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Laufberichte

Berg- und Talgeschichten - 1. Zermatt Halbmarathon

05.07.14

Fotos: Christian Reitz

Mit einer Ziellinie auf dem Riffelberg in einer Höhe von über 2,585 m.ü.N. ist der Zermatt Marathon ein echtes Juwel unter den alpinen Rennen. In diesem Jahr wird hier nun auch zum ersten Mal ein Halbmarathon angeboten. Ich bin schon immer ein großer Fan der Berge gewesen: Ski- und Snowboardfahren, heißer Kakao auf der Hütte und der Geruch stinkender Skisocken am Abend – so stelle ich mir Alpenurlaub vor. Bis zu diesem Wochenende.

Als ich erfuhr, dass meine Mutter Andrea beim Zermatt Ultra Marathon gemeldet ist, da konnte ich nicht widerstehen und hab mich und Christian auch sofort angemeldet. Nicht für den Ultra; alles was länger als 42,195km lang ist, kann ich mir (noch) nicht vorstellen, einen Marathon in diesem Terrain hielt ich für illusorisch und von Staffeln bin ich auch kein großer Fan. Zum Glück wird in diesem Jahr erstmals auch ein Halbmarathon (für 500 Startplätze) angeboten. Da darf man nicht lange zögern. Wenige Wochen, nachdem ich uns gemeldet hatten, war der Halbmarathon auch schon ausverkauft. Dass Berlin auf gerade einmal 35m.ü.N. liegt und Christian noch nie (!) in den Bergen war, habe ich bewusst und erfolgreich verdrängt.

Noch bevor Christian und ich Zermatt erreichen, haben wir einen Reisemarathon hinter uns: Wir verließen Berlin am Donnerstag und erreichten Frankfurt spät abends nach einer überfüllten und sehr langen Zugfahrt. Nach einer viel zu kurzen Nacht in Frankfurt fahren wir am nächsten Morgen mit dem Auto Richtung Zermatt. Ich bin froh, dass ich nicht die 600km laufen muss und auch dass meine Mama das Auto fährt. Als wir St. Niklaus erreichen, hat gerade die Startnummernausgabe geöffnet und wir können unsere Beutel, Nummern und Memorabilien gleich abholen. Von St. Niklaus fahren wir weiter nach Täsch, stellen unser Auto für gar nicht mal unverschämte 8 Euro pro Tag in ein Parkhaus und nehmen dann den Zug nach Zermatt. Vom Bahnhof in Zermatt ist es zum Glück wirklich nicht mehr weit bis in unser Hotel, wo wir auch gleich ins Bett fallen.

Für die Pasta-Party, die schon den halben Tag in einem Eventzelt am Bahnhof stattfand, lohnte es sich jedoch noch einmal aus den warmen Federn zu quälen. Nachdem bei einer kurzen Feier die Spitzenläufer und Favoriten für das morgige Rennen vorgestellt, wir unsere Pasta mit einem alkoholfreien Bier runtergespült und ich in einem Souvenirshop noch einen Magnet gekauft habe, fallen wir alle endgültig in unsere Betten.

Um 6 klingelt der Wecker. Start des Halbmarathons ist zwar erst um 10.25 Uhr und nur wenige hundert Meter vom Bahnhof und damit den meisten Hotels in Zermatt entfernt, aber wir stehen trotzdem schon auf, um mit meiner Mama zu frühstücken. Sie muss das Hotel um kurz vor 7 verlassen, um mit der Bahn nach St. Niklaus zu ihrem Startpunkt zu fahren. Wir machen uns um 9.30 Uhr auf dem Weg zur Beutelabgabe und dann zu unserem Startblock. Bei der Anmeldung musste man seine Halbmarathonzeit auf der Straße angeben und die hat uns hier wohl zu echt guten Läufern gemacht und so stehen wir im ersten Startblock. Das ist zwar stressig, aber ich habe eine pinke Startnummer und die war das allemal wert - auch wenn Christian jetzt mit den Augen rollt.

Zermatt liegt am oberen Ende des Mattertals auf einer Höhe von etwa 1600m. Das Dorf ist umgeben von 29 Bergen, die höher sind als 4000m, unter ihnen das Schweizer Wahrzeichen und Toblerone-Emblem, das Matterhorn. Das Matterhorn ist einer der Gründe, warum ich uns für den Lauf überhaupt angemeldet habe - und ausgerechnet heute versteckt es sich unter einer dicken Wolkendecke. Zum Glück werden Christian und ich heute nicht so schnell unterwegs sein, sodass das Wetter genug Zeit hat, sich zu ändern. Der Startschuss fällt und die pink Benummerten aus Startblock eins rennen los. Die Straßen von Zermatt sind viel zu schmal für so viele motivierte Läufer und jeder tritt dem anderen auf die Hacken. Macht nichts, das sind wir schon gewohnt: U-Bahn, Einkaufszentrum, Volkslauf – in Berlin ist ja sonst auch immer alles voller Menschen. Die ersten Kilometer verlaufen durch Zermatt und sind herrlich kurzweilig. Betagte Holzhäuser, Edelhotels und Cafés säumen die Strecke und die einen oder anderen Skifahrer machen sich auf dem Weg zur Gondel, um am „Matterhorn Glacier Paradies“ ihre Bögen zu schwingen. Neid? – Ein bisschen, aber die haben keine pinke Starnummer.

