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Laufberichte

(Fast) so schnell wie die Eisenbahn

 

Schon zum 20. Mal veranstaltet das Team um die Organisatoren Rosi und Ottmar Berg den Hunsrück Marathon und Marathon4you hat fast über jede dieser Veranstaltungen berichtet. Wir selbst sind in diesem Jahr zum zweiten Mal dabei.

Judith und ich machen uns per Auto auf die Fahrt in den Hunsrück. Ziel ist Simmern, im Prinzip über die A 61 gut zu erreichen. Wenn nur der Urlaubs-Rückreiseverkehr von Süd nach Nord nicht wäre... Wir fühlen uns fast wie zu Hause, als wir das Wappen der Stadt sehen, ein Wittelsbacher Löwe über den bayrischen Rauten. Lange Jahre war Simmern bayerisch, hat aber eine recht abwechslungsreiche Geschichte vorzuweisen. Ein Stich von Matthäus Merian aus dem Jahre 1648 zeigt eine große Burg über der Stadt thronend. Im Jahr 1689 fiel die Burganlage dem Pfälzischen Erbfolgekrieg zum Opfer.

Judith und ich holen uns im Neuen Schloss erst einmal unsere Startunterlagen ab. Der Stoffbeutel enthält diverse kleine Geschenke und Proben, unter anderem Nüsse, Energieriegel, Dusch- und Massagegel. Auch eine Flasche „Wander-Wasser“ ist dabei, denn die Gegend ist vor allem ein beliebtes Ausflugsziel für Wanderer. Das ganze Paket gibt es für günstige 44 € bis 49 €.  Das Veranstaltungsshirt kann extra gekauft werden. Nebenan lädt das Hunsrück-Museum zu einem Besuch ein.

 

 

Wir begeben uns erst einmal auf einen Spaziergang durch die Hauptstraße von Simmern und besichtigen die Reste der ehemaligen Stadtmauer. Den Abend beenden wir früh bei einer guten Pizza im italienischen Restaurant GiGi. Übernachtungstechnisch gibt es durch den großen Hotelneubau keine Probleme. Von hier ist man in wenigen Minuten zu Fuß am Schlossplatz. Das „Moxy“, ein Ableger der Marriott-Kette, bietet stylische Zimmer zu erschwinglichen Preisen und ein Frühstück für Marathonis ab 5 Uhr. Auch viele Radtouristen steigen heute hier ab. Man gibt sich jugendlich-salopp.

Um fünf Uhr müssen wir noch gar nicht aufstehen, denn der Start ist erst vier Stunden später und die Shuttlebusse fahren pünktlich um 7:55 Uhr direkt neben dem Hotel ab. In 25 Minuten werden wir nach Emmelshausen gefahren. Dort in der Veranstaltungshalle ZAP kann man sich umziehen und die großen Toilettenanlagen benutzen. Am Deutsche Post Elektrotransporter kann man seine Tasche abgeben.

Der Startbogen befindet sich gleich nebenan. Gerade werden die Inlineskater auf die Strecke geschickt. Dann werden wir noch über eine Änderung informiert: Wir starten diesmal andersherum, die Schleife durch die Wohngebiete von Emmelshausen wird durch eine Pendelstrecke zum Gewerbegebiet ersetzt. Bei km 5 werden wir hier nochmals vorbei kommen.

 

 

Das Feld ist überschaubar: 80 Marathonis sind am Start, 64 werden das Ziel erreichen. Früher waren das manchmal viermal so viele. Wobei der Hunsrück ein bevölkerungsreiches Einzugsgebiet hat. Aber vielleicht halten sich viele Marathonis nach der Pandemie erst mal mit sportlichen Aktivitäten zurück – oder wollen gleich bei den ganz großen Läufen mitmachen.

Dann der Start. Auf der Zufahrtstraße zur Autobahn kann man schon mal das Feld sehen und ich viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter ablichten. Man wendet nach 2,5 Kilometern um einen Helfer herum. Für einen Großstadtmenschen wie mich ist es immer wieder spannend zu sehen, wie die Menschen auf dem Land leben. Da ist es ganz normal, am Sonntagmorgen mit dem Auto zum Bäcker im Gewerbegebiet zu fahren. Das Auto ist hier im Hunsrück wie in allen ländlichen Gegenden unverzichtbar.

Den Helfern an der Kreuzung rufe ich ein „Ihr steht ja ganz schön unter Strom“ zu. Nicht ohne Grund, denn über ihren Köpfen verläuft eine große Hochspannungsleitung. Links von uns die Forstverwaltung. Dann der Galgenhof. Dahinter werden 64 neue Parzellen für Wohnhäuser angelegt. Die Warteliste ist lang. Bekannt ist Emmelshausen auch für die Familie Pies, in früheren Zeiten zur Zunft der Knochenbrecher gehörig, die orthopädische „Behandlungen“ durchführten. Aus dieser Familie sind inzwischen schon viele Mediziner mit Abschluss hervorgegangen.

