Im vergangenen Jahr waren Judith und ich schon mal in Duisburg. Dabei hat uns der 40. Rhein-Ruhr-Marathon so viel Spaß gemacht, dass wir 2024 wieder dabei sein wollen. Wegen Umbaumaßnahmen in der Arena findet der Lauf Anfang Mai statt, also einen Monat früher als üblich. So können vielleicht hohe Temperaturen vermieden werden.
Die 500.000-Einwohner-Stadt in der Metropolregion Rhein-Ruhr, die im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie aufstieg und wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage heute ein bedeutender Knotenpunkt der „neuen chinesischen Seidenstraße“ ist, hat auch landschaftlich und kulturell einiges zu bieten. Duisburg ist sehr gut mit dem Zug zu erreichen und dieses Mal beziehen wir ein Hotelzimmer mit Blick auf den alten Innenhafen.
Die Marathonmesse ist im Tribünenbereich der Schauinsland-Reisen-Arena aufgebaut. Hier befinden sich einige Stände mit Laufutensilien. Die Startnummernabholung geht schnell vonstatten. Der Starterbeutel ist bestückt mit einigen Gutscheinen, Werbung und Pröbchen. Im Preis enthalten ist auch ein hochwertiges Veranstaltungshemd von Adidas. Das gibt es aber erst im Ziel, zumal es den/die Träger/in als „Finisher“ ausweist.
Der Marathonstart ist für 8:30 Uhr geplant und ermöglicht so das Aufstehen zu einer „normalen“ Zeit. Eine Stunde vorher sind wir am Stadion. Im Startbereich auf der benachbarten Klönnewiese können an Containern die Kleidersäcke abgegeben werden. Viele Stände von Laufvereinen werden schon aufgebaut.
Um 8:15 Uhr sollen nach Plan die Inliner starten. Aber es dauert, da die Strecke noch nicht freigegeben ist. Den genauen Grund dafür erfahren wir nicht. Ich hoffe, dass nichts Schlimmes passiert ist. Später lesen wir, dass einige Straßenabsperrungen noch nicht fertig aufgestellt waren.
Dann der Start der Inliner, gefolgt von den Handbikern.10 Minuten danach soll es für die Marathonis losgehen. Die Staffeln starten unmittelbar vor uns, die Halbmarathon-Staffeln und die Halbmarathonis eine Stunde nach uns.
Noch ein Foto der 4:30-Pacer, die wir vom letzten Jahr kennen und anscheinend zum Stammpersonal gehören. Und schon geht es los. Auf der Kruppstraße ist genug Platz. Fast 800 Marathonis sind heute unterwegs. Rechts sehe ich die Ruderregattastrecke. Dann sind wir bereits in der Stadt in Neudorf auf der breiten Koloniestraße.
Viele Bewohner stehen am Straßenrand und feuern uns an. Weiter Richtung Innenstadt. Am Ostausgang des Hauptbahnhofs vorbei und dann durch eine breite Bahnhofsunterführung. Links gibt es ein Casino, aber auch zahlreiche Spielhallen werden heute unsere Laufstrecke säumen. Das Duisburger Theater mit seinem klassizistischen Eingangsbereich wird auch „Bayreuth des Niederrheins“ genannt, da hier öfter Wagner-Opern zur Aufführung kommen.
Kurz darauf queren wir das Hafenbecken des alten Innenhafens. Rechts alte Speicherbauten und gegenüber moderne Verwaltungsgebäude. Auch eine Trommelgruppe steht hier. Der Innenhafen galt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seinen Mühlen und Speichergebäuden als „Brotkorb des Ruhrgebiets“. Links der Holzhafen. Unter unserer Brücke sind die Gewässer geteilt, sodass das Wasserniveau sehr unterschiedlich ist. Dann weiter hinter den neuen Gebäuden, die auf eine Planung des Star-Architekten Sir Norman Foster zurückgehen. Vor uns ein imposanter hoher Speicher, der das Landesarchiv von Nordrhein-Westfalen enthält. Der hohe Turm ist neu und beherbergt auf 22 fensterlosen Stockwerken Bücher, Filme und Videos. Links dahinter die Hebebrücke am Schwanentor.
