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Laufberichte

„Die Wachau – ein Stück Paradies, ...

 

Ich beschleunige das Tempo, denn die 4:30er-Gruppe kommt wieder sehr nahe – der  Pacemaker läuft unter 10 km/h, das entspricht einer reinen Sechserzeit und ist zu schnell. Wir kommen zur 4 km-Anzeige neben der Ortstafel von Emmersdorf. Einen Kilometer weiter befindet sich die Labestelle. Meine Laufzeit liegt bei 32 Minuten. So könnte es weitergehen, denke ich mir. Es ist ein angenehmes Gefühl für mich, wieder Asphalt unter den Füßen zu spüren, denn gestern in Feistritz beim Kirchenmarathon ist die Hälfte der Strecke auf erdigen Wiesen- und  Schotterwegen verlaufen. Ich bleibe an der Labe kurz stehen, es gibt Riegel der Marke Isostar, Cola, Mineralwasser – das lasse ich  nicht aus. Der Anführer der 4:30er-Truppe gönnt sich im Laufen einen kurzen Schluck aus dem Trinkbecher, warum hat er es so eilig? Erfahrungsgemäß bröckeln nach 30 km 70 % der Mitläufer ab, manchmal kommt nur der Tempomacher alleine an – und nicht immer zeitgerecht.

Es geht weiter, ich nähere mich einem vermeintlichen Pärchen. Am Shirt der Läuferin steht am Rücken folgendes: „Überhol‘ ruhig, von vorne sehe ich noch viel besser aus.“ Ich knipse sie von hinten und nach einem schnellen Schritt auch von vorne. Zu ihr sage ich laut hörbar: „Keine Frage, bei Ihnen trifft das zu !“ Mit der Startnummer 9714A ist die junge Dame Startläuferin einer Staffel und eigentlich etwas zu langsam unterwegs.

Das Gefälle des Kurses ist auf den folgenden Kilometern nur sehr leicht, allerdings befinden sich dann auch wieder langgezogene sanfte Anstiege darunter, wo ich mein Lauftempo reduziere. Ein Marathon soll ja nicht zu anstrengend sein, sondern auch Spaß machen. Bei Kilometer 7 habe ich den flotten 4:30-Pacemaker wieder eingeholt, der weiterhin auf mich den Eindruck macht, als laufe er ums Überleben. Es kann auch sein, dass mir als Langsam-Läufer eine 6er-Zeit schon zu schnell vorkommt, die andere locker im Training laufen und im Rennen 5:30 und darunter schaffen. Es wird höchste Zeit, dass ich wieder auf jenes Niveau komme, wo ich bspw. 2002 war.

Mit dem Marathonsammeln habe ich erst 2009 zum 55. Geburtstag begonnen. Ziel war, den Hunderter bis zum Sechziger im Januar 2014 zu erreichen. Jetzt sind es mittlerweile über 160 geworden, darunter auch 5 Ultras. Ich mache also weiter.

Die Gegend entlang der Donau zur Rechten und dem Grünland auf der linken Seite bietet einen  landschaftlich schönen Anblick. Ich befinde mich mitten unter den 4:30 bis 5-Stundenläuferm, die auf der Wachauer-Bundesstraße unterwegs sind. Die Fernsicht reicht auf diesem Streckenabschnitt einen Kilometer nach Osten, die vordersten Läufer sind in der Perspektive noch gut auszumachen. Hinter mir im Abstand von ca. 200 m kommt die 4:30er-Gruppe nach, die mich bei der Kilometer 10 folgenden Verpflegungsstation und Staffelübergabe wieder überholt – wie inzwischen schon mehrmals. Doch die Gruppe ist kleiner geworden, die erkennbar übergewichtigen Mitläufer haben das Tempo nicht durchgehalten. Ich gönne mir eine Trinkpause von einer Minute. Dutzende Läufer, an denen ich mühelos vorbeigelaufen bin, überholen mich wieder.

Während eines Marathons liefert man sich oft einen Wettkampf mit einem Kontrahenten, den man gewinnt oder verliert. Manchmal spreche ich dann auch einen an, frage, wie es ihm geht und plaudere mit ihm. Bei einem Tempo von 6:30 bis 7 Minuten hat man in  der Regel auch genug Atem dafür. Heute konzentriere ich mich in meinem neuen Outfit mehr auf die Rolle des  M4Y-Bildreporters mit einer zurzeit nicht ganz adäquaten Fotoausrüstung. Ich muss mir beizeiten beim M4Y-Häuptling einige Tipps holen, denn ein Fotoreporter mit untauglicher Kamera ist wie ein Barbier mit stumpfer Klinge.

Ein grauhaariger Mann, Ende Sechzig, mit blauem Singlet, schwarzer Hose fällt mir auf. Er trägt die leicht zu merkende Startnummer 9669. Er kämpft tapfer, fällt aber nach der 10 km-Anzeige zurück. Ich bin mit den Gedanken schon beim 15-km-Posten nahe von Aggsbach, der noch gut 30 Minuten entfernt ist. Eine hübsche junge Dame mit einem roten Fahrrad, die auf einer Mauer sitzt, applaudiert. Von ihr mache ich ein Foto. Ich überhole einige Staffelläufer, die sehr langsam unterwegs sind. Eine Werbetafel in einem Feld neben der Straße fällt auf – am 29. September sind Nationalratswahlen. In Niederösterreich stellt die ÖVP die stimmenstärkste Partei, „hier ist einer für den anderen da“ bezogen auf die Hochwasserhilfe, während andere Politiker im Ausland weilten. Ich werde mir eine Wahlkarte besorgen, denn zu diesem Zeitpunkt werde ich in Berlin beim 40. Jubiläumsmarathon am Start sein und meinen 42. in diesem Jahr laufen. Aber welche Partei ich wählen werde, steht noch nicht fest – vielleicht die mit dem langen Atem oder doch jene, der es um frische Luft geht.

