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Laufberichte

Verflucht Toni Weil!

11.06.06

Von einem der auszog, sich selbst zu besiegen.
Oder: Ultrakurzmarathon im Tal der roten Traube

 

Inspiriert durch einen Laufbericht von H. Johannes machte ich mich Mitte Juni auf, endlich einmal eine derjenigen Strecken zu laufen, bei denen man sonst nicht antritt. Sei es aus purer Bequemlichkeit, sei es aus anderen fadenscheinigen Gründen – bisher habe ich noch keinen einzigen längeren Wettkampf in meiner allernächsten Umgebung absolviert. Das sollte nun anders werden.


Mein schreibender Vorgänger lobte in seinem Bericht rundherum und nahtlos eigentlich alles, was es bei einem Wettkampf zu loben gibt. Und – soviel sei vorab schon gesagt – diesem Lob kann ich mich rückblickend nur anschließen.


Besonders hungrig auf die Veranstaltung machten mich das Resümee: „Wenn man eine Herausforderung sucht und eine wunderschöne Strecke zu schätzen weiß…“ sowie die Erzählungen anderer Läufer, bei denen immer eine gewisse Portion Respekt vor der Strecke zu spüren war. Glasklar auf den Punkt gebracht hat es kürzlich Konrad Branse: „Dernau ist brutal!“  Kunstpause „… aber auch brutal gut!“.

 

Vor diesem Hintergrund setzte ich mich am 11.06.06 frühmorgens in die Ahrtalbahn und fuhr Richtung Dernau. Während der Fahrt legte ich mir großzügig meine Taktik zurecht: Machbar wäre bei einer Distanz von 20 Kilometern locker ein 5er-Schnitt. Weil die Strecke so schwer sein soll, packe ich großzügig noch einmal 3 Minuten pauschal drauf. Außerdem scheint es richtig heiß zu werden und ein Großteil der Strecke wird in praller Sonne liegen. Also noch mal 2 Minuten für die Gesundheit. Macht summa summarum eine Endzeit von 1:45 Stunden. Ob ich nicht doch zu großzügig mit den draufgesattelten Minuten bin? 

 

Vom Bahnhof aus trödle ich gemütlich die knapp 10 Minuten bis zur örtlichen Grundschule. Deren gesamtes Gelände hat sich in ein Heerlager für Läufer, Walker und Wanderer verwandelt, welches sich als organisatorisch Top vorbereitet erweist.


Die Zeit bis zum Start vergeht mit einem Schwätzchen hier und dort. Schon seit Jahren verbinden enge Freundschaften den LT Dernau mit den „Kölsch Fründe“ und einem Düsseldorfer Lauftreff. Alleine die Kombination beider Städte hier an einem Ort lässt die einzigartige Atmosphäre erahnen. Vielleicht hätte ich das Finisher-Shirt des Düsseldorf-Marathon anziehen sollen, um Sympathie zu bekunden? Oder doch besser das Exemplar aus Köln?


Und überhaupt! Habe ich nicht dieses Jahr bereits zwei Marathons gelaufen? Worüber mache ich mir eigentlich Gedanken – so schwer kann es hier auch nicht sein, alles nur eine Frage der Einteilung.

 

Unmittelbar hinter der Startaufstellung an der Grundschule stehen Mitglieder meines Lauftreffs. Spitzbübisch grinsend hält Ellen mir ihre Hand entgegen; Sie und die anderen werden heute nicht laufen, sondern wandern. Ich klatsche die entgegen gestreckte Hand ab und verschwinde mit den anderen Startern im Straßengeschlängel des Weindorfes.


Nach knapp 500 Metern kommt ein einsamer Läufer dem Feld grinsend entgegen. Es ist Peter, der scheinbar beim Warmlaufen nicht auf die Zeit geachtet hat. Als ehemaliger Deutscher Meister über 100km hat er die nötige Gelassenheit, sich dann gegen Ende des Feldes einzureihen.

