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Laufberichte

Schön praktisch

12.03.06
Autor: Klaus Duwe

Die Bernhard-Show 

 

Wenn ich hier im Badischen erzähle, dass ich am Wochenende nach  Kandel fahre, glauben die meisten (jedenfalls die, die mit Laufen nichts am Hut haben), ich vergnüge mich beim „Gockelrobber.“ Damit meinen sie dann den Adams-Hof, einen Erlebnisgastronomiebetrieb, der in den 60er Jahren mit einer Hühnerzucht und Grillstation begann und Kandel bei uns praktisch bekannt gemacht hat.

 

Die Fahrt über die Staustufe in Iffezheim und dann Richtung Lauterburg/Bad Bergzabern dauert gerade mal eine gute halbe Stunde. Ein Heimspiel also und weiterer Grund, mich wieder für den Bienwald-Marathon zu entscheiden. Okay, heute brauche ich etwas länger, weil es in de Nacht wieder einmal geschneit hat und die Straßen teilweise noch nicht gestreut sind. Ich kenne mittlerweile keinen, der diesen Winter nicht zum Teufel wünscht.

 

In Kandel sind die vielen Helferinnen und Helfer  gerade dabei, sich in der Halle einzurichten. Fast jedem vorfahrenden Auto entsteigt eine Frau mit ein, zwei oder drei selbst gebackenen Kuchen, die im Laufe des Tages noch reißend Absatz finden werden.

 

Dann kommen scharenweise die Läuferinnen und Läufer, teilweise auch von weit her angereist. Überraschend treffe ich Hans Gulyas. Er ist in Karlsruhe fast so etwas wie eine Lauflegende und seinen Sportladen, den er mit seiner Frau betreibt, kennt im weiten Umkreis jeder Läufer und jede Läuferin. Er hat neben unzähligen Erfolgen auch den ersten Bienwald-Marathon gewonnen, damals in 2:27 noch was. Diese Zeit hätte auch in den letzten Jahren hier zum Sieg gereicht.

 

Eine halbe Stunde vor dem Start herrscht eine beängstigende Enge vor der Halle. Die einen wollen raus zum Start, die anderen rein in die Halle, weil sie noch keine Startnummer haben. Und es gibt nur einen Zugang. Ich höre Flüche und schlimme Befürchtungen. Erst als ein Helfer beherzt eingreift und nach Polizeimanier abwechselnd den Menschenstrom nach draußen anhält und den nach drinnen vorantreibt, löst sich der Knäuel im Handumdrehen auf und alle schaffen es pünktlich zum Start.

 

Keiner macht dem Veranstalter einen Vorwurf. Trotzdem verspricht dieser Abhilfe, wenn im nächsten Jahr die neue Halle fertig ist, die nebenan gebaut wird.

 

Zum ersten Mal laufe ich mich warm. Nicht dass ich geläutert wäre, es ist einfach zu kalt zum Rumstehen. Nicht nur weil Wahlkampf ist, hat sich der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck eingefunden. Er fühlt sich dieser Region besonders verbunden und zählt zu den Stammgästen. Eingehüllt im dicken Mantel spricht er den ca. 1.800 Sportlerinnen und Sportlern schon vor dem Rennen seine Anerkennung aus, bei diesen Temperaturen hier anzutreten. Es hat immerhin um die 4 Grad minus, aber die Sonne kommt raus und es verspricht ein schöner Tag zu werden.

 

Um 10:00 Uhr fällt dann endlich der Startschuss und es geht los. Die flache Strecke ist weder spektakulär noch besonders attraktiv. Sie ist einfach „schön praktisch,“ was keinesfalls abwertend gemeint ist.

 

Vom Ortsrand von Kandel geht es auf der B 427 nach Minfeld (km 5) und von dort auf einer Nebenstraße zunächst über freies Gelände und dann auf einem schmalen Teerweg durch Wald zum Naturfreundehaus. Dort führt die Strecke rechts und nach ungefähr zwei Kilometern wieder rechts auf die bereite, heute für den Verkehr gesperrte Straße (km 9) durch den schönen Bienwald. Von dieser Straße gehen zwei Wendepunktstrecken ab, ehe man (fast) auf dem gleichen Weg wieder zurück nach Kandel läuft.

