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Laufberichte

Der Tag, als der Ruhrpott kochte

18.05.08
Autor: Heike Mohr

Von Dortmund nach Essen

Sonntagmorgen, 7.00 Uhr. Ich sitze in der Küche bei meinem Freund in Bochum und schaue ängstlich aufs Dachfenster. Es regnet. Und ich habe keine Regenkleidung zum Laufen mitgenommen, und in seine passe ich zweimal rein… 

Egal, erstmal frühstücken, es sind ja noch drei Stunden bis zum Start.
Und der Wettergott hat mich offenbar durchs Dachfenster gesehen und hat Erbarmen – als wir um halb neun das Haus verlassen, ist alles wieder trocken. Es ist zwar bewölkt und kühl, aber es regnet nicht mehr.

Wir fahren nach Dortmund, kreisen mit Hilfe des Navis den Startbereich systematisch ein und parken schließlich um neun Uhr ganz in der Nähe meines Startblockes. Hier ist schon eine Menge los, viele Läufer und auch Angehörige stehen in Gruppen zusammen oder laufen sich warm. Wir gehen alle Startblöcke einmal ab und schauen uns alles an. Noch ein kurzer Besuch auf dem Dixie – geht total schnell, es sind genug da und man muss gar nicht lange warten – und dann auf in meinen Startblock. Hier treffen wir auf Ariane, eine Bekannte meines Freundes. Sie läuft heute ihren vierten Marathon. Ziel: unter 5 Stunden, hat sie bislang noch nicht geschafft. Na, das ist ja schon mal was, wenigstens werde ich im schlimmsten Falle Vorletzte…

Mein Süßer sammelt unsere wärmenden Klamotten ein und macht sich auf den Weg zurück nach Bochum. Wir warten auf den Startschuss. Es geht los, runterzählen, tausende Ballons werden in den Himmel losgelassen, und dann marschieren wir auch schon los zum Start. Es dauert keine fünf Minuten, bis ich über die Startlinie bin und loslaufen kann. Und man kann wirklich von Anfang an loslaufen.

Ich will nur nicht langsamer zu sein als 4:45 h, ansonsten lasse ich es ruhig angehen. Mein Trainingszustand ist nicht der Beste, hinzu kommt eine tiefe Schnittwunde an der Hand, die erst eine Woche alt ist und der ich nicht so ganz traue. Also trabe ich vor mich hin, lasse mich einfach treiben und schaue, was ich von meiner Studienzeit in Bochum vor 10 Jahren noch so wiedererkenne.

Zuerst geht’s mal leicht bergauf, dann geht’s eine Weile bergab nach Langendreer, vorbei am Opel-Werk. Ging da nicht vor Jahren der Marathon quer durch die Halle? Naja, dieses Jahr jedenfalls nicht, dafür stehen viele Opelaner der Straße und schauen uns zu.

In Langendreer herrscht eine tolle Stimmung. Der Straßenrand steht voller Menschen, die klatschen und uns anfeuern. Die Namen stehen sehr groß auf den Startnummern, und so werde ich immer wieder persönlich angefeuert, was natürlich motiviert. Ich erkenne die Tierarztpraxis, bei der ich früher mit meinem Zwergkaninchen war, und den Auto-Händler, der mich bei einer Reparatur einmal übers Ohr hauen wollte. Und dann geht’s auch schon wieder raus aus Langendreer. Alle Ortsteile von Bochum kenne ich nicht, aber irgendwann geht’s vorbei an Möbel Hardeck. Ganz in der Nähe habe ich damals gewohnt und ich gucke, ob ich irgendeinen der ehemaligen Nachbarn und Hausbewohner am Straßenrand entdecke. Tue ich aber nicht.

Nun zieht’s sich wieder leicht bergauf zum nächsten Opel-Werk. Hier steht kein Haus am Rand und folglich auch kein Zuschauer. Aber man sieht ellenlang vor sich den bunten Läuferwurm und hinter sich genauso. Und ich mittendrin! Ein euphorisches Gefühl erfasst mich!

