Es ist höchste Zeit, wieder Leibzch zum Frühling zu besuchen. Nachdem meine Holde schon immer ein Faible zu Buchmessen hat, die ein paar Tage nach dem Marathon stattfinden wird, kommt sie auch mit und läuft den Halben.
Etwas hakelig geht die Anreise, denn am Freitag bestreikt die EVG den Bahnbetrieb bundesweit. Eigentlich hätten wir noch an diesem Tag sehr viel anschauen wollen, aber der Zugbetrieb wird erst Zug um Zug (lustiges Wortspiel) aufgenommen, so dass wir mit einer kleinen, nicht erwähnenswerten Verspätung von acht Stunden in der Mitte Deutschlands ankommen. Wir haben uns für das verlängerte Wochenende in der Jugendherberge einquartiert, die vom Hauptbahnhof lediglich ein paar Stationen mit der „Bimmel“ entfernt liegt.
Der Samstag beginnt bei uns mit ein paar Lockerungsübungen für die Füße. Wir statten den Küchenholz parkrun einen Besuch ab. Die fünf Kilometer dienen mir zur Überprüfung, denn am Tag zuvor habe ich mir irgendwo den Rücken verrissen. Aber dieser hält, so dass dem Marathon am Tag danach nichts mehr entgegensteht.
Am Nachmittag holen wir unsere Startunterlagen in der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig ab. Die liegt unweit des Sportforums und der Red Bull Arena und ist gleich mit mehreren Straßenbahnen erreichbar. Wer mit der Familie kommt, der hat allerhand auf dem Tableau. Marathon als einzelner oder im Vierer-Team und der Halbe für die Ausdauernden, zehn und vier Kilometer können gelaufen und gewalkt werden, sowie Bewerbe für Inliner und Rollstuhlfahrer sowie für den Nachwuchs. Im Gebäude kann man sich noch notwendiges Equipment für den Lauf kaufen und es werden sogar Elektrolyt und hopfenhaltige Getränke ausgegeben.
Wer sich ein Veranstaltershirt (20 Euro) anschaffen will, schaut zuerst in die Röhre, denn die gibt es nur auf Bestellung. „Komm morgen nach dem Lauf, da ist sicher noch etwas da“, meint der ältere Helfer augenzwinkernd. Daneben ist ein Stand der Deutschen Hirntumorhilfe, die am Tag danach mit gut 80 Athleten auf die Krankheit aufmerksam machen wollen.
Am späteren Nachmittag besuchen wir auf dem Markt noch den Leipziger Zukunftstag, der mit Vorführungen, Diskussionen, Workshops und Schaufensterwettbewerbe über Tausende Besucher anlockt. Das Festival der Zukunft steht unter dem Motto „Wie wollen wir in Leipzig im Jahr 2030 leben?“
Die Wärme und Sonne des Samstags hat sich am nächsten Tag davongeschlichen, es ist empfindlich kühl und es hat sogar ein wenig geregnet. Die Straßen sind nass, keine guten Bedingungen für die Inlinefreunde. Als ich aus der Tram aussteige, beginnt es sogar zu regnen, das passt mir gar nicht. Schnellen Schrittes gehe ich die Fakultät, ich habe noch eine gut halbe Stunde Zeit bis zu meinem Start um 10.00 Uhr. Ja, die Startzeiten sind klug gewählt. Die Inliner werden gerade auf die Reise geschickt, wir folgen danach und die Halbmarathonis gehen erst nach dem Mittagessen auf den Kurs, so gibt es immer etwas für die Zuschauer auf der Strecke und im Ziel zu sehen.
Nachdem ich meine Kleidung in der Fakultät abgegeben habe (dort kann man nach seinem Rennen auch duschen), gehe ich nach außen und suche das Startgelände am Sportforum unweit der Quarterback Immobilien Arena auf. Die breite Straße ist aufgeteilt für das Startprozedere, auf der anderen Seite sind die Zieleinläufe vorgesehen. Im Startgelände sehe ich wieder die üblichen Verdächtigen: Matthias und Bodo, der seine schlammverkrusteten Schuhe von Kyffhäuser Berglauf restauriert hat, und Susann, heute als Pacerin für die 4.15 Stunden. Ich werde mich ihr anschließen und kann so als laufender Reporter meine Arbeit gut erledigen.
