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Laufberichte

Kiew Marathon: Der County Club grüßt die Klitschkos

 

Die Deutschen sind nicht nur tüchtig(er), sondern auch (über-)pünktlich. Um 7 Uhr sind Mario und Doris mit einem Kollegen vom 100 MC DEU schon gestellt. Wir vier frühstücken zusammen –über Laufzeiten rede ich erst gar nicht, denn da würde ich klar ins Hintertreffen geraten. Die nächsten Länderpunkte wollen sich Mario und Doris in Podgorica am 25.10. und am 28.11. in Durres in Albanien holen. Mein Interesse wird so geweckt, ich könnte mich ihnen anschließen.

Der Start- und Zielbereich befindet sich auf der Chreschtschatyk, direkt neben dem Majdan-Platz der Unabhängigkeit. Oben auf der 63 Meter hohen korinthischen Säule aus weißem kanadischem Granit, steht eine 6 Meter hohe Frauenfigur in ukrainischer Tracht auf einer Erdkugel. Für Fotografen und Knipser wie mich ist die Säule ein attraktives Motiv – auch an ihr werden wir zweimal vorbeilaufen und nach dem Zieleinlauf ein drittes Mal vorbeigehen.

Die Kollegen vom Country Club sind schon in Position, als ich auf sie zugehe. Ein Läufer von den Marathon Globetrotters, so etwas wie ein Konkurrenz-Club, bei dem man allerdings schon bei 10 Ländern Mitglied werden kann und nicht erst bei 30, macht das Gruppenfoto, auf dem ich etwas abseits stehe. Aber es dient dem Präsidenten John Wallace als Beleg, dass seinen Mann keine Kosten und Mühen scheuen, ihre Marathonmission zuerst in die Welt hinaus zu tragen und dann mit leeren Taschen aber glücklich und zufrieden wieder nach Hause fahren.

Neben uns haben sich Ernst und Conny eingefunden, ich knipse die beiden gleich mehrmals. Ich könnte mir vorstellen, dieses glückliche Läuferpärchen zum Motiv dieses Marathons zu wählen, denn beide sind überdurchschnittlich sportlich und dem Laufsport auch in ihrer Heimat sehr verbunden. So wie beim Reden die Leut‘ zusammenkommen, so immer öfter auch beim Marathonlaufen. Ich kenne einen alten Hasen, der jede Gelegenheit nutzt, bei Marathons junge Frauen anzusprechen und sich ihnen als Pacemaker anzubieten. Solange halt, bis ihm die Luft ausgeht. Wenn er dann im Ziel seine Sportkappe vom Kopf abnimmt, sehen die Mädels die hohe Stirn, die bis zum Hinterkopf reicht. Er beklagt sich bei den Kollegen, dass ihm nie eine auf seine Mails antwortet. Man kann ihm nur raten, sich eine adäquate  weibliche Altersgruppe auszusuchen. Wie es scheint, hat er nun sein Glück mit einer älteren Läuferkollegin gefunden, die ihn sofort zurechtweist, wenn er jungen Mädels nachwinkt.

Aber genug der Albernheiten, die keinen interessieren. Der Start für den Marathon und die Staffeln ist für 9 Uhr vorgesehen. Bei den Staffeln gibt es zwei Gruppierungen:  2x10 km und 2x 11,0975 km (Viererteam) sowie 2x 21,0975 km. Man erkennt die Staffelläufer an den beige oder grün unterlegten Startnummern, während die Marathonläufer eine rosa Nummer auf weißem Hintergrund haben. Kreativ durchdacht ist die Medaille für die Staffelläufer – je nach Teamzugehörigkeit weist sie eine Bruchstelle auf – bei vier Startern werden im Ziel vier Teilmedaillen in der Reihenfolge des Eintreffens ausgegeben, die man wie bei einem Puzzle zusammensetzen kann. Jeder nimmt also ein Stück der gesamten Medaille mit nach Hause – ein Grund, sich nach dem Marathon ab und zu treffen und bei einem Umtrunk die Medaille gemeinsam für einige Stunden zu vervollständigen. Ich wüsste da eine Alternative: Man meldet sich nach dem Marathon beim Veranstalter und erbettelt sich eine übrig gebliebene  aus der Kategorie Marathon über die volle Distanz. Dann kann man sich die Meetings sparen.

Pacemaker gibt es in Kiew auch: von 3:15h Zielzeit beginnend bis 4:30. Die angegebene (und erhoffte) Finisherzeit  ist links auf der Startnummer angeführt. Ordner passen auf, dass sich die Läufer in die richtigen Startblöcke begeben. Ernst, Conny und ich sind unter 4:30 gereiht, wobei ich nicht sicher bin, 4:30 bei 600 Höhenmetern als angestrebte Laufzeit bei der Registrierung angeführt zu haben. Da es keinen Block mit 5 Stunden und mehr gibt, obwohl der Marathon 6 Stunden offen ist, dürfte der Veranstalter alle Langsamen unter 4:30 eingereiht haben.
Das Wetter heute Morgen ist ideal für einen Marathon. Es sollte tagsüber nicht mehr so heiß werden wie gestern. Ich habe mich für zwei Lagen entschieden, während andere im Singlet am Start stehen.

Gestartet wird in Blöcken mit geringen zeitlichen Abständen. In Vilnius vor zwei Wochen wurden am Ende nur die Bruttozeiten angeführt, was vielleicht auch hier in Kiew so gehandhabt werden könnte. Der Chip ist auf der Rückseite an der Startnummer angeklebt und daher nicht wie der langsam abhanden kommende Champions-Chip bei anderen Marathons einsetzbar (obwohl dies nach einer Umprogrammierung technisch möglich wäre). Der sogenannte Wegwerfchip kommt mehr und mehr in Mode.

