Viele Läufe in der Szene schmücken sich mit dem Qualitätssiegel "Klassiker". Nur wenige haben sich dies jedoch so verdient wie der Lauf "Rund um den Wolfgangsee". Seit 1972 - man erinnere sich: das war das Jahr der Olympischen Spiele in München - und damit bereits zum 48. Mal rufen die Veranstalter, gleichfalls klassisch am dritten Oktobersonntag, zum naturnahen Run um den beliebten wie berühmten See im Salzburger Land. Zum Sehnsuchtsort gerade der Deutschen avaciert ist der Wolfgangsee bereits in den 50er Jahren, was wiederum vor allem dem durch Film und Schlager verewigten "Hotel im Weissen Rössl" in St. Wolfgang zu verdanken ist.
Dass auch heute noch Tausende diesem Ruf folgen, unterstreicht das Renommee der Veranstaltung. Die auf 2.400 Teilnehmer limitierte klassische Distanz über 27 km verläuft mit Start und Ziel in St. Wolfgang einmal komplett um den See herum. Es geht aber mit 5,2 oder 10 km auch kürzer, mit 42,2 km als XL-Version vor allem aber auch länger. Seit 2011 ist man mit der Bezeichnung "Salzkammergutmarathon" in die Marathonliga aufgestiegen, begreift diesen jedoch allenfalls als, wie man heute so schön sagt, Add On für ein spezielles Klientel, was auch die Limitierung der Startplätze auf 300 belegt. Letztlich absolvieren die Marathonis die gleiche Strecke wie die Klassikläufer, nur dürfen bzw. müssen sie sich vorher 15 km auf einem Zusatzkurs, abseits des Sees in Bad Ischl startend, "warmlaufen".
Die Wege aller Läufer führen zunächst nach St. Wolfgang, dorthin, wo der Puls der gesamten Veranstaltung schlägt. Malerisch ist die dörfliche Kulisse, die sich zwischen See und grünem Bergland schmiegt. Im Expozelt neben dem Kongresshaus im Ortszentrum bekomme ich am Samstag die Startunterlagen samt Goody Bag mit allerlei Sponsorengaben. Damit ist das Pre-Race-Programm jedoch keineswegs erschöpft. Ab 18 Uhr heißt es in den Hallen des Kongresshauses "Griaß Eich": Bei überaus leckerer Pasta, stilgerecht auf Porzellan statt Plastik serviert, und freiem Getränk, untermalt von Live-Musik und Großleinwandbildern aus 48 Jahren Wolfgangseelauf, kann man sich auf das Laufereignis einstimmen. Beeindruckend ist der Andrang, was kein Wunder ist bei – über alle angebotenen Distanzen gerechnet - fast 6.000 Teilnehmern, immerhin mehr als das Doppelte der Einwohnerzahl des Ortes.
Die Marathonis müssen am Sonntag ein wenig früher aufstehen als die anderen Läufer. Wer nicht selbst anreist, kann ab 8 Uhr von St. Wolfgang oder Strobl aus den Busshuttle nach Bad Ischl nehmen, um rechtzeitig am Start zu sein.
Geradezu städtisch wirkt der gegenüber St. Wolfgang fünfmal so große Kurort, der sich gerne auch als "Kaiserstadt" bezeichnet und noch heute davon zehrt, in den Jahren 1849 bis 1914 kaiserliche Sommerresidenz unter Kaiser Franz Joseph gewesen zu sein. Ein gewisses herrschaftliches Ambiente spürt man auch sofort, wenn man den idyllisch ins Bergland eingebetteten Ort erreicht.
Sammelpunkt zum Start ist die Trinkhalle im Ortszentrum. Dahinter verbirgt sich nicht etwa eine Feierabendbierkneipe, sondern eine im klassizistischen Stil Anfang des 19. Jahrhunderts errichtete Kuranlage mit Solebad. Zu Füßen der Säulen entlang der der Hallenfront sammelt sich der Haufen derer, denen die Klassikrunde nicht genügt. Etwa 250 sind das in diesem Jahr. Überaus entspannt ist die Atmosphäre, Wiener Walzer-Klänge von Johann Strauß schallen durch die noch frische Morgenluft. Das hat was. Erst zwei Minuten bevor es losgeht werden die Absperrbänder des Startkorridors entfernt. Dann geht es ganz schnell und pünktlich um 9:15 Uhr bringt ein Pistolenschuss die Wartenden auf Trab.
Schnelles Läufergetrappel erfüllt die noch morgendlich stillen Straßen und Gassen der Altstadt. Der Spuk ist jedoch nur ein kurzer, denn bereits wenige Minuten später schon verlassen wir Bad Ischl nordwestwärts, geradewegs dem See entgegen.