Nach einer kurzen Schleife aus der Stadt raus, unter der Seilbahn durch und über eine Brücke, laufen wir entlang des Matter Vispa zurück in die Stadt. Nach der ersten Verpflegungsstelle biegt die Strecke nach rechts ab und wo der Asphalt endet, beginnt der erste Anstieg. Das Läuferfeld dünnt sich aus und die Gespräche werden einsilbiger. Als wir den zweiten Verpflegungspunkt erreichen, bin ich schon halb verdurstet. Ob das an der Höhe liegt oder daran, dass ich, ohne ein Ende zu finden, Christian von meiner fast 20jährigen Skifahrerkarriere erzähle, kann ich nicht sagen. Die große Auswahl an Getränken und kalorischen Snacks kommt da gerade richtig.

Frisch gestärkt laufe und erzähle ich weiter. Der Schotterweg führt uns durch aromatische Wälder, entlang an saftigen Wiesen und während wir uns serpentinenartig Richtung Sunnegga hinaufschlängeln, können wir doch noch einen Blick auf der Matterhorn ergattern. Nach Sunnegga folgt ein weiterer knackiger Anstieg bis etwa KM 13. Von hier aus geht es über Grünsee bis zur Riffelalp auf schmalen Bergwegen leicht bergab. Das Panorama ist einzigartig und man muss sich entscheiden, ob man auf seine Füße guckt oder die Landschaft genießt.
Die Luft wird dünn, die Waden dick. Ein Sturz wäre jetzt wirklich blöd. „Links!“, ruft es von hinten und ich springe zur Seite. Schon lange sind wir nicht mehr nur noch von pinken Nummern umgeben, denn hier auf den schmalen Wegen und an den steilen Hängen werden wir jetzt von den roten Nummern „eingesammelt“. Die roten Nummern werden von Ultraläufern getragen. Und diejenigen, die uns hier gerade überholen, haben nicht nur bereits mehr als unsere Gesamtstrecke in ihren sehnigen Beinen, sondern werden ihr Ziel am Gornergrat (nach insgesamt 46km) voraussichtlich auch erreichen, bevor wir am Riffelberg ankommen - Da genieß ich doch lieber die Landschaft!

Über kleine Holzbrücken geht es über Bäche und über Geröllpisten und Felsbrocken wieder hinein in duftende Pinienwälder. Unsere Vorbereitung in Bezug auf die Höhe war schon etwas dürftig, aber was sich in Berlin als „Trail“ verkaufen lässt, ist hier tatsächlich nicht mehr als ein alpin-urbaner Vorgarten. Langsam wie der Internetexplorer mit einem 90er Jahre Modem laufen wir der Riffelalp auf 2222m entgegen. Direkt nach einem Buffet vom Verpflegungsstand (mit einem Energy-Potpourri aus dem Hause PowerBar, sowie Cola, Tee, Iso und Suppe) biegen wir, begleitet von einer Kapelle, hinter der Riffelalp auf den letzten Anstieg ab.

Ab hier beginnt die harte Arbeit – dabei sind es nur noch knappe 3km bis zum Ziel. Wie lange 3km mit 400m Höhenunterschied aber sein können, finden wir heute heraus. Die Strecke verläuft parallel zur Gornergratbahn und während die schnaufende Schlange gehender Läufer sich mühsam jeden Höhenzentimeter erkämpft, feuern uns die Fahrgäste von der Seite her an. Hier läuft jetzt keiner mehr. Meine Uhr pausiert immer wieder automatisch. Wir sind so langsam, dass sie denkt, wir stehen. 5. Stock Berliner Altbau ist nicht genug Training für das hier. Aber die Atmosphäre ist wahrhaft atemberaubend: Läufer reden miteinander, motivieren sich und kaum einer macht Jagd auf irgendeine Bestzeit. Das Rennen wird heute gegen den Berg gelaufen und nicht gegen die anderen Teilnehmer.

