Stolz sind sie, die Spanier im allgemeinen, das weiß man ja. Und ganz besonders stolz sind die Valencianos, vor allem auf sich selber. Nicht nur, daß sie zwei Gold- und drei Bronzelabel der IAAF für ihren Marathonlauf ihr eigen nennen und dezent darauf hinweisen, daß keine andere Stadt derart viele Auszeichnungen hält („Sorry, New York; Entschuldigung, Berlin; Désolé, Paris“). Alle diese drei Läufe habe ich absolviert, insofern kann ich mitreden. Also, den Vergleich mit diesen drei Schwergewichten braucht Valencia nicht ansatzweise zu scheuen, das sei jetzt schon gesagt. Übrigens waren sie auch die ersten spanischen Marathonveranstalter mit einem Gold-Label und ihre Internetseite ist neben spanisch, englisch und französisch auch valencianisch, einer Varietät des Katalanischen, gehalten. Stadt des Laufens, das ist der Anspruch, den man hier hat.
Es scheint schon ein eigenes, selbstbewußtes Völkchen zu sein, das da an der spanischen Mittelmeerküste, exakt auf der Höhe Mallorcas, lebt. Knapp 800.000 Personen sind es, welche hier die 365 frostfreien Tage des Jahres genießen. Und attraktiv ist sie, die Hauptstadt der Valencianischen Gemeinschaft, die rund fünf Millionen Spanier umfaßt und eine von 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens darstellt.
So langsam arbeite ich mich also vor und auf der iberischen Halbinsel von Süd nach Nord voran: Die Marathons von Gran Canaria, Málaga, Sevilla, Lissabon und Palma de Mallorca sind abgearbeitet und weitere, auch unter touristischen Gesichtspunkten attraktive Läufe, wie z.B. Madrid, Tarragona und Barcelona harren noch meiner. Mich Weichei reizen natürlich auch besonders die hier vorherrschenden milden klimatischen Verhältnisse, die bei mir um die Weihnachtszeit regelmäßig den Fluchtreflex aus dem kalten Germanien auslösen.
Ausnahmsweise bin ich mal ohne persönlichen Fanblock unterwegs und reise erst am späten Freitagabend an. Was aber nicht schlimm ist, denn vor einigen Monaten hatte ich bereits die Möglichkeit, mich hier für einige Tage umzuschauen und viel Schönes zu entdecken. Das Ergebnis meines damaligen Besuchs, ein Dokumentarfilm über diesen Marathon, kann bei Interesse gerne auf Youtube angesehen werden. Leider sind die Hotels in der zentralen Innenstadt dem Ereignis preislich angepaßt, weshalb ich weit außerhalb in Paterna residiere und eine längere Anfahrt zum Ort des Geschehens mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf nehmen muß.
Am Samstagmorgen präsentiert sich die beeindruckende Marathonmesse (möglichst früh erscheinen, mittags ist die Hölle los) in einem herausragenden Ambiente (Ausweis nicht vergessen!) und dem großen Ereignis gleichermaßen quantitativ wie qualitativ angemessen. Klasse, daß auch hier, Wien durchaus vergleichbar, die Pasta-Party einen stark regionalen Einschlag besitzt: Sie entpuppt sich nämlich als Paella-Party, und das aus gutem Grund: Das spanische Reisgericht aus der Pfanne wurde hier erfunden („Paella Valenciana“) und ist das Nationalgericht der Region Valencia und der spanischen Ostküste. Der Begriff paella kommt aus dem Katalanischen (um 1892, Valencia gehört allerdings nicht zu Katalonien) und hat seinen Ursprung im lateinischen Wort patella (eine Art große Platte oder flache Schüssel aus Metall). Wir erinnern uns, leidgeprüft, an unsere gleichnamige Sehne. Um 1900 adaptierten die Valencianer das Wort Paella für die Metallpfanne, in der ihr Nationalgericht zubereitet wird. Neben diesem kredenzt man uns zusätzlich Radler, Cola, Brot und eine große (schälbare) Orange, so ist das in der Startgebühr inkludierte Mittagessen bereits gesichert. Und schmeckt hervorragend.
Allerdings habe ich aufgrund meiner späten Anreise den heute Morgen für 9 Uhr angesetzten Frühstückslauf über 5 km leider nicht wahrnehmen können, was ich nach der tollen diesjährigen Erfahrung in Paris sehr bedauere. Dessen schätzungsweise 2.000 Teilnehmer hat Álex Heras Lorente, der Kommunikationschef, als ich mit ihm ins Gespräch komme, gar nicht mitgezählt. „Wir erwarten morgen 30.500 Läufer aus mehr als 90 Nationen, davon alleine 22.000 über die Königsstrecke“, teilt er mir nicht ohne Stolz mit. Dabei waren beide Strecken schon lange im Vorfeld ausverkauft. Ich bin gespannt zu beobachten, ob die Strecke noch mehr Volk verträgt. Wer ganz nach oben schielt, denkt bestimmt auch über eine Erhöhung der Teilnehmerzahl nach. Erhöhen darf sich gerne auch die Zahl der germanischen Teilnehmer, die mit nur 308 auffallend niedrig ist. An Dr. Herbert Adams („Ihr seid aber auch überall!“) aus Mörfelden-Walldorf – wir schwärmen uns gegenseitig von den schönsten Laufzielen vor – und mir liegt's jedenfalls nicht.