In Altenbochum komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Hier ist ein Krawall, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Ein Moderator versucht, gegen die schreiende Zuschauermasse anzukommen, aber zwecklos. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen und stehen so dicht gedrängt, dass man durch eine Gasse laufen muss und rechts und links nur Hände abklatscht. Dazu läuten die Kirchenglocken. Sowas hab ich noch nie erlebt! Party pur!

Schon kommt die 10 km-Marke. 1:03 auf meiner Uhr, hoppla, für mich ist das schnell. Na, wenn mir da mal nicht hinten raus die Körner ausgehen… Aber wenn das Publikum so weitermacht, dann mache ich mir da keine Sorgen. Durch ganz Bochum durch ist eine Mords-Stimmung. Meine Beine merke ich überhaupt nicht, ich nehme nur die tolle Stimmung mit, klatsche Hände ab, schäkere mit dem Publikum und hab gigantisch Spaß.

 


Kurz vor dem Café Ferdinand hockt mein Süßer am Straßenrand und fotografiert mich beim Laufen. Fix ein Motivations-Küsschen und schon schickt er mich mit einem Klaps auf den Allerwertesten weiter, nur keine Zeit verlieren…

Vor mir läuft eine Gruppe mit T-Shirts „Ich bin ein Lauf-Renntier!“ Und eine der Mädels hat obendrein noch ein Elchgeweih auf dem Kopf. Mein Versuch, die Gruppe von vorne zu fotografieren, ist leider schiefgegangen…

Auch in Bochum-Riemke herrscht wieder tolle Stimmung. Im Vorfeld habe ich irgendwo im Internet gelesen, dass die Stimmung im Ruhrpott bei diesem Marathon gigantisch sein soll. Dieser Aussage kann ich wirklich nur zustimmen, bei meinem ersten Marathon in Köln war’s nicht besser als heute hier…

In Herne ist irgendwo das HM-Ziel, das weiß ich noch. Bald kommen uns auf der Gegenbahn die „Halben“ entgegen. Sie haben einen Kilometer zuvor ihren Wendepunkt, an dem wir geradeaus weiter laufen. Bald darauf wird uns die Halbdistanz angezeigt. Zuerst geht’s ein Stück bergauf, dann hinab und über die Zeiterfassungsmatte. Die überquere ich nach 2:14 h. Das sieht doch gut aus…

Bei km 23 treffe ich Ariane wieder. Sie muss mich irgendwo überholt haben und steht jetzt mitten auf der Straße und telefoniert. Ich frage sie, ob sie nicht mehr mag und sich abholen lassen will. Sie fragt zurück, wie sie denn anständig bis zum Ziel kommen soll, wenn sie ständig angerufen wird… Handy aus, sage ich da nur. Wir laufen ein Stück zusammen, aber offenbar bin ich ihr doch zu schnell und sie schickt mich vor. Aber vorher prophezeit sie mir noch, dass das bisher schon hügelige Streckenprofil noch schlimmer wird. Na, das sind ja tolle Aussichten.

Bei km 25 nehme ich ein Gel und frage, wann es mal was anderes gibt als Wasser. Ab km 30 gibt’s Cola, bekomme ich zur Antwort. Prima, ich freue mich drauf! Im Übrigen finde ich auch die Helfer an den Versorgungsstationen klasse. Und gut gelaunt.

Bald erreiche ich Gelsenkirchen, wo die Oberhausener Marathonis dazukommen. Hier ist wieder eine gigantische Stimmung. Ein Fanfaren-Corps spielt, ein bisschen weiter tanzt eine Cheerleader-Gruppe, noch ein bisschen weiter eine Sambagruppe. Es war auch vorher nicht einsam auf der Strecke, aber ab jetzt sind wieder massig Läufer um mich rum, und gemeinsam geht’s jetzt weiter nach Essen.

