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Laufberichte

„Grüezi, Hörnli“

07.07.07
Autor: Klaus Duwe

Der Zermatt-Marathon ist erwachsen

 

Ist das der Durchbruch? Diese Frage stellte man sich im letzten Jahr seitens der Organisation angesichts der um 50 % gestiegenen Teilnehmerzahlen. Wenn nach so einem starken Zuwachs im Folgejahr noch einmal 30 % drauf gepackt werden, kann man beruhigt mit einem JA antworten. Von 1300 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern (Marathon und Staffel) sprechen die Organisatoren, die Finisherliste weist erfolgreiche 897 Marathonis aus und 97 Staffeln. Nur einmal, bei der Premiere,  erreichten mehr Einzelläufer das Ziel (916).

 

Der Zermatt Marathon ist erwachsen geworden. Man spürt und sieht es bereits, wenn man auf den Bahnhofsplatz tritt. Ein großes Zelt steht dort, wo man im letzten Jahr noch im Nieselregen seine Nudeln löffelte. 5,00 Franken waren dafür fällig. Wohl wegen des gestiegenen Komforts entfällt diesmal der Marathoni-Rabatt, macht dann 9,50 Franken. Allerdings gibt es auf Wunsch Nachschlag. Die Qualität ist unbestritten, dafür sorgen Sponsor Barilla und René Foster, der Wirt vom Hotel Riffelberg. Wie jedes Jahr rennt er auch morgen wieder mit und bleibt dabei deutlich unter 5 Stunden.

 

Schon am Nachmittag ist viel Betrieb, denn auch Passanten nehmen das Angebot gerne wahr. Als dann die „Wäsmali Chatze“ und „Lozärner Häxe“ ihre Auftritte haben, ist der Platz schnell überfüllt und die Stimmung auf dem Höhepunkt. Die einstündige Pause der Gute-Laune-Musiker wird schnell genutzt, um dem Publikum einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu präsentieren. Darunter Andreas Engler,  der heute seinen 80. Geburtstag feiert und morgen der älteste Teilnehmer sein wird (Finisherer-Zeit: 6:50 Stunden). Er ist eine Schweizer Laufikone, nur vergleichbar mit unserem Werner Sonntag.

 

Andrea Kummer-Schneider, die pfiffige Geschäftsführerin des Zermatt-Marathon, hat einen Wettbewerb unter heiratswilligen Paaren ausgeschrieben. Das Datum 07.07.07 lädt dazu ja ein. Den Zuschlag erhielten Susanne Meier und Harald Dirr aus Ulm. Sie wollen künftig Freud und Leid miteinander teilen und fangen gleich damit an, indem sie sich den Marathon teilen: Harald läuft bis Zermatt, dort wird für sie die Uhr angehalten. Es geht auf’s Standesamt, dann rennt Susanne auf den Riffelberg ins Ziel. Unter 51 Mixed-Staffeln belegen sie übrigens in 4:13 Stunden den 8. Platz. Ich hätte ihnen da angesichts des Anlasses mehr Zurückhaltung unterstellt …

 

Star des Abends ist zweifellos die sympathische Elizabeth Hawker, von allen nur Lizzy genannt. In unnachahmlicher Manier gewinnt sie ihre Rennen. Die Frage ist dabei nur, wie deutlich wird der Vorsprung sein und um wie viel unterbietet sie den Streckenrekord.

 

Gerade mal 100 Schweizer werden mehr gezählt als Deutsche (369), macht 41 % Anteil. Logisch, dass man viele Bekannte trifft. Die Überraschung sind Horst und Inge Mühling aus Berlin, sie lieferten mir letztes Jahr mit ihrem Zuruf kurz vor dem Ziel („Gleich ist alles Schöne vorbei“) den Titel zu meinem Laufbericht. Auch dieses Jahr wollen sie, wie man es von Berlinern gewohnt ist, für Stimmung an der Strecke sorgen.

 

Dann ist wieder Guggemusik angesagt. Die Pausenbierchen sind den Jungs und Mädels gut bekommen, sie sind jetzt noch besser drauf. Aber morgen ist Marathon und außerdem soll man gehen, wenn es am Schönsten ist.

