Die Kanarischen Inseln sind seit einigen Jahren Judiths und mein bevorzugtes Urlaubsziel für die kalte Jahreszeit. Nach einer Reise von weniger als fünf Stunden befindet man sich in sommerlichen Temperaturzonen, ohne sich um Visa oder Impfungen kümmern zu müssen. Die Kanaren liegen zwar geografisch in Afrika, gehören aber als Teil Spaniens zur EU und zum Schengenraum. In der Zeit vor den Weihnachtsferien locken die Reiseveranstalter und Fluggesellschaften mit sehr günstigen Angeboten.
Nach unserem Abstecher zum Marathon von Santa Cruz de Tenerife im vergangenen Jahr haben wir uns diesmal den Lanzarote Marathon vorgenommen. Lanzarote ist die nordöstlichste der sieben großen Kanareninseln und mit 60 km Länge und ca. 20 km Breite recht überschaubar. Trotzdem gibt es hier viel zu sehen: So hat eine Serie von Vulkanausbrüchen in den Jahren 1730 bis 1736 einen Teil der Insel in eine Mondlandschaft verwandelt. Pauschaltouristen können sich mit Bussen auf eine Rundfahrt durch den Timanfaya-Nationalpark begeben, aktivere Sportler unternehmen von Tinguatón aus eine Wanderung auf den Caldera-Blanca-Krater. In gut drei Stunden kann man hier ein Lavafeld durchqueren und dann den Kraterrand einmal umrunden. Die Tour wäre auch für einen Trailrun geeignet. Lava so weit das Auge reicht, bis dann auf einmal ein Auto auf einer Piste am Horizont vorbei fährt und man an der Größe des Fahrzeugs erkennt, dass die Entfernungen sich doch in Grenzen halten. Auf Lanzarote tut man sich mit Schätzungen etwas schwer. Eine Wanderung auf den 600 Meter hohen Vulkan vor unserem Hotel brechen wir ab, als wir nach 45 Minuten den Eindruck haben, unserem Ziel keinen Schritt näher gekommen zu sein. Ob sich die veränderte Sichtweise auch auf den Marathon auswirken wird?
Der Streckenplan als Luftbild zeigt eine braun-schwarze Steinwüste. Lanzarote ist die Kanareninsel mit der geringsten Niederschlagsmenge. Wir haben das „Glück“, die durchschnittlichen fünf Regentage im Dezember zu erwischen: Wunderschön, wie es auf einmal überall grün wird und die Vulkankegel von vielen Blüten bedeckt sind. Ein Wanderweg führt einmal komplett über die Insel. Wäre doch mit ca. 60 km auch mal ein schöner Traillauf? Den Surfern kann man am Strand von La Caleta de Famara zusehen, vor der bis zu 600 Meter aufragenden Steilküste.
Nach zwei Tagen Mietwagenrundreise kennen wir ziemlich viel von der Insel und steuern am Donnerstagabend den Touristenort Costa Teguise an. Dort gibt es auf der Marathonmesse vor dem Sands Beach Hotel den Starterbeutel. Das Hotel ist auch der Marathonveranstalter und hat sich weitgehend auf aktive Sportler als Kundschaft spezialisiert.
In der Lobby sind viele Trikots und Medaillen von Sportveranstaltungen auf der Insel ausgestellt. Kurse in den verschiedensten Disziplinen werden angeboten. Ein 25 Meter-Becken wartet auf Triathleten und Leistungsschwimmer. Da bin ich fast froh, kein Zimmer im Hotel mehr bekommen zu haben. Als Marathoni unter lauter Ironmännern und -frauen fühlt man sich sicher nicht so gut wie wir in unserem Hotel bei Kilometer 20 der Laufstrecke mit den übergewichtigen Feriengästen aus Großbritannien. Andererseits hätte man im Sands auch ein Lauftraining mit dem Racedirector Juan Carlos absolvieren können.
Im Startpreis von 50/60 € sind folgende Goodies enthalten:
- Marathon-Shirt in eigenem Design, kürzere Distanzen bekommen Hemden in anderen Farben
- Marathon-Lanzarote-Käppi
- Marathon-Lanzarote-Laufsocken
- Sonnencreme, Lippensonnenschutz, Aloe-Seife aus Lanzarote
- Gutschein für die Pastaparty
- farbenfrohe Marathon-Aufkleber
Die Marathonstrecke ist schnell beschrieben: Wir starten im Osten vor dem Sands Hotel, laufen an der Küste bis Matagorda, dem Beginn des Ferienortes Puerto del Carmen, und wieder zurück. Mitkommen werden auf dem Rückweg die Halbmarathonis sowie die 10k- und 5k- Läufer. Für sie gibt es Shuttlebusse zu den Startpunkten.