Nach dem Come-together-Point geht’s um eine Kurve. Und da steht ein gelb gekleideter „Ruhr-Runner“ und schreit mich an: „Hey, Heike, schau auf die andere Straßenseite, das sind alles Deine Fans!“ Und zu den Leuten auf der anderen Straßenseite ruft er „Hey Leute, hier kommt Heike!“ Alle Zuschauer machen eine Laola-Welle nach der anderen und schreien mir zu „Heike, lauf für uns!“ Ich komme mir ein bisschen vor wie Paula Radcliffe – so viele Fans,  einfach toll sind die Leute hier!

Bald laufe ich an km 30 vorbei. Bei meinen ersten beiden Marathons bekam ich ab hier schwere Beine und es begann der Kampf gegen die schwindende Motivation: „Warum tust du dir so einen Unsinn an?“ Heute habe ich dieses Problem nicht, die Zuschauer lassen mich total vergessen, dass es noch 12 km sind. Und jetzt gibt’s auch endlich meine heißersehnte Cola, lecker!

Bei km 33 habe ich 3:30 h auf der Uhr. Für die letzten 9 km hab ich also noch eine Stunde Zeit, um mir meinen langfristigen Wunsch, endlich mal in 4:30 h zu finishen, schon heute zu erfüllen. Das Streckenprofil habe ich bei diesen Gedanken gerade nicht vor Augen.

Die letzten 9 km geht’s fast nur noch bergauf, teilweise richtig steil. Ich nehme rechts und links von mir nicht mehr allzu viel wahr und kämpfe mich nur noch nach oben.  Zuerst geht’s noch ganz gut, dann bekomme ich Seitenstechen und muss ab und an eine kleine Gehpause einlegen, um die Stiche wieder weg zu bekommen und wieder anständig atmen zu können.

Längst sind wir in Essen, aber immer noch sind’s 5 km. Neben mir quält sich ein junger Mann genauso, wir schauen uns an und sagen fast gleichzeitig: „Nee, auf den letzten 5 km wird nicht mehr aufgegeben, wir schaffen das!“ Klar schaffen wir das!

Bei km 41 sehe ich wieder meinen Freund am Rand. Er fotografiert mich und läuft dann einen km neben mir her, behangen mit der schweren Spiegelreflexkamera und meinem Rucksack mit trockenen Klamotten. Ab km 42 lässt er mich alleine laufen. Jetzt nehme ich auch das Publikum wieder wahr, das sich die Seele aus dem Leib schreit. Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich zuerst nach rechts oder nach links winken soll. Ich wiederhole mich, ich weiß, aber die Leute hier sind einfach toll!!

Jetzt kommt das Ziel in Sicht, ich renne, als ginge es um mein Leben und überquere die Ziellinie mit erhobenen Fäusten und einem Höllen-Freudenschrei nach 4:37:36 h. Meine alte PB vom Wien-Marathon im letzten Jahr ist damit gefallen!

Ich bekomme sofort eine Medaille und ein paar Meter weiter eine Folie zum Wärmen, hole mir mein Finisher-Shirt ab und treffe dann nach einem kurzen Telefonat auch meinen Freund wieder. In der Halle bei der Marathonmesse ist richtig was los. Martin Stosch, der Zweite aus der letzten DSDS-Staffel singt auf der Bühne. Dazu gibt es Kartoffelsuppe, umsonst. Wir bleiben noch ein Weilchen dort, schauen an allen möglichen Ständen vorbei, futtern uns durch und fahren irgendwann nach Hause, glücklich, stolz und zufrieden.

Fazit des Tages: Die Aussage, dass der Karstadt-Ruhr-Marathon wegen seines Streckenprofils nicht bestzeitentauglich ist, ist widerlegt, zumindest mir ist das gelungen. Die Stimmung an der Strecke ist superklasse. Eine bessere Versorgung (alle 2,5 km Wasser, alle 5 km auch Bananen, ab km 30 auch Cola, Limo und Iso-Getränke) habe ich noch nie bei einem Wettkampf erlebt.

 

Informationen: Karstadt Marathon
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