 

Noch ein paar Formalien: die Startunterlagen bekommt man mit allen wichtigen Informationen nach Hause geschickt. Für Nachmelder ist am Freitag in St. Nikolaus das Rennbüro geöffnet. Mit der Startnummer hat man freie Fahrt mit der Bahn von Brig oder Visp nach Zermatt und wieder zurück und am Renntag auch mit den Bergbahnen. Der Sonderzug um 7.15 Uhr von Zermatt zum Start nach St. Niklaus ist selbstverständlich auch inklusive. Um noch etwas braucht man sich morgen nicht zu kümmern: das Wetter. Es ist strahlender Sonnenschein vorhergesagt.

 

Um 6.00 Uhr ist es noch recht frisch, der Himmel ändert gerade seine Farbe von nachtgrau auf tiefblau. Keine Wolke ist am Himmel, und majestätisch grüßt das fast ganz in weiß gekleidete  Matterhorn herab ins Tal. „Grüezi, Hörnli“, gebe ich zurück.

 

Jetzt kann ich es nicht mehr erwarten. Zu groß ist die Freude auf den bevorstehenden Lauf. Frühstück und dann nichts wie hin zum Bahnhof. Meine Unruhe teilen viele. Schon eine ½ Stunde vor Abfahrt sitzen die ersten im Zug. Extrawürste gibt es in Zermatt nicht. Den Zug nimmt die Lizzy ebenso wie der Helmut (Schießl), die Britta (Müller) und der Gert (Frick), der Max (Frei) und der Karl (Jöhl). Gelegenheit für Gespräche und gute Wünsche.

 

Vom Bahnhof in St. Niklaus ist der Weg zum Startplatz ausgeschildert. Die bunte Läuferschar füllt die engen Gassen des Dorfes. Spätestens jetzt ist für die Bewohner die Nacht zu Ende. Es wird gelacht und gescherzt. Die Wartezeit ist kurz, der Start ist vorverlegt (kann gerne so bleiben). Zuerst starten die Eliteläufer, 10 Minuten später die Staffeln. So will man erreichen, dass kein Staffelläufer einem Einzelläufer die Show stiehlt und als Erster auf Riffelberg durch’s Ziel läuft.

 


Beinahe hätte der Helmut Schießl seinen Start verpasst. Als Letzter rennt er den anderen Favoriten hinterher. Geschadet hat es ihm nicht, am Ende hat er die Nase vorn und gewinnt mit deutlichem Vorsprung. Von einem Start-Ziel-Sieg kann aber keine Rede sein.

 

Punkt 9.00 geht dann die Genußlauf-Elite an den Start. Nach dem Kreisverkehr geht es links bergauf in den Ort. Der Puls der schnellen Erstlinge erreicht gleich Höchstwerte. Vor dem Verkehrsamt geben Alphornbläser ihr Bestes und bilden zusammen mit den vielen Leuten, Einheimische und Begleiter der Aktiven, eine tolle Kulisse. Auch ein Hinweis darauf: der Zermatt-Marathon ist erwachsen.

 

Es geht der Bahnlinie entlang, meist leicht ansteigend oder eben hinein ins Tal. Es ist ein herrlicher Sommertag, die Sonne scheint, aber die Temperaturen sind ganz angenehm. Man merkt es, wir sind fast eine Stunde früher dran, als sonst. Auf asphaltierten oder gut befestigten Wegen erreichen wir zuerst Mattsand (1227 m  - 5 km),  dann Herbriggen (1254 m – 6,6 km) und bei 10,9 km Randa (1408 m), wo wir unmittelbar an den gewaltigen Schuttmassen der zwei Bergstürze vom Frühjahr 1991 vorbei kommen.  Aus den Zügen winken die Fahrgäste und applaudieren, auch in den Ortschaften nimmt das Interesse am Zermatt Marathon immer mehr zu.

 

Über die Verpflegung hat beim Zermatt-Marathon noch nie jemand gemeckert. Sie wird sozusagen „planmäßig“ verabreicht. Jeder Teilnehmer weiß, wo es was gibt. Und alles gibt es in rauen Mengen: Wasser, Iso, Tee, Cola, Bouillon, Bananen, Riegel, Gel, ich habe bestimmt etwas vergessen. Riegel und Bananen gibt es mundgerecht portioniert, oder als Ganzes zum Einstecken. Bis man die voll gepackten Tische erreicht, ist man von den vielen fleißigen Helfern, die den Läufern entgegen kommen, schon versorgt.

