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Laufberichte

Was sind schon zehn Jahre

30.09.12
Autor: Klaus Duwe

Die gläserne Kuppel des Reichstages glänzt im Sonnenlicht. Vor der Schweizer Botschaft klingt es wie auf der Eiger-Moräne. Ein Alphorn haben die Eidgenossen aber wohlweislich nicht dabei. Mit dem Rieseninstrument würden sie hier keinen Platz finden. Die Straße steigt etwas an, was aber keiner merkt. Es sind ja erst 7 km gelaufen und der Adrenalinspiegel noch auf Höchststand. Kommt der überhaupt mal runter?  Am Friedrichstadt Palast geht es schon wieder zu wie in einer Sportarena. Es ist der Wahnsinn.

Der Mann mit Schiebermütze und Laierkasten darf nicht fehlen und ein Foto von ihm auch nicht. Er klopft mir auf die Schulter. Die nächste Gruppe hat Jazz im Repertoire. Auch dort falle ich mit meiner Fototätigkeit auf. „Dass Du dafür Zeit hast?“ fragt der Gitarrist. Auf solche Fragen bin ich mittlerweile gut vorbereitet: „Wer viele Talente hat, darf sich nicht auf eine Sache beschränken.“

Genau bei km 11 biegen wir links in die Karl-Marx-Allee ein. In dem ehemaligen Prachtbau, dessen Fassade ein Relief ziert, auf dem offenbar an sowjetische Heldentaten erinnert wird, residiert heute Europas größter Second-Hand-Laden.

Hier zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz wollten die DDR-Häuptlinge nach dem Motto „Auferstanden aus Ruinen“ in den 1950er Jahren zeigen was sie so alles drauf haben. Die Straße wurde auf bis zu 90 m verbreitert und rechts und links mit monumentalen, sieben- bis neungeschossigen und bis zu 300 Meter langen Blöcken bebaut. In den unteren Geschossen der Arbeiterpaläste gab es Läden und Gaststätten, in den oberen für damalige Verhältnisse recht komfortable Wohnungen. Ausgerechnet hier kam es zu ersten Protesten gegen die Erhöhung von Arbeitsnormen, die schließlich zum Aufstand am 17. Juni 1953 führte, der mithilfe von 20.000 Sowjetsoldaten blutig niedergeschlagen  wurde.

Vom Alexanderplatz her grüßt der Fernsehturm, auch so ein Prestigeobjekt aus Zeiten des Kalten Krieges, aber nicht nur. Walter Ulbricht persönlich entschied über den Bau der Anlage, mit der man endlich landesweit senden konnte. Dass der Bau mit 368 m Höhe alles in Deutschland übertreffen sollte, war aber mindestens genauso wichtig.  „Imponierkeule“ und „Protzstängel“ nannten die Berliner das zum Wahrzeichen gewordene Bauwerk. Heute ist es einfach nur der Fernsehturm, der wegen seiner Aussichtsterrasse auf 203 m Höhe jährlich über 1 Mio. Touris anzieht.

Alles ist hier monumental, auch der Brunnen am Strausberger Platz (km 12), der in einer großen, ovalen Grünfläche liegt. Kaum haben wir ihn umrundet , gibt es Bauwerke aus jüngerer Zeit zu bestaunen.  Mehr Design-Objekt als Industriebau sind das Heizkraftwerk von Vattenfall und die Trias-Towers an der Michaelsbrücke, in denen unter anderem die Berliner Verkehrsbetriebe residieren. Sind das nicht die, die den Marathonis am Marathontag die Freifahrt verweigern, obwohl sie mit den 40.000 Teilnehmern am Wochenende ein ansehnliches zusätzliches Geschäft machen? 

Fetzige Musik bringt mich auf andere Gedanken und die am Straßenrand abgestellten Fahrräder sowieso. Aber bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als ziemlich ausgeschlachtet, oder, falls fahrbereit, als gut gesichert.  Also weiter zum Kotti, dem Kottbusser Tor (km 15). Hier wird es meinem Freund Mike gut gefallen. Er hat auch Jubiläum. Seit 25 Jahren lebt er in der Türkei und hier klingt es heute wie in Istanbul. Es scheint, als wollten die Türken den Berlinern mal zeigen, wie man feiert.  Das nächste Mal nehme ich mir vor, die Döner-Buden zu zählen. Ich wette, es sind mehr als in der Döner-Straße genannten Palmenallee in Antalya.

Natürlich wollte ich bei meinem ersten Marathon vor 10 Jahren „nur ankommen.“ Fragte mich jemand, welche Zeit ich anstrebe, sagte ich „unter 5 Stunden“ und meinte aber unter 4 ½. Nach einem Drittel der Strecke rechnete ich mir aus, es auch unter 4 Stunden zu schaffen. Das war nämlich mein Traum.  Man muss sich das auch vorstellen. Da rennt einer, den man bis dahin mit keinerlei Sport in Verbindung gebracht hat, durch die Stadt, wird dafür bejubelt, beklatscht und angefeuert. Klar, dass der sich einbildet, der Größte zu sein und das auch zeigen will. Lassen wir ihn rennen, ihr erfahrt schon noch, wie es ausgegangen ist.

Jedes Mal denke ich, es seien noch mehr Zuschauer an der Strecke, die Stimmung sei noch besser, als im Jahr zuvor. Es ist einfach der Wahnsinn. Natürlich trägt das phantastische Wetter dazu bei. 16 Grad soll es maximal warm werden und das bei strahlendem Sonnenschein. Zum Niederknien, denkt sich auch der Elektroman und zeigt vollen Einsatz. Die Marathonis und die Zuschauer sind von der Band begeistert.

Andrea, Natascha und Kay sind es auch. Nicht von der Band und nicht von mir, sondern von Christian. Sobald der nämlich einen Marathon gefinisht hat, bekommt er Natascha, Andreas Tochter, zur Frau. Quatsch. Wo sind wir denn. Aber dass er auf der Strecke ist, um seinen ersten Marathon zu laufen, stimmt schon. Und dass er Natascha heiraten will und sie ihn, auch. Aber die Geschichte soll er selber erzählen.

Neukölln, Hasenheide, km 17:  Beim Roland ist nur der Filzhut echt. Seine „Lederne“ ist läuferfreundlich aus Funktionsmaterial und der Bierkrug aus aufgeblasenem Plastik und dazu noch leer. Nur kein überflüssiges Gewicht, heißt die Devise.  Nur nicht nachlassen denkt der Trommler auf dem Grünstreifen und auch Blackmail geben ihr Bestes. Und die Zuschauer erst. Bei der Kirche am Südstern sind sie wieder in absoluter Höchstform. Probleme hat nur  der Franz. Ihm hat man einen Stuhl gebracht, damit er seine Füße verpflastern kann. Die Zehenschuhe waren wohl doch nicht das Richtige. Ich denke, er läuft barfuß weiter.  Es sind aber noch fast 23 km …

Vorbei an der St. Bonifatiuskirche kommen wir in die Yorckstraße, die einst von 45 Eisenbahnbrücken überspannt wurde. Bevor der Denkmalschutz einschritt, waren schon einige Brücken abgerissen, denn nur noch 10 werden für den Bahnbetrieb gebraucht. Inzwischen ist die eine oder andere restauriert, über weitere wird gestritten. Mal sehen, ob es nächstes Jahr Neues gibt.

 
 

 
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