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Laufberichte

„Wo bist du?“

30.04.06

1000 Meter mit Kerstin - die schönsten 6 Minuten des gesamten Laufes

 

Es ist 4:00Uhr in der Früh, das Radio geht an, das bedeutet, die Nacht ist zu Ende. Eigentlich hat sie noch gar nicht so richtig angefangen. Der Regen trommelt gegen die Scheiben, schönes Wetter, Marathonwetter. Da ein großer Teil der Vorbereitung bei „Sauwetter“ stattgefunden hat, hatten wir eigentlich erwartet, bei 25Grad zu starten. Nun denn, jetzt müssen wir durch, hatte doch Günter bei der Nudelparty noch gesagt, es regnet erst ab 17:00Uhr in Duisburg.

 

Treffpunkt an der Lakebrücke ist 6Uhr, dort werden uns die Busse abholen. Nach einem kurzen, nicht gerade ausgiebigen Frühstück fahren wir zum Treffpunkt. Wir sind sehr früh da, aber nicht die ersten. Es regnet immer noch. Pünktlich um 6 kommen die Busse, den Marathonbus fährt Uli persönlich.

 

Nachdem alle Getränke und Läufer an Bord sind, geht es los. Aus dem Regen ist inzwischen ein Regenguss geworden, doch tief im Westen wird es heller, bald sehen wir einen wunderschönen Sonnenaufgang. Nach einer guten Stunde fahrt, erreichen wir die MSV Arena. Uli öffnet die Tür und eiskalter Wind kommt uns entgegen. Wir frieren, es ist kalt. Sind wir hier zu einer Winterlaufserie? Noch gute 2 Stunden bis zum Start. Wie sollen wir uns warm halten? Draußen herumlaufen ist nicht so gut, schließlich haben wir noch einen kleinen Lauf vor uns. Wir machen erstmal ein Gruppenfoto von allen Läuferinnen und Läufern, dann nichts wie zurück in die Busse. Aus Mülltüten werden Beinkleider, jeder versucht sich ein bisschen warm zu halten.

 

Die Zeit verrinnt, der Start rückt näher. Unsere Halbmarathonis verabschieden sich, wir bringen sie mit auf den Weg. Jetzt ist es auch für mich an der Zeit, mich von Kerstin zu verabschieden. Mein armer Schatz hat sich in der Vorbereitung verletzt und muss leider auf den Start verzichten. Wir haben aber etwas beschlossen, wie wir den Lauf beenden werden. Ich reihe mich, optimistisch wie ich bin, in die Gruppe der 3:45h Läufer ein - zwar habe ich nicht das Trainingspensum wir vor dem Münchenmarathon gehabt, aber ich schaue mal, was geht.

 

Erwähnenswert ist jetzt noch, dass es nicht mehr regnet, es ist kalt, aber trocken und das bleibt fast den ganzen Morgen so. 9:15h, der Startschuss fällt, es geht los.

 

Wir verlassen den Sportpark Wedau über die Kruppstraße. Nicht viele Zuschauer säumen die Strecke. Kein Wunder, wer geht bei diesem Wetter um kurz nach neun auf die Straße, um einen Haufen Verrückter anzufeuern? Nach km 4 biegen wir rechts ab, die Halben sind hier nach links abgebogen. Das Tempo ist hoch, meine Polar zeigt mir 5:10 Min/km, so schnell wollte ich eigentlich gar nicht, aber ich lasse es laufen.

 

Udo und Lothar aus meiner Laufgruppe sind vor mir, wir laufen ein Stück zusammen, dann ziehen sie im Gewühl der Läufer von dannen. Es ist schwer aufzuschließen, ich beschließe das zu lassen, der Weg ist noch lang. Weiter geht es durch den Innenhafen, viele Schiffe, viel Wasser, manchmal ein paar Zuschauer. Nach der ersten Verpflegungsstation überqueren wir die Ruhr. Die Oberbürgermeister Lehr Brücke, eine Eisenbrücke, führt über den Fluss. Nach einigen Schritten auf der Brücke, kommt mir ein sehr komisches Gefühl in die Beine, ich denke, ich laufe auf Schaumgummi. Erst nach einigen Minuten wird mir klar, die Brücke vibriert unter unseren Füßen. Ein Läufer hinter mir erzählt, dass dieses Gefühl in New York noch viel intensiver ist, eine Erfahrung, die ich im nächsten Jahr mitnehmen werde über den großen Teich.