 

Auf einer schmalen Nebenstraße geht es Richtung Täsch. Wie aus dem Bilderbuch präsentieren sich uns heute Breithorn und Kleines Matterhorn vor tief blauem Himmel. Es riecht nach Heu und frisch gemähtem Gras. Wie aus anderer Zeit erscheinen einem die Heuhütten als uraltem, schwarz verwittertem Holz. Der moderne Terminal rechts am Ortseingang von Täsch (1439 m – km 14,7) bildet dazu einen krassen Gegensatz. Hier endet der Autoverkehr. Nur noch mit dem Zug geht es weiter.

 

Oder zu Fuß, immer der permanenten Marathon-Ausschilderung folgend, über die überdachte Vispabrücke und dann auf schmalen, steinigen und von Wurzeln durchzogenen Pfaden. Hier werden mir erste Gehpausen aufgezwungen, aber ich will nicht drängeln. Nach einem kurzen aber kernigen Anstieg hat man einen schönen Blick auf Zermatt, rechts sieht man erstmals den Gipfel der Matterhorn-Pyramide. Dann geht es abwärts in den  weltbekannten Ort . In der Bahnhofstraße (1620 m - km 21) mache ich ausgiebig Rast, stärke mich und mache mich frisch für den Lauf durch die belebte Zermatter Geschäftsstraße.

 

Noble Geschäfte, vornehme Hotels und schöne Cafés sind in den teilweise alten Häusern untergebracht. Viele Menschen sind unterwegs, aber nicht alle interessieren sich für die Läuferinnen und Läufer. Die Auslagen der teuren Schmuck- und Uhrengeschäfte üben den größeren Reiz aus. Trotzdem ist die Stimmung gut.  Die Steigung ins Oberdorf wird leicht genommen, dann geht es abwärts zum Ortsausgang Richtung Schwarzsee. Der durch keine Wolke getrübte Blick auf das Matterhorn entschädigt für alle Mühe bisher.

 

Wir laufen eine kleine Schleife vorbei an blühenden Wiesen, queren die Vispa und sind in einem schattigen Wäldchen. Ein kleines Stück geht es bergauf, dann sind wir schon wieder auf dem Rückweg ins Dorf. Der Blick auf das Matterhorn von dieser Stelle gehört zu den schönsten überhaupt.
 
Vor dem Aufstieg nach Sunegga gibt es noch einmal eine Stärkung und dann geht auf langen Serpentinen, zunächst noch auf geteerter Straße, später auf guten Waldwegen immer aufwärts. Immer wieder drehe ich mich, schaue zurück auf das Dorf und auf das Matterhorn. Ich habe Zeit und bin längst zum Marschierer geworden.

 

Der Ausblick auf der Tuftern-Alp (2215 m) ist phantastisch und das Matterhorn gibt mit den Stein gedeckten Hütten ein tolles Fotomotiv ab. Ich vertrödele einige Zeit, weil ich darauf warte, dass sich die Fahne im Wind bewegt. Das weiße Hörnli, die Schweizer Fahne, der blaue Himmel, das wär’s. Aber der Lappen bewegt sich nicht. Ich geb’s auf und gehe weiter. Ich drehe mich auch nicht mehr um, weil ich wetten könnte, dass die Fahne jetzt munter flattert.
 
Sunegga (2262 m – 32,2 km) wird erreicht mit einer großzügigen Verpflegungsstelle. Der Ausblick macht einem sprachlos. Eben noch dachte ich, schöner geht es nicht, schon kommt der nächste Höhepunkt. Nur die Zeitenjäger kommen hier nicht wenigstens für eine Minute zur Ruhe. Auf einem schmalen Weg geht es etwas abwärts zum Leisee. Unmöglich, hier achtlos vorbei zu laufen. Ich muss euch ein Foto schießen.

 


Weit oberhalb des  Findelbaches geht es am Grindjisee vorbei in Richtung des Findelgletschers, bis bei Gant dann die Talseite gewechselt wird und wir jetzt eben oder abwärts vorbei am Grünsee laufen. Am Berggasthof (km 36,7) ist eine weitere Verpflegungsstelle eingerichtet. Über Wurzeln und Steine geht es teilweise ziemlich steil abwärts. Die Alpenrosen blühen und hin und wieder lassen die alten Lärchen einen Blick hinüber nach Sunegga zu. Dort geben die Guggemusiker gerade ein Konzert, es ist auch hier gut zu hören.

