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Laufberichte

Frühlingsgefühle im Winter

 

Wird man als älterer Mensch noch empfänglicher für die Segnungen südlicher Witterungsbedingungen? Wahrscheinlich ja. Dennoch sind es die begeisterten Berichte unseres Dorfapothekers, der vor etlichen Jahren mehrfach auf Lanzarote war und die dortigen Verhältnisse in den blumigsten Worten pries, die uns zur Flucht aus Kälte und Schnee animieren. Derart mehrfach überzeugt, packen wir die Koffer, setzen uns in den Flieger und landen nach vier Stunden auf der nördlichsten der großen Kanareninseln. Als sich die Tür öffnet, wechseln wir quasi in Sekundenschnelle vom Winter in den ewigen Frühling. Herrlich!

Eine ganze Woche haben wir uns Zeit genommen, damit sich die Aktion auch lohnt und nutzen diese, um bei unserem Erstbesuch viele der mehr oder weniger bekannten Glanzlichter der Insel in Augenschein zu nehmen: Natürlich u.a. die teils atemberaubend schönen Strände, die labyrintartigen Höhlen, die in halbkreisförmigen Lavamulden wachsenden Reben und das traumhafte Anwesen Omar Sharifs. Vor allem aber die Hinterlassenschaften des "Inselheiligen“, César Manrique.

Auf der Insel geboren und lebend, hat er sich maßgeblich einer touristischen Verschandelung seiner Heimat erfolgreich widersetzt. Von Hotelburgen und Hochhäusern ist Lanzarote daher weitgehend verschont geblieben. Wir können heute z.B. sein höchst individuelles Wohnhaus samt Atelier, den Kaktusgarten oder den schier unglaublichen Blick aus den „Klippenaugen“ auf die vorgelagerte Insel La Graciosa genießen.

Das alles ist aber natürlich nur ein Teil unseres Programms, das wir gemeinsam mit unseren Münchner Freunden Barbara und Klaus genießen. Denn natürlich gibt es keine weite Reise ohne Laufveranstaltung, sonst würden wir uns, liebe Leser, nicht auf dieser Internetseite treffen.

 

 

Am Samstag ist der Marathon angesagt, aber vorher gibt’s etwas fast Einmaliges. Klar, Nikolausläufe werden wie Sand am Meer angeboten, aber kaum einen zweiten komplett im rot-weiß-schwarzen Ganzkörperkondom. Für alle, wohlgemerkt.

Abgeholt haben wir unsere Startunterlagen in einem Zelt mit der Dimension eines Flugzeughangars, zumindest was die Höhe betrifft. Nett ist die integrierte (echte) Palme. Für schlappe zehn Euronen inkl. Kostüm bietet man uns am Freitag einen 5 km-Lauf als Wendepunktstrecke vom und zum Start-/Zielbereich des Marathons in Costa Teguise am Sands Beach Hotel, wo etliche Athleten abgestiegen sind. Bei 24 Grad in Vollsynthetik unterwegs zu sein, hat schon etwas. Vor allem gefühlte mehrere Liter Schweiß, man läuft gefühlt im eigenen Saft, aber der Spaß ist es wert. Ganz Wenige entledigen sich der Pelle unterwegs, wir aber sind tapfer und ziehen das durch. Inklusive Bart vor der Schnüß. Nur ganz vereinzelt mißverstehen Einzelne den Lauf ohne Zeitnahme als Wettkampf und hetzen sich im Trägerhemd die Lunge aus dem Leib. Nun ja.

 

 

Am Samstag bietet unsere Anlage in Costa del Carmen ein vollständiges Frühstück ab 6 Uhr an, sodaß ich mit dem Auto schnell und rechtzeitig erneut am Startort bin. Es erwarten mich auf der 21,1 km-Wendepunktstrecke zwischen Costa Teguise und Costa del Carmen weitestgehend Wasser und Strand. Das hilft mir, ein Verlaufen zu vermeiden, was aber angesichts der Heerscharen Helfer vollkommen unmöglich ist.

Nicht nur am Start ist die englische Sprache Trumpf, der Lauf ist fest in britisch-irischer Hand, wie die ganze Insel überhaupt. Es gibt sogar Geschäfte, welche ihre Waren ausschließlich in Pfund auszeichnen. Der für 8 Uhr vorgesehene Marathonstart verzögert sich um einige Minuten, der des Halben ist für 10:30 Uhr am Wendepunkt vorgesehen und der des Zehners über die letzten zehn km der Marathonstrecke um zwölf Uhr. Die Zeitverzögerung bringt mir ein „Hallo, Wolfgang!“ ein. Die vertraute Stimme gehört unserem Andreas, der infektbedingt heute passen muß, aber unterwegs den Paparazzo gibt.

