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Laufberichte

Regenwochenende im Tessin

11.11.12
Autor: Axel Rolle

Eigentlich hatte ich mich für den Maratona Ticino in Locarno am Lago Maggiore nur wegen des voraussichtlich netten Herbstwetters und der flachen schnellen Strecke angemeldet.

Da dort die volle Distanz über zwei Runden geht und bereits das Saisonende nahte, beschloss ich, nur die Hälfte zu absolvieren und eine von mir bisher unerreichte Zeit unter  1h 40min anzustreben. Da der Start morgens kurz nach neun war, plante ich eine Übernachtung in einem preiswerten Hotel, das auf halber Strecke zwischen Locarno und dem ca. zehn Kilometer entfernt liegenden Startort Tenero lag. Um nach der späten Ankunft mit dem Zug flexibel zu sein, entschloss ich mich, mein Fahrrad mitzunehmen und die kurzen Strecken zum Hotel und morgens zum Start zu radeln.

Bei der Anreise durch die wolkenverhangenen und leicht verschneiten Alpen bekam ich bereits einen Vorgeschmack auf das prognostizierte verregnete Wochenende. Als ich kurz nach zwanzig Uhr in Locarno ankam, goss es bereits in Strömen. Die Anfahrt zum Hotel erwies sich als etwas mühsam, da ich mich bisher nicht so recht mit den geographischen Gegebenheiten der Gegend auseinandergesetzt hatte und es sich herausstellte, dass das Hotel ziemlich weit oben am Hang lag.

Unter Verwendung der Navigationsfunktion des Smartphones war das Finden des Weges zwar kein Problem, aber das im Fahrrad-Modus laufende Programm jagte mich unter anderem über eine steile Treppe  so an die gefühlten eintausend Höhenmeter nach oben  ...  Zumindest sparte ich mir dadurch eine langgezogene Serpentine und somit ungefähr einen Kilometer. Ich war froh, bei dem Regen und im Dunkeln den Weg überhaupt zu finden.

Um diese Jahreszeit und bei solch nassem Wetter lag das dicht mit Ferienhäusern bebaute Gelände wie ausgestorben da.  Es war niemand zu sehen, den ich hätte fragen können, ob ich überhaupt noch richtig war, denn ich begann dem Navi zu misstrauen. Viel später als angekündigt und leicht genervt erreichte ich das inzwischen verschlossene Hotel in Brione, einem Ort, der ca. 250 Meter höher liegt als der See. Zum Glück lag der Schlüssel in einem an mich adressierten Umschlag unter der Eingangstür. Ich glaube, das Tapering hätte ich mir sparen können, aber ich weiss jetzt wenigstens, dass meine Regenjacke wirklich wasserdicht ist.

Gegen sechs Uhr morgens weckte mich durch das gekippte Fenster der immer noch prasselnde Regen. Im Frühstücksraum hockten ähnlich magere Gestalten wie ich und knabberten an ihrem aus Konfitürebrötchen bestehenden Läuferfrühstück.  Dass sie später bereits in kurzen Laufhosen und leichter Regenbekleidung beim Checkout aufliefen, legte die Vermutung nahe, dass sie auf trockenere Zubringerdienste zurückgreifen konnten als ich.

Meine Abfahrt war ganz angenehm, abgesehen von dem kalten Wasser im Gesicht und den engen überfluteten Haarnadelkurven. Durch die tiefhängenden Wolken hatte ich trotz des Regens für kurze Augenblicke eine wunderbare Sicht über den Lago Maggiore und das Ufer gegenüber. Unten am See war die Laufstrecke bereits abgesperrt und ich musste nur den Markierungen folgen, um den Start/Ziel-Bereich zu finden.

Die relativ geringe Teilnehmerzahl von ca. 1500 Läufern gestaltete diesen Event recht übersichtlich. Gestartet wurde in diesem Jahr in vier Gruppen. Die ca. 250 Maratonisti liefen zuerst los. Danach folgten die Mezzo-Maratonisti in drei Gruppen mit jeweils zehn Minuten Abstand.

Der erste Teil der Strecke in Richtung Flughafen besteht aus schnurgeraden asphaltierten Wegen und ist für die Lage in den Alpen erstaunlich flach.  In dieser sogenannten Magadinoebene herrschte an diesem Tag neben dem immer noch andauernden Regen ein kalter Wind, der meine Unterarme innerhalb des ersten Streckendrittels gefrieren ließ. Bei Kilometer sieben schaffte ich es gerade noch, mit meinen klammen Händen eines der Gels aus der hinten liegenden kleinen Hosentasche zu fischen und mir mit der Tube die Finger etwas zu wärmen. 

