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Laufberichte

Tulpenmädchen, Engelchen und Tänzerinnen

 
Autor: Joe Kelbel

Markgraf Karl Wilhelm war gewitzt, er engagierte sogenannte Tulpenmädchen. Insgesamt sind 144 dieser Hofsängerinnen namentlich bekannt. Sie erhielten Tanz- und Gesangsunterricht, halfen ihm, seine Langeweile zu bekämpfen, woraus zahlreicher Nachwuchs entstand. Die sogenannten „natürlichen“ Kinder, so wie er es nannte. Unnatürliche Kinder mussten Marathon laufen.

Er war fair, die Tulpenmädchen durften günstige Wohnungen im neu geschaffenen Karlsruhe kaufen, für die „natürlichen“ Kinder zahlte er, was für Fürsten der damaligen Zeit nicht selbstverständlich war. Seine Frau Magdalena Wilhelmine von Württemberg blieb lieber in der alten Residenz in Durlach, vielleicht laufen wir deshalb dieses Jahr nicht mehr durch diesen Ort.

Wer keine „natürlichen“ Kinder möchte, der darf sich Engelchen mitbringen, allerdings nicht 144, sondern maximal drei. Diese Marathonenengelchen begleiten den Marathonläufer die letzten sechs Kilometer bis ins Ziel. Laut Ausschreibung erhält das Engelchen für 5 Euro folgende Startnummer:  „Marathonengel für Mustervorname“.

Laut DLV-Richtlinien erscheinen Läufer mit „Unterstützung“ allerdings nicht in der Bestenliste, nur Markgraf Karl Wilhelm hatte dies geschafft. (Spässle gmacht!) Wer es nicht schafft, der kann sich bei km 17 dafür entscheiden, nur den Halben zu laufen. Für mich heute eine mögliche Option, denn ich habe Donnerstag erst 252 km in Spanien gefinished.

 

 

Die Europahalle in Karlsruhe, als Veranstaltungszentrum für den Marathon ist keine Option mehr, sie steht für solch eine Großveranstaltung nicht mehr zur Verfügung. Start und Ziel ist jetzt auf dem Messegelände in Rheinstetten. Das kostet den Veranstalter mehr Geld, ohne den  Hauptsponsor Fiducia GAD ginge das nicht. Seit einem Jahr ist Fiducia und GAD fusioniert, beide stellen IT-Dienstleistungen für Volks- und Raiffeisenbanken zur Verfügung. Der Kunde erlebt diese Leistung beim onlinebanking, am Geldautomaten oder hier beim Marathon.

Noch was erleben wir: Einen grandiosen, neuen Zieleinlauf in der Messehalle 2, sofern wir ankommen. Der Start ist davor, in unmittelbarer Nähe sind genügend Parkplätze für Läufer und Angehörige vorhanden. Da mein Auto zerbrochen ist, reise ich mit der Bahn an. Ab HBF mit Linie 3 (Richtung Heide) oder Linie 4 (Richtung Waldstadt) bis Europaplatz, dann Linie 2 Richtung Rheinstetten.

 

Sonntag 9 Uhr Start

 

Die Anfahrt der enorm vielen Läuferautos über die B36 ist herrvorragend geregelt, die Parkplatzanweisungen laufen super. 8000 Läufer, davon ca 1200 Marathonläufer (839 erreichen das Ziel)  sind angemeldet. In der Messehalle 3 ist die Gepäck- und gesonderte Wertsachenaufbewahrung. Sehr gut gemacht, sehr benutzerfreundlich, man könnte den zeitgleich stattfindenden Berlin Marathon toppen.

 

 

Wir starten und  beginnen unseren Lauf auf der B 36 in Richtung Daxlanden. Das ehemalige Fischerdorf stellt nicht die Börsenentwicklung nach. „Dax“ ist ein altes Wort für Deich. Das Läufermeer rennt deichlos. Auf der dreispurigen Straße kann jeder seine Geschwindigkeit ausleben, kein Problem. Es sind hauptsächlich HM-Läufer, Team- und Staffelläufer, die werden bei dieser hohen Anfangsgeschwindigkeit wohl nicht verrecken. Team- und Staffelläufer sind eigentlich dasselbe, Crazy Cats laufen „Schnurrend durchs Ziel“, die Carpe rennt „ heute leider ohne Antipasti“ und die anderen „strotzen vor Energie“, „Die Zeit ist reif“, „Verantwortung für die Bauplanung“ und „Wir Dehnen und Beugen um hohe Spannungen zu erzeugen“.  Beim Studieren der T-shirt-Aufschriften schmelzen die ersten Kilometer.