 

Das Tempo ist weiterhin sehr hoch, immer noch 5:10, manchmal sogar unter 5 Min/km. Da es mir gut geht, habe ich noch keinen Grund, langsamer zu laufen. Die 10km Marke wird passiert, 51Min bis hierher, ich bin zufrieden. Jetzt geht es weiter zum Rhein. Wir laufen durch den Hafen, erreichen Meiderich. Hier ist richtig Stimmung an der Strecke, fast kommt das Gefühl auf, beim Ruhrmarathon zu sein.

 

Ich haste durch die Stadt und bei Km 15 genehmige ich mir den ersten Energiegel, schließlich will ich unbedingt vermeiden, dass ich Hunger verspüre. Zum Wetter ist nach der ersten Stunde zu sagen, dass es immer noch trocken ist, es wird aber dunkler am Horizont. Km 18, vor mit ist jetzt der Anstieg zur nächsten Brücke, kein Berg, nur eine Erhöhung der Landschaft, die Friedrich-Ebert-Brücke führt uns über den Rhein.

 

Unter uns fährt ein großer Schubverband. Ob die Leute an Bord wohl wissen, was auf der Brücke los ist? Wir durchlaufen Alt Homberg, hier ist richtig was los, die Anwohner feiern eigene Marathonfeten, wieder werde ich an den letzten Ruhrmarathon erinnert.

 

Von der Stadt geht es zurück zum Rhein. Halbmarathonpunkt kommt, 1:51 h für die erste Hälfte, ich bin auf dem Level von München, verspüre aber erste leichte Schmerzen in den Oberschenkeln und mein rechter Zeigezeh schmerzt bei jedem Schritt, dabei habe ich ihn doch extra abgeklebt.

 

Wir traben durch die Rheinauen nach Rheinhausen. Wieder ist Party an der Strecke. In meinem Kopf macht sich langsam aber sicher eine Zahl breit, Km 40, soweit rechne ich, da will ich erstmal hin. Das Tempo der ersten 20 km kann ich nicht mehr so ganz halten, meine Oberschenkel melden sich unüberhörbar. Der Zeh jammert auch, aber diese unbedeutende Minderheit wird mich nicht stoppen. Kurz hinter Km 25 geht es wieder über den Rhein. Ich gönne mir das nächste Gel, diesmal eines mit Koffein, das Zeug soll ja was bringen.

 

Tatsächlich laufe ich die nächsten Km wieder mit Tempo 5:20 Min/km, bin weiter auf Kurs meiner Münchenzeit. Km 30 kommt - ab hier wird der Marathon zum Marathon, hier soll der Mann mit dem Hammer wohnen, ich habe ihn aber noch nie zu Hause angetroffen. Auch heute ist der gute Mann unterwegs, wer weiß, wen er gerade besucht. Hat vielleicht keine Zeit für mich, in Berlin habe ich auch keine Verabredung mit ihm. Die Innenstadt von Duisburg empfängt uns mit vielen Zuschauern, Samba und Party. Es ist nicht mehr weit bis Km 40.

 

Jetzt beginne ich die Verpflegungsstationen zu zählen, die ich noch durchlaufen muss. Bis zur letzten muss ich rechnen, es sind noch 5. Ich trinke nur noch an jeder 2. Bald muss es doch Cola geben, Zucker und Koffein sollen mir helfen, sollen meine Muskeln beruhigen. Irgendwie schmerzt mittlerweile jeder Schritt, ich weiß aber nicht, was mehr zwickt, meine Oberschenkel oder dieser blöde Zeh. Bei Km 34 sehe ich einen Läufer, der wird gestützt von zwei Passanten, ein Arzt spricht mit ihm, er arme ist völlig apathisch. Ich sehe auch die ersten gehen, das Tempo fordert seinen Tribut. Zum Fotografieren komme ich nicht mehr, bin im Moment zu sehr mit zählen der Versorgungsstationen beschäftigt und mit dem Bemühen, das Tempo nicht unter 5:30Min/km abfallen zu lassen.