 

 

Nach elf Sekunden überschreite ich die Startlinie, der Spaß kann beginnen. Ja, natürlich Spaß, trotz der zu erwartenden Anstrengung. Wir wissen doch alle, wie das ist. Palmen links und rechts, viele gut gelaunte Menschen, manche davon im Veranstaltungsshirt. Nein, das geht gar nicht, das muß doch erst verdient werden.

Zahlreiche Halbmarathonläufer entlassen uns auf die große Reise, bevor sie mit dem Bus nach Costa del Carmen gebracht werden, den man im Übrigen für wenig Geld hat buchen können. Der gestern beim Nikolauslauf anfangs genommene Radweg ist heute wohl zu eng für uns, daher nehmen wir eine breitere Straße zum Erstkontakt mit dem Wasser. Sichtkontakt, wohlgemerkt. Obwohl – den einen oder anderen Tropfen von oben wird es im weiteren Verlauf schon geben, was ich bei den hiesigen Temperaturen aber als eher angenehm empfinde. Links Strand und Wasser, rechts Hotels (die es geben muß, denn hier kann man von kaum etwas anderem leben), so kann es gerne weitergehen.

Schon nach guten zwei km erfolgt die erste Verpflegung in Form wiederverschließbarer Drittelliterflaschen Wasser, die bei mir ambivalente Gefühl wecken: Auf der einen Seite steht die Plastikmüllorgie kaum angetrunkener Behältnisse, auf der anderen die Möglichkeit, ständig eine mit sich zu führen und bedarfsgerecht trinken zu können. Ich entscheide mich für Letzteres und komme damit prima zurecht. Iso und Obst wird auch schon angeboten.

 

 

Über die Calle des Volcanes führt eine kurze Umleitung und gibt mir Gelegenheit zu erwähnen, daß v.a. der südliche Teil der Insel in Jahren des Unheils 1730 – 1736 sowie 1830 durch eine Serie Vulkanausbrüche verwüstet wurde und alles unter sich begrub. Ein erheblicher Teil der überlebenden Bevölkerung verließ Lanzarote darauf, viele wanderten nach Gran Canaria und Südamerika aus. Heute bietet uns diese Landschaft teils spektakuläre Aussichten, der geschichtliche Hintergrund aber ist grausam.

Nicht jedoch unser Kurs. Tapfer schreiten wir, wieder an der Costa, leicht wellig Richtung Südwesten aus. Schon sind die ersten 5 km abgearbeitet. Längst schon bin ich auf Judith aufgelaufen, die mir auf den nächsten zwanzig km eine angenehme Gesprächspartnerin sein wird. Also gebe ich heute mal ganz den Andreas: Sie die erste Hälfte begleitend, danach weiter fotografierend leicht voraus.

Wir befinden uns inzwischen am Stadtrand von Arrecife, der heutigen Inselhauptstadt, die wir wegen eines Industriegebiets an der Küste durchmessen werden. Eigentlich müssen, denn die km 6-9 sind die optisch unattraktivsten des gesamten Kurses. Nett dagegen ist der kleine Bootshafen zur Rechten sowie einige innerstädtische Straßen, wo uns der geballte Jubel der Zuschauermassen entgegenschlagen – könnte. Leider ist tote Hose angesagt, aber Selbstmotivation ist ja eh Trumpf und bei mir noch nie ein Problem gewesen. Außerdem habe ich ja Judith an meiner Seite, die reißt heute alles raus.

 

 

Nach elf km sind wir endgültig wieder da angelangt, wo es schön ist. Noch in Arrecife beglückt uns ein sehr schöner Strand samt einem der wenigen Hotelhochhäuser, das wir auf dem Rückweg schon aus vielen km Entfernung als Richtpunkt werden sehen können. Klasse ist die breite Uferpromenade samt historischen Bootsresten, Skulpturen und Andreas' Gattin. Natürlich kann man weit voraus sehen, was einigen Mitläufern sicherlich schwerfällt, jedenfalls sind bereits hier etliche von ihnen am Gehen.

15 km sind geschafft, am Horizont ist mit Puerto del Carmen bereits unser Zwischenziel zu sehen. Einige attraktive Ferienanlagen werden passiert, dann erscheint der Flughafen. Schon auf Mallorca haben dereinst viele Mitläufer darüber gestöhnt. Langweilig sei es, eine Grausamkeit. Damals habe ich das völlig anders gesehen, und auch hier empfinde ich keine Sekunde Langeweile. Ganz im Gegenteil gibt es bei den Starts und Landungen im Abstand weniger Minuten ständig etwas zu beobachten.