Die Überquerung des wenig später in den Lago mündenden Gebirgsflusses Verzasca über eine architektonisch interessante Brücke begann etwas Abwechslung in die bis dahin recht industriell geprägte Bebauung zu bringen. Den Versorgungspunkt bei Kilometer zehn erreichte ich kurz darauf nach genau 47 Minuten, was mich noch auf eine Zeit unter 1:40 hoffen ließ.

Das war dann auch die letzte Information, die mir meine nostalgische Forerunner 205 gab, bevor sie still ihren Dienst einstellte. Sie war vermutlich nass geworden, was mir bereits vor dem Start von einem mit neuestem Equipment ausgerüsteten Mitläufer als mögliche Ausfallursache vorausgesagt worden war, nachdem er mich gefragt hatte, ob ich auch ausreichend Armkrafttraining gemacht hätte, um die Uhr überhaupt bis ins Ziel tragen zu können ...  Schlimm war dieser Ausfall nicht wirklich, denn ich lief bereits am Limit und eine Pulsfunktion hatte dieses Modell sowieso nicht.

Ich versuchte also immer an jemandem dranzubleiben, der einen Tick schneller lief als ich, und somit meine angestrebte Zeit im Blindflug zu erreichen. Vom Gefühl und der Atemfrequenz her hätte es hinkommen müssen und zum Glück gab es in diesem Streckenbereich genügend „Herausforderer“.

Wir liefen jetzt den einzigen leichten Anstieg hinauf durch den Ort Minusio in Richtung Locarno. Schätzungsweise dürfte die Runde insgesamt ca. 50 Höhenmeter beinhalten, die ich aber nur an dieser Stelle spürte. Durch die älteren Teile der Stadt nahe dem See ging es dann auf geraden Straßen, die ich bereits vom Vorabend kannte, in Richtung Bahnhof. Der Vorplatz hat ein angenehmes Gefälle in Richtung See,  von wo aus es vorbei an der Piazza Grande hin auf die Schlaufe um die Piazza Castello ging.

Seit Kilometer zehn waren keine Entfernungsschilder mehr zu sehen gewesen und so erzeugte die 15-km-Marke am Ausgang des Platzes ein gemischtes Gefühl von Hoffnung und Enttäuschung. Vom Ermüdungszustand her hätte ich schon viel weiter sein müssen.  Zum Glück führte der Weg nun leicht bergab zum See hin, den man trotz des trüben Wetters am Ende der Straße schimmern sah. Dort begann der eigentlich angenehme Teil der Strecke. Man konnte über das Wasser hinweg die Berge mit dem Zielort sehen und ich stellte mir kurz vor, wie schön es doch hier bei besserem Wetter sein würde.

Für die Reize des flachen Uferweges, der praktisch einen langgezogenen Park bildet, hatte ich aber nun keine Antenne mehr, zumal es wieder diesen kalten Gegenwind gab. Ich fror trotz des Tempos an den Armen und mochte einfach nicht mehr weiter. Ich gab alles, was ich konnte und lieferte mir später auf den letzten beiden Kilometern heftige Laufduelle.

Im Ziel freute ich mich über die groß eingeblendete Bruttozeit, mit der es nach Abzug der zwanzig Minuten, die ich später gestartet war, hätte reichen müssen. Mit einer heissen Zitrone konnte ich meine Hände wieder zum Leben erwecken, und ich fand auch das Regencape wieder, das ich beim Start zurückgelassen hatte.
Angenehm überrascht war ich über das Finisher-T-Shirt, das es bei Rückgabe des Timing-Chips gab. Ich hatte gar nicht mit so einem Souvenir gerechnet.

Eigentlich dürfte man sich ja damit nur schmücken, wenn man die gesamte Distanz zurückgelegt hat. Dieser Gedanke kam mir, als ich während der Rückfahrt über die immer noch abgesperrte Laufstrecke die Marathonläufer überholte, die inzwischen recht einsam unterwegs waren. Bei  diesem Wetter alleine eine zweite Runde zu drehen, erforderte wirklich Biss.

Ich tat mir zumindest mit dem Fahrrad nochmals die 250 Höhenmeter bis zum Hotel an, um dort die lang ersehnte individuelle heiße Dusche geniessen zu können. Die freundliche Dame an der Hotel-Rezeption hatte mir am Morgen erlaubt, entsprechend spät auszuchecken. Mitunter kann man sich mit so kleinen Dingen eine riesige Freude machen, wie auch mit dem Lesen der SMS von Datasport, die mir auf dem Heimweg meine Zeit von 01:39:43 mitteilte.

Im nächsten Jahr komme ich sicherlich zum Saisonabschluss wieder, hoffe auf angenehmere Wetterbedingungen und werde mir dann mehr Zeit für die Sehenswürdigkeiten nehmen.

 

Informationen: Maratona Ticino
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