Der Lauf wird zum 26. Mal ausgetragen. Innerhalb der letzten Jahre hat sich die Teilnehmerzahl auf über 2.000 verdoppelt. Alle Bewerbe waren kurz vor der Veranstaltung ausgebucht.
Samstagmorgens reisen wir mit dem Mietwagen an. Öffentliche Busse fahren auch schon früh, aber so ist es doch bequemer. Parkplätze gibt es genug auf den Straßen östlich des Sands Hotels, wo noch viel Raum für den Bau weiterer Beherbergungsbetriebe wäre.
50 Minuten vor dem Start, der um 8:00 Uhr stattfinden soll, muss ich wieder einmal feststellen, dass der Spanier es gemütlich angehen lässt. Wir sind quasi alleine. Um 7:36 Uhr geht die Sonne hinter den Wolken auf und mit ihr kommen dann auch unzählige Sportler aus aller Welt. Auffallend die vielen Mitglieder des 100-Marathon-Clubs aus Großbritannien, gefolgt von den Supermarathonis aus Italien und einigen deutschen 100-MC-Läufern.
Alles ist perfekt organisiert, vielleicht schon zu perfekt: Ein Sportler darf sein eigenes Kleidersäckchen nicht abgeben, weil nur offizielle Beutel angenommen werden. Immerhin verfügt die Dame von der Aufbewahrung über einen Vorrat dieser blauen Tüten und rückt ein Exemplar heraus, in dem nun der kleine gelbe Beutel verschwindet. Sieht ja auch viel ordentlicher aus, wenn alle Taschen blau sind. Auch die Sicherheitsleute kennen kein Pardon. Die vorgesehenen Wege sind einzuhalten, Abkürzen verboten.
Um 5 Minuten vor Acht starten die 30 Handbiker. Leider sehen wir nichts, da wir aus unserem Wartebereich nicht rauskommen. Die spanische Nationalhymne wird gespielt. Niemand singt mit - bekanntermaßen gibt es für die Hymne keinen Text - und kurz nach 8 Uhr geht es los.
Costa Teguise wurde vor 30 Jahren als Retortenstadt um einige Buchten mit natürlichem Sandstrand herum angelegt. Die Entwicklung kam dann etwas zum Erliegen, sodass noch einige Flächen unbebaut sind. Im Moment ist der Baumboom in Playa Blanca im Südwesten der Insel angekommen, dort soll das Wetter noch beständiger und urlauberfreundlicher sein. Zwei Sportler aus unserem Hotel, Sarah uns Andrew aus dem Nordosten Englands, hatten ihre Startunterlagen per Fahrrad geholt, dabei quasi die Laufstrecke abgeradelt und schon vor giftigen Anstiegen gewarnt. Die gibt es auch gleich zu spüren, machen aber beim Bergablaufen viel Spaß. Zuschauer sind noch nicht viele unterwegs. Alle Straßen, auf denen wir heute laufen werden, sind perfekt gesichert, sämtliche parkenden Autos entfernt. Da könnten locker noch mehr Sportler auf die Strecke gehen.
Mir ist schon jetzt ziemlich heiß. 18 Grad wird es schon haben. Positiv ist, dass die Sonne noch von Wolken verdeckt ist und ein kühler Wind meist von der Seite bläst.
Dem Künstler César Manrique (1919-1992) ist es unter anderem zu verdanken, dass es auf Lanzarote nur wenige Hotelburgen gibt. Weiße Bungalowanlagen herrschen vor, wobei die Häuser am Meer blaue Fensterrahmen haben sollen, die im ländlichen Gebiet grüne. Damit ist die Farbfrage für Hausbesitzer schnell geklärt. Noch idyllischer wirken die Wohngebiete der Einheimischen, weil die Häuser individueller gestaltet sind und man sich mit Blumen- und zurzeit auch mit Weihnachtsschmuck wunderbar abheben kann, wie wir erstmals bei Kilometer 7 in Punta Grande feststellen. Manrique hat mit seinem Stil die Insel geprägt und ist allgegenwärtig. Sehenswert sein futuristisch anmutendes ehemaliges Domizil in Tahiche (heute ein Museum mit moderner Kunst), sein letztes Wohnhaus in Haría oder auch die Höhlenanlage Jameos del Agua mit einem verwunschenen Salzwassersee und einem Auditorium mit exquisiter Akustik, alles in die Lavafelder integriert.