 

Alle Straßen und Wege sind asphaltiert und sehr gut zu laufen. Weil sich bis auf den ersten und letzten Streckenabschnitt alles im Wald abspielt, sind die Läuferinnen und Läufer nicht ungeschützt dem Wind ausgesetzt. Die 5 Verpflegungsstellen auf beiden Straßenseiten werden insgesamt 10 mal angelaufen und sind damit vollkommen ausreichend. Das alles meine ich mit „schön praktisch.“ Die langen Geraden freuen die schnellen Läufer natürlich mehr als die Genussläufer.

 

Schon in Minfeld hat sich das Feld weit auseinander gezogen. Jeder läuft sein Tempo, Rempeleien oder Gedränge kommen nicht vor. Zwei Drittel machen den „Halben“, schätze ich mal. Das ist so fast das übliche Maß. Ich lasse mich heute überhaupt nicht auf ein (nach meinen Maßstäben) schnelles Rennen ein. Irgendwie habe ich schwere Beine und fühle mich überhaupt nicht frisch. In der Woche habe ich sogar mal einen Trainingslauf spontan gekürzt.


Mir kommt es darauf an, durchzulaufen. Die Dienste der erstmals eingesetzten Zug- und Bremsläufer kommen für mich also nicht in Betracht.

 

Am Naturfreundehaus haben sich einige Fans versammelt und klatschen und trampeln - mehr wegen der Kälte als vor Begeisterung. Noch bevor wir die bereite Verkehrsstraße durch den Bienwald erreichen, kommen uns die ersten Halbmarathonläufer entgegen, die kurz nach der 12-Kilometer-Marke ihren Wendepunkt haben. Jetzt reißt der Gegenverkehr ab und auch das Läuferfeld hat sich noch mehr gelichtet. Die Marathonis sind unter sich. Für kurze Zeit ist es relativ ruhig.

 

Ungefähr bei 13,5 Kilometer kommen dann aber schon die ersten Marathonläufer, um (aus ihrer Laufrichtung) rechts in den Wald abzubiegen. Jetzt heißt es aufpassen, um keine Bekannte zu übersehen.

 

Es sind auch etliche prominente Ultra-Läufer am Start, die den Bienwald-Marathon allerdings nicht als Wettkampf, sondern als „langen Traininglauf in guter Gesellschaft“ betrachten. Jens Lukas sehe ich, den Spartathlon-Sieger vom letzten Jahr und Renè Strosny, Zweiter beim Deutschlandlauf 2005. Er hat sich für die Deutsche Meisterschaften in Rodenbach viel vorgenommen und will die 100 Kilometer „endlich unter 7:30 Stunden“ laufen.

 

Kurz vor Scheidt hat sich mitten auf der Straße eine Musikkapelle postiert. Mir kommt es vor, als würden auch sie wegen der Kälte etwas schneller spielen. Genauso wenig wie ich mir einen Podiumsplatz erlaufe, bekommen die eine Goldene Schallplatte. Auf alle Fälle tut die Abwechslung gut.

 

Rechts geht es jetzt ungefähr 1,5 Kilometer bis zu einem Wendepunkt und dann zurück. Bei der Gelegenheit kann ich jetzt endlich auch mal sehen, wer noch so hinter mir kommt. Bevor es kurz nach der Halbdistanz rechts auf die zweite Wendepunktstrecke geht, nehme ich an der Verpflegungsstelle noch einmal reichlich Flüssigkeit auf. Ich kann hier (wie überall zuvor) wählen zwischen Elektrolyt, Wasser und Tee. Außerdem gibt es Bananen, Äpfel und Orangen.

 

Fünf Kilometer geht es jetzt auf einem etwas schmalen, geteerten Waldweg bis zum Wendepunkt. Vor mir läuft Bernhard Sesterheim und berichtet zwei interessierten Damen und ihrer männlichen Begleitung von seinen Laufabenteuern beim Badwater oder auf Reunion. Ich habe seine Geschichten schon zigmal gehört, muss aber auch jetzt wieder lachen, als ich seine typischen Wortschöpfungen und Redewendungen höre. Die beiden Läuferinnen hängen förmlich an seinen Lippen und löchern ihn mit Fragen. Keine Frage, Bernhard ist in seinem Element.