 

Nachdem wir die Straßen des Ortes mit seinen wunderschönen handgeschnitzten Scheunen- und Garagentoren verlassen haben, geht es zunächst einmal etwas über einen Kilometer flach durch Weinberge in Richtung Rech. Bereits hier merke ich, dass es heute nicht so berauschend bei mir läuft. Irgendwie komme ich nicht so richtig in den Tritt, in meinem Magen rumpeln die beiden Toastbrote. Beim nächsten Mal werde ich nicht wieder so großzügig Butter unter die Apfelmarmelade schmieren.

 


Knapp zweieinhalb Kilometer nach dem Start dann die erste große Herausforderung. Sagenhaft steil windet sich ein asphaltierter Wirtschaftsweg in Serpentinen den Berg hinauf. Im Nacken der Läufer bilden sich große Schweißtropfen, das anfängliche halblaute Gemurmel hat sich schnell in abgehacktes Atmen verwandelt. Als hinter der zweiten Kurve das Gelände noch steiler ansteigt, legen die ersten Läufer unter dem strahlend blauen Himmel Gehpausen ein. Von hier aus, etwa 3 Kilometer nach dem Start, hat man einen wunderschönen Ausblick über das Tal. Genießen kann ich ihn nicht. Mein Puls rast, unter meiner Sonnenbrille läuft mir der Schweiß in die Augen. Im Schneckentempo nähere ich mich dem bereits von weitem sichtbaren Ende der Steigung.


Ab hier verläuft die Strecke in einem leichten Auf und Ab, wobei ich die Abwärts-Passagen für die dringend notwendige Erholung nutze.
Urplötzlich verwandelt sich der Wirtschaftsweg in einen schmalen Wanderweg. Aus dem Weg herausragende Wurzeln und Felsen sind sorgfältig mit Kalk markiert, trotzdem heißt es aufpassen. Hier im Wald, links der Berg, rechts der Abhang, ist es wunderschön zu laufen. Einer hinter dem anderen – ein nebeneinander ist hier nicht möglich – schlängeln wir uns durch die pralle Natur.


Kurze Zeit nachdem wir wieder auf einen Wirtschaftsweg gewechselt haben, erreiche ich die erste Verpflegungsstation. Auf der rechten Seite erhalten wir damit Läufer Wasser und Schwämme, links gibt es für die Wanderer zusätzlich noch ein Gläschen Rotwein. Gierig schütte ich zwei Becher Wasser in mich hinein – die Sonne hat mir mehr zugesetzt als ich dachte. Zusätzlich fülle ich die vorsichtshalber mitgenommene kleine Trinkflasche und gehe wieder auf die Strecke, die ab hier wieder gnadenlos bergauf durch die Weinberge zieht.


Die hoch über mir aufragenden Weinbergsmauern aus Bruchstein erfüllen ihren Zweck perfekt. Nein, ich meine nicht das profane Zurückhalten der Böschung, sondern vielmehr den Einsatz quasi als Nachheizregister. Die Mauern haben die Hitze der letzten Tage aufgesogen und strahlen jetzt zusätzlich zur hoch am Himmel stehenden Sonne noch Hitze ab.

 

Etwa bei Kilometer 8 ist es dann zu viel. Auf Asphalt in der Sonne beständig bergauf laufend opfere ich bei einem spontanen Zwischenstopp leidenschaftslos große Teile meines morgendlichen Frühstücks an Bacchus.  Den üblen Nachgeschmack beseitige ich durch einen Schluck aus meiner Trinkflasche. Kurze Zeit danach trennt sich die 10km-Strecke von unserem Weg. Uns Zwanziger führt die Strecke wieder in einen Wald, bergauf natürlich, diesmal allerdings auf feinem Schotter. Eigentlich ist dieser Untergrund äußerst übel zu laufen; für den Wald und den damit verbundenen Schatten nehme ich ihn aber gerne in Kauf.


Im Anschluss folgen noch Lehmboden, Waldwege, Gras, sogar ein Stückchen Betonstraße findet sich auf den folgenden Kilometern. Abseits der Weinberge, auf der Hochebene, laufen wir durch Wald und Wiesen; queren ein Rottland und werden an einer Verpflegungsstation wieder aufgepäppelt.