Die erste Verpflegungs- und Wasserstelle (jeweils alle 5 km) lasse ich noch aus. Wir bewegen uns auf die Hauptstadt Arrecife zu. Das bedeutet zunächst Hafen und Stromkraftwerk. Da kann man sich nur wundern...Anscheinend wird hier für die ganze Insel der Strom erzeugt, von einigen kleineren Windanlagen mal abgesehen. Viel Energie wird auch für die Meerwasserentsalzung benötigt: 8 Liter Öl für 1.000 Liter Wasser, lese ich. Die teilweise recht starken Regenschauer im Winter werden nicht mehr in Zisternen gesammelt und rauschen somit ins Meer. Einige Barrancos - Flussläufe, die nur bei ergiebigen Regenfällen Wasser führen - haben wir schon überquert. Monika trägt ein Laufshirt mit dem Aufdruck „Kinder“ in einem Schrifttyp, der mich irgendwie an Kinderschokolade erinnert. Da werde ich doch etwas hungrig. Eigentlich ist sie aber für die Kinderhilfe Rückenwind unterwegs.
Den Supermarathoni aus Italien, der jetzt neben mir läuft, kenne ich noch aus Santa Cruz. Damals war das Gespräch kurz, da eine blonde Läuferin seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. Nun erklärt er mir, dass der Lanzarote Marathon viel schöner sei als der auf Teneriffa - und das, als wir gerade auf einer Schnellstraße unterwegs sind. Judith und ich haben uns zu dem Grüppchen um den 4-Stunden-Pacer gesellt, als vor uns im Kreisverkehr ein Auto in die Absperrgitter rast. Glücklicherweise schmettern die Gitter vor uns auf den Laufweg, niemandem passiert etwas.
Wir kommen an dem kleinen Castillo de San José vorbei. 1774 bis 1779 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die notleidende Bevölkerung erbaut, beherbergt es heute das Museo Internacional de Arte Contemporáneo. Viele Werke von Künstlern der klassischen spanischen Moderne sind ausgestellt: Joan Miró, Antonio Tápies, Pablo Picasso.
Dann geht es ins Hafengebiet. Vorgestern lagen hier drei Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Auf der zugehörigen Mole gibt es schöne Geschäfte und Lokale. Eine weit verbreitete Angewohnheit im gastronomischen Bereich der Insel ist es, die Mehrwertsteuer nicht im Preis anzugeben – ein Hinweis, der sich ganz klein und versteckt am unteren Rand der Speisekarte findet. Manch einer dürfte sich wundern, wenn dann auf die Rechnung 7% Steuer aufgeschlagen werden. Eine Abzocke, die mir bisher in der EU noch nicht untergekommen ist.
Hinter den Hafenbetrieben taucht unvermittelt der Charco de San Ginés auf. Eine kleine Bucht, die von netten weißen Häuschen mit blauen Fenstern gesäumt ist und natürlich von unzähligen Lokalen, in denen die Einheimischen die Nacht zum Tag machen. In der Bucht liegen viele farbenfrohe Fischerboote vor Anker.
Links das Castillo de San Gabriel aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, malerisch auf einem Inselchen gelegen und mit zwei steinernen Brücken angebunden. Hier gibt es eine sehenswerte Ausstellung zur Geschichte Lanzarotes. Erst 1402 konnten die Spanier diese Insel einnehmen. Die Urbevölkerung setzte sich wohl aus nordafrikanischen Völkern und auch Europäern zusammen. Entdeckt wurden die Kanaren schon von den Römern. Ursprünglich bildete die Landwirtschaft im Westen Lanzarotes die Haupterwerbsquelle der Einwohner. Der große Vulkanausbruch von 1730 hat dort alle Dörfer zerstört und viele Menschen zur Umsiedlung nach Gran Canaria veranlasst. Heutzutage leben die Einheimischen vorwiegend vom Tourismus.