Bevor wir den Riffelberg erreichen, passieren wir sogar den letzten Rest Schnee. Die letzten 600m verlaufen auf schmalen, mit kleinen Schweizer Fähnchen geschmückten Wegen auf dem Riffelberg, umgeben von den 29 Viertausendern. Und während Christian und ich das Ziel nach 3:40h erreichen, denke ich an meine Mama, die immer noch gegen den Berg kämpft. Von unserem Ziel aus hat sie noch weitere 3,5km mit weiteren 500HM bis zu ihrem Ziel am Gornergrat.

Christian und ich erhalten im Ziel einen Beutel mit einem Linzer Törtchen, Wasser und einem PowerBar Riegel. Christian bekommt auch schon sein Finisher-Shirt, wobei ich für die kleinen Größen den Berg zu spät erreicht habe. Ich darf meinen Namen in eine Liste eintragen und bekomme mein Shirt nach Berlin geschickt.

Die Siegerin des Halbmarathon hat gerade einmal 2h für die Strecke gebraucht und kommt aus der finnischen Stadt Oulu. Ja genau, dort wo Christian und ich vor kurzem noch Letzte beim  Marathon wurden. Ohne Shirt aber mit Kuchen im Gepäck machen wir uns gleich auf dem Weg zur Gornergratbahn, um meine Mama bei ihrem Zieleinlauf sehen zu können. Der Blick vom Gornergrat soll die Ultras „für ihre Mühen entschädigen“, so der Veranstalter. Der Ausblick ist wirklich gigantisch. Und wenn ich sehe, wie frisch meine Mama im Ziel aussieht, dann frage ich mich, ob es für sie überhaupt mühsam war, hier hinaufzugelangen. Ich bin stolz auf sie und freue mich, wieder einmal mit ihr im (fast) gleichen Rennen gelaufen zu sein.

Dass Berlin nicht der ideale Ort zur Vorbereitung für einen alpinen Traillauf ist, ist wenig überraschend; und dass dies nicht unsere schnellste Halbmarathonzeit werden wird, war uns auch klar. Ich weiß jetzt immerhin, dass man in den Bergen stinkende Socken nicht nur vom Skilaufen bekommen kann und habe zudem eine weitere Geschichte aus den Bergen zu erzählen.

Nun die Fakten:

Halbmarathon (21,095 Kilometer)
5 Stunden Zeitlimit , 970 Höhenmeter, Natur-, Wander- und Gebirgswege

Wettbewerbe:
Wem der Halb-Marathon zu kurz ist, kann auch über die volle Marathondistanz antreten. Für die unkaputtbaren Gipfelstürmer wird auch ein Ultra-Marathon (45,595 Kilometer) angeboten. Für die Teamplayer gibt es einen Staffel-Marathon in 2er-Teams.

Temperatur:
16°C in Zermatt, 5°C auf dem Gornergrat

Verpflegung:
Wasser, Iso (PowerBar), Cola, Bouillon, Bananen, Verschiedene PowerBar Produkte (Energieriegel, Gel, Ride Shots und Waffeln)

Zeitmessung:
Nettozeit per Datasport Chipsystem

Läuferpaket:
Funktionelles Finisher-Shirt, Medaille, Kleidertransport ins Ziel, Pasta-Party-Gutschein, Finisher-Foto, Gratis-Fahrt von Freitag bis Sonntag auf folgenden Strecken: Brig-St. Niklaus-Zermatt (MGBahn), St. Niklaus-Grächen (Postauto), Zermatt-Gornergrat (GGB) und Zermatt-Sunnegga (Standseilbahn Zermatt Bergbahnen).

 

Sieger

 

Ultra

Männer

1. von Allmen Konrad, Olten                  3:58.11,0    
2. Bärtschi Ruedi, Adelboden                 4:21.49,5    
3. Heiniger Stephane, Yvonand                4:22.49,1    

Frauen

1. Ogi Helene, Kandersteg                    5:00.49,0    
2. Dusch Kerstin, Baar                       5:14.15,5    
3. Käppeli Susanna, Oberurnen                5:18.34,5   

507 Finisher

Marathon

Männer

1. Michieka Paul Maticha, Immensee           2:55.04,8    
2. Cardona José David, Kolumbien             3:03.47,5     
3. Saban Mustafa, BUL-Sofia                  3:04.20,5  

Frauen

1. Camboulives Aline, F-St Jorioz            3:29.36,3     
2. Tobon Leidy Johana, Kolumbien             3:38.50,0    
3. Mereni Timea, H-Budapest                  3:41.55,0  

739 Finisher

Halbmarathon

Männer

1. Anthamatten Martin, 1984    1:47.22,9   
2. Moulin Xavier, 1979        1:49.18,9  
3. Tengvall Erik, 1984        1:51.00,2

Frauen

1. Oravamäki Maija, 1974    2:01.32,8
2. Lupton Anna, 1978        2:07.27,0
3. Knuchel Kathrin, 1979    2:08.18,9
 
480 Finisher

 


 
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