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Laufberichte

Die Laufwelt trifft sich auf der Seiser Alm

17.07.09
Autor: Klaus Duwe

Hierhin passt gut die Geschichte, die Sammy Korir erzählt. Der Kenianer hat viele Läufe gewonnen, weltberühmt wurde er aber nach einer vermeintlichen Niederlage. 2003, Berlin Marathon. Sammy Korir soll für seinen Landsmann Paul Tergat die Pace machen. Es läuft gut: Tergat ist auf Weltrekordkurs und er selbst nicht müde. Statt auszusteigen, bleibt er mit dem „Chef“ auf gleicher Höhe. Erst kurz vor dem Ziel kann sich Paul Tergat  mit einem hauchdünnen Vorsprung ins Ziel retten. Sieg und Weltrekord für Paul Tergat, eine Sekunde dahinter Sammy Korir, Platz 2 und zweitbeste jemals gelaufene Zeit. Man fragt sich: hat Sammy Korir vielleicht gar nicht gewinnen dürfen?

Es ist Zeit, das Rätsel zu lösen. Sammy Korir erzählt: „Mein Job war, Tergat zum Weltrekord zu führen. Es gab keine Order, unbedingt auszusteigen oder ihn gewinnen zu lassen. Ich fühlte mich gut und wollte den Marathon zu Ende laufen, wenn möglich auch gewinnen. Dann zog Tergat im für ihn genau richtigen Zeitpunkt das Tempo an.  Ich brauchte einige Sekunden, um zu reagieren, das war’s dann. Ich kam zwar noch einmal an ihn heran und hätte auch gewonnen, wenn es 20 oder 30 Meter weiter gegangen wäre. Oder wenn ich nicht die ganze Zeit hätte die Pace machen müssen.“

Diese Frage muss sein: „Du warst über viele Jahre der zweitschnellste Mann auf der Marathonstrecke. Ist der Weltrekord für Dich noch ein Thema?“

„An einem guten Tag mit guten Bedingungen ist vieles möglich. Aber der Weltrekord? 2:05 sollten mir möglich sein“, sagt Sammy Korir.

Da lehnen sich seine Landsmänner Robert Cheruiyot, 4facher Boston-Sieger, Bestzeit 2:07:14, und Benjamin Kiptoo,  Rom-Sieger 09 in 2:07:17, deutlich weiter aus dem Fenster. Beide sind für die WM nominiert und meinen, auch gewinnen zu können. Und beide sind der Meinung, wenn am Tag der Entscheidung alles passt, ist auch ein neuer Weltrekord möglich. Jedenfalls schließen beide ein taktisches Rennen aus. Das wär’s doch, einer der Kenianer läuft bei der WM Weltrekord und Haile Gebrselassie legt vier Wochen später beim Berlin Marathon nach.

Solche Probleme hat Viktor Röthlin zurzeit nicht. „Ich bin froh, dass ich alles gut überstanden habe. Das hätte ganz anders ausgehen können“, sagt der sympathische Schweizer mit Nationalheld-Status. Nach seiner schweren Erkrankung (Lungenembolie) während eines Trainingslagers in Kenia, das der Vorbereitung auf den London Marathon dienen sollte, ist er auf dem Weg zur alten Stärke. Aber die WM war und ist kein Thema für ihn. Sein großes Ziel ist die EM in genau einem Jahr in Barcelona. Konkrete Pläne bis dahin hat er nicht.

Ich erinnere mich genau an den Olympischen Marathon in Peking. „Röthlin will eine Medaille“. So oder so ähnlich lauteten die Schlagzeilen. Aber die Kenianer hatten das Unternehmen „Marathon-Gold“ zur nationalen Angelegenheit erklärt und ihre stärksten Läufer in die Pflicht genommen. Röthlin lief ein kluges Rennen, ließ sich nicht auf das hohe Tempo von Lel und Wanjiru ein, hatte so am Ende die Reserven, um noch einige Plätze gut machen. Heraus kam ein sechster Platz in einer Zeit von 2:10:35. Zur Bronzemedaille fehlten nur 35 Sekunden. Traurig? „Keine Spur;“ sagt Röthlin. „Ich habe nie gesagt, dass ich eine Medaille will. Ich bin ein gutes Rennen gelaufen und eine gute Zeit. In Athen hätte ich damit gewonnen“.

Claudio Prandelli, der junge Trainer des Rosa-Nike-Teams stößt zur Runde. In seinem Alter (29 Jahre) läuft man doch selber Marathon. Er aber trainiert kenianische Weltklasse-Läufer. Wie kommt das?

Claudio Prandelli: „Ich habe 2002 bei Dr. Rosa ein Praktikum gemacht und wurde sofort als Trainer engagiert. Ich lebe für den Sport, 24 Stunden am Tag. Seit 2002 war kein Tag, an dem ich mich nicht mit den Läufern beschäftigt habe. 8 Monate im Jahr lebe ich in Kenia, den Rest bin ich mit den Läufern unterwegs“. 

Die Atmosphäre im Hotel ist locker, man ist keineswegs abgeschottet, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Anwesenheit eher für eine willkommene Abwechslung sorge. Hinter der Lockerheit verbirgt sich aber eine eiserne Disziplin. Jede Trainingseinheit, jeder Massage- und Seminar-Termin wird auf die Minute eingehalten.

Was gefällt den Team-Verantwortlichen so auf der Seiser Alm, dass sie jetzt schon das dritte Mal hier Quartier beziehen?

 
 

 
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