Grünwinkel hieß einmal Krähwinkel, aber Grünwinkel klingt besser. Die Appenmühlstraße zwischen Daxlanden und Grünwinkel wird immer noch Mordiogasse genannt, man prügelte sich gern über die Jahrhunderte. In der Kaiserallee treten die ersten Tänzer auf. Von den über 1000 Akteuren sind glücklicherweise die meisten weiblich. Unter den Tulpenmädchen gab es auchTulpenmänner, eher unwahrscheinlich, daß es deswegen „unnatürliche“ Kinder gab.

Bei km 6 geht es auf die Brauerstraße, die wir sonst die Jahre hinaufgelaufen sind. Nein, es gibt immer noch kein Bier. Aber in Beiertheim finden die ersten Vorgartenparties statt. Die Karlsruher Laufstrecke hat sich sehr verändert, das nutzen die neuen Streckenanwohner reichlich, um uns bei diesem schönen Wetter nach vorne zu pushen. Beiertheim ist wohlhabend, bürgerlich mit Gesellschaftshaus, Tanzhaus und Badeanstalt  aus dem 19. Jahrhundert.  Nach einer Kurve über Weiherfeld, vorbei am Gut Scheibenhardt kommen wir wieder zurück auf die Grenze zwichen Beiertheim und  Bulach (km 14).

 

 

Bulach war ein Wäscherdorf, dort gewaschene Wäsche wurde besonders weiß. Komischerweise wusch man die Wäsche immer nachts. Die Sage weiß zu berichten, daß sich die schwarze Katze der alten Bulacherin mit ihrer eigenen Art um die Sauberkeit der Wäsche kümmerte:  „Immer sauber Mohrle, immer sauber!“ In Indien nimmt man immer noch Urin zum Bleichen der Wäsche. Jedenfalls hat man dieser Katze ein Denkmal auf die Albbrücke gebaut, der Grenze zwischen Beiertheim und Bulach.

Bulach ist Stimmungshochburg, bei der Litzenhardtstr 64 steht das alte Nachtwächterhäuschen. Die Bulacher waren diejenigen, die sich am längsten einen Nachtwächter leisteten. Man nennt sie „Schläfer“. Das Ortswappen zeigt ein müdes Halbmondgesicht.

Im Gelände vor der Europaanlage, in der Günther-Klotz- Anlage (Klotze), wärmt die Gruppe fit-in Zumba 5.0 die Staffelläufer auf.  Theoretisch, denn als ich zwei Stunden später wieder hier vorbeilaufe, wird immer noch reichlich gewackelt, da müssten doch alle schon heißgelaufen sein. Also richtiger Sport und nicht so, wie bei den Golfern im Startgelände.

Km 17,  wieder Grünwinkel. Nun darf man sich entscheiden, ob man Marathon laufen will, oder doch lieber den Halben. Ich biege natürlich auf die Marathonstrecke ab, andere Marathonläufer lassen sich vom Strom leiten und biegen links ab. Es stehen hier zwar fünf Ordner und ein großer Truck mit großen Hinweisplakaten, aber es gelingt trotzdem so manchem Pappenheimer, falsch abzubiegen.

„Ich kenne meine Pappenheimer“ so ließ Schiller im Drama „Wallensteins Tod“ den Feldherrn Wallenstein sprechen. Die Pappenheimer Schützen hatten wohl über Friedensverhandlungen gesprochen. Den Frieden haben wir Marathonläufer ab sofort auf unserer Strecke, denn es wird recht einsam. Wunderschön ist das Hotel mit Biergarten „ Beim Schupi“, das seinen Namen von Peter Schuster, einem Künstler des Theathers d`Badisch Bühn hat.

Bei km 20 in Mühlburg leide ich sichtlich, mache Pause bei den Anwohnern, lasse mich mit  Lachsschnittchen und Spuntekäs versorgen. An den Verpflegungsstationen gibt es Wasser, Iso und Bananen. Die Zielverpflegung ist ja unglaublich reichhaltig, weswegen ich hoffe, daß es im nächsten Jahr von den köstlichen Laugenbrötchen auch Stückchen an den VP´s geben wird.

 

 

Die neue Streckenführung ist mit den langen Geraden schnell. Mir nutzt das nichts.  Staffelläufer beleben noch immer das Läuferfeld. Doch als ein Staffel-Jungläufer mich langssam überholt und mir zubrüllt: „Sie schaffen das! Ich zähl auf Sie!“, wünsche ich mir mehr „unnatürliche“ Kinder auf die Langstrecke, denn „Sitzen“ geht gar nicht!