Ich stelle mich hinter die 4:30er-Pacemaker und habe vor, solange ich mithalten kann, an ihnen dranzubleiben. Der Marathonkurs führt nach dem Start auf der Chreschtschatyk neben dem Majdan-Platz nach Norden und nach ca. 1 km beim Walerij-Lobanowskyj-Fußballstadion mit Leichtathletikanlage nach Osten. Der leichte Anstieg bereitet am Beginn des Marathons einigen Läufern hinter mir schon nach 10 Minuten Schwierigkeiten, sie fallen zurück.

Die zwei Lagen waren die falsche Entscheidung, ich schere aus und ziehe das kurze Leibchen aus. Das kostet eine ganze Minute. Die 4:30er-Gruppe liegt inzwischen 200 m vor mir. Mit einem 5:30er-Schnitt hole ich die mit zwei gekennzeichneten gelben Ballons laufenden Tempomacher bei der St.-Nikolaus-Kirche wieder ein, die auf dem Grab des Waräger Fürsten Askold um 1809 erbaut wurde. Der Marathonstrecke führt auf der Parkova Straße noch immer leicht aufwärts, zur Linken sieht man schon den um ca. 70 m tiefer liegenden Dnepr, der in Russland entspringt und mit 2200 km der drittlängste Fluss Europas ist. 1700 km sind für Schiffe befahrbar, auch Flusskreuzfahrten vom und zum Schwarzen Meer werden angeboten.

Endlich geht es abwärts, doch die Tempomacher halten konstant ihre Geschwindigkeit, während ich abwärts immer beschleunige und aufwärts mit den Kräften haushalte. Soll ich mich an der 4:30er-Gruppe vorbeibewegen, sie überholen? Ja, aber nur für einen Schnappschuss, ich bleibe vorerst dran.

Wir nähern uns einer weiteren Sehenswürdigkeit auf dem Marathonkurs. Vor uns liegt zur Rechten das im barocken Stil erbaute Kiewer Höhlenkloster, das seit 1990 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Seinen Namen erhielt es von ausgedehnten künstlich geschaffenen Höhlen, in denen Mönche in größter Abgeschiedenheit von der Welt lebten und auch bestattet wurden. Mehrere Museen sind hier untergebracht, u.a. das „Museum der historischen Kostbarkeiten der Ukraine“.

Die erste Labestelle befindet unter der berühmten 62 m hohen Mutter-Heimat-Statue, die zu Sowjetzeiten zum Gedenken an den Sieg der sowjetischen Streitkräfte im Großen Vaterländischen Krieg gegen die deutsche Wehrmacht errichtet und 40 Jahre später, am 9. Mai 1981, durch Parteichef Leonid Breschnew eingeweiht wurde.
Nun geht es ziemlich flott bergab in Richtung Dnepr und bei Kilometer 7 auf die Patona Brücke (Міст Патона). Es hat zu regnen begonnen, Wind kommt auf. Die ca. 1,5 km lange Brücke ist auf den linken drei Fahrspuren der E95 für den Verkehr gesperrt. Zu unserer Rechten kommt uns das vor dem Führenden fahrende Auto entgegen – er ist seit 42 Minuten unterwegs und hat 12 Kilometer nach der Wende auf der Vozz'Jednannya Prospekt (Возз'єднання проспект) zurückgelegt. Der leichte Anstieg auf die Brücke zieht sich, es kommen uns laufend die schnellen Läufer entgegen. Ich versuche sie zu knipsen, merke aber bald, dass die Digicam mit dem trüben Wetter und der Feuchtigkeit nicht klarkommt. Wassertropfen trüben die Linse, ich wische mit sie mit trockenem Klopapier weg.

Mario Sagasser (141) spurtet mir entgegen, ihn bekomme ich aufs Foto, bald darauf auch Ernst Fink (149), Gordon Bennet (92) und Jürgen Sinthofen (457) folgen. 200 m vor uns nach der Wende lacht Doris Sagasser (142) in die Kamera, begleitet von ihrem Kollegen im 100 MC DEU, Florian Heilers (22). Conny Lukas (150) läuft in der 4:30er-Pacemakergruppe knapp vor mir, überholt dann aber noch vor der Wende diese, um sich wohl einen gewissen Vorsprung zu verschaffen, der bei den zu erwartenden Anstiegen ab 12,5 Kilometerein Polster sein kann. Philippe Waroux (56) habe ich leider übersehen, er ist ein sub 4h-Läufer, der sich in der Nähe von Gordon befinden müsste.

Gleich nach der Wende ist bei Kilometer 10 die zweite Labestelle. Es gibt Wasser, Iso, Orangenstücke. Meine GPS-Uhr zeigt 1:00:19 h an, also eine reine Sechserzeit, die genau genommen über dem 4:30er-Tempo liegt – die Pacer sind zu schnell unterwegs.

Es geht die Patona-Brücke zurück – einige Autos mögen vielleicht auf der E95 bis nach St. Petersburg weiterfahren, doch da war ich schon mehrmals, im letzten Jahr auch beim 25. Jubiläumsmarathon, von dem ich heute noch schwärme (wenn mich einer fragt, wo es mir gefallen hat).

In der 4:30er-Gruppe läuft auch der Schwede Anders Forselius (458), der Mitglied bei den Marathon Globetrotters ist. Er trägt sein Club-Singlet über einem Kurzarmshirt. Anders kennt viele vom Country Club, denn Ländersammeln ist das Hauptziel beider Marathon-Clubs.

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Informationen: Wizz Air Kiew City Marathon
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