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Laufberichte

Wider dem Vorurteil

26.08.07
Freundliche Menschen, gute Organisation und eine schön zu laufende Strecke, gemixt mit einem hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis. Was will man mehr?


„Hunsrück-Marathon?“ Erstaunen „Du willst im Hunsrück einen Marathon laufen?“ Grinsen „42 Kilometer Laufen – durch den Hunsrück?“ Abwehrhaltung.

 

Als ich damit begann über mein aktuelles Marathonziel zu berichten, erhielt ich im Bekannten- und Freundeskreis durchgängig gleich gelagerte Reaktionen. Offenbar zweifelte man dort entweder an der Aufrichtigkeit meiner Erzählung oder an meinem Geisteszustand. Scheinbar hat der gebürtige Eifelaner einen gesunden Respekt vor der geografischen Beschaffenheit des unmittelbar benachbarten Mittelgebirges. Dieser nur durch den Lauf der Mosel abgetrennte Teil des Rheinischen Schiefergebirges ist in der benachbarten Eifel als nebelverhangener, günstigstenfalls verregneter Landstrich verschrien – fast erwartet man ein Land der Trolle und Elfen, in dem eigenbrötlerische Menschen ihr Tagwerk in windumtosten engen, dunklen Tälern verrichten.

 

„Da geht es doch nur steil rauf und runter – Nein? Eine alte Bahntrasse? Sanfte Steigungen, die endlos geradeaus gehen und dabei womöglich noch Gegenwind? Nein Danke, nichts für mich“

 

Scheinbar hatte sich ein weiteres Vorurteil in die Köpfe meiner Gesprächspartner eingeschlichen und ließen allmählich in mir selbst leichte Zweifel zurück. Gestählt durch zahlreiche Lehrgänge im Hunsrück und etlicher Besuche auf dem dort gelegenen Flughafen Hahn war ich mir recht sicher, dass ich nach meinem üblichen Vorbereitungspensum den geplanten Ausflug ohne Schaden an Geist und Körper überleben könnte.

 

Vorsorglich nahm ich dann am Sonntag in aller Früh noch einen aus Ehefrau, Tochter und Nachbarin bestehenden Rettungstrupp mit auf die Reise. Dort wo einst die Dampflok schnaufte – so der offizielle Slogan der Veranstaltung -  wird ein Punkt-zu-Punkt-Kurs gelaufen. Start aller Marathondistanzen ist in Emmelshausen, das Ziel befindet sich in der ca. 22 Kilometer entfernten Kreisstadt Simmern. Die Laufstrecke selbst schlängelt sich durch etliche Seitentäler und Ebenen.

 

Die meisten Teilnehmer beginnen die Veranstaltung am Zielort, parken dort ihr Auto in der Nähe der Hunsrückhalle wo auch die Startunterlagen abgeholt werden können und werden dann mit Pendelbussen zum Start nach Emmelshausen gebracht. Beide, sowohl der Start- als auch der Zielort, sind über die B50 bzw die BAB 61 verkehrstechnisch gut angebunden.

 

Erstmals wurde offiziell angeboten, die Startunterlagen in Emmelshausen abzuholen, was die Dauer der morgendlichen Anreise für mich deutlich verkürzte. Dort im ZAP – Zentrum am Park – hatte sich gegen 08:00 Uhr schon ein kleines Heerlager von Inlinern und Läufern gebildet, in dem es auffällig entspannt zuging. Etwas abseits drängte sich ein winziges Grüppchen von Nordic-Walkern fast verschüchtert zusammen. Von der teils hektischen Atmosphäre der Citymarathons war absolut nichts zu spüren.

 

Auch nachdem die Busse mit den Läufern angekommen sind, ändert sich hier nichts – eine freundliche, erwartungsvolle Stimmung hängt in der Luft. Sogar auf den Toiletten ist dank weit ausreichender Kapazitäten keinerlei Hektik zu spüren.

 

Im ZAP treffe ich mich wie verabredet mit Wolfgang Bernath, der ebenfalls für Marathon4You schreibt und heute seinen zwölften Marathon – quasi als Vorbereitungslauf für den Berlin-Marathon in vier Wochen – laufen wird. Zufällig stolpern wir über ein Urgestein des deutschen Laufsports. Volker Berka –ebenfalls ein M4Y-Autor- nimmt wieder einmal am Hunsrück-Marathon teil. Für ihn ist es bereits der sechste Start hier. Lediglich einmal musste er aufgrund einer Herz-Operation seinen Start ausfallen lassen. Nun, bei nachweislich über 3.800 Laufwettkämpfen seit Beginn seiner Karriere 1962 wird er diesen einmaligen Ausfall verschmerzen können.