Auf einem Hochuferweg folgen wir zunächst ein Stück weit der munter dahin sprudelnden Ischler Ache, die vom Wolfgangsee abfließend unweit von hier in die Traun mündet. Intensiv strahlt die Sonne, aber noch lässt die Kühle des Morgens keine Hitzewallungen aufkommen.
In leichtem Auf und Ab, Ersteres überwiegend, windet sich im Folgenden unser Kurs auf kleinen Asphaltsträßchen inmitten der berggerahmten Naturkulisse durch saftig grüne Wiesen und Weiden, vorbei an kleinen Weilern und Höfen. Der Herbst präsentiert sich von seiner schönsten Seite, indem er das bunt gefärbte Laub der Bäume im Sonnenlicht erstrahlen lässt. Interessiert nehmen hier allein die Kühe von uns Notiz. Sehr entspannend, geradezu meditativ ist das Laufen und ich lasse mich, noch frisch und motiviert, gerne dazu verlocken, das Tempo hoch zu halten. Zumal ich das Ziel habe, zum Start des 27ers ab 10:30 Uhr St. Wolfgang zu erreichen, um dann die Stimmung live erleben zu können, für die der Hauptlauf so bekannt ist. Hier und jetzt ist das jedoch so ganz anders. Weit hat sich das Band der Marathonis auseinander gezogen.
Der sanft gerundete Bürglstein am Horizont markiert, dass der See nicht mehr fern ist. Und hier, nach 12,2 km, ist bei Schwarzenbach der Punkt erreicht, an dem die Strecke in den Originalkurs des 27-km-Klassikers einmündet. Am Bürglstein vorbei sehen wir kurz darauf dann auch schon das Wasser des Sees intensiv im Sonnenlicht blitzen und glänzen.
„Klein, aber fein“, so lässt sich das Image des Wolfgangsees auf den Punkt bringen. Gerade einmal 10,3 km lang, aber immerhin bis zu 114 Meter tief ist er, die Ufer mal sanft im Grünen auslaufend, mal felsig steil empor steigend. Seine Form erinnert ein wenig an eine Acht, wobei das namengebende St. Wolfgang mittig über die Schmalstelle herrscht. Die wunderschöne Berglandschaft, in die der See eingebettet liegt, begeistert Urlauber schon seit Generationen. Und von Generationen kann man auch sprechen, wenn man bedenkt, wie lange die Läufer alle Jahre wieder ihre Runde um den See drehen.
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(klaus und Margot Duwe)
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Nicht das schönste Wegstück ist allerdings jenes, das uns, einem ufernahen Gehweg folgend, nun weitere drei Kilometer bis nach St. Wolfgang führt. Herrlich ist zwar – über und Böschung hinweg - der Blick auf den See zur Linken, weniger idyllisch mutet allerdings die parallel führende Zufahrtsstraße zur Rechten an, über die die motorisierten Besucher, mittlerweile auch viele aus Fernost, in St. Wolfgang einfallen. Zugegebenermaßen ist das Verkehrsaufkommen um diese Zeit jedoch überschaubar.
Während die Hauptstraße rechterhand schließlich lärmschluckend in einem Tunnel verschwindet, geht es für uns über die „Markt“-Gasse durch gediegene Vorortbeschaulichkeit weiter geradeaus in Richtung Zentrum. Bis auf ein paar Spaziergänger ist kaum ein Mensch zu sehen, während die Marathonläufer vereinzelt durch die Gasse tröpfeln. Aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturm.
Zunächst ist es nur ein dumpfes Geräusch ähnlich einer Brandung, das an Intensität aber schnell gewinnt. Im Ortskern angekommen, windet sich die Gasse in einer steilen Linkskurve unversehens in die Tiefe, direkt auf den zentralen Kirchplatz einmündend. Und dort offenbart sich mir optisch wie akustisch nun mit aller Kraft die Ursache jenes Lärms: Eine riesige Menschenmenge bevölkert den Platz zu Füßen der alles überragenden St. Wolfgangs-Kirche. Die entlang der den Kurs abgrenzenden Trassierbänder harrenden Zaungäste begrüßen die Ankömmlinge mit lauten Anfeuerungsrufen. Was für eine Stimmung!
Dass der Lärm keineswegs nur uns gilt, merke ich allerdings schnell. Laute Musik und ein Countdown ertönt aus dem „Off“ der vom Kirchplatz wegführenden Pilgergasse. Gefüllt ist die Gasse mit unzähligen Läufern, konkret den Startern des zweiten der drei Blöcke des 27 km-Klassikers. Es ist Punkt 10:35 Uhr, als ich nach 15,3 km diesen Punkt und damit mein erstes läuferisches Ziel erreiche, rechtzeitig zum Start des Hauptlaufs einzutreffen. Ein kurzes Wegstück noch werde ich abseits und parallel zum Startkorridor geleitet, dann mündet mein Weg in die Pilgergasse ein und ich werde sogleich von der dichten Läufermasse verschluckt. Im Schwarm der gelben Startnummern geht meine rote völlig unter. Vorbei ist es mit dem unbedrängten Dahintraben, vorbei mit der Ruhe, aber hier ist dafür so richtig Stimmung. Das gehört zum Lauferlebnis am Wolfgangsee.
