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Laufberichte

Was sind schon zehn Jahre

30.09.12
Autor: Klaus Duwe

„Britain is great!“ rufe ich den Fans mit dem Union Jack auf den Hüten zu und bekomme den erhofften  Applaus. Eine Läuferin vor mir trägt an ihrem Gürtel gleich 5 Getränkeflaschen mit ansehnlichem Fassungsvermögen mit sich. Hat dem Mädel keiner gesagt, dass fast 6000 Helferinnen und Helfer auch dafür im Einsatz sind, um an 16 Getränke- und Verpflegungsstellen für das Wohl der Marathonis zu sorgen?  Dass nicht nur 240.000 Liter Wasser, sondern auch Tee (angewärmt!) und Power-Drinks ausgeschenkt werden? Dass es 200.000 Äpfel und Bananen gibt? Und dazu so viel Gel, dass man den Rest des Läuferjahres damit versorgt ist? Ja, den Nörglern gehen langsam die Argumente aus.

„Mach schöne Bilder“, wurde mir ja vor dem Start angeraten. Ich bemühe mich. Aber das kostet Zeit. Deshalb schaue ich bei der Halbdistanz lieber nicht zur Uhr. Vor 10 Jahren, bei meinem Ersten, tat ich das andauernd. Einen Fotoapparat hatte ich ja nicht dabei. Auf die Idee wäre ich überhaupt nicht gekommen. Außerdem waren die digitalen Dinger noch ziemlich unhandlich und die Akkus hielten nicht lange durch. Es gibt deshalb bis auf zwei Fotos des offiziellen Fotografen keine Bilddokumente von dem historischen Lauf. Meine Frau stand zwar im Ziel mit einem solchen Gerät und begann immer zu knipsen, wenn sie glaubte, mich zu sehen. Als ich dann endlich tatsächlich auftauchte und die Arme hochriss, war der Akku längst leer. Mann, Mann, sind das Zeiten heute. Der Chip fasst 1000 Bilder in hoher Auflösung und mit einem Akku-Wechsel komme ich gut hin. 

„Ein Kenianer hat gewonnen!“ weiß mir ein Zuschauer zu berichten. Welcher? Ist er Weltrekord gelaufen? Der Fan ist überfordert.  Ich setze meinen Fun-Run durch die Hauptstadt fort und bekomme nicht weniger Applaus, als der Kenianer, der gewonnen hat.  Das Mädel  da vorne in der Schwarzwälder Tracht mit dem Bollenhut ist garantiert nicht echt.  Das ist bestimmt der Daniel, den ich letzte Woche schon beim Baden-Marathon in Karlsruhe vor der Linse hatte. Stimmt, Daumen hoch, er lacht und freut sich auf das Bild.

Der nächste Schnappschuss hätte mir große Freude gemacht.  Ein Dackel steht am Straßenrand und schaut den Läufern nach. Ja, er schüttelt mit dem Kopf. Gerade habe ich mich in Position gebracht, da wendet er sich von den Sportlern ab. „Ob er noch einmal in die andere Richtung schaut?“, frage ich sein Frauchen. Sie redet ihm zu. Vergeblich. „Ist halt ein Dackel“, sage ich und laufe weiter.  Der Bärtige kennt mit seinem aufgeblasenen Delphin diese Probleme nicht.

Meine liebsten Fans sind ja die Holländer. Man erkennt sie gleich an ihrem Outfit, sie sind immer lustig und mich mögen sie auch, weil sie mich wegen meiner Firmenfarbe für einen der ihren halten.  Solange ich davon profitiere, kläre ich den Irrtum auch nicht auf. Auch sehr lustig und noch viel zahlreicher sind allerdings die Dänen. Man sagt, dass in Berlin mehr Dänen am Start sind als beim Marathon in Kopenhagen.

So, jetzt gibt es wieder Historisches. Wir sind am Schöneberger Rathaus (km 24), einst Abgeordnetenhaus  und Sitz des Regierenden Bürgermeisters. Es war der 26. Juni 1963, als John F. Kennedy hier seine berühmte Rede hielt und unter dem Jubel der Bevölkerung bekannte: „Ich bin ein Berliner!“  Drei Tage nach seiner Ermordung benannte man den Platz vor dem Rathaus nach dem amerikanischen Präsidenten.

Höllenlärm dann am Innsbrucker Platz, denn unter der S-Bahn-Brücke werden  am Marathontag traditionell alte Ölfässer mit Schlagwerkzeugen bearbeitet. Verantwortlich dafür sind die Leute von  groove e.V., bei denen man  Trommeln in den verschiedensten Arten  erlernen kann.  Für Nachwuchs ist also gesorgt.

Gleich zu Beginn der Hauptstraße steht rechts ein unscheinbares Haus mit kleinen Balkons und Erkern. Immer wenn Marathon ist, steigt auf dem Balkon im dritten Stock rechts eine lautstarke Girls-Party. Die Brüstung ist mit Streckenschildern der vergangenen Jahre geschmückt, die Lautsprecher kurz vor dem Exitus und die Mädels in Höchstform.  Die Mutter scheint auch diesmal außer Haus zu sein, denn auf dem Leintuch ist zu lesen: „Zum 10. Mal dabei!!! Kleine Mama ganz gross“.

Vom Feiern kann ich nicht genug kriegen, die Kilometer würden mir reichen. Aber es sind noch 17 übrig. Und die haben es in sich. In Friedenau (Kirche Zum Guten Hirten, km 25), Südwestkorso, überall wird gefeiert, die Lentzeallee habe ich noch nie so bevölkert gesehen. Und der Wilde Eber (km 28) kommt ja erst.  Dort werden die Läufer traditionell empfangen, als wären sie im Ziel. Wahnsinn. Nur die Tanzgirls sind ein bisschen zickig und wollen für ein Foto nicht näher an die Läufer ran. Mensch, die wollen doch nur laufen.  Da sind die drei jungen Südamerikanerinnen aber aufgeschlossener. Sie tanzen ausgelassen zu heimatlichen Klängen.

Hatte ich vor 10 Jahren auch Augen für so was? Ich glaube nicht. Der Mann mit dem Hammer holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück und ich kehrte zu meiner ursprünglichen Zeitplanung zurück. Nichts mehr sub 4, vielleicht 4:15.

 
 

 
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