 

Gemütlich gehen wir kurz vor 09:00 Uhr in Richtung der nur wenige hundert Meter entfernten Startlinie. Das übliche Warmlaufen schenke ich mir, geht es doch nach dem Start erst einmal etliche Kilometer bergab; Zeit genug, um warm zu werden wie ich meine. Bei dem für heute grob angepeilten Zeitziel von 05:30/km – 05:40/km kann ich diese Kilometer gemütlich rollen lassen ohne mich anzustrengen.

 

Während der folgenden Kilometer geht es erst einmal durch das noch recht verschlafene Emmelshausen beständig bergab aber entgegen der Planung viel zu schnell. Erst eine kernige Steigung ab Kilometer 4 bremst Wolfgang und mich auf das gewünschte Maß zurück. Kurze Zeit später gelangen wir auf den Schinderhannes-Radweg, dem wir nun bis ins Ziel folgen.

 

Wenn die Strecke so bleibt, wie sie hier aussieht, steht uns ein schöner, entspannter Marathon bevor. Auf beiden Seiten des Radweges versprechen ausreichend hohe Bäume später genügend Schatten vor der jetzt noch durch den leichten Dunst gebremsten Sonne.

 

Während Wolfgang und ich die ersten beiden Verpflegungspunkte in Emmelshausen und Norath nur um ein paar Tröpfchen Wasser erleichtert haben, greifen wir am Verpflegungsstand des TTC Pfalzfeld etwas reichlicher zu. Hier, am ehemaligen Bahnhof, hat sich eine ausgelassene Menge versammelt, die scheinbar jedem einzelnen Läufer das Gefühl vermitteln möchte, er sei der Star dieser Veranstaltung.

 

Von hier aus geht es in moderater Steigung und sanften Kurven hinauf zum höchsten Punkt der Strecke bei Lingerhahn, wo sich optimal platziert wieder ein Verpflegungspunkt findet. Hier schnappe ich mir aus den Händen einer jungen Dame zunächst einen Becher Wasser und beginne damit meine Kamera wieder wegzupacken als mir plötzlich auffällt, dass es hier auch wieder Bananen zu erbeuten gibt. Vor lauter lauter komme ich mit meinen Händen durcheinander und gieße mir versehentlich fast den Inhalt des Wasserbechers in die Kameratasche. Bis ich mich wieder sortiert habe, sind etliche Sekunden vergangen.
Egal, ich habe hier bei Kilometer 16 oder 17 bereits ein mehrminütiges Zeitpolster herausgelaufen.

 

Leider hat Wolfgang nicht mitbekommen, dass ich hinter ihm in Verzug gekommen bin, folgerichtig schlägt er eine schnellere Gangart ein um mich wieder ins Blickfeld zu bekommen. Da ich seine angenehme Gesellschaft nicht missen möchte, lege ich ebenfalls Tempo zu und schließe langsam trotz anhaltender leichter Steigung zu ihm auf. Als ich bis auf 10 Meter an in herangekommen bin, dreht er sich Gott sei Dank um und nimmt Tempo weg. Pffff – das hat Körner gekostet.

 

Gemeinsam traben wir in 1:55 bei Ebschied über die Halbmarathonmarke. Von hier aus geht es sacht und gemütlich die nächsten 6 Kilometer bis Kastellaun. Am dortigen Bahnhof kommen wir genau zum Start der Halbmarathonläufer an. Parallel mit uns zieht das Feld an und verschwindet nach rechts auf einen Rundkurs über knapp 6 Kilometer durch und um Kastellaun.