Mein Opa hingegen war Heizer, der Uropa königlicher Reichsbahnoberschaffner. Ich bin nicht zur Bahn gegangen, aber ich freue mich nun auf einen Lauf auf der ehemaligen Hunsrückbahn. Aber zuerst erst noch am Weinmarkt vorbei. Der öffnet seine Pforten um 12:00 Uhr mit einem Mittagstisch, begleitet von einem „guten Tropfen“. Ein kurzes Stück laufen wir parallel zur Hunsrückhöhenstraße, deren Bau in der viel beachteten Filmreihe „Heimat“ von Edgar Reitz thematisiert wird.

 

 

Das Eisenbahnstück von Boppard am Rhein nach Emmelshausen ist noch in Betrieb. Weiter fährt man mit dem Rad bis Simmern auf dem Schinderhannes-Radweg. Dessen Namensgeber, der vermutlich 1779 geborene Johannes Bückler, ist ein wichtiger Teil der örtlichen Folklore. „Johannes durch den Wald“, wie er sich selbst nannte, wurde mit 15 Jahren erstmals straffällig und verübte bis zu seinem frühen Tod durch die Guillotine 211 Delikte. Sogar aus dem sogenannten Schinderhannes-Turm in Simmern konnte er fliehen. Vor dem Turm befindet sich heute eine Bronzeplastik, die Johannes und einen „Kollegen“ beim Schweinediebstahl zeigt. Später stellte er sein „Geschäftsmodell“ von Raub auf Schutzgelderpressung um, da ihm das einfacher und einträglicher erschien. Um den Schinderhannes ranken sich viele Geschichten, doch weder mit der Eisenbahn noch mit dem Radfahren hatte er etwas zu tun.

 

 

Die folgenden 10 Kilometer mäandern hier ein wenig durch das Land. Eisenbahnstrecken vermeiden starke Höhenunterschiede, Tunnel und Dämme, um Kosten zu sparen. Für uns bedeutet das aktuell einen sanften Anstieg und oft sehr schöne Ausblicke über die Landschaft, von der mir gestern eine Helferin bei der Startnummernausgabe vorgeschwärmt hat. Auch die Fotos von Herbst und Winter, die sie uns auf ihrem Handy zeigte, wirkten sehr stimmungsvoll.

Gelegentlich kommt man an kleineren Dörfern vorbei. Dort sind auch immer wieder Zuschauer, die uns anfeuern. Das Teerband ist super in Schuss. Eventuelle Unebenheiten sind sehr gut gekennzeichnet. Die Kilometermarkierung ist perfekt, ansonsten sollte man den Schinderhannes-Radweg einfach nicht verlassen.

In Pfalzfeld stehen einige Eisenbahnwaggons und rosten vor einem roten Signal vor sich hin. Oft sieht man noch die Bahnsteigkanten und den Schotter entlang des Weges. Ganz neu der Pavillon der „Erlebnisgastronomie Gleis 3“. Davor der Verpflegungspunkt.  Es gibt Wasser, Iso, später Cola, Bananen, Riegel, mehrmals sogar Gel.

Radwege auf alten Bahntrassen gibt es inzwischen sehr viele. In Spanien werden auf den „vias verdes“ auch Marathons ausgetragen.In Deutschland ist der Hunsrück-Marathon wohl der einzige Marathon, der  hauptsächlich auf einer ehemaligen Eisenbahnstrecke verläuft. Näheres zu den Wegen findet man unter bahntrassenradwege.de    

 

 

Oft stehen Infotafeln am Wegrand. Hier also gerade die Dudenrother Schanze, eine inzwischen abgetragene ehemalige Burg. Die Anlage ist heute noch in kleinen Wall- und Grabenresten zu erkennen. Ich sehe eine leichte Erhöhung im Wald. Die Bahntrasse verlief direkt hindurch.

Judith und ich werden gelegentlich von anderen Laufenden überholt. Bei der Halbmarathonmarke zieht Maya vorbei. Ich rufe ihr zu, dass sie nun wahrscheinlich die viertplatzierte Frau ist.

Das große Etappenziel ist Kastellaun, wo um 11:30 Uhr die Halbmarathonis gestartet sind. Sie beginnen den Lauf mit einer Schleife und wir treffen bei km 27 mit ihnen zusammen. Durch den Startbogen hindurch. Hier ist natürlich viel los. Oft wird man auch mit Namen angefeuert, der auf der Startnummer steht.