Der Moderator gibt Vollgas, als die Uhr in Richtung 10.00 Uhr vorrückt. Unter Jubel und Klatschen erfolgt dann pünktlich der Startschuss. Ich bin gespannt, wie sich das Wetter entwickeln soll, schwierig die Bekleidungsfrage. Ich sehe lange Kleidung, sogar mit Handschuhen und auch kurz-kurz. Gegen Mittag soll Petrus sein Tröpfeln einstellen, es soll etwas stabiler werden. Nun, der Kaiser Franz hatte immer eine richtige Antwort darauf: Schaun mer mal!
Mit dem 4.30er-Zeitläufer geht es in die Marschnerstraße am Landesgymnasium vorbei und über den Elstermühlgraben hinweg, der erste Kilometer ist schon vorbei. Ein wenig eng ist es noch auf der Strecke, aber das wird sich noch auflösen. Auf der Käthe-Kollwitz-Straße erreichen wir dann bereits mit dem Westplatz die Altstadt. Wir müssen aufpassen, denn viele Straßenbahnschienen sind verlegt und wie leicht kann man sich da den Fuß vertreten. Wie wird das in der zweiten Runde werden? Die Nässe auf dem Asphalt sorgt nicht für Grip unter den Füßen. So langsam arbeite ich mich an den 4.15er-Pacer heran und ich schließe mich denen an.
Kurz nach Kilometerstein zwei geht es an den Innenstadtring, die Prachtmeile in Leipzig. Der Ring verläuft genau auf der Trasse der ehemaligen Stadtbefestigung, die nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) geschleift wurde. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts begann man, Alleen und Grünflächen zu platzieren. Der 3,6 Kilometer lange Ring ist heute als mehrspurige Straße ausgebaut.
Das Neue Rathaus dominiert den Ausblick. Seit 1905 ist es der Sitz der Stadtverwaltung. Die Grundfläche von über 65000 Quadratmeter und den gut 1700 Räumen weist auf eine Besonderheit hin, denn im Deutschen Reich war das der größte Rathausneubau und auch heute ist es der größte Profanbau dieser Art weltweit. Man könnte den Rathausturm besichtigen, vielleicht auch eine Führung besuchen, sollte es eine geben. Da muss ich mich erkundigen.
Auf der Südfahrbahn des Martin-Luther-Ring haben sich Fotografen auf Höhe der Katholischen Propstei St. Trinitatis postiert. Hier geht es leicht bergan, fast nicht der Rede wert. Am Roßplatz wurden im 17. Jahrhundert Pferdemärkte abgehalten. Heute deutet darauf nichts mehr hin. Gleich kann man sich den Hals verrenken, denn nach einigen schnellen Schritten entlang der Lenneanlage mit dem Ott-Koch-Denkmal sehen wir das Gewandhaus zu Leipzig, das in der heutigen Form 1981 erbaut wurde. Es dient als Heimstätte des Gewandhausorchesters. Der damalige Kapellmeister Kurt Masur legte den Grundstein zum Neubau.
Mit Kilometer fünf erreichen wir die Prager Straße, die uns südöstlich von der Altstadt wieder wegbringt. Die erste Verpflegungsmöglichkeit mit Wasser, Tee und Obst, die Leute greifen zu. Ich schnappe mir warmen Tee und hätte mir ein wenig Süße dazu gewünscht.. Alle Fünf Kilometer sind die großen Tränken eingerichtet, bei denen später auch noch Bananen, Zitronen und Cola gereicht werden. Dazwischen liegen noch Wasserstellen, verdursten und Hitzschlag erleiden braucht keiner. Apropos Hitze, mit meinen zwei dünnen Schichten am Oberkörper bin ich einen Tick zu warm angezogen. Aber mehrmals fängt es zu Tröpfeln an und da bin ich froh, dagegen gewappnet zu sein. Am Technischen Rathaus führt uns die Weg weiter hinaus bis zur Alten Messe. Ihr kennt das Logo mit dem zwei übereinanderliegenden M. Aber ist es bekannt, dass die zwei M für Mustermesse stehen? Der Begriff galt bis zum Jahr 1991.
Schon seit einigen Minuten sehe ich die Kontur des Völkerschlachtdenkmals, das 1913 eingeweiht wurde. Es erinnert an die Völkerschlacht im Jahr 1813, bei der Napoleon gegen die Truppen Russlands, Österreichs, Preußen und Schweden verloren hat. Über 90000 verloren in drei Tagen ihr Leben, es muss ein fürchterliches Gemetzel gewesen sein. Heute soll uns das Denkmal daran erinnern, dass jeder Krieg Opfer auf beiden Seiten kostet. Somit soll das Denkmal zum Frieden mahnen. Ich denke an die aktuellen Ereignisse. Wir biegen rechts ab und auf Höhe der Tabaksmühle können Ortskundige den Napoleonstein sehen, eine Art Feldherrnhügel, von dem Napoleon seine Truppen befehligte.