 

Knapp einen Kilometer hinter Kastellaun steigt die Strecke letztmalig über ein, zwei Kilometer sanft aber beharrlich an, bis sie am Beller Bahnhof wieder beginnt abzusinken. Für mich beginnt hier ein neuer Abschnitt dieses Marathons – leider völlig anders als geplant. Eigentlich führt die Strecke von hier aus bis zum Ziel knapp 100 Höhenmeter bergab, ideal um es auf den letzten 10 bis 12 Kilometern bei minimalem Kraftaufwand zügig rollen zu lassen. Zwar hat sich die Sonne mittlerweile durch den Dunst gekämpft und entsprechende Temperaturen mitgebracht, uns Läufer aber schützt der umgebende Wald vor zu viel Hitze.
Fast schon ideale Bedingungen, wären da nicht die immer stärker werdenden Beschwerden an meiner rechten Hüfte.

 

Nach kurzer Beratung trennen Wolfgang und ich mich, unser Tempo kann ich so nicht halten, geschweige denn steigern. Mit in meiner Richtung hochgerecktem Daumen zieht Wolfgang von dannen. Schade, aber es macht keinen Sinn zusammen zu bleiben. Sollte es mir im weiteren Verlauf so schlecht gehen, dass ich aufgeben muss: Diese Veranstaltung ist so gut organisiert und mit Helfern in so reichlicher Zahl ausgestattet, dass ich sicherlich die nötige Unterstützung finden werde, um irgendwie nach Simmern zu gelangen.

 

War ich Anfang der 80er-Jahre anlässlich der Protestdemonstrationen gegen die Stationierung von amerikanischen Phersing-II-Raketen tagelang in den Wäldern um das kleine Örtchen Hasselbach unterwegs,  konzentriere ich mich heute beim Passieren des Ortes nur auf einen möglichst saubern, runden Laufstil. Wenn das nicht hilft, lenke ich mich mit der schönen Landschaft um mich herum ab.

 

Kurz hinter Hasselbach überholt mich Sabine Parker, die in Emmelshausen noch energisch abgestritten hat, dass ich sie heute nach dem Start noch einmal von hinten sehen würde. In 3:48 wird sie am Ende ihre Altersklasse ganz klar dominieren.

 

Wenig später werde ich wieder überholt – diesmal in einem Höllentempo. Der spätere Sieger des Halbmarathons zieht an mir vorbei. Erst nach einer ganzen Weile folgen nach und nach die Spitzenläufer über die halbe Distanz.

 

Kurz hinter der liebevoll betreuten Verpflegungsstelle in Neuerkirch - ich glaube, es war der dortige Museumsverein – ist es dann für mich so weit. Immer häufiger muss ich vom Laufen ins Gehen wechseln um meiner Hüfte etwas Erholung zu gönnen. Trotz lautstarkem Fluchen und Hadern pendelt sich mein Puls um einen dauerhaften Wert von 140 ein.

 

Läufer um Läufer zieht auf der wunderschön gelegenen Strecke an mir vorbei, bis ich irgendwo um Kilometer 40 herum auf den mittlerweile über 100 Jahre alten Simmerner Eisenbahntunnel stoße, an dessen Ende die letzte große Anstrengung auf uns Läufer wartet. Unmittelbar hinter dem Tunnel geht es scharf rechts ab und auf eine Brücke hinauf, die in luftiger Höhe die Tunnelmündung quert. Hier dürfte so mancher sein (vor-)letztes Körnchen gelassen haben.

 

Im Stadtgebiet von Simmern angekommen, wartet eine Zufahrtsstraße mit moderater Steigung auf jeden, der immer noch Kraft im Überfluss oder seinen Endspurt zu früh begonnen hat. Kurz hinter einer Kuppe liegt dann auch schon der Zielbereich wenige hundert Meter vor mir im Tal. Zusammen mit meiner Tochter Michelle, die mich bereits hinter dem Tunnel abgepasst hat, laufe ich nach 04:10 Stunden über die Ziellinie.

 

Dort renne ich Wolfgang unmittelbar vor die Linse seiner Kamera. Schön, dass du auf mich gewartet hast!

 

Heute, zwei Tage nach dem Lauf, kann ich die Ressentiments aus der Lauffraktion aus eigener Erfahrung zurückweisen: Der Hunsrück-Marathon ist eine Reise wert, es gibt keine ekligen Steigungen, langweilige Streckenpassagen oder organisatorische Defizite. Wer sich einmal an einem Landschaftsmarathon versuchen möchte, ist hier wirklich gut aufgehoben. Ottmar und Rosi Berg werden sich samt ihrem zahlreichen Helferteam auch 2008 sicherlich wieder ein Bein ausreißen.

 

Informationen: Hunsrück Marathon
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