Kurz vor Erreichen des höchsten Punktes queren wir eine Kreisstraße. Ein Ordner gibt den freundlichen Hinweis, dass hier und jetzt die wirklich letzte Gelegenheit sei, ein Taxi zu bestellen. Zur Hölle mit ihm!


Die folgenden Kilometer gehen tendenziell bergab, bis wir wieder in den Weinbergshängen angelangt sind.

 


Etwa bei Kilometer 15,5 finde ich mich an der ersten Verpflegungsstation wieder. Zwischenzeitlich sind dort die Wanderer meiner LG eingetroffen. Deren Anfeuerungsrufe tun mir ebenso gut wie der Rotwein, der mir von Monika gereicht wird. Der Schluck muntert mich ebenso auf wie das Glas Kölsch, dass mir ihr Mann bei km 41 des Köln-Marathon spendiert hat. Braves Mädchen, ihr seit eine tolle Familie!


Nachdem ich meine Trinkflasche aufgefüllt habe, mache ich mich auf, noch einmal die anfangs überwundene etwa 2,5 Kilometer lange Steigung zu bewältigen.


Mittlerweile ist die Sonne so weit gewandert, dass sie mir direkt ins Gesicht scheint. In der Ferne sehe ich die bunten Punkte der Läufer vor und hinter mir durch die Weinberge laufen.
 
Kurz vor Ende der Steigung habe ich mein Etappenziel, zwei Läufer im Trikot des GSV Köln-Porz, erreicht. Ohne Gegenwehr lassen sie sich überholen.
Ebenfalls ohne die Möglichkeit einer Gegenwehr lasse ich eine kleine, zierliche Läuferin an mir vorbei eilen. Kaum geschwitzt, ohne hörbares Atmen zieht sie leichtfüßig an mir vorbei, muntert mich noch kurz auf und läuft von dannen.


Nach dem Scheitelpunkt stehen knapp 1,5 Kilometer steiles Gefälle an. Eine Tortur für die Beine und die müden Muskeln. Mühsam bringe ich die Strecke hinter mich und biege in den Ort ein. Nur noch knapp 500 Meter stehen an, die mir aber endlos erscheinen. Als die Klassensiegerin W20 an mir vorbei zieht, bin ich bereits völlig fertig. Deren äußerst ansehnlicher Anblick lässt mich kurzfristig noch einmal alle Reserven ins Spiel bringen. Lange gelingt mir das nicht und schon ist die schöne Aussicht hinter der nächsten Straßenecke verschwunden.

 

Unmittelbar nach dem ewig langen Zielkanal hat eine bekannte Brauerei einen Stand mit alkoholfreiem Bier aufgebaut. Ehrlich gesagt, habe ich innerhalb kurzer Zeit vier Flaschen herrlichen, optimal gekühlten Bieres in mich hinein geschüttet. Ehrlich gesagt, hat diese Brauerei damit vermutlich mein Leben gerettet. Ehrlich, ich schwöre es!

 

Rückblickend betrachtet habe ich den bisher schwierigsten Lauf meines Lebens hinter mich gebracht – gleichzeitig war es auch ein Lauf, der nicht negativ behaftet in meiner Erinnerung bleiben wird. Vom Empfinden her war er körperlich anstrengender als ein Marathon.


Obwohl ich mit 1:52 Stunden weit über meiner selbst prognostizierten Zielzeit geblieben bin, hat diese Veranstaltung nach einmaliger Teilnahme bereits einen gewissen Suchtcharakter. Sei es die perfekte Organisation, die freundliche Betreuung, die Streckenführung oder die persönliche Herausforderung – alles spricht dafür, dass ich auch nächstes Jahr wieder in Dernau starten werde.

 

Darum jetzt auch noch einmal die Überschrift, wenn auch mit anderer Interpunktion:


Verflucht! Toni Weil und die über 80 Helfer des LT Dernau haben da eine wirklich tolle Veranstaltung auf die Beine gestellt.

 


 
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