Mona Stockhecke über Ihr neues Leben in den USA, Ihren Spagat zwischen Vollzeitjob und Leistungssport und Ihre Ziele in Frankfurt am 25. Oktober
Mona, wir erreichen Dich in den Vereinigten Staaten. Bist Du ausgewandert?
Ich bin dank eines wissenschaftlichen Mobilitätstipendium des Schweizer Nationalfonds seit Februar beruflich in den USA. Als Wissenschaftlerin an dem „Large Lakes Observatory" der Universität von Minnesota in Duluth darf ich mich in den kommenden zwei Jahren damit beschäftigen, wie Klima- und Umweltveränderungen in Kenia und Äthiopien über die letzten vier Millionen Jahre die menschliche Evolution und Migration nach Europa beeinflusst hat. Die Zusammenarbeit mit den europäischen, insbesondere Schweizer Kollegen und Instituten ist eng, so dass ich weiterhin beruflich in Europa sein werde.
Du trainierst also derzeit nicht mehr am Ufer des Zürich Sees, sondern an den Großen amerikanischen Seen?
Genau, am Lake Superior, dem größten der fünf Großen Seen. Wenn ich die Wellen und die großen Containerschiffe sehe, kommt es mir vor wie meine Geburtsstadt Hamburg. Die Strände und Möwen erinnern mich dann aber eher ans Meer und meine Lieblingsinsel Sylt. Der Geruch und das Wasser führt mich gedanklich zu meiner Wahlheimat Zürich – wenn auch einem Ozean gleicht, es ist und bleibt halt ein unvergleichbarer See der hier den Alltag mitbestimmt.
Ich habe dieses Jahr sportlich eine rechte Holperpartie hinter mir, ausgehend von Komplikationen mit einer Nasennebenhöhlenoperation im Winter, gefolgt von einem Eisenmangel im Frühling. Es hat mich physisch wie auch psychisch gefordert, meine sportlichen Ziele weiterzuverfolgen, gerade weil ich mich parallel an ein neues Umfeld und eine neue Umwelt gewöhnen musste. Als ich im Sommer merkte, dass die Schlaglöcher auf der Piste tatsächlich geflickt waren und ein intensives Training erlaubten, konnte die Marathonvorbereitung beginnen. Diese verlief für mich bisher nach Wunsch. Mein Ziel für Frankfurt ist, dort anzuknüpfen, wo ich im vergangenen Herbst aufgehört habe und eine neue Bestzeit zu laufen.
Wie bist Du umgegangen mit Deiner lange rätselhaften körperlichen Schwäche?
Es war hart, die Vorbereitung nicht umsetzten zu können und anstatt Form zu erleben, mit Müdigkeit und Abgeschlagenheit zu kämpfen. Wenn man nicht weiß, was los ist und sich dann in einem Gesundheitssystem befindet was eher einem Business gleicht anstatt der erstklassischen deutschen oder Schweizer Versorgung. Es dauerte alles sehr lange. Als die Eisen-Behandlung begann, war das Defizit einfach schon zu groß für eine rasche Rekuperation. Hamburg abzusagen war auch rückblickend die richtige Entscheidung, da sich mein Blutbild nach dem Marathontermin trotz Behandlung erstmal noch verschlechterte bevor die Behandlung wirkte. Es dauert Monate bis sich das Blut und die Eisenvorräte erneuern und das musste ich lernen zu akzeptieren. Ich brauchte viel Geduld und muss mir immer wieder sagen: Take it easy, cool bleiben und freu dich, dass es eigentlich ein kleines Problem ist. Laufen war nicht immer Fun in der Zeit. Klar, jetzt lasse ich meinen Eisenhaushalt regelmäßig kontrollieren.
Was macht Dich zuversichtlich, dass Du nach Deiner Krankengeschichte in diesem Jahr Dein Leistungsvermögen abrufen kannst?
Es gibt da eigentlich drei Gründe. Erstens: Ich habe eine Marathonerfahrung mehr in Beinen und Kopf. Zweitens: Ich habe zwei Marathonvorbereitungen mit größeren Umfängen und Intensitäten in diesem Jahr gemacht – auch wenn ich meinen Frühjahrsmarathon in Hamburg kurzfristig absagen musste, habe ich summa summarum die Trainingsstunden in mir. Drittens: Meine Fortschritte in den vergangenen drei Jahren waren rückblickend einfach toll und ich rollte wie selbstverständlich von einem Ziel zum nächsten. Rückschläge waren mir als Athletin bis dato unbekannt. Die Situation, mit der ich mich in diesem Jahr auseinandersetzen musste, verlangte von mir, dass ich mich auf sportliches Neuland begebe und andere, sagen wir mal, Soft Skills zu entwickeln. Das stärkt bekanntlich.
Wie beurteilst Du Deine Chancen, in Frankfurt deutsche Meisterin zu werden?
Exzelltent! Natürlich bleibt Marathon ein Marathon und ich habe großen Respekt. Wenn ich allerdings meinen Tag erwische, dann ist alles möglich.
