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Laufberichte

Landschaftsmarathon in der Gartenstadt

16.05.10

Wenn zwei Drittel der Gesamtfläche einer Stadt von Wald bedeckt sind, ist es naheliegend, statt eines Citymarathons einen Landschaftslauf auf die Beine zu stellen. Von dieser Überlegung rücken die Organisatoren des Winterthur Marathons auch bei seiner zwölften Austragung, der vierten auf dieser Strecke, nicht ab. Zu Recht, wie ich meine.

Winterthur ist nicht unbedingt die Stadt, die einem als eine der ersten in den Sinn kommt, wenn Schweizer Städte aufgezählt werden sollten. Zu Unrecht, wie ich meine.

Als sechstgrößte Stadt der Schweiz gehört Winterthur gerade noch zum Kreis der Orte mit sechsstelligen Einwohnerzahlen, wirkt aber gar nicht so. Sanft eingebettet in einer Hügellandschaft, wird das nicht von Wald bedeckte Drittel der Stadt von unzähligen Parks und Gärten verschönert, in denen der Kunstliebhaber Skulpturen fürs Auge und Familien Spielplätze für ihre Kinder finden. Winterthur nennt sich auch Gartenstadt. Zu Recht, wie ich meine.

Zwar errichteten die Römer im 1. Jahrhundert nach Christus im heutigen Oberwinterthur die Siedlung Vitudurum, den Archäologen hinterließ jedoch erst das Frühmittelalter zahlreiche Spuren. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts wurde die Stadt erstmals befestigt. Die gute Verkehrslage zog Handwerker und Gewerbetreibende an und die Grafen von Kyburg förderten den Ausbau Winterthurs. Nach dem Tod des letzten Kyburgers 1264 ging der größte Teil des blühenden Erbes an die Habsburger, welche dem Ort das Stadtrecht verliehen. Drei Jahre später war Sigismund von Habsburg in Geldnot, konnte sich dabei aber noch nicht auf eine gesamteuropäische Kreditzusage stützen, sondern musste die Stadt an Zürich verpfänden. Es dauerte bis zur französischen Revolution und dem durch den Druck Frankreichs erzwungenen Ende der Alten Eidgenossenschaft, bis die Stadt Zürich Winterthur wieder in die Unabhängigkeit entließ und damit die Freiheit zu einer starken wirtschaftlichen Entwicklung gab.

Die Einführung der Gewerbefreiheit um 1830 und der Anschluss ans Bahnnetz 1857 unterstützten die Entwicklung zu einem Zentrum von Industrie, Fernhandel und Banken- und Versicherungswesens, welche Winterthur ein bauliches Gepräge gab, von der die Stadt noch heute profitiert. Repräsentative Gebäude wie das einem griechischen Tempel nachempfundene Stadthaus und die herrschaftlichen Villen der einflussreichen Familien im Grüngürtel rund um die Altstadt verhelfen der Stadt zu einer unverwechselbaren Erscheinung.

Den kulturell Interessierten bietet Winterthur eine breite Palette von Angeboten. Eine der bedeutenden Adressen in Sachen Fotografie ist das europäische Kompetenzzentrum für Fotografie. Insgesamt beherbergt die Stadt 16 Museen. Internationales Renommee mit Schlüsselwerken aus dem 18. bis 20. Jahrhundert haben die  Sammlungen von Oskar Reinhart, die Villa Flora sowie das  Kunstmuseum erlangt. Große und kleine wissenschaftliche Entdecker können im Technorama experimentieren und staunen.

Wer das ganze Spektrum an Lebensqualität auskosten will, nimmt hier am besten Wohnsitz.  Entweder in einem der neuen Quartiere mit hellen Wohnungen und viel Außenraum oder auf einem der Areale mitten in der Stadt, zum Beispiel dem Sulzerareal. Wo früher Turbinen und Dieselmotoren mit Weltruf gebaut wurden, entsteht zwischen alten Industriehallen mit innovativen Zwischennutzungen ein neuer Stadtteil zum Arbeiten, Wohnen und Einkaufen.