Ein Kiosk auf der Strandpromenade gehört zu jeder spanischen Stadt. Hier trifft man sich zum Plausch – aber nicht samstags um 9 Uhr früh. Dafür stehen Sohn und Opa in weißen Hemden mit dem Aufdruck „Animo Mami corre“ - „Auf geht’s, Mama lauf“ an der Promenade. Wer es historisch verträumt mag, ist übrigens in der 57.000-Einwohner-Stadt Arrecife nicht so gut aufgehoben. Schöner sind da auf jeden Fall die königliche Stadt Teguise im Hinterland und Haría, das Dorf der 1000 Palmen.
Links sitzen ältere Herren beim Kartenspiel. Nach dem Yachtklub öffnet sich der Blick auf das wunderschöne Halbrund des Sandstrands Playa del Reducto. Mal sehen, was in zwei Stunden hier los sein wird. Mein Witz, dass die 3:45-Pacer, die gerade auf der Spitze an der anderen Seite der Bucht angelangt sind, noch eingeholt werden können, findet keinen rechten Widerhall. Ich bin gut drauf und drücke mal ein wenig auf die Tube. Von hier an geht es nun nur noch über die Küstenpromenade weiter Richtung Westen. Die jungen Helfer an den Verpflegungsstellen sind topmotiviert und feuern jeden Läufer mit viel Spaß an.
Marina Colón ist der nächste kleine Stadtteil. Dann noch ein paar wellige Abschnitte und wir erreichen Playa Honda. Ein bevorzugter Wohnort der Lanzarotiner. Wirklich schön ist es hier: einige alte Fischerhütten, nette Lokale. Inzwischen sind auch die Einwohner ans Meer gekommen und beobachten unser Treiben. Die Rollstuhlfahrer kommen uns hier schon entgegen. Viele blaue Hütchen säumen den Weg. Soll man rechts davon laufen? Oder wird so die Laufstrecke von den nun vermehrt auftauchenden Touristen und Radlern abgetrennt? Egal. Wo es passt, wähle ich die Ideallinie.
Das nächste Highlight hat sich schon seit einiger Zeit akustisch angekündigt. Hinter Playa Honda kommt die Startbahn des Flughafens ins Blickfeld, die hier Richtung Strand führt. Viele Flugbewegungen gibt es nicht. Wobei ich im Laufe der letzten Tage festgestellt habe, dass Charterflieger oft im Pulk ankommen, um dann nach zwei Stunden ebenso schlagartig wieder abzuheben. Unser Hotel liegt ja günstig in der Einflugschneise. Absoluter Höhepunkt war der ohrenbetäubende „Besuch“ zweier Kampfjets. Nachts gibt es übrigens keinen Flugverkehr.
Zwischendrin starten die Propellermaschinen auf die anderen Kanareninseln. Ein Angebot für den Gran Canaria Marathon lässt aufhorchen: Flug nach Gran Canaria, Transfer, eine Übernachtung und Startgebühr für zusammen 91 € inkl. Mehrwertsteuer. Gilt aber nur von Insel zu Insel. Vorher müsste man also noch irgendwie von Deutschland auf die Kanaren kommen – oder gleich hier bleiben?
Hinter der Piste beginnt wieder der Tourismus: Matagorda markiert den Beginn einer langen Zeile von Hotelanlagen, die 6 km später am Hafen von Puerto del Carmen endet. Die abendlichen Unterhaltungsangebote nehmen entsprechend zu.
Viele Urlaubsgäste verfolgen nun unsere Anstrengungen. Einige Sportgeräte an der Promenade werden eifrig genutzt. Diese Geräte sieht man oft in spanischen Städten. Und oft wird da ganz professionell trainiert. Richtig laut wird es an der Wendestelle, da dort die Halbmarathonis auf ihren Einsatz warten und uns anfeuern. Vom riesigen Strand Playa de Los Pocillos sehen wir daher auch nichts. An der Playa Blanca, 3 km weiter Richtung Puerto del Carmen, liegt das Ziel des Lanzarote Ironman, auf das mit einer eigenen Infotafel hingewiesen wird. Die stählernen Sportsfreunde dürfen zwischen dort und Arrecife dreimal hin und her laufen und haben noch einige zusätzliche Höhenmeter zurückzulegen.
Wende. Kurz hinter mir das 4:00-Stunden-Grüppchen, verfolgt von Judith, die mich augenscheinlich ignoriert.