Ein Läufer fällt mir wegen seines orthopädisch bedenklichen Schrittes mit starker Unterpronation auf. Er trägt ein orange-blaues Radsporttrikot mit der Aufschrift radsportstudio.at. Ihn habe ich inzwischen schon mehrmals überholt. Bei Kilometer 13 sieht man wieder die Donau auf der rechten Seite, ein Schiff fährt stromaufwärts. Alle Hochwasserschäden sind beseitigt, die Uferstraße war mit Donausand und Treibgut überzogen. Bald darauf erreichen wir Nachhutläufer den kleinen Ort Willendorf, wo Österreichs bekanntestes Fundstück, eine altsteinzeitliche Frauenfigur, die „Venus von Willendorf“, gefunden wurde. Sie ist heute im Naturhistorischen Museum in Wien zu sehen. Knapp vor Kilometer 15 befindet sich die nächste Versorgungsstelle, Zuschauer applaudieren, eine Blaskapelle spielt.

Sobald wir aus dem Ortsgebiet draußen sind, tauchen die ersten Obst- und Weingärten entlang der Bundestraße auf. Wein ist für die Gegend gleichbedeutend wie Eisen für den steirischen Erzberg oder Salz für Hallstatt. Das Wort „weinmalig®“ wird mit einem Copyright verwendet, die Wachau als Weltkulturerbe und Wohlfühllandschaft ist für ihre Qualitätsweißweine der Sorten Grüner Veltliner und Riesling weit über Österreich hinaus bekannt. Mit fällt auf, dass sich die Gemeinde Willendorf weiter nach Osten erstreckt als angenommen, denn das Haus der Freiwilligen Feuerwehr befindet sich bei Kilometer16  - laut Anzeige auf meiner Garmin.

Ich traue meine Augen nicht, während ich fotografiere, überholt mich auf der linken Straßenseite Helena Barcot, Mitglied in unserem Verein. Sie läuft heute ihren 30. Marathon. In ihrem roten skinfit-Dress sieht sie sehr gut aus. Ich spreche sie an, doch sie deutet an, dass sie ihr Tempo weiterlaufen möchte und offenbar nicht gestört werden will. Helena trainiert mehrmals die Woche, sie kommt locker auf 40 und mehr Kilometer, doch mehr als vier oder fünf Marathons läuft sie nicht. Heute ist sie gut unterwegs und könnte durchaus mit 4:30 finishen. Während ich einige weitere Fotos von der Landschaft mache, zieht Helena davon. Ein nachkommender Läufer bietet sich an, mich einmal zu knipsen – ich sage danke und freue mich über ein eigenes Foto. Ungefähr bei Kilometer 17 folgt die nächste Labestation, wo es erstmals Gels gibt. Nur bei einigen wenigen Citymarathons wie bspw. Florenz werden Gels angeboten – daher finde ich persönlich dieses Service hier beim Wachaumarathon „CHElartig“ (©M4Y).

Noch fehlen fast 4 km bis zur Halbmarathondistanz in Spitz. Die Laufstrecke geht nun kontinuierlich leicht aufwärts, erstmals spüre ich eine gewisse Müdigkeit. Der Elan ist ein wenig verschwunden, doch ich warte auf die Wirkung von 40mg Isostar-Gel. Wir erreichen Spitz an der Donau – beim Strandcafe ungefähr bei Km 20 sitzen Gäste, die uns mit Gläschen Roséwein zuprosten. Die beiden Herren haben einen leicht roten Kopf, vielleicht ein weinmaliges® Zeichen der Glückseligkeit.

In Gedanken bin ich schon längst bei der Halbmarathondistanz, in wenigen Minuten werde ich sie passiert haben. Knapp davor befindet sich wieder eine Versorgungstelle. Die Häufigkeit resultiert aus den unterschiedlichen Distanzen der Bewerbe, die gewohnten 5 km-Abstände verkürzen sich. Wer ständig stehenbleibt, verliert zusätzlich Zeit. Helena z.B. trinkt im Laufen, wie ich beobachtet habe. Bei Trinkpausen im Stehen vergehen 30 Sekunden und mehr. Beim Halbmarathon zeigt meine Uhr 2:16  Stunden, eine Laufzeit, die deutlich über der meiner vier- oder fünfmaligen Antritte in der Wachau liegt. Mit 2:10 wäre ich zufrieden gewesen, 2:16 hingegeben bedeutet, dass ich nur unter größter Anstrengung vielleicht 4:30 schaffen könnte, eher werde ich mich mit 4:45 begnügen müssen.

Ich finde mich damit ab, jetzt macht mir das Laufen wieder Spaß. Die schöne Landschaft, freundliche Helfer, die Gewissheit, dass bald 25 km erreicht sein werden. Helena ist entschwunden, sie läuft konsequent ihr Tempo und lässt sich durch keinen Mann aufhalten. Der Kurs führt durch Wösendorf, links sieht man die terrassenförmig angebauten Weingärten, rechts fließt die Donau im ungefähren Tempo der Nachhutläufer mit ca. 6:50 bis 7 min/km. Es geht weiter durch Weißenkirchen, wo bald darauf eine weitere Versorgungsstelle kommt. Würde man Wein statt Wasser servieren, wären gewiss mehr Läufer auf den verbliebenen 15 km anzutreffen. Einige würden vielleicht ganz auf das Weiterlaufen verzichten und wie beim Medoc-Marathon zu Genießern werden. Ich möchte hingegen die 30 km-Tafel noch unter 3:30 Stunden erreichen, was gelingt.

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Informationen: WACHAUmarathon
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