Nach Kilometer acht beginnt einer von mehreren Wendepunktstrecken, die hier niemals lange sind. Etwa 800 Meter laufen wir auf der Richard-Lehmann-Straße in Richtung Napolenstein, wo wir dann wenden. Solche Streckenabschnitte sehe ich positiv, denn man kann das Feld beobachten. Ich sehe die Pacer von 3.30 Stunden bis 4.30 Stunden und auch meine Lauffreunde Jens, Angie, Bodo und andere. Man winkt sich zu, besonders wenn ein laufender Fotograf in das Feld hinein Bilder schießt.
Bei Kilometer zehn auf der Zwickauer Straße wird eine Zwischenzeit genommen, die wenigen Staffeln wechseln frische Kräfte ein. Es geht anschließend in Richtung Deutscher Platz, in der Ferne sehen wir die Russische Gedächtniskirche. Sie dient dem Gedenken an die 22000 gefallenen Russen bei der Völkerschlacht. Am Deutschen Platz laufen wir einmal im großen Kreis und sehen rechts dann die Deutsche Nationalbibliothek. Ein längerer Wendepunkt liegt gleich danach auf der Straße des 18. Oktobers. Später sehe ich rechts drei junge Burschen, die an der Wasserpfeife hängen, es riecht süßlich oder täusche ich mich? Am Veterinär-Anatomischen Institut endet die lange Strecke, wir biegen rechts ab.
Auf der Kurt-Eisner-Straße erreichen wir mit Kilometer 16 den Südrand des Scheibenholz, in dem immer im der Wintermarathon stattfindet. Und es wird freundlicher, denn der Himmel wird heller, die Wolken verziehen sich und erste Sonnenstrahlen trocknen den Asphalt ab. Auf dem Schleußigen Weg überqueren wir die Pleiße und das Elsterflutbett. Am Bootsverleih Leipziger Eck arbeiten schon erste Kunden an den Wassergefährten.
Gleich nach der Brücke reicht uns die Bundeswehr Wasser und es wird auch von einem Soldaten in oliv moderiert. Ihr macht heute einen tollen Job. Dann sehe ich einen Skater mit seinem Laufwerkzeug in der Hand in Socken in Richtung Ziel marschieren. War wohl nicht sein Tag.
Sebastian hat sich mir angeschlossen, es ist sein dritter Marathon und er muss zugeben, dass ihm beim letzten Marathon zum Ende hin die Körner ausgegangen sind. Wir laufen am Küchenholz mit dem Österreicher-Denkmal vorbei und dann wendet sich der Kurs nach Norden, die letzten drei Kilometer der ersten Runde brechen an. Die Erich-Zeigner-Allee ist ellenlang, an deren Ende haben wir noch einen Kilometer. Noch eine Rechtskurve, dann sind wir auf der Bowmanstraße, rechterhand sehen wir den Palmengarten. Viele Leute stehen nun auf der Jahnallee, es scheint, die Sonne hat die Stubenhocker nach draußen gelockt. „Wie ein junger Gott“ und „ du bist ein toller Hecht“ lese ich auf den Schildern von den Zuschauern. Ein Mädchen gibt sogar ein „ich rast aus“ von sich, was für Heiterkeit im Feld sorgt. Ich höre nun die Moderatoren aus dem Zielbereich.
Es folgt ein kleines Wendepunktstück. Danach sage ich zu Sebastian: „Erste Runde abhaken, wir gehen die zweite an“. Das Feld hat sich nun deutlich auseinandergezogen. Ich reduziere meine Fotoarbeit und widme mich einer effektiveren Laufarbeit. Ich bin nämlich am Standpunkt mit knapp 25 gelaufenen Kilometern überhaupt nicht sicher, ob ich mein Tempo halten kann. Aber wie sagt der Sachse: „Loggorr bleibm.“ und „Geene Hegdigg.“
An einer V-Stelle muss Sebastian abreißen lassen. Während ich mir im Laufen einen Becher mit Cola schnappe, bleibt er zum Trinken stehen. Später sehe ich an einer Hochhauswand den Spruch „Wer liest, begreift die Welt und denkt selbst“. Meine Recherche ergibt, dass der Schriftzug am LKG Carré, dem Gebäude des ehemaligen Leipziger Kommissions- und Großbuchhandels aus den 30erJahren zu sehen ist.