Inzwischen haben sich die Wolken verzogen und es ist unangenehm heiß geworden. Ich freue mich auf die Verpflegungsstelle bei km 22. Von nun an wird an jedem VP nachgetankt. Die Wasserflaschen gibt es auch „frío“, also mehr oder weniger eisgekühlt. Zusätzlich Cola und Iso-Getränk, das wie Cola aussieht, aber ein bisschen anders schmeckt, halbe Bananen und sonstiges Obst. Und die obligatorischen blauen Häuschen, auch in der breiten Version für die Rollis. Bis Playa Honda ist es jetzt flach. Am Flughafen an einem Felsen die etwas gewagte Behauptung „Falta poco“ - „Es fehlt nicht mehr viel“. Wenn es doch nur so wäre! Weiter hinten sieht man das Hochhaus in Arrecife, unser Etappenziel bei km 30. Auch 10 km hinter mir sind noch Marathonis unterwegs, auffallend viele davon im 100-MC-UK-Shirt. Der Zielschluss pünktlich nach 6 Stunden wird übrigens heruntergezählt und für einige Mitstreiter ein DNF bedeuten. Knallhart.
Und dann kommen diese kleinen Hügelchen, die sich zu Bergen aufbauen. Aber: „Never give up“ steht in großen Lettern auf der Rückseite des diesjährigen Lanzarote-Marathonhemds. Das verpflichtet zum Durchhalten. Der Vier-Stunden-Mann samt Anhängerschaft zieht langsam vorbei. Noch mal eine kleine Häusergruppe, dann geht es auf die breite Promenade Richtung Arrecife. Gelegentlich spritzt die Gischt auf den Weg. VP mit Discomusik. Die Spitze an der Playa del Reducto. Wieder schöne Ausblicke. In der langen Rechtskurve ganz nah an der Innenseite laufen. Nur ein Spaziergängerpaar will partout nicht ausweichen. Vier Schritte zu viel. Auf der Promenade hinter dem Grand Hotel noch mal Musik. Die Herren unter dem Zeltdach spielen immer noch Karten. Einige Touristen sind nun auf Sightseeing-Tour. Jürgen rast an mir vorbei. Schimpft auf die Hügel und den Wind. Auch er kämpft um eine Zeit unter 4 Stunden. Die Einheimischen sind wahrscheinlich in den Shopping-Centern am Stadtrand.
Die Häuser am Charco leuchten weiß im Sonnenschein. Dort warten die 10-km-Läufer. Auch die Engländer aus unserem Hotel, die hier auf die Strecke gehen werden, feuern uns an. Noch zehn Kilometer. Meine Uhr zeigt genau 3 Stunden. Ein Brite, laut Hemdaufdruck aus Coventry, wechselt einige Worte mit mir. Mein Englisch muss doch noch besser werden. Viele interessante Dialekte kann man hier hören. Ich soll ja beruflich nun „Indian English“ sprechen, das doch viele lustige Besonderheiten aufweist. Hoffentlich halten mich die Sportler aus Großbritannien nicht für einen Inder.
Hinter den Hafenkneipen geht es ordentlich bergauf. Die ersten Halbmarathonis überholen mich. Ich muss kurz gehen. Einer von den „Halben“ gibt mir einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. Das spornt mich wirklich an, immerhin muss er im Moment unter den ersten Zwanzig seiner Kategorie sein. Gracias! Neben mir quält sich eine Handbikerin nach oben, begleitet von einem Betreuer auf dem Fahrrad. Zeit für einen Blick auf die viereckigen kleinen Parzellen, von Lavasteinen umgeben. Die Feuchtigkeit des Passatwinds hilft dabei, den dunklen Steinboden landwirtschaftlich zu nutzen.
Einige Zuschauer jubeln mir aus einem schattigen Versteck zu. Wann kommt denn endlich diese blöde Verpflegungsstelle, die ich beim Hinweg generös ausgelassen habe? Für diese letzten zehn Kilometer werde ich 1:11 Stunden brauchen. Aber ich bin nicht der Einzige, dem die Hitze zusetzt: Vom Halbmarathonpunkt, den ich nach 1:53 erreichte, falle ich in der Gesamtplatzierung nur um vier Stellen zurück. Die Zeitmessung erfolgt alle 10 km.
