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Laufberichte

Auch Blinde können sehen

03.07.10

Am Wochenende war ein „Doppeldecker“, also zwei Marathons an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, vorgesehen. Angelika und ich waren dazu in Österreich, genauer im Montafon und in Tirol beim Montafon- und beim Gletscher-Marathon angemeldet. Ganz unerwartet gesellte sich dann noch Didi dazu.

Didi, genauer Dietmar Beiderbeck, lernte ich dieses Jahr beim Marathon im Bergwerk Merkers kennen. Er ist blind, läuft leidenschaftlich gerne Marathon und braucht dazu jeweils einen Begleiter, der ihn führt. Damals, im Februar, fragte er mich, ob er bei Gelegenheit auf mich zukommen dürfe und ich war einverstanden.

Am Freitag nun kam überraschend ein Anruf von Didi. Drei Begleiter seien „abgesprungen“ und jetzt wäre ich seine letzte Hoffnung, beim Montafon-Marathon von Silbertal nach Sankt Anton am Arlberg teilnehmen zu können. Kenntnisse meinerseits seien nicht notwendig, das würde ich schon hinbekommen.

Klar, ich war dabei und Didi machte sich auf den Weg von Würzburg per Eisenbahn nach Sankt Anton. Nachts um 1 Uhr kam er dann an, nach einer Odyssee mit fünf Mal umsteigen. Nach einer kurzen Nacht gab es um 5.30 Uhr Frühstück und um 6.30 Uhr saßen wir schon im Shuttlebus des Veranstalters, der uns nach Silbertal brachte.

Bei diesem Marathon ist alles kompakt beieinander: Startnummernausgabe im Feuerwehrhaus und Startbogen direkt daneben. Das Fernsehen war da und interviewte uns Läufer, der Bürgermeister, Freeclimber mit entsprechendem Outfit, sprach auch ein paar anerkennende Worte zu uns und der Sprecher ermahnte uns, genügend zu trinken und auf unseren Körper zu hören. Wäre nicht nötig gewesen, auch wenn es noch nicht sehr warm war, jeder wusste aber, dass es heiß werden würde.

Bis jetzt war Didi ziemlich autonom. Mit seinem Blindenstock konnte er sich sicher bewegen, aber jetzt wurde es ernst. Er gab mir das eine Ende eines Seiles, vielleicht einen Meter lang, in die Hand und behielt das andere Ende, unsere Verbindung während der nächsten sechs Stunden.

Zu Beginn liefen wir auf der Straße nach Schruns in die „falsche“ Richtung, denn es war eine Schleife von knapp fünf Kilometern zu absolvieren, bevor es dann erst Richtung St. Anton in das Silbertal hineinging. Wie ich es schon von meinen Teilnahmen 2005 und 2007 wusste, ging es abwärts und nicht eben, wie es das Höhenprofil anzeigt. Überhaupt das Höhenprofil! Ziemlich irreführend war und ist das nur eine sehr grobe Annäherung an die Wirklichkeit. In Zeiten, wo bereits viele Läufer mit GPS-Uhr laufen, wäre ein Höhendiagramm mit Echtdaten problemlos machbar und sehr hilfreich bei der Vorbereitung.

Didi ging den Lauf einen Tick schneller an, als ich es gemacht hätte, wurde bald aber vom ersten kurzen Anstieg gebremst, als es nach einer 180 Grad Wende auf einer schmalen Straße auf der anderen Seite des Flusses zurück nach Silbertal ging. Wie ich es gewohnt bin, marschierten wir die steilen Abschnitte, liefen dann wieder am Startbereich vorbei und hinein in’s Tal.

Wie ging es denn mit dem Strick und Didi am anderen Ende? Bislang kein Problem. Didi ist nicht vollständig blind, er kann zumindest noch hell-dunkel in einem eng begrenzten Gesichtsfeld unterscheiden. Ihm genügt sein Restaugenlicht und die minimale Spannung des durchhängenden Seils um eigentlich autonom laufen zu können. Lediglich bei Hindernissen sollte ich ihm Bescheid geben. Auch größeren Löchern im Weg konnte er ausweichen. Die einzige Einschränkung für mich war, dass ich nicht fotografieren konnte, ohne dass wir beide stehen blieben. Nun ja, das erledigte ja Klaus Sobirey, der hier ebenfalls für marathon4you unterwegs war.

Wir liefen also entspannt nebeneinander her und unterhielten uns. Didi machte seinen 95. reinen Marathon, seine 84 Ultras zählt er extra.  Sein Ziel ist der Marathon in Athen am 31. Oktober diesen Jahres. Athen feiert an diesem Tag sein großes Jubiläum, genau 2.500 Jahre nach dem „ersten“ Marathon. Die Legende erzählt ja von dem Soldaten Pheidippides, der am 12. September 490 v.Chr von Marathon nach Athen lief, um die Botschaft des Sieges über die Perser zu überbringen. Mein Begleiter will bei diesem Jubiläum in Athen also seinen 100. reinen Marathon laufen, die fehlenden vier bis dahin absolviert er u.a. in Zermatt und beim Jungfrau Marathon.

Die super ausgestatteten Verpflegungsstationen liefen wir ganz konsequent an und tranken und aßen. Didi nahm jeweils noch zwei Becher auf den Weg mit, die er dann auf den nächsten hundert Metern austrank. Ich selbst habe das manchmal vergessen, was eigentlich vollkommen falsch war, denn inzwischen wurde es warm, sehr warm und entgegen meiner Erinnerung verlief der Weg großenteils in der prallen Sonne, Schatten war nur wenig anzutreffen.