Kilometer 27, der Wind frischt auf und hat sogar einige Kilometerschilder aus ihrem Ständern ausgehängt. Wind ist gut, denn er kühlt, ich müsste andernfalls eine Schicht ausziehen. So langsam erkenne ich, dass doch einige Marathonis zu schnell begonnen haben und ihr Tempo nicht mehr halten können. Einige sind sogar am Marschieren.
An den Wendepunkten fällt auf, dass ich meinen Vorsprung zu dem 4.15er-Tempoläufer nun deutlich vergrößert habe. Ich suche mittlerweile auch schattige Streckenteile auf, denn die Sonne sticht mittlerweile. So knapp 20 Grad dürfte es haben, der gestrige Wetterbericht hat unbeständiger und kühler vorhergesagt. Wie sagt der Sachse in der Lage: „Irschendwie durschwurschdln.“
Kilometer 34, eine kleine Läuferin fällt mir auf, ich sah sie schon in der ersten Runde von hinten kommen und nach vorne gehen. Jetzt scheint sie zu kämpfen, denn ich sehe sie immer mal einige Schritte gehen und dann wieder antraben. Bei Kilometer 36 schließe ich auf und spreche sie an. Sie läuft heute ihren dritten Marathon und den mit gezielter Vorbereitung, doch sie hat jetzt ein mentales Problem. Ich will ihr helfen und rede auf sie ein. So arbeiten wir uns Stück für Stück weiter.
Bei Kilometer 39 entdecke ich am Streckenrand das Schild „Bier + Secco“ Die Betreiber der Wirtschaft werden aufmerksam, als sich ein Läufer für sie, besser gesagt für ihren Ausschank interessiert. Ende vom Lied, der durstige Läufer holt sich einen Becher mit dem Hopfengetränk ab und kann nach der Degustation seiner Begleitung Celina (so heißt sie) nachhecheln. Mittlerweile hat uns die Spitze der Halbmarathonfeldes eingeholt, die zwei Schnellsten rasen vorbei, als hätten sie etwas gestohlen und seien auf der Flucht. Da kannst du denen nur den Weg frei machen, die würden dich überrennen.
Nach fast einem Kilometer habe ich sie wieder eingeholt, der letzte Kilometer beginnt. Celina realisiert, dass es nicht mehr weit ist und ganz nebenbei habe ich eine charmante Begleitung.
Es geht auf die Jahnallee und die Zeppelinbrücke, die letzte Rechtskurve ist zu sehen und Celina steigert ihr Tempo. Der alte Mann kommt nicht mehr hinterher, ich muss sie dann bei Kilometerschild 42 rennen lassen. Sie nimmt mir noch locker flockig 20 Meter ab.
Zieleinlauf, ich darf nicht stehenbleiben und sie zu ihrem starken Ende beglückwünschen. Ich gehe ein paar Meter zurück und sehe Matthias mit seinem Enkel. Anschließend sammele ich noch einige Bilder im Zielbereich ein.
Danach führt mich der Weg in den Verpflegungsbereich, wo ich mir beim Bierstand zwei meiner Lieblingsgetränke hole. Ist es immer noch so, dass der gemeine Sachse im Jahr 200 Liter Bier vernichtet und der Bayer weniger als 180? Mit der Frage muss ich mich noch bis zum nächsten Auftritt in Leipzig beschäftigen.
Ansonsten mein Fazit:
Alles top, viele freundliche Helfer, die dir mit Rat und Tat helfen. Wer in Leibzch noch nicht war, hat was versäumt. Und der Termin für die nächste Ausgabe steht auch schon: 21.04.2024.
Marathon
Ergebnisse Männer:
1. Nic Ihlow, SC DHfK Leipzig, 2.30.03
2. Sebastian Nitsche LEIPZIGER GRUPPE, 2.31.23
3. Fabian Amtsfeld, Heimerer/SV Rosche, 2.36.30
Ergebnisse Frauen:
1. Yvonne van Vlerken, Team Sitius Europe, 2.44.27
2. Romana Rudolf Lojková, Hobby Runners, 2.58.05
3. Lucie Davidová, SK Babice, 2.58.59