Über die Schnellstraße geht es nun bergab, am Wrack des 1981 gesunkenen griechischen Frachtschiffs „Telamon“ vorbei. Nun freue ich mich auf die letzten sieben Kilometer. Da gibt es wieder viel zu sehen. Km 37, VP und Start des 5-Kilometer-Laufs, aber erst um 12:45 Uhr. Die erwischen mich nicht mehr. Ein bisschen sorge ich mich um Judith. Die müsste doch irgendwann vorbeiziehen. Jeder Meter bringt mir einen Zeitgewinn. Dafür passieren mich andere vom Hinweg bekannte Läufer, beispielsweise Monika in ihrem „Kinder“-Shirt oder die Dame mit dem „Don't run fly“-Hemd. Ein schnittiger Halbmarathoni mit dem Trikotaufdruck „Teamgeist“ rennt mich fast über den Haufen.
Schon wieder so giftige Anstiege und auch der Untergrund ist nicht optimal. Dann endlich erreichen wir das erste große Hotel in Costa Teguise. Die Promenade beginnt. Ein DJ macht Stimmung. Viele Urlauber jubeln uns zu. Eine lange Biegung bringt uns einen Blick auf den Cucarachas-Strand, wobei Judith steif und fest behauptet, hat es handle sich um den Cucharas-Strand, aber wer benennt einen Strand schon nach einem Löffel? Cucarachas (Küchenschaben) klingt doch viel besser! Schon seit einiger Zeit verzeichnet meine Uhr einen Kilometerschnitt von über 7 Minuten. Aber als alter Hase hat man sich so weit im Griff, keine Gehpausen einzulegen. Schön langsam dackele ich voran.
Bei Km 41 sind wir im touristischen Zentrum von Costa Teguise. Windstill und viel Sonne: brutal. Dann ein langes Stück bergab, Judith läuft neben mir auf. Zusammen legen wir ein grandioses Finale hin. Keiner kann uns mehr überholen – hinter uns hat sich eine größere Lücke aufgetan. Die Medaille ist riesengroß. Und dann die Zielverpflegung: mit das Beste, was ich je erlebt habe: Zusätzlich zum Standardprogramm gibt es noch Nudeln und Eis, Nüsse, vielerlei Kekse, Gummibärchen, Gebäck und Erdinger Weißbier. Wobei man letzteres hier noch nicht so kennt. Oft höre ich die Frage, ob es „sin alcohol“, also alkoholfrei ist.
Es folgen noch viele nette Unterhaltungen mit den Mitstreiter/innen von der Strecke. Ein großes internationales Happening, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Ich gratuliere Marta aus Vicenza, die konstant mit dem Vier-Stunden-Pacer gelaufen ist und in 3:58 gefinisht hat. Und dann noch Lisa aus Wales, die ich nicht einholen konnte, da sie ihre Gehpausen immer wieder beendete, wenn ich fast dran war und die dann wie verrückt davongerannt ist. Sie benötigte ganz knapp über 4 Stunden, ist aber dennoch hochzufrieden.
Judith und ich studieren die Ergebnisliste, die bei 3:59 h endet und nicht aktualisiert wird. Also warten wir die Siegerehrung ab: Der Doppelsieg im Marathon geht an Irland: Nollaigh O' Neil wird zum dritten Mal in Folge Erste und bei den Männern gewinnt Gary O' Hanlon. In der Rollstuhl-Kategorie sind viele russische Sportler auf den vorderen Plätzen. Besonders beeindruckend die Ehrung des britischen Triathleten und Paralympics-Siegers von Rio, Andy Lewis.
Lanzarote möchte besonders Sportler mit Behinderung dazu auffordern, am Marathon oder auch den Wettbewerben über die kürzeren Strecken teilzunehmen.
Einige deutsche Teilnehmer tauchen auf den ebenfalls prämierten ersten Plätzen der AK-Wertung auf. Judith kann sich über eine Schachtel Pralinen freuen.
Fazit:
Der Lanzarote Marathon ist ein internationaler Wettbewerb, bei dem alles passt und der eine sommerliche Alternative zu den grauen Wintermarathons in nördlichen Gefilden bietet.
MARATÓN(42 km)
Männer
1 - Gary O'HANLON 02:35:51
2 - Teemu PLANTING 02:42:47
3 - Tim HAWKINS 02:43:54
Frauen
1 - Nollaigh O´NEIL 03:01:46
2 - Frieden SARAH NOEMI 03:04:03
3 - Lucy BIDDLESTONE 03:07:06
Teilnehmer aller Bewerbe (ca.):
Deutschland: 170
Österreich: 14
Schweiz: 6
Großbritannien: 430
Irland: 170
Italien: 190
Spanien: 670