Die Tänzerinnen von der Tanzschule Lilo Fried sind da schon ein wenig „gesetzter“ als mein Jungläufer, der an den Damen blind vorbeiläuft. Ich weiss nicht, was die Damen tanzen, ist mir auch egal, ich kann improvisieren.

Dann kommt der Höhepunkt des Laufes: Das Karlsruher Schloß. Dort stehen jede Menge Bierbuden, aber die sind geschloßen, denn erst abends finden hier die spektakulären Schlosslichtspiele statt. Für uns tanzen Kinder auf einer stark umlagerten Bühne. Im Vorbeirauschen lausche ich den internationalen Auszeichnungen der Tanzkinder, die gerade aufgezählt werden. Beeindruckend!

Der Schloßgarten ist für mich das schönste Laufrevier in Karlsruhe. Oben im Schloßturm wohnten die Tulpenmädchen, zunächst in den oberen Etagen in jeweils acht Kammern mit einer Größe von zehn Quadratmetern. Hatten die Sängerinnen sich „hochgearbeitet“, durften sie in die eigenen Wohnungen ziehen.

Mit km 31 verlassen wir den Schloßbereich und laufen über den Zirkel (Straße) durch die Innenstadt. Auf dem Marktplatz steht die Pyramide, unter der der Markgraf begraben liegt. Die Pyramide ist für Verschwörungstheoretiker das Zeichen, daß Karlsruhe als Hauptstadt für die Illuminaten gebaut wurde.  Aber dann hätte sich Karl nicht die Tulpenmädchen leisten dürfen, und übrigens ist Karl 40 Jahre vor der Gründung des Ordens gestorben.

Aber: Die Pyramide wurde erst 1823-25 über der Gruft der Konkordienkirche gebaut. Damit ist der Graf als Verdächtiger raus und dafür der Bauherr der Pyramide, der Sohn eines bekannten Zimmermannsmeister, verdächtig. Mir egal, an meiner Marathonzielzeit ändert das nichts.

„Klasse Joe! Du schaffst das!“ Ist ja gut gemeint, das Läuferfeld ist halt in meinem Umfeld dünn geworden. Ich überhole Wilfried Huber, er hat an allen Baden-Marathons teilgenommen. Also ist dies sein 34ter hier in der Stadt, sein 60er insgesamt. Er ist jetzt 76 Jahre alt und beendet seine Marathonlauferei heute. Er will sich auf kürzere Strecken konzentrieren. Unsere Weltrekorthalterin hat sich letzte Woche den Arm gebrochen, René Wallisch finisht seinen 1557ten.

 

 

Die Tänzerinnen, alle Achtung, tanzen immer noch. In der Unterführung spielen wie immer die Rolling Dices guten Hardrock, rund um die Unterführung stapeln sich deswegen die Zuhörer. Ich möchte gerne verweilen, doch man brüllt mich vorwärts.

Bei km 36 komme ich wieder an der „Klotze“ vorbei und wundere mich, daß immer noch Zumba getanzt wird: „Und da kommt wieder ein Marathonläufer, empfangt ihn mit einem riiiiiiesen Ablaus!“  Sehr gute Stimmungsmache!

 

 

Wieder in Grünwinkel geben mit die Mädchen von der Folkloregruppe Wayra aus Peru noch einen tänzerischen Tritt in den Hintern, doch in der  Herrengasse bremst mich das Café Leo´s aus. Es hilft nichts, ich bin bei meinem 290ten Wochenkilometer und brauche eine Pause.

Noch 4 Kilometer to go.

Tänzer und VP-Helfer sind immer noch reichlich engagiert. Als an der  nächsten Verpflegungsstation die Helfer das Wasser wegkippen, brüllt der  VP-Chef: „Was macht ihr? Wir haben noch ne Stunde!“ Tatsächlich parken hier die städtischen Besenwagen, die in der Herrengasse an mir vorüber gezogen sind, um für die nächste Stunde Sonne zu tanken.
 
Als ich in der Messehalle einlaufe, bekomme ich einen ungefähren Eindruck von dem, was sich vor einer Stunde hier abgespielt haben muß, als der Hauptpulk der Marathonläufer   einlief. Jetzt ist die große, im Diskonebel gehüllte Tribüne ziemlich leer -  ich auch, aber glücklich, in der von  mir exakt angepeilten Zielzeit gefinished zu haben.

Wir sehen uns am 17. September 2017 in Karlsruhe wieder! Und  vielleicht haben einige der Team- und Staffelläufer dann Bock auf die Königsstrecke! Klasse Jugend- und Aufbauarbeit hier!

 

Informationen: Baden-Marathon
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