Ort des Geschehens für den Marathon ist die Mehrzweckanlage Teuchelweiher.  Der denkmalgeschützte Fachwerkbau ist eine ehemalige Kavalleriekaserne mit zwei Reithallen. Gebaut wurde sie vom renommierten Architekten und Winterthurer Stadtbaumeister Wilhelm Bareiß im Jahre 1860. Vom Bahnhof aus ist die Startnummernausgabe gut zu Fuß zu erreichen, wobei man eine der größten Fußgängerzonen Europas quert. Während sie unter der Woche tagsüber sehr belebt ist, liegt sie am Sonntag jeweils im friedlichen Morgenschlummer. Kein Zweifel, ein Citymarathon wäre keine gute Idee; wenn die Geschäfte geschlossen sind, zieht es die Frühaufsteher ins reichlich vorhandene Grün in und um die Stadt.

Mit der über die Website der Zeitnahmefirma ausgedruckten Anmeldebestätigung erhalte ich umgehend meine Startnummer, und auch diejenigen, die sich trotz des nicht sonderlich einladenden, für Hitzescheue aber perfekten Laufwetters für eine Nachmeldung entschieden haben, können die Formalitäten in recht kurzer Zeit erledigen.

Zusammen mit der Startnummer gibt es ein Baumwoll-T-Shirt, gedruckte Werbung und von einem der Sponsoren ein Paar Schnürsenkel in markenrechtlich geschütztem Gelb.  „Soll ich mich damit erhängen?“, haben sich wohl zahlreiche Läufer gefragt, sich die Frage mit einem entschiedenen Nein selbst beantwortet und das Werbegeschenk gleich auf einem Tisch gegenüber liegengelassen. Auch ich kann mich nicht daran erinnern, dass einer meiner Laufschuhe so lange gehalten hat, dass ich die Schnürsenkel wechseln musste. Der fachkundige Langstreckenläufer weiß, dass im Laufe seiner Lebensdauer ein Laufschuh vielleicht gerade mal hundert Mal zugeschnürt wird – das sollte jeder Schnürsenkel aushalten.

Für die Damen sind die Garderoben vor Ort im Mehrzweckgebäude, die Herren müssen noch ein paar Minuten Fußmarsch zu einer Schulanlage auf sich nehmen.

Anscheinend bin ich nicht der einzige, bei welchem das trübe und kühle Regenwetter der vergangenen Woche einen Winterschlafreflex ausgelöst hat. Abgesehen von den Sportlern, Helfern Funktionären und wenigen begleitenden Familienmitgliedern scheint die Stadt noch im Tiefschlaf zu liegen. Ob sich in der Festwirtschaft in der größeren Halle allenfalls noch einige Leute bei einem heißen Kaffee aufhalten und aufwärmen, kann ich nicht mehr auskundschaften, denn allzu viel Zeit bleibt mir nicht mehr bis es losgeht und die brauche ich, um mit Günni zu ratschen. Das dritte Mal innert vier Wochen sind wir am gleichen Ort am Start. Die Besonderheit für ihn war vor zwei Wochen die Qualifikationszeit für Boston, heute ist es eine Schnapszahl. Er tritt zu Marathon Nummer 222 an!

Der Platzsprecher ist sehr diskret, hat nichts am Hut mit Marktschreiern. Das ist auch gut so, denn es würde nicht zum Rest passen. Startbogen, Luftballons und Werbebanden machen zwar deutlich, dass hier ein ordentlicher Sportanlass über die Bühne geht. Auch die schön schrägen Töne der Guggenmusik sorgen für Stimmung. Trotzdem ist es im Feld der rund 250 Startenden recht ruhig. Niemand drängt zur Startlinie, im Gegenteil, die Offiziellen bitten die ersten Reihen, die sich schon aufgestellt haben, freundlich nach vorne.

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Informationen: Winterthur Marathon
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