An den pittoresken Häusern des Ortszentrums und am Kongresshaus vorbei habe ich schon bald wieder Blickkontakt zum See. Zur Rechten passieren wir die Talstation der Schafbergbahn, bei der allein schon die Fahrt mit einer dampflokbetriebenen Zahnradbahn hinauf auf den 1.783 m hohen Schafberg besonderen Erlebniswert hat. Und einmalig ist auch der Blick von oben auf den See und die umliegende Bergwelt.
Auf dem Uferweg geht es weiter. Langsam lichtet sich das Getümmel ein wenig, aber individuelle Ambitionen bei der Tempogestaltung muss man weiterhin hinten anstellen. Aber es macht Spaß, einfach mit dem Tross dahin zu fließen. Kräftesparen ist ohnehin das Gebot der Stunde, denn Kondition brauchen wir auf den folgenden Kilometern.
Zwischen km 18 und 21 wartet als spezielle Herausforderung der Falkenstein. 220 Höhenmeter sind hinauf bis zum Falkensteinsattel bei km 20 und auch wieder hinunter zum See zu bewältigen. Schon aus der Entfernung sieht man den Läuferlindwurm, wie er, sich zunächst über grüne Wiesen empor schlängelnd, im waldigen Abhang entschwindet. Motiviert nehmen die Läufer diese erste Steigung auf Naturboden zumeist noch im Laufschritt und werden im Rückblick mit einem herrlichen Seepanorama belohnt.
Diese Motivation ist mit dem Eintritt in den Wald schnell dahin. Immer steiler und enger wird der geröllige Waldpfad, dicht an dicht drängen sich die Läufer, und selbst wer es wollte, hat kaum eine Chance, das kollektiv in schnelles Walking verfallende Feld zu passieren. In langen Serpentinen windet sich der Pfad ohne Unterlass und gleichmäßig kräftig in die Höhe. Immerhin erarbeiten wir uns die Höhenmeter so im Schnelltempo und ein Glück ist auch, dass der Wald ausreichend Schatten und damit Kühle bietet. Bevor man überhaupt etwas sehen kann, signalisiert schließlich der Lärm einer applaudierenden Zuschauergruppe, dass die Mühen ein zumindest vorläufiges Ende haben.
Das Erreichen des Falkensteinsattels hat auch eine besondere historische Komponente. Denn der älteste Pilgerweg Europas führt vorbei an vorchristlichen Kultplätzen hinauf zur einsam im Wald, scheinbar an einer Felswand klebenden Wallfahrtskirche am Falkenstein. Dort befand sich ein keltischer Ritual- und Opferplatz, wo um das Jahr 976 der legendenumwobene Heilige Wolfgang als Einsiedler und letztlich als Gründer des Ortes hauste. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde um den Zugang zu einer Höhle in der Falkensteinwand dann das Kirchlein erbaut.
Allzu viele Blicke für die Umgebung sollte man allerdings nicht riskieren. Konzentration ist nun angesagt, denn steiler als es zuvor bergan ging, geht es nun durch den Wald hinab in die Tiefe. Hier zeigt sich, in wessen Brust ein wahres Bergläuferherz schlägt. Während die einen in vollem Lauf hinab preschen, tasten sich andere über Laub und Geröll fast schon übervorsichtig nach unten.
Im Auslauf erreichen wir Fürberg mit seinem wunderschön am See gelegenen alten Hotel-Gasthof und Wirtsgarten. Für die Marathonläufer ist hier nach 21,6 km quasi Halbzeit und ich merke, wie der rasante Abgalopp mit Zwicken von meiner Beinmuskulatur quittiert wird. Ein wundervoller Ort, um einzukehren, denke ich mir, gerade jetzt. Aber die läuferische „Aufgabe“ ist eben noch nicht erfüllt.
Entspannung verspricht ein herrlicher, baum- und strauchüberwölbter Naturweg, der ganz flach und direkt an der Wasserlinie weiter führt. An einigen Stellen begrenzt hoch aufragender Fels den Weg zur Landseite. Schon von weitem zu sehen ist unser nächstes Zwischenziel: St. Gilgen, die einwohnermäßig größte Gemeinde am See und dessen westliches Ende markierend. Geradewegs auf dessen zentralen Kirchturm bewegen wir uns zu.