Bereits seit einiger Zeit kommen uns die ganz Schnellen entgegen, was ablenkend wirkt oder, besser gesagt, die Szenerie zusätzlich belebt. Schon vor dem zwanzigsten km befinde ich mich in vertrautem Terrain, denn natürlich habe nicht nur ich die Promenade zu so manchem Spaziergang und Trainingslauf genutzt. So etwas gefällt uns: Du trittst nur aus dem Hotel und kannst ohne große Hindernisse beherzt ausschreiten und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Das Ganze frühmorgens erledigt, läßt das Frühstück danach doppelt so gut schmecken.

 

 

Schon seit dem Start begleitet uns eine Reihe kleiner Türme, die wohl eine Rolle in der Inselverteidigung gespielt haben und heute zu begehen sind. Ebenfalls aus Verteidigungsgründen hatte man die seinerzeitige Inselhauptstadt Teguise – sehr sehenswert! - im Landesinneren plaziert, was aber letztlich auch nichts genutzt hat. Die Seeräuber und diverse Eroberer (Männer anzunehmen, keine Diversen) haben die Stadt und ihre Bevölkerung mehrfach heimgesucht.

Wendepunkt, viele der auf ihren Start wartenden Halblingen, die auf ihrem Weg natürlich keinen Meter der Gesamtstrecke versäumen werden, zollen uns Respekt und werden uns bald Geleitschutz geben. Es geht zurück. Schon von Weitem sieht man das Hotelhochhaus in Arrecife wieder, starke Nerven sind ob der Entfernung zu ihm gefragt.

Den Rest kennen wir bereits: Schöne Promenaden, tolle Strände, teilweise attraktive Bebauung. Nicht jedoch das ständige Überholtwerden, das man als gottgegeben hinnehmen muß, denn natürlich sind viele Halbmarathonläufer schneller als ich. Aber als Rheinländer bin ich es zu gönnen gewöhnt. Und das von Herzen. Insbesondere, wenn ich eh nichts daran ändern kann.

Leider sehen wir die wartenden 10 km-Läufer nicht, deren Startort liegt wohl nicht an unserer Strecke. Schade, so bleibt eine der heißen Favoritinnen ungeküßt. Weit kann der allerdings nicht entfernt sein, denn von Läufern mit grünen Startnummern gibt es einigen Beifall.

 

 

Rechterhand in Arrecive erkenne ich wieder, halb im Meer gelegen, das im 16. Jhdt. auf Ruinen erbaute Castillo de Santa Bárbara, mit seinen Rundtürmen und Zugbrücke einer Ritterburg nicht unähnlich. Ein Ausflugsziel fürs nächste Mal. Kurz dahinter erscheint mit dem Castillo de San José aus dem ausgehenden 18. Jhdt. ein zweites. Flughafen, Industriegebiet, das Wrack der Telamon. Heute ist nur noch der hintere Teil des Schiffes zu erkennen, deutlich sieht man die Ruderanlage aus dem Wasser ragen. Ursprünglich hatte sie eine Länge von 140 Metern, aber ein Sturm brach sie in der Mitte entzwei.

Die Promenade von Teguise ist erreicht, trotz meines langsamen Tempos, aber wegen der konstanten Geschwindigkeit sammele ich jede Menge noch Langsamerer und Geher ein. Km 40, die breite Straße zu Beginn unserer heutigen Reise ist wieder erreicht. Tausend Meter vor dem Ziel kassiert mich der führende Zehner, der überlegen in kaum 32 Minuten gewinnen wird und daher tiefenentspannt huldvoll in die Kamera grüßen kann.

Der nette Zieleinlauf über blauen Teppich – der Untergrund weckt zarte Erinnerungen an Valencia – ist der würdige Abschluß einer schönen Veranstaltung. Die fette Medaille mit lanzarotischen Motiven hebt die Stimmung weiter, die üppige Zielverpflegung tut ihr Übriges.

Mit Barbara, Klaus und schlußendlich auch meiner erfolgreichen 10 km-Läuferin wiedervereinigt, freuen wir uns aufs abendliche Buffet und streichen daher bald die Segel. Schön war's! Das könnte ich mir als Winterunterbrechung durchaus noch ein zweites Mal vorstellen.

 

 

Impressionen

(Andreas Bettingen)

 

 

 

Streckenbeschreibung:

21,1 km-Wendepunktkurs, Zeitlimit 6 Std.

 

Startgebühr:

Habe ich erfolgreich verdrängt, kann aber nicht dramatisch gewesen sein.

 

Auszeichnung:

Medaille, Urkunde, Finishershirt.

 

Logistik:

Kleiderbeutelabgabe (nur der Gestellte!) am Start- und Zielbereich.

 

Verpflegung:

Alle 2,5 km Wasser in praktischen Drittelliterflaschen, dazu später Iso, Bananen, Orangen, zweimal Gels. Sehr gute Zielverpflegung.

 

Zuschauer:

Insgesamt überschaubar.

 

Informationen: Lanzarote Marathon
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