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Laufberichte

Offene Geheimnisse

14.10.12

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man es jetzt geschafft habe und es grundsätzlich nur noch abwärts gehe. Das Profil auf der Website verleitet zur Unterschätzung dessen, was noch kommt. Für zwei Einheiten Gefälle gibt es mindestens eine Einheit Anstieg. Von hinten höre ich Wolfram rufen: „Schon wieder geht es hoch, ich wusste, dass der Lauf einen Haken hat!“ Mehrere von diesen Haken, würde ich meinen, und Ösen gleich dazu.  Und das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Wegbeschaffenheit ist der andere. Wer bisher den Ausführungen der Biologen gefolgt ist und geglaubt hat, Wurzel sein dafür da, den Bäumen Halt zu geben und sie mit Nährstoffen zu versorgen, dem erschließt sich spätestens hier ein weiteres Geheimnis.  Wurzeln sind dafür da, dem Trailläufer den Halt zu nehmen und ihm die Nährstoffe zu entziehen.

Wolfram würde sich gerne diese Nährstoffe mit einem Hopfentee zuführen und stirbt bei jedem der dicht aufeinander folgenden Verpflegungsposten einen weiteren Tod, weil er abschlägigen Bescheid erhält. So ein Pech für ihn; ich habe schon beim fünften Posten eine solche Kaltschale angeboten bekommen…
Trotzdem reicht seine Energie für eine kleine Tanzeinlage zwischen dem Spalier der Treichler. Der Lärm ist Ohren betäubend und weit über irgendwelchen Grenzwerten der Arbeitssicherheit – aber es weckt Energien in müden Läufern. Ist das nicht besser, als einen weiteren Tod zu sterben?

Beim zwölften Posten komme ich früher an als Wolfram, da er unterwegs noch einen Stein aus dem Schuh klauben muss. Ihr traditionelles Fondue haben die Helfer schon gegessen. Pech für mich, dass ich so spät dran bin. Bisher hätte ich mich immer dazusetzen können und wollte nicht. Jetzt würde ich gerne und kann nicht mehr. Aber die Gastfreundschaft ist die gleiche. Als Sohn einer Emmentalerin kann ich gewissermaßen von Halbblut zu Vollblut schon einfädeln, dass mein Mitstreiter zu einem Bier kommt, mir wird Torte angeboten.

Auch beim nächsten Posten bei Kilometer 30 machen wir einen langen Halt. Die freundliche Helferschar hat noch jedes Jahr einen weiteren Tod abgewendet und mich mit Süßem versorgt. Heute komme ich in den Genuss von Sachertorte. Es ist gemütlich und gäbe es nicht ein Zeitlimit, würde ich noch länger in dieser Freiluft-Gaststube verweilen. Doch mittlerweile sind wir die beiden Letzten im Marathonfeld und hinter uns folgt nur noch eine Staffelläuferin. Oben beim Wald tritt bereits der Sensenmann in Erscheinung und räumt die Streckenmarkierung ab. Wir geben Fersengeld und schließen zu den anderen beiden auf, die sich keine ausgedehnte kulinarische Pause gegönnt haben.

Es gibt noch einen längeren moderaten Gegenanstieg und im Gegenzug ein paar abschüssige Stellen, welche mit voller Gewalt auf meine müden Knochen wirken. Die Muskeln brennen, die Bänder stöhnen, die Sehnen dehnen sich bis kurz vor dem Knall und aus dem Hüftgelenk meine ich ein Knirschen zu vernehmen.  Doch viele Tode kann ich nicht mehr sterben, denn nach dem sechzehnten(!) und letzten Verpflegungsposten geht es nur noch einen guten Kilometer bis zum Ziel. Zudem schwingen die Kinder voller Inbrunst ihre Glocken und Treicheln als wären wir die Führenden des Feldes. Nein, so tönen keine Totenglocken!

Wolfram hat sich schon früher aus dem Staub gemacht, so biege ich mit Marianna über die Holzbrücke auf die Bahnhofstraße ein und dem Ziel entgegen. Eine Viertelstunde bleibt noch bis zum Zielschluss und damit genug Zeit, nach der heißen Dusche zum Festzelt zurückzukehren, bevor der Fritteuse der Stecker gezogen wird.

Bei knusprigen Pommes mit viel Salz überlege ich mir, ob es rund um den Napf-Marathon noch ein Geheimnis gibt, welches bisher nicht gelüftet wurde? Das Geheimnis um die wirkliche Distanz wurde nämlich im Vorfeld offengelegt. Die Messungen auf der Karte und mit GPS haben zwar immer die offizielle Marathondistanz ergeben, mittlerweile hat man sich aber die Mühe gemacht, diese technische Strecke mit dem Messrad genaustens zu erfassen und siehe da, es fehlen tatsächlich rund fünfhundert Meter. Vielleicht sollten die Veranstalter noch eine Schlaufe einbauen, damit auch die diesbezüglichen Fetischisten mitlaufen und danach ruhig und beruhigt schlafen können. Ein weiteres Geheimnis dieses Laufs müsste zudem nicht nur beiläufig im Beipackzettel erwähnt werden, sondern auch auf der Packung. Denn da ist mehr drin als draufsteht, besonders von der Zutat „Traillaufen“.

Ein einziges Geheimnis bleibt:  Würde dem ortsansässigen Hersteller  feiner Keksspezialitäten tatsächlich ein Zacken aus der Krone fallen, wenn er sich dazu durchringen könnte, allen Finishern ein Packung seiner Spezialitäten abzugeben? Wenn dieses Geheimnis einmal keines mehr ist, dann werde auch ich im Anschluss an den Lauf dem nur wenige Meter entfernten Fabrikladen einen Besuch abstatten. Warum erst dann? Das bleibt mein Geheimnis.

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Informationen: Napf-Marathon
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