Die Bahnstrecke verläuft auf einmal merklich nach oben. 35 Höhenmeter auf den folgenden zwei Kilometern. Dafür gibt es hier viele neue Häuser zu sehen. Manchmal stehen auch Zuschauer hinter den schwarzgrauen Zäunen und feuern uns an.

Einen Kilometer an der B327 entlang. Hier gibt es auch ein Militärgebiet. Drei Jahre nach der Stilllegung des Personenverkehrs fuhren 1986 hier nochmals einige Sonderzüge, um Demonstranten zu einer Kundgebung gegen die Stationierung von Cruise Missiles mit Atomsprengköpfen zu bringen. 200.000 Demonstranten waren damals hier. Die Zugfahrer mussten noch bei Tageslicht den Rückweg antreten, da die Signale schon abmontiert waren und man auf Sicht fahren musste. 1987 unterzeichneten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow den INF-Vertrag, gemäß dem alle europäischen Mittelstreckenraketen vernichtet werden sollten. Die militärischen Anlagen wurden aufgegeben. Der Militärflughafen Hahn wird seitdem zivil genutzt.

Wieder eine Hinweistafel: Das keltische Wagengrab von Bell wurde beim Bau der Hunsrückhöhenstraße gefunden und war das Grab eines hochgestellten Mannes, dem ein hölzerner Wagen samt anderen Besitztümern auf die letzte Reise mitgegeben wurde. Es wurde auf das fünfte oder sechste Jahrhundert vor Christus in die Hallstattzeit datiert, worauf das bronzene Trinkgeschirr hindeutet. Andere Gräber aus dieser Zeit zeugen von einer sehr ärmlichen Bevölkerung.

In Bell ist heute Flohmarkt. Man sieht viele Menschen auf der anderen Seite der Ortschaft. Irgendwie hat sich die Szenerie geändert. Die Strecke ist sehr abwechslungsreich, denn viele Ortschaften werden tangiert. Außerdem wichtig: Von km 29 bis ins Ziel geht es über 100 Meter bergab.

In Alterkülz passieren wir eine recht skurrile Gartenanlage. Hier kann man Unkraut selber pflücken. Das Schild „Mach mal Pause“ nehmen wir wörtlich und kommen nur mehr langsam voran. Dabei haben wir heute fantastisches Laufwetter, wenig Sonne und kein Regen bei angenehmen Temperaturen. Wenn es warm und sonnig wäre, könnte man hier auf vielen schattenlosen Kilometern schon ganz schön ins Schwitzen kommen. Heute ist es eher eine Wasserblase unter dem Fuß, die das Läuferleben etwas schwer macht.

 

 

Der 50. Breitengrad wird überquert. In Keidelheim hat das alte Bahnhofsschild noch überlebt. Es ist nicht mehr weit. Auf den Radwegweisern ist ein Geselle mit Pistole und Federhut abgebildet. Die Originalrelikte kann man im Schinderhannes-Museum besichtigen. Verheiratet war der Gauner auch. Erinnert sich jemand an den Film mit Curd Jürgens und Maria Schell aus dem Jahre 1958? Die Nachfahren des Schinderhannes-Sohns Franz-Wilhelm sollen jetzt im Taunus leben.

Bei Kilometer 41 müssen wir durch einen kurzen Tunnel, den Schmiedeltunnel mit 81 Metern Länge. Dahinter kommt eine letzte Schikane: Wir dürfen nach oben und über eine Brücke die Eisenbahnstrecke queren. Und nun schnurgerade auf das Ziel zu. Die letzten 300 Meter rasen wir hinunter.

 

 

Schön war’s. Zur Belohnung gibt es eine hochwertige Medaille und Judith bekommt als Sechstplatzierte noch eine Flasche Wein und ein Geschenk. Wir genehmigen uns ein Bier: Kirner alkoholfrei schmeckt gut. Außerdem Wasser, Schorle, Cola, Isogetränk und dazu Bananen.

Duschen gibt´s im alten Hallenbad und danach stärken wir uns noch im Festzelt. Die Funläufer und -walker erreichen gerade das Ziel, bevor wir nach Hause aufbrechen.

 

Fazit:

Eine runde Veranstaltung mit vielen Helfenden, die mit Herzblut dabei sind. Eine schöne Strecke durch’s Grüne, was will man mehr? Der Kurs ist etwas wellig, verläuft aber über weite Strecken bergab. Kostenlose Übernachtung in der Schulturnhalle möglich.

 

Siegerinnen Marathon
1. Margit Klockner    2:56:45    
2. Tamara Sabla    3:48:08    
3. Christine Kühn    4:23:56    

Sieger Marathon
1. Markus Mey    2:42:04    
2. Thomas Wendling    2:43:46    
3. Thomas Schneider    2:47:36

 

 

 

 

 

 

 

Informationen: Hunsrück Marathon
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