Vor uns die Bögen der neuen Oberbürgermeister-Karl-Lehr-Brücke. Normalerweise geht es über den ersten Brückenteil und dann rechts in den größten Binnenhafen der Welt. Wie man sehen kann, fehlt da aber zur Zeit der Anschluss zum Damm. Daher laufen wir jetzt vor der Brücke rechts auf den Ruhrdeich. Belohnt werden wir mit einem schönen Blick auf die Skyline der Duisburger Innenstadt: Salvatorkirche, Rathausturm, Landesarchiv.
Links die breite Ruhr. Der Verein „Eintracht“ betreut den nächsten Verpflegungspunkt, der. strategisch günstig unter einer Brücke liegt. Es ist wolkenverhangen und richtig warm ist es auch noch nicht. Perfektes Laufwetter also. In der nächsten Kleingartenanlage entdecke ich neben deutschen und türkischen Fahnen eine Fahne der Republik Venedig.
Links über die Aakerfährbrücke. Ich bin beeindruckt, wie schön grün hier alles ist. Die Farbe des Stahlbogens der Brücke harmoniert perfekt mit dem Trikot einer Läuferin vor mir. Wir kommen nach Ratingsee auf eine wunderschöne Pappelallee. Ich freue mich darüber, weil ich sie mit Italien-Urlauben verbinde.
Am Sportzentrum des MSV Duisburg vorbei. Wir kommen nach Meiderich. Ich möchte ein Bild der Kirche machen und laufe wenige Meter geradeaus. Eine Läuferin ruft mir nach, ich müsse nach rechts abbiegen. Sie wird aber gleich von einem Mitstreiter darüber informiert, dass ich ein „rasender Reporter“ auf Motivsuche sei.
Unter den Ulmen scheint die Hauptstraße von Meiderich zu sein. Wie so oft sind diese größeren Straßen anscheinend nicht die bevorzugten Wohnlagen. Hier gibt es wieder einiges an Zuspruch. Eine ältere Dame, die ich letztes Jahr auch sah, feuert uns vom Fenster aus an, samt blauweiß gestreifter MSV-Duisburg-Zebra-Power-Fahne. Die Profi-Herrenmannschaft des „Meidericher Spielverein 02 e.V. Duisburg“, wie er mit vollem Namen heißt, spielt leider derzeit nur in der 3. Fußball-Liga, während die Damen-Elf „erstklassig“ ist.
Dann sehen wir die erste große Industrieanlage. Es ist das Arcelor Mittal Hochfeld Stahldrahtwerk mit viel Dampf aus allen Schloten. So stellt man sich gemeinhin das Ruhrgebiet vor, wenn man hier noch nie war. Wer mal einen Hochofen besteigen will, sollte den Landschaftspark Nord besuchen. Dort ist eine stillgelegte Anlage in einen schönen Park eingegliedert.
Links der Freihafen mit der Skulptur eines nackten Mannes davor. Dazu passt ja gut das Schild „Lächle, wenn du kein Höschen trägst“, das eine Familie in die Höhe hält. Richtig nett wird es dann im Zentrum von Ruhrort. Schöne Stadtvillen und wieder ein großer VP.
Für mich als Straßenbahnfreund sind hier die getrennt in den schmalen Straßen geführten Trambahngleise interessant. Dann kommt der erste spürbare Anstieg zur Friedrich-Ebert-Brücke über den Rhein. In einem der zwei Brückentürme wohnte einst der „Tatort“-Kommissar Thanner, der in den 1980er Jahren als Assistent des legendären Horst Schimanski in Duisburg Verbrechen aufklärte und Ruhrpott-Kolorit in die beliebte Fernsehserie brachte. Aber daran erinnern sich wohl nur die Älteren unter uns...