 

Wenn nur dieser doofe Zeh nicht wäre. Stand Nr. 14 hat die Cola, auf die ich warte. Kurzzeitig habe ich wieder Treibstoff. Normales Wasser nehme ich schon lange nicht mehr, nur noch Iso oder ab jetzt Cola. Station 16 kommt in Sicht, jetzt nur noch eine, dann ist es soweit. Der Dieselmotor in mir läuft und läuft, ich halte das Tempo, vergesse sogar manchmal meinen Zeh. Haben vor wenigen Km noch viele Zuschauer uns angefeuert, so sind wir jetzt fast alleine mit uns. Mir fällt auf, das einige Läufer vom Stadtwerketeam gehen, von unserer Truppe habe ich niemand gehen sehen.

 

Endlich ist es soweit, ich sehe das Banner, dass die Versorgungsstation Nr. 17 anzeigt, die letzte vor dem Ziel. Hier, so haben wir es verabredet, treffe ich Kerstin wieder, die dann, sie hat ja eine Startnummer, den letzten Km mit mir gemeinsam laufen wird. Wenn das Schicksal uns den kompletten Lauf nicht zusammen gönnt, dann wollen wir beide wenigstens gemeinsam ins Stadion einlaufen. Gemeinsam ins Ziel laufen, so wollten wir es von Anfang an.

 

Bei Km 35 hatten wir zuletzt telefoniert, vielleicht lag es an meiner da schon vorgeschrittenen Müdigkeit, vielleicht war auch mein Geist nicht mehr ganz frisch, jedenfalls habe ich sie nicht verstanden, denn sie sagte mir, dass sie etwa bei Km 41 auf mich warten wird. 1000m laufen, das würde sie schaffen. Ich dachte mit meinem müden Hirn, das wäre an der letzten Station. Diese hatte ich erreicht, lief langsamer, es tat weh langsam zu laufen. Keine Kerstin! Ich fragte am letzten Tisch „kommt noch eine Verpflegungsstation?“ Nein, war die Antwort, ob ich etwas brauchen würde, kam als besorgte Gegenfrage. Und ob ich etwas brauchte, ich wollte von hier aus mit Kerstin den Weg zum Ziel antreten. Ich stand jetzt, wählte nervös ihr Handy an. Gar nicht so einfach, denn mit Kontaktlinsen kann ich im Nahbereich nicht viel sehen.

 

Da ist sie in der Leitung. „Wo bist du?“ frage ich. „Ich sitze in einer Bushaltestelle kurz hinter der Station, ich habe dir doch gesagt, dass ich bei Km 41 bin“ sagte Kerstin. Ich steckte erleichtert das Handy weg und machte mich schwerfällig nach ca. 4 Min Pause auf den Weg zu ihr. Eine Minute später war ich bei ihr, die Zeit für einen Begrüßungskuss haben wir uns genommen, dann ging es los zum Ziel. Jetzt waren viele Leute an der Strecke. Ich hatte mit meinen müden Beinen Mühe Kerstin zu folgen. Das Marathontor kam in Sicht, rechts sah ich plötzlich Uli Sauer, er hat uns fotografiert.

 

Hinein ging es ins Marathontor. Eigentlich hatte ich erwartet, eine ähnliche Atmosphäre wie in München zu finden - Musik und Licht waren doch angekündigt worden. Es war nett aber kein Vergleich zum Olympiastadion, ist ja auch nur die kleine MSV Arena. Wir liefen durch die Disko, der Rasen des Stadions war direkt vor uns. Rechts unten auf der Südtribüne, saßen unsere Mütter und Geschwister, auf sie liefen wir jetzt direkt zu. Jetzt spürte ich meine Muskeln fast gar nicht mehr, den dummen Zeh schon überhaupt nicht. Wir liefen winkend auf die Zielkurve zu, und winkend an unseren Familien vorbei.