 

Ich sehe sogar von hinten, wie Bernhard errötet, als eine der Damen sagt: „So einen Mann habe ich noch nie kennen gelernt. Unglaublich, was Du läufst und erzählen kannst.“ „Aber erst nach 21 Kilometer ist er aufgetaut,“ sagt der männliche Begleiter der Zwei. Jetzt mischt  sich ein weitere Läufer ein, der bis dahin wie ich stiller Zuhörer war: „Das ist wie beim Stammtisch. Da kommt die Wahrheit auch erst nach 3 Bierchen auf den Tisch.“ Wir lachen,  die Bernhard-Show geht weiter und die Zeit vergeht.

 

Wir wenden und schauen uns wieder an, wer heute noch langsamer ist, als wir. Viel sind es nicht, und als ich Alfons Bernert gut gelaunt vor dem Besenwagen herlaufen sehe, habe ich keine Bedenken. Der lässt sich die Rote Laterne heute nicht nehmen.

 

Ich will wissen, was noch geht, und ziehe das Tempo etwas an. Vielleicht wird Bernhard auch nur etwas langsamer. Jedenfalls bin ich alleine, als ich wieder auf die Verkehrsstraße (ca. km 31) komme. Weit geht der Blick nach vorne, nur vereinzelt sich noch Läufergrüppchen zu sehen. Etliche Radfahrer nutzen die Straßensperrung zu einem ungehinderten Ausflug. Ich entscheide mich für etwas Musik und mache mir die Stöpsel ins Ohr. Irgendwie lenkt mich das von der jetzt etwas langweiligen Passage ab. Aber auch von meinen schmerzenden und müden Beinen. Ab und zu überhole ich eine Läuferin oder Läufer und freue mich, wenn ich an einer Verpflegungsstelle eine kleine Gehpause machen kann. Ansonsten laufe ich gleichmäßig mein Tempo.

 

Die Leute vor dem Naturfreundehaus (km 39) sind natürlich längst zu Hause, Schumi gucken oder so. Nur ein paar Streckenposten und das Verpflegungspersonal hält gut gelaunt aus. Wir kommen aus dem Wald raus und laufen nach einem kurzen Stück rechts Richtung Kandel. Links ist ein kleiner Bach und dahinter die Gärten der ersten Häuser. Vereinzelt überhole ich Läufer und Geher und freue mich schon jetzt, dass es wieder so gut gelaufen ist. Ich mache die Musik aus, ich will die letzten Kilometer genießen. Schmerz und Triumph, Marathon pur.

 

Nach 4:30 laufe ich im Stadion ein. Ich bin glücklich und dankbar wie immer, wenn ich diese Distanz geschafft habe. Das ist für mich auch beim 78. Mal nicht selbstverständlich.  

 

Noch im Stadion gibt es die bekannten Getränke und Bananen. Jetzt umziehen und dann in die Halle und noch etwas quatschen mit Freunden. Vom hausgemachten Kuchen gibt es nur noch Reststücke. Auf  Kaffee muss ich warten, er wird gerade frisch gemacht. So ist das in der Pfalz, man hat Zeit und alles wird noch von Hand gemacht. Der Kaffee kostet 50 Cent. Ich frage nach. Stimmt, kein Fehler.

 

Ich freue mich schon auf meinen nächsten Lauf in der Pfalz. Am 2. April geht es zum Marathon Deutsche Weinstraße.

 

Finisher insgesamt:

Marathon 566

Halbmarathon 1051

 

Streckenbeschreibung:

Strecke ist 100% asphaltiert, flach und führt über Verkehrsstraßen, Wald- und Wirtschaftswege. Es geht aus Kandel raus, dann auf zwei Wendepunktstrecken und auf gleichem Weg wieder zurück ins Ziel.

 

Auszeichnung:

Urkunde, T-Shirt  


Logistik:

Die Startnummern werden am Sonntag ab 8:00 Uhr in der Sporthalle ausgegeben. Parkplätze werden in unmittelbarer Nähe zugewiesen, weitere Parkplätze gibt’s am Ortseingang von Kandel (Anfahrt über A 65, Ausfahrt Kandel – Süd). Von dort sind es 500 m zum Startgelände.

 

Informationen: Bienwald-Marathon
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