wälder von Strom- und Telefonmasten. Die Füße sind müde aber ich habe Spaß. Anhalten? Auf keinen Fall! Bei Kilometer 29 führt eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Sumida. Es ist kaum vorstellbar, dass hier vor 550 Jahren nur ein Schloss und ein paar Häuser standen. Edo, wie die Stadt damals hieß, taucht in den Geschichtsbüchern zum ersten Mal im 12. Jahrhundert auf. Damals soll sich ein Mann nahe den Mündungen der beiden Flüsse Hirakawa und Sumida ein befestigtes Haus gebaut haben. Er nannte den Ort und seine Familie Edo (Flussmündung). Als eigentliches Gründungsjahr der heutigen Metropole gilt aber 1457.

In direkter Nähe liegt das Ryōgoku Kokugikan, in dem im Januar, Mai und September die Sumō-Turniere stattfinden sowie der Kyū-Yasuda-Teien, ein berühmter japanischer Garten, und das Edo-Tokyo-Museum.

Überall riecht es anders. Im gläsernen Hochhaus glitzert die gegenüberliegende Stadtsilhouette. Ich fühle mich wie die Kugel im Spielautomat einer Pachinko-Halle. Rundherum blinkt und blitzt es. Mal werde ich dahin geschoben, mal dorthin und manchmal bleibt die Kugel einfach stecken. Ab Kilometer 30, so scheint es, empfängt uns die gesamte Bevölkerung Tokyos und will uns mit mitgebrachten  Süßigkeiten und Getränken verpflegen. Bei Kilometer 35, an der Irifune-bashi Bridge, sorgen japanische Frauen mit ihren Trommeln für den passenden Laufrhythmus.  

 

Nichts ist unmöglich: Erst treffen wir Frank und dann Michael

 

„… und wie kommst du hierher?“ „Ich komme gerade von einer dreiwöchigen Radtour aus Vietnam“. Erkannt habe ich ihn an seinem Einteiler mit der Aufschrift Berufsfeuerwehr Hannover. Michael, haben wir während einer Laufreise in die Antarktis 2009 (Bericht auf  m4you) kennengelernt und jetzt sieht man sich hier wieder, umgeben von tausenden von Japanern.

Noch so ein Zufall war das gestrige Treffen mit Frank. In Deutschland und auf Mallorca schon verabredet, hat es leider nie geklappt, sich persönlich kennenzulernen. Dazu mussten wir erst nach Tokyo fliegen.

Bei Kilometer 35 endet die Begegnungsstrecke und es beginnt das Stadtviertel Tsukiji, in dem sich der berühmte Fischmarkt befindet. Die geschichtlichen Wurzeln reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück, als der Shogun Tokugawa Ieyasu Fischer aus Ōsaka nach Edo brachte, um seinen Hof mit Fisch zu versorgen. Heute verkaufen 1600 Händler 2,2 Millionen Kilogramm Fisch täglich. Und mit Ungeheuerlichkeiten, die man vielleicht besser in den Untiefen der See gelassen hätte. Den legendären Kugelfisch, den tödlichsten aller essbaren Fische sehen wir nur an so mancher Händlerbude als Lampenschirm.

Wenn die Sonne aufgeht, ist auf dem Markt alles vorbei. Bei Kilometer 38 begegnen wir der ersten von drei Brücken. Immer wieder werde ich auf Deutsch angesprochen. Die deutsche Sprache und Kultur sind auch heute noch in Japan äußerst beliebt. Diesmal ist es ein Läufer im Telekom-Radtrikot. Er erzählt mir, er habe in Düsseldorf gelebt. Zwischen deutschen und japanischen Universitäten bestehen mehr als 200 Kooperations-Vereinbarungen auf wissenschaftlichem Gebiet. Zurzeit leben mehr als 30.000 Japaner in Deutschland, davon alleine über 7.000 in Düsseldorf. Die Stadt am Rhein ist somit nach London und Paris die größte „japanische“ Stadt in Europa. „Omedeto gozaimasu!“ „Herzlichen Glückwunsch!“ rufen uns immer wieder Zuschauer zu.

Die Höhen und Tiefen der Brücken machen so manchen Läufern zu schaffen, ich freue mich über die willkommene Abwechslung für die Muskulatur. Laufen im schillernden Großstadtdschungel, auf schwingendem Boden der 600 Meter langen Harumi Brücke. So muss es sich anfühlen, wenn zahlreiche Gebäude schwanken und der Bahn- und Flugverkehr uneingeschränkt weiter läuft. Selbst im nahe gelegenen Disneyland Tokyos stoppen einige Fahrgeschäfte automatisch, werden aber kurz nach einem Beben wieder eingeschaltet, das Leben geht weiter. An fast jeder Straßenecke sind Feuerlöscher angebracht, große auffällige Schilder machen darauf aufmerksam. Dies erklärt auch das Gewirr von überirdisch angebrachten elektrischen Leitungen die nach einem Erdbeben schnell wieder instandgesetzt werden können.

16 Minuten dauert eine Fahrt im weltweit größten Riesenrad, das ich von weitem sehen kann und deren Ausblick wir morgen ausprobieren werden. Über 40 aufregende Kilometer liegen hinter mir und eigenartig ist die Vorstellung, nun in einem neuen Stadtteil zu laufen, der auf dem Bauschutt des Kanto Erdbebens von 1923 errichtet wurde.

 
 

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024