Ist das Frankfurter Rennen nach Deiner Vorgeschichte ein besonders wichtiges, auch für den weiteren Verlauf Deiner Karriere?
Primär ist es eine Etappe auf meinem Weg. Das Rennen wird meinen Status quo aufzeigen, was maßgeblich für die Planung in 2016 sein wird.
Hat sich Deine Doppelbelastung von Leistungssport und voller Berufstätigkeit in den USA verändert?
Die Erwartungen sind beruflich sicherlich nicht kleiner geworden und haben sich etwas verändert. Allerdings hat auch der Sport in den USA und gerade an den High-Schools einen viel höheren Stellenwert. Die sportliche Infrastruktur an der Uni ist hervorragend. Da wird hier sehr viel Wert drauf gelegt und die Rahmenbedingungen vereinfachen es für mich, Sport und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Allerdings ist es nicht leicht, eine Trainingsgruppe auf meinem Niveau zu finden. Aber insgesamt sind die Leute hier sehr sport- und laufverrückt und die Natur um mich herum einladend. Mittlerweile komme ich jetzt langsam von Entdeckungs- und Orientierungsphasen zu dem Punkt, an dem das Normale das Neue ersetzt.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Ich trainiere nach wie vor lieber nachmittags oder abends, obwohl auch die Morgenstimmung am See mit dem Sonnenaufgang hier ausgesprochen schön ist und ich mittlerweile regelmäßig Doppelschichten einlege. So komme ich morgens vor 7 Uhr mitunter schon auf einige Kilometer. Im Büro, das nur einen Kilometer von meiner Bleibe entfernt liegt, starte ich dann je nach Training zwischen 7 und 8 Uhr. Von der Arbeit aus gehe ich direkt trainieren, meistens gegen 18 Uhr.
Hast du mehr mit den Umstellungen zu kämpfen oder gibt Dir die neue Umgebung auch neue Impulse für die Laufkarriere?
Definitiv sehe ich dank des kulturellen Unterschieds eine Vielfalt an neuen Impulsen. Neben einer neuen Umgebung ist es auch eine andere Herangehensweise und ein anderes System. Schon alleine die Laufstrecken hier zu entdecken ist klasse – durch die Wälder, entlang des Seeufers oder zu Wasserfällen. Auch die Trainings von den High-School-Teams zu verfolgen sowie an etlichen Feierabend-Fun-Runs teilzunehmen, gibt Impulse.
Eignest Du Dir etwas mit von dieser typisch amerikanischen Herangehensweise an? Nach dem Motto: Natürlich laufe ich heute Bestzeit, kein Zweifel.
Das trifft den Nagel auf den Kopf! Die Amerikaner tun das einfach und denken weniger darüber nach, ob sie das auch können oder ob das jetzt gerade realistisch ist. Man feuert sich auch hier gegenseitig - oder auch sich selber - ganz anders und viel mehr Begeisterung an. „Make it happen" oder „just have some fun" hört man viel öfter. Sie haben es irgendwie drauf, unsere eigentlich spielerische und neugierige Natur im Erwachsenenalltag nicht zu verlieren. Inwieweit es mich prägen wird, wird sich zeigen, aber sicherlich wird es meine Persönlichkeit nicht negativ beeinflussen.
Musstest Du dich von der Ernährung her umstellen oder vermehrt aufpassen?
Hier in Duluth gibt es ein großes Bestreben, nachhaltig und umweltbewusst zu leben. Dazu gehören neben dem Ausbau von einem dichten Netz aus Fahrradwegen auch Supermärkte, die vom Standard-Wallmart-Programm abweichen und viel Wert auf ökologische und regionale Produkte legen. Somit bekommt man schon alle Lebensmittel, die man gewohnt ist. Allerdings ist eine gesunde Ernährung mit viel Obst und Gemüse im Vergleich zu Fast-Food-Preisen sündhaft teuer. Im Sommer ist es weniger problematisch, da man zusätzlich auch, ähnlich wie bei uns, auf Wochenmärkten direkt vom Bauer kaufen kann. Im Winter möchte ich aber möglichst nicht mit Kartoffeln und Kohl ausharren.
Welche Rennen hast Du zuletzt in den USA bestritten und mit welchen Ergebnissen?
Ich habe bei vielen lokalen Läufen mitgemacht und diese oft in mein Training integriert. Dabei habe ich viele Streckenrekorde eingesammelt und den Jungs Feuer unterm Hintern gemacht. Der letzte internationale Lauf war der Garry Bjorklund Half Marathon im Juni wo ich 1:17:08 lief. Das war mein Neustart in 2015.
Welche Erinnerungen hast Du an Deinen letzten Marathonauftritt in Frankfurt 2014?
Umso mehr er zurückliegt, desto mehr denke ich: Wow! Dass es damals alles so astrein gelaufen ist und ich in der Lage war, mein Leistungsvermögen mehrmals im Jahr abzurufen, weiß ich immer mehr zu schätzen. Frankfurt war nach dem Zürich Marathon und den Europameisterschaften der dritte Marathon 2014 – und es war ein riesengroßes tolles Erlebnis.