Bei km 24,5 ist das Herz des ruhigen Ortes erreicht. Am Hafengelände wird uns durch Zuschauer ein herzlicher Empfang bereitet. Die meiste Stimmung am Streckenrand verbreiten allerdings die Bewohner eines Seniorenheims, die sichtlich Spaß daran haben, uns auf unserem Weg anzufeuern.
In direktem Kontakt zum See bleiben wir auch auf unserem weiteren Weg entlang des Südufers. Über Kilometer folgen wir dem bequemen, breiten Fußgängerweg mit stetiger Sicht auf die Berge, die herbstliche Natur und vor allem natürlich den See. Einziger akustischer Störfaktor ist die von St. Gilgen nach Bad Ischl führende Durchgangsstraße, die zunächst noch in angenehmer Distanz verläuft, der wir schließlich aber doch ziemlich nahe rücken. Aber: Geht nicht anders. Die gesamte Passage ist dennoch eine Idealstrecke für entspanntes Jogging. Zumindest wäre sie das, wenn ich noch entspannt wäre. Umso mehr schätze ich nun die Verpflegungsstellen, die uns etwa alle fünf Kilometer erwarten. Wasser, Isotonisches und Früchtetee gehören ebenso zum Standard wie Bananen, Äpfel und Brot. Vor dem Gasthaus Gamsjaga kurz vor km 29 offeriert zu rockiger Live-Musik ein entsprechend gewandeter Rauschebartträger gar frisches Stiegl-Bier. Sehr verlockend, aber ich traue mich dann doch nicht.
Zeitweise müssen wir uns nun vom See verabschieden. Wir haben die Zinkenbach-Halbinsel erreicht, einen ebenen Schwemmkegel des besagten Baches, der dazu führt, dass der See hier zu seiner schmalsten Stelle verengt wird. Nach einem weiten Bogen durch die Wiesen tauchen wir einmal mehr ein in bunt-raschelnden Laubwald, ehe wir nach Querung des Zinkenbachs bei Gschwendt den Startbogen des 10 km-Laufs durchlaufen und wieder auf Seekurs sind.
Das folgende Wegstück ist ein weiteres Highlight des Kurses. Es führt uns nahe am See durch das Naturschutzgebiet Blinklingmoos mit seinen verschiedenen Mooren, Feuchtwiesen und Schilfbeständen. Den teils schmalen Naturpfad sollte man nicht verlassen, will man nicht die Wasserdichtigkeit der Schuhe austesten. Wie gemalt und einfach wunderschön ist die im Sonnenlicht erstrahlende Naturkulisse rundum. Am Horizont sehe ich mit dem Bürglstein eine schon bekannte markante Erhebung näher rücken. Aber erst müssen wir die Schleife um das Ostende des Sees mit dem Örtchen Strobl bei km 37 vollenden, bevor wir direkten Kurs auf dessen runde Kuppe nehmen können.
Zwei Wege führen um den an dessen Fuß steil abfallenden Bürglstein herum. Beim seenahen Weg sind teils direkt über dem Wasser an den Fels geschraubte Steige zu queren. Richtig spannend ist das. Aber diese Strecke ist allein den Startern des über 5,2 km von Strobl nach St. Wolfgang führenden Panoramalaufs vorbehalten. Zumindest erwandern sollte man sich diese wunderschöne Uferpassage. Der andere Weg führt auf Asphalt landseitig um den Bürglstein herum. Und der ist alles andere als spannend und auch länger. Den müssen wir nehmen, was angesichts fortgeschrittener Erschöpfung mäßig motivierend ist. Aber das ist eben die „klassische Route“ und an der lässt sich nichts rütteln.
Ab der Verpflegungsstelle Schwarzenbach bei km 39 betrete ich bereits bekanntes Terrain. Denn hier mündete der lange Anlauf von Bad Ischl in den Rundkurs. Parallel zur St. Wolfganger Zufahrtsstraße mühe ich mich mehr schleichend als laufend am See entlang dem Ziel entgegen, nur noch auf baldige Erlösung hoffend.
Aber wie immer bei einem Marathon ist auch hier die Erlösung so gewiss wie das Amen in der Kirche. Der Weg über den menschen- und fahnengesäumten Kirchplatz und über den blauen Teppich hinweg dem Zielbogen entgegen ist ein wahrlich eindrückliches Erlebnis und rundet diesen wunderbaren Lauftag in adäquater Weise ab. Irgendwie verstehen kann ich nun, warum es die Veranstaltung schafft, alljährlich so viele Starter neu und auch wieder zu begeistern. Und es bedeutet schon einiges, wenn ich als Marathonläufer sage: Das nächste Mal würde ich den 27er laufen. Denn gerade und vor allem der ist eine richtig „runde Sache“.