Würden beim Hunsrück Marathon so viele Läuferinnen und Läufer teilnehmen, wie von hier aus schon mit einem Billigflieger zu einer Marathonreise aufgebrochen sind, hätten die Organisatoren einige Sorgenfalten weniger.
Oder auch nicht. Tatsache ist, dass bei meiner letzten, allerdings schon Jahre zurückliegenden Teilnahme wesentlich mehr Marathonis in den Meldelisten standen als die 170 dieses Jahr. Über alle Disziplinen (Marathon, Halbmarathon, Skaten, Walken, Fun-Run) kommt man auf rund 2.000. Damit und mit dem Lob der Teilnehmer ist man zufrieden.
Die Menschen im Hunsrück sind bescheiden. Sie lebten nie auf großem Fuß. Als „strukturschwach“ bezeichnet man Gebiete, um die Investoren einen großen Bogen machen. Nur einmal in der jüngeren Geschichte war die Hochfläche zwischen Rhein und Mosel sehr gefragt. Das war während des Kalten Krieges, als die Amerikaner hier Flugplätze, Munitionslager und Raketenabschussbasen einrichteten. In der Nähe von Kastellaun und Bell (wir laufen an beiden Orten vorbei) waren 96 Cruise Missiles mit Atomsprengköpfen stationiert. Als sich am 11. Oktober 1986 auf und um den Marktplatz von Bell rund 200.000 Menschen versammelten (unter ihnen Udo Lindenberg und Hannes Wader), um dagegen zu protestieren, war das die wohl größte Demonstration, die der Hunsrück je erlebt hat.
Die Raketen sind weg, die Amis auch. Mühsam und mit viel (Steuer-) Geld hat man die ehemalige Airbase in Hahn zum Zivilflugplatz umgewidmet. Ansonsten sind es mittelständische Betriebe, Handwerker und Handelshäuser, die den Menschen Arbeit geben. Viele sind auch noch in der Landwirtschaft tätig. Weil über den Hunsrück meist kräftige Winde wehen, entstehen jetzt viele Windkraftanlagen, die durch Photovoltaik- und landwirtschaftliche Biogasanlagen ergänzt werden. In ein paar Jahren soll Strom ein wichtiges Handelsgut für die Region sein.
Woher der Name Hunsrück kommt, ist strittig. Am wahrscheinlichsten ist wie so oft die einfachste Variante: von Hundsrücken. Einfach ist auch die Anreise: Autobahn A 61, Abfahrt Rheinböllen, B 50 nach Simmern. Die Stadt hat noch keine 8.000 Einwohner, ist aber dank der gigantischen Fachmärkte der Globus-Kette das reinste Einkaufsparadies, sonst typisch für die Region: Viel Fachwerk, Schieferdächer und Historisches. Herausragend ist dabei der Pulverturm, einst Pulvermagazin und gleichzeitig Gefängnis. Berühmt wurde der Bau, weil hier 1799 Johannes Bückler, besser bekannt als Schinderhannes, eingesperrt war. Allerdings gelang ihm aus dem als ausbruchsicher geltenden Verlies die Flucht. Von ihm wird später noch die Rede sein, denn die Laufstrecke folgt dem nach dem Räuber benannten Radweg auf der ehemaligen Bahntrasse.
Das Herz des Hunsrück-Marathon schlägt auf dem Platz vor dem 1708 erbauten Neuen Schloss. Hier ist der Zieleinlauf und das große Marathon-Zelt. In unmittelbarer Nähe ist die Hunsrückhalle mit der Startnummernausgabe und einer kleinen Marathon-Messe. Hier bekommt man auch nach dem Lauf seinen Kleiderbeutel zurück und eine erfrischende Dusche. Vor der Halle fahren die Shuttlebusse ab zu den Startplatzen Emmelshausen (Marathon) und Kastellaun (Halbmarathon). Es ist also schon ein gewaltiger organisatorischer Aufwand, den das Team um Otmar Berg zu bewältigen hat. In diesem Jahr kam noch ein heftiger Sturm dazu, der in den Tagen vor dem Lauf zahlreiche Bäume fällte, die die Strecke blockierten. Gleichzeitig ging aber auch der Sommer zu Ende, sodass die Sorge, die Hitze könnte den Teilnehmern zu sehr zu schaffen machen, entfiel.
Am Sonntagmorgen in Emmelshausen sind die Temperaturen sogar deutlich einstellig und die meisten Läuferinnen und Läufer wollen das ZAP, das Kultur- und Tagungszentrum, gar nicht verlassen. Zuerst sind die Skater an der Reihe. Für sie muss der Hunsrück-Marathon ein ganz besonderes Erlebnis sein, denn wo sonst kann man auf Rollen auf allerbester Piste durch eine so schöne Landschaft flitzen.
Um 9.00 Uhr starten die Marathonis zusammen mit den Staffelläufern und einigen Walkern. Die Runde durch den Ort ist etwas geändert und beinhaltet diesmal eine kurze Wendepunktpassage. Marco Diehl kommt uns als Erster entgegen. Sein Vorsprung ist nach ein paar Kilometern schon beträchtlich und er kann sicher sein, bei seiner siebten Teilnahme auch zum siebten Mal zu gewinnen. Es sind recht viele Zuschauer an der Strecke, die auf den ersten 5 Kilometern bis zum Schinderhannes-Radweg gleich einige Steigungen aufweist. Aber keine Angst, ich muss das erwähnen, eine Rolle spielen sie nicht. Insgesamt hat der Marathonkurs sogar 130 m Gefälle und viele Teilnehmer loben ihn als ausgesprochen schnell.
Die Hunsrückbahn wurde 1908 eröffnet und führte von Boppard bis Simmern. In den 1990er Jahren wurde der Abschnitt Emmelshausen – Simmern stillgelegt und mit dem Rückbau begonnen. Am 1. Mai 2000 wurde der Radweg eröffnet und sofort hatte Ottmar Berg die geniale Idee, darauf einen Marathonlauf zu veranstalten, die bereits im folgenden Jahr umgesetzt wurde.
Dafür muss man ihn noch heute loben. Während rustikale Wege und lästige Steigungen bestimmt manchen Läufer von der Teilnahme an einem Landschaftslauf abhalten, erwartet einem hier eine durchgängig asphaltierte Rennpiste, mäßige, kaum spürbare Höhenunterschiede, eine wunderschöne Landschaft, engagierte Helfer und in den Orten und teilweise sogar an der Strecke begeisterte Zuschauer.
Verstehe wer will, weshalb das alles in diesem Jahr nur 170 Marathonis erleben wollen. Spätestens als ich nach gut 5 Kilometern auf dem Radweg bin, der sich zunächst durch undurchdringliche grüne Wände schlängelt, bin ich restlos begeistert. Auch bei Hitze ließe es sich hier gut aushalten. Das Feld ist sortiert, man läuft sein Tempo, lauscht der Natur oder seinem MP3-Player. Dann schaut man über weite Felder, Hügel und Täler und entdeckt hier und da versteckte kleine Orte. Das sind die Momente, die mich froh und glücklich machen, weil ich zwar spät, aber nicht zu spät das Laufen für mich entdeckt habe.