 

Nur noch 100m, jetzt flogen die Beine. Kerstins Hand fand meine Hand, gemeinsam überquerten wir die Linie, fielen uns erstmal in die Arme. Meine Beine rebellierten jetzt sehr unangenehm, der Zeh mischte sich mit pochendem Schmerz dazu, alles egal. „Jetzt muss ich nicht mehr laufen,“ sagte ich zu Kerstin. Der Lauf, der uns seit Monaten beschäftigte, der uns in den letzten Wochen viel Kummer machte, als immer klarer wurde, dass ich ihn alleine bestreiten musste, war vorbei.

 

Kerstin bekam eine Rose, die Medaille wollte sie nicht, sie war ja nicht gelaufen. Eine nette Frau hängte mir das gute Stück, verbunden mit herzlichen Glückwünschen, um den Hals. Wir spazierten erstmal auf den Rasen, hier hatte vor einigen Wochen der FC Bayern gespielt. Jetzt gingen wir beide langsam über das Grün, eingewickelt in eine große Plastikfolie. Immer mehr Läufer erreichten das Ziel, einige aus unserer Gruppe sahen wir jetzt wieder.

 

Im Innenbereich trafen wir Sabine, die arme hat leider mit Schmerzen aufgeben müssen, sie war ganz geknickt. Jetzt musste ich erstmal was trinken. Hier habe ich auch mein erstes Bier in diesem Jahr getrunken. Wir holten unsere Rucksäcke und gingen zu unseren Familien, die uns mit Stolz begrüßten. Von der Tribüne aus sahen wir noch weitere Läufer vom PV Triathlon, die das Ziel erreicht hatten. Günter kam nach 4:30 ins Ziel, so ganz frisch sah er nicht mehr aus aber wer ist das schon nach so einem Stadtrundlauf.

 

Langsam zog die Kälte, die wir beim Laufen vergessen hatten, zurück in unsere Körper. Es wurde Zeit, dass wir zum Auto gehen. Vor dem Stadion blieben wir noch einen Moment an der Laufstrecke stehen. Der Moderator begrüßte hier die Läufer, die knapp unter 5 Stunden geblieben sind, persönlich. Wir begrüßten Jelena mit lautem Rufen, aber sie war so konzentriert, sie hat uns nicht wahr genommen. Brigitte passiert uns, sie hat Zeit für ein Winken. Dann kommt  Doris, begleitet von ihrer Tochter, die stolz ihre Mama präsentiert. Doris hat auch soeben ihren ersten Marathon geschafft, nochmals herzlichen Glückwunsch von hier aus.

 

Der Rhein Ruhr Marathon war mein dritter Marathon. Körperlich war er für mich sehr anstrengend. Mich hat nur der letzte Km so aufrecht gehalten, die 1000m, die ich in Begleitung meiner Liebsten laufen konnte. Eigentlich wollten wir die gesamte Strecke gemeinsam zurücklegen, nun warten wir beide auf den September, da steht Berlin an.

 

Jetzt,  während ich den Bericht schreibe, schmerzt mein Zeh immer noch, er ist total blau, keine Ahnung, was da passiert ist. Meine Oberschenkel protestieren, wenn ich mich bewegen soll, ich gehe etwas hölzern, ungelenk, aber das ist es Wert, diese Schmerzen trage ich mit Stolz. Am Gang sollt ihr sie erkennen, so sagt unser Cheftrainer Matthias immer.

 

Jetzt habe ich den 3. Marathonstern auf meiner Brust.  Falls es jemand interessiert, meine Endzeit war 3 Std, 50 Min und 6 Sek. Aber was bedeutet diese Zeit? Ich war 3 Stunden, 44 Min alleine auf der Strecke, dann erst konnte ich mit Kerstin zusammen laufen. Diese 6 Minuten waren die schönsten des gesamten Laufes.

 

Informationen: Rhein-Ruhr-Marathon
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