 

Dann ist es geschafft, wir erreichen Riffelalm. Zuerst werden die Gleise der Gornergrat-Bahn passiert, dann geht es eben entlang der Schienen der „höchstgelegen Straßenbahn Europas“ zur Riffelalm 2211 m – 39,1 km) mit dem 5-Sterne-Hotel. Die Terrasse ist bei dem phantastischen Wetter heute natürlich gut besucht.
 
Noch 3 Kilometer, aber was für welche. „Nicht nach oben sehen, nur weiter gehen,“ empfiehlt mir eine Passantin. Aber das hilft nichts, ich weiß bescheid: 370 Höhenmeter liegen zwischen hier und dem Ziel. Besonders steil ist gleich das erste Stück den Wiesenhang hinauf, dann wird ein etwas besserer Weg erreicht, der zur Bahnlinie führt. Parallel zu dieser zieht sich der Weg dann mit bis zu 20 % Steigung hin.

 

Ich gehe ganz rechts am Rand. Falls etwas Wind geht, hier bekomme ich ihn ab und er kann mich erfrischen. Dann eine Baustelle, statt gerade aus weiter in den kühlen Skitunnel geht es links senkrecht den Hang hoch. Schon höre ich die bereits vertrauten Klänge des Mountain-Pipers, gleich ist es geschafft. „Klaus, hier sind wir,“ rufen Horst und Inge. Und: „Du bist super.“ 

 

Noch einmal geht es einen Wiesenhang steil nach oben, dann hat man das Ziel unten vor sich liegen. Applaus dringt nach oben, Zurufe und die Begrüßungsworte des Sprechers. Der Zielbereich ist von Menschen übersäht, lauter bunte Punkte auf der grünen Wiese. Ein herrlicher Anblick, dazu die Schnee bedeckten Berge rundum.

 

Ich staune. Ich bin das vierte Mal hier, so hatte ich es bisher noch nie erlebt. Ich habe keine Sorgen, keine Probleme, nichts tut weh, ich bin nur glücklich.

Alles bekommt angesichts dieser gewaltigen Natur eine andere Dimension.

 

"Arme Würstchen" denke ich und meine die Wichtigtuer dieser Welt, die, die sich für den Nabel der Welt halten, alles wissen, und das besser, alles können, und das am Besten, lügen und betrügen, um eines kleinen, materiellen Vorteiles wegen - arme Würstchen eben. Die Welt ist schön und sie ist gut. Arme Würstchen können ihr nichts anhaben.

 

Ich möchte den Augenblick festhalten. Soll ich, oder soll ich nicht? Bevor man mir den Psychiater schickt, laufe ich weiter ins Ziel.  

 

Auszug aus der Ergebnisliste

 

Marathon Männer

1. Schiessl Helmut - 3:06.31,8 

2. Frick Gerd - 3:08.08,1         

3. Short Tim  - 3:12.38,5   

 

Marathon Frauen

1. Hawker Lizzy - 3:32.48,7      

2. Landolt Claudia - 3:40.52,5      

3. Müller Britta - 3:56.50,9   

 

Streckenbeschreibung Zermatt Marathon

Punkt-zu-Punkt-Kurs mit Start in St. Niklaus (1116 m) und Ziel Riffelberg (2582 m). Anspruchsvolle Strecke mit 1800 m Anstieg, meist Berg- und Wanderwege. Durchgangszeiten beachten!

 

Rahmenprogramm

Pasta-Party in Zermatt. Startunterlagen werden vor dem Rennen zugesandt, Nachmeldungen sind im Verkehrsamt St. Niklaus möglich.


Auszeichnung

Medaille, tolles Finisher-Shirt, Urkunde aus dem Internet


Logistik

Abgabe der Kleiderbeutel in St. Niklaus. Transport ins Ziel Riffelberg. Kostenlose Rückfahrt mit der Gornergratbahn nach Zermatt oder zu den anderen Orten im Tal.

 

Verpflegung

11 Getränke- und Verpflegungsstellen  mit Wasser, Iso, Cola, Bananen, Gel und Riegel (Verpflegungsplan wird ausgegeben). 

 

Zuschauer

In den Dörfern machen die Bewohner  kräftig mit. In Zermatt in der Bahnhofstraße tolle Stimmung. 

 

Temperaturen

Unbedingt den Wetterbericht beachten. Der Zermatt-Marathon hat in seiner kurzen Geschichte schon alles erlebt: herrliches Wetter mit Hitze in den Jahren 2003 und 2004 und Schnee 2002.   

 


 
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