Der Untergrund hatte schon längst von Asphalt zu einem Wirtschafts-Waldweg gewechselt, mit Schottersteinen, Bodenwellen und Vertiefungen von ausgetrockneten Pfützen. Für mich ein absolut leicht zu laufender Untergrund und für Didi ganz offensichtlich auch! Kein Zögern, oder gar eine Unsicherheit. Wenn das Seil zwischen uns nicht gewesen wäre, kein Mensch hätte ihn als blinden Läufer erkannt. Auch an den Verpflegungsstellen kam er bestens zurecht, erkannte die Becher, fragte nach dem Inhalt, sah die Bananen oder Kekse und probierte.

Zum Glück sind wir etwa gleich schnelle Läufer, so dass es auch für mich keine Mühe machte, bzw. genauso viel Mühe machte wie ihm. Wenn es steiler wurde, kam uns meist gleichzeitig der Gedanke vom Joggen ins Marschieren zu wechseln. Wenn der steile Abschnitt nur kurz war, sagte ich ihm das und wir joggten durch. Genauso sagte ich kurze Flachpassagen an, um nicht wegen ein paar Metern in’s Joggen zu wechseln.

Wir kamen also prima voran, Angelika hatte sich uns längst angeschlossen, ein paar Läufer konnten wir überholen, ansonsten waren wir alleine auf dem Weg. So etwa bei Kilometer 20 kamen wir dann oben an, dort, wo das Höhendiagramm vollkommen falsch, irreführend und unnötigerweise einen sofortigen Abstieg anzeigte. Liebe Leute vom Orga-Team, da solltet ihr wirklich etwas ändern!

Also, es ging nicht abwärts, sondern etwa vier Kilometer nahezu eben auf einer Wiese weiter. Leider nur hatte vor langer, langer Zeit ein Riese hier hunderttausende von Steinen auf die Wiese geschüttet, Rinnsale und Bächlein plätscherten und manch matschige Stelle war anzutreffen. Der Weg war schlecht, manchmal überhaupt nicht zu erkennen und ab und an musste man auch im Rinnsal laufen, oder eines überqueren.

Hier würde Didi aber Probleme bekommen, diese vier Kilometer waren sehr schwer zu laufen, wie ich von meinen früheren Teilnahmen her wusste. Glücklicherweise hatte es die vergangenen Tage nicht geregnet und die Hitze hatte manche sumpfige Stelle beinahe ausgetrocknet. Auf jeden Fall aber war ich gespannt, wie ich Didi hier durch lotsen würde. Bedenken aber hatte ich keine, wusste ich doch, dass er den K78 bereits 15Mal gelaufen war und dieser Teil ähnelte dem Untergrund auf dem Panoramatrail, war nur wenig schwerer zu laufen.

In der Tat, er schickte mich vor und erkannte dann offensichtlich, wo ich auftrat und versuchte ebenfalls dort zu „landen“. War es gar zu unübersichtlich, hielt er sich an meiner Schulter fest und so kamen wir auch über die Bächlein und noch schwierigere Hindernisse hinweg.

Insgesamt aber dauerte es etwas mehr als eine Stunde, bis wir diese „Wiese“ durchquert hatten. Vielleicht hätte ich es 10 Minuten schneller geschafft, aber mehr sicher nicht.

Nun, der Rest ist schnell erzählt, denn ab jetzt ging es wieder auf einem schotterigen Wirtschaftsweg abwärts. Diese Richtung gefiel Didi nicht. Vielleicht wird er unsicherer, denn naturgemäß ist die Geschwindigkeit abwärts schneller und er konnte Problemstellen nicht so schnell erfassen und reagieren. Wenn es allzu steil wurde, hielt er sich daher jeweils an meiner Schulter fest und gewann damit offensichtlich mehr Sicherheit. Angelika war hier naturgemäß schneller und ward bald nicht mehr gesehen.

Die Gegenanstiege absolvierten wir im Schritttempo, nahmen mit mürrischer Eselsgeduld auch den gemeinen, niederträchtigen Anstieg auf der Höhe über St. Anton in Kauf und konnten sogar Angelika einigermaßen beruhigen, denn sie hatte sich verlaufen und ihren Vorsprung eingebüßt, so dass wir sie sechs Kilometer vor dem Ziel wieder eingeholt hatten. In der Tat, in diesem Bereich wäre der eine oder andere Pfeil mehr auf dem Boden hilfreich gewesen.

Die vertauschten Kilometerschilder (39 vor 38) irritierten uns nur kurz und gemeinsam liefen wir dann zu Dritt im Ziel ein.

Nach dem Duschen brachten wir Didi zum Bahnhof, von wo aus er nach Oberstorf fuhr. Dort wollte er am nächsten Tag am Nebelhornlauf teilnehmen. Er brauchte noch Training für den K78 Ende Juli, damit er auch problemlos zur Keschhütte hoch kommt und ein so schwerer Bergauflauf wäre da gerade richtig. Angelika und ich fuhren weiter nach Imst, wo wir am nächsten Tag den „leichten“ Bergabmarathon (-800 Höhenmeter) das Pitztal hinunter laufen wollten.

Wie ist das nun mit dem Begleiten eines blinden Läufers? Man kann nicht frei nach seinem eigenen Kopf laufen, man muss seinen Rhythmus anpassen, man muss sich mehr konzentrieren und ist daher auch ein wenig eingeschränkt. Wenn man etwa gleich schnell ist, wie wir zwei, oder gar schneller laufen könnte, dann sehe ich überhaupt kein Problem. Es ist eine neue Erfahrung, Didi ist ein angenehmer Erzähler und obendrein erfährt man mehr Aufmerksamkeit.

Wer also bereit ist, Didi auch einmal zu begleiten, möge sich bei mir melden. Didi würde sich auf jeden Fall freuen, denn er musste schon manchen Lauf sausen lassen, weil er niemanden zur Begleitung hatte.

 

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