Links von der Brücke sieht man eine orangefarbene Stele, Rheinorange genannt. Sie kennzeichnet die Mündung der Ruhr in den Rhein und ist 25 m hoch, 7 m breit und 83 Tonnen schwer. Geschaffen wurde sie vom Kölner Bildhauer Lutz Fritsch im Jahr 1992. Hier enden übrigens der 230 km lange Ruhrtalradweg und die „Tortour de Ruhr“, der längste Ultramarathon Deutschlands.
Auf der anderen Seite lese ich „Homberg, die Stadt im Grünen“. Dort sind wir gleich und in Alt-Homberg ist wieder sehr viel geboten. Ich verziehe mich in eines der Dixis, die es bei diesem Lauf an jedem VP gibt. Und VPs gibt es unzählige. So alle 2,5 km gibt es Wasser, Iso, Bananen und später auch Cola. Das erscheint heute fast etwas viel, aber an einem heißen Tag, wie man ihn auch um diese Jahreszeit erleben kann, wäre man sehr froh darüber. Bei 12 Grad und kaltem Wind gibt es diesmal keine Duschen. Dafür die Hoffnung, dass es nicht regnet.
Der Moerser TV versorgt uns bei den Venator-Industrieanlagen. Mir werden Bananen empfohlen. Ich frage nach Ananas und höre als Antwort, ich müsse mir nur vorstellen, dass die Bananen Ananas wären. Also genieße ich die ersten „Ananasstücke“ bei einem Marathon, während mir ein leichter Chemiegeruch in die Nase dringt.
Wir laufen auf den Rhein zu. Dann rechts rheinaufwärts zur Halbmarathon-Marke. Judith und ich sind mit 2:15 für unsere Verhältnisse flott unterwegs, das macht Spaß. Die Häuser hier haben einen perfekten Rheinblick. Echt schön, da kommt Urlaubsfeeling auf. Dann sehen wir die Brückenbaustelle der A40. Häufig Teilnehmende konnten den Baufortschritt in den letzten Jahren gut beobachten. Seit November läuft der motorisierte Verkehr schon über die neue Brücke. Mit einem Abstand von 380 Metern zwischen den Pylonen auf beiden Rheinseiten ist die neue Brücke Deutschlands am weitesten gespannte Schrägseilbrücke. Ein Rad-Fußweg ist neben der Automagistrale angehängt und merklich schmaler. Die alte Brücke ist in der Flussmitte schon geteilt. Spannend. Auch die unbewohnten Häuser unter der neuen Brücke sehen interessant aus. Ob da noch mal jemand wohnen mag?
Stimmungswechsel: Über einen Damm laufen wir am Rhein entlang. Schön grün, dann kommen schon die nächsten Einfamilienhäuser. Gefühlt vor jedem dritten Haus gibt es eine Party. Die nächste Zentrumsdurchquerung steht uns in Hochemmerich bevor. Noch einmal Party, dann wird es sehr viel ruhiger. Ein langer Anstieg zur „Brücke der Solidarität“. Hier wird wieder einmal der Kontrast zwischen wunderbarer Fluss- und Industrielandschaft sichtbar.
Spannender wird es im Stadtteil Hochfeld. Wir überqueren die Wanheimer Straße. Wer aus dem Zentrum mit der Tram 903 zu „Tiger & Turtle“ im Angerpark fährt, kann unterwegs deutsch-türkisches Leben in Reinkultur erleben. Bei „Tiger & Turtle – Magic Mountain“ handelt es sich um eine teilweise begehbare, einer Achterbahn nachempfundene 20 m hohe Skulptur, die im Rahmen des Projekts „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ vom Hamburger Künstlerduo Heike Mutter und Ulrich Genth entwickelt wurde und auf jeden Fall einen Besuch wert ist.
Ich verabschiede mich von Judith, da ich mich sehr gut fühle und ein bisschen Gas geben will. Die breite und schnurgerade Düsseldorfer Straße ist schon etwas anstrengend, zumal es etwas wärmer wird. Bei der Hausnummer 600 am VP herrscht wieder sehr viel mehr Stimmung und dann geht es nach links, wieder in Einfamilienhaus-Gegenden und viel Jubel und Aufmunterung von beiden Seiten. Schön, dass die DuisburgerInnen so lange durchhalten und auch das letzte Viertel der Marathonteilnehmenden noch anfeuern. Die Halbmarathonis sind hier längst vorbeigezogen. Kreuz und quer durch das Viertel. In der Münchener Straße ist wieder eine lokale Feiermeile aufgebaut. Wo sonst sollten Oktoberfest-Hits gespielt werden, wenn nicht hier?
Eine weitere Herausforderung ist die A59-Überführung. Oben treffe ich auf Michael im Hemd des Chennai-Marathons, an dem Judith und ich 2019 auch schon teilgenommen haben. Michael schwärmt vom Mumbai Marathon. Vielleicht wäre das für uns auch noch ein Ziel? Dann stürze ich mich die Brückenrampe hinab, hinter der Überführung noch durch eine Bahnunterführung und danach wieder ein kurzes Stück nach oben. Nun bleibt es flach.
Lokales Liedgut tönt aus Lautsprechern: „Dat is Duisburg, hier will einfach keiner hin...“ Habe ich mich etwa verhört? Nein, alles korrekt, so beginnt der Refrain eines Songs von „Die Bandbreite“. Weiter heißt es darin: „Du musst schon hier geboren sein, um dat zu ertragen, allen Zugezogenen schlägt Duisburg auf´n Magen“. Nicht unbedingt eine Lobeshymne, eher ein Fall von Selbstironie, die auch das sportliche Geschehen nicht verschont: „Wenn ich in die Arena geh, dann weiß ich ganz genau: Wer gegen Herne West verliert, dat is unser MSV.“
Die Kilometer ziehen sich nun etwas. Aber immer, wenn man langsamer wird, kommt wieder ein Stimmungsnest. Beispielsweise in Wedau. Wer will so kurz vor dem Ziel schon schlecht aussehen? Ich ziehe mein Tempo durch und überhole viele Mitstreiter. Der Läuferinnenanteil beim Marathon ist eher mau und liegt so um die 20 Prozent, von denen die meisten wohl schon im Ziel sind. Rechts von uns liegt das Sechs-Seen-Gebiet, welches mir von Duisburgern mehrmals für einen Besuch empfohlen wird. Speziell der Wolfssee mit seinem Strandbad könnte mich bei heißeren Temperaturen reizen. Eine Zeitlang gibt es nun motorisierten Gegenverkehr. Eher spärlich, aber manchmal kann man die Abgase spüren, die hier noch verströmt werden.
Die Kilometerschilder sind auf der langen Geraden schon früh zu erkennen. Noch 2,2 km. Bei km 41,2 ein Bogen und danach noch mal eine coole Band. An der Schauinsland-Arena vorbei und durch ein Tor in den Innenraum. Auf einem Teerweg noch dreihundert Meter zum Ziel, welches sich sehr glücklich durchlaufe. Judith kommt kurz danach an und ist auch sehr zufrieden. Abends geht es zum Innenhafen, den Erfolg feiern.
Fazit:
Wieder einmal bin ich vom Duisburg Marathon begeistert. Die Kombination aus Natur und Industrie ist beeindruckend. Für jemanden, der aus dem tiefen Süden Deutschlands kommt, ist das besonders interessant. Die Strecke ist abwechslungsreich und eher flach, die Musik an der Strecke super und die vielen offiziellen und privaten Feste und Anfeuerungen sorgen für tolle Stimmung.
Siegerinnen Marathon
1 Wehr, Katharina (GER) 02:56:49
2 Schmey, Sabine (GER) 02:57:37
3 Ax, Angelika (GER) 03:11:49
Sieger Marathon
1 Hildebrand, Benno (GER) 02:35:42
2 Giesen, Jakob (GER) 02:42:01
3 Heesen, Christoph (GER) 02:44:30
Finisher
Marathon 758
Halbmarathon 2.178