Hübsche Städte, vor allem deren historische Teile, gibt es auf der Welt ja nicht wenige, wie mir meine diversen Laufreisen immer wieder deutlich vor Augen führen. Das Besondere an Valencia, das die Stadt von wirklich allen anderen unterscheidet, ist Folgendes: Bis in die 1970er Jahre führte durch sie mit dem Turia ein respektabler Fluß. Nach einem weiteren katastrophalen Hochwasser 1957 mit zahlreichen Toten in der überfluteten Innenstadt hatte man beschlossen, diesen südlich der Stadt umzuleiten. Zurück blieb die große Rinne. Was damit tun? Glücklicherweise wurde der ursprüngliche Plan, eine Stadtautobahn zu bauen, nicht umgesetzt. Dafür wurde auf 7,5 km Länge mit dem Jardín del Turia weitläufige Gärten und Parks angelegt. Heute gibt es Unmengen von Palmen und Orangenbäumen, außerdem Wasserspiele und sogar Fußballfelder. Daß die Anlagen auch ein innerstädtisches Laufrevier vor dem Herrn darstellen, brauche ich Euch wohl kaum zu erklären.
Am meerseitigen Ende des Parks wurde die Ciutat de les Arts i les Ciències, also die Stadt der Künste und Wissenschaften, errichtet. Die neu entstandenen Gebäudekomplexe geben dem Ganzen ein futuristisches Aussehen und werden gerade den Zieleinlauf in einem spektakulären Ambiente stattfinden lassen. Bis dahin müssen wir jedoch erst einmal gestartet sein, was um 08:30 Uhr auf einer breiten Straße unmittelbar am Park beginnt. Ich quatsche noch lange mit José aus dem Hotel und zweien seiner Marathon-Rookies, bis wir gemeinsam nach 20 Minuten im vorletzten von neun Blöcken die Startlinie überschreiten. Wir unterqueren dabei unter lautstarker Anfeuerung den 41 m breiten und 10 m hohen Start“Bogen“ („Einer der weltweit größten!“) und überqueren auf der Pont de Montolivet direkt den Park, zur Linken das prächtige Opernhaus, zur Rechten u.a. das IMAX-Kino. Brücke? Ja, natürlich haben sie beim Umbau des Flußbettes die Brücken stehen lassen. Gerade von unten betrachtet sind das schon geile Aussichten, insbesondere auf den späteren Zielbereich.
Kaum unterwegs, umrunden wir den Plaça d'Europa, und an mehreren markanten Hochhauskomplexen vorbei sind die ersten beiden km schnell zurückgelegt. Ich bin überrascht, den 5-Stunden-Zugläufer zu überholen, der mir zu schnell unterwegs zu sein scheint. Nach wenigen weiteren hundert Metern erreichen wir mit dem Edificio del Reloj das überaus attraktive, mehr als hundert Jahre alte Hauptgebäude der Hafenverwaltung, das insbesondere für seinen hübschen Uhrenturm bekannt ist. Leider führt man uns nicht unmittelbar am Hafenbecken entlang, daher entgehen uns die diversen dort ausgestellten Kunstwerke, insbesondere die Pamela des einheimischen Künstlers Manolo Valdés. Er hat schon etwas, der Kopf mit geschwungenem Hut! Dafür darf ich die beeindruckende Markthalle Tinglado bestaunen, ein Juwel des Jugendstils.
Nach guten anderthalb weiteren km parallel zum riesigen Stadtstrand, den wir leider nur kurz durch einige Baulücken erahnen können, biegen wir wieder in Richtung Innenstadt ein. Sehr schön sind die erhaltenen zweistöckigen Bürgerhäuser in Reihenbauweise, deren interessante Farbgestaltung das alte Valencia erahnen lassen. Nach fünf Kilometern sind 35 Minuten vergangen, das dichte Teilnehmerfeld und die Fotostops fordern eben ihren Tribut. Der erste VP ist, wie allen weiter folgenden ebenfalls, beidseitig aufgebaut und sehr lang. Schon hier gibt’s zusätzlich zum Wasser in Flaschen Iso (Gatorade), wahlweise im Becher oder ebenfalls in Flaschen. Trinken ist heute wieder einmal höchste Bürgerpflicht, denn wir erwarten und bekommen gegen Mittag wolkenlose 20 Grad, es ist ein Traum.
Kurz hinter km fünf kann ich auf der Gegenseite den gemischt äthiopisch/kenianischen Afrikaexpress ablichten, der, in beeindruckendem Tempo laufend, bereits kurz vor der Halbzeit steht. Die Jagd auf den Streckenrekord von 2:05:15 Std. ist in vollem Gange. Am Ende wird er von drei Athleten unter 2:05 Std. unterboten und die neue Marke auf 2:04:31 Std. gedrückt. Paco Borao, dem Präsidenten gleichermaßen des ausrichtenden SD Correcaminos (Road Runner) und der AIMS, kann es nur recht sein in seinem Bestreben, den Lauf in die Topelite der Veranstaltungen zu führen.
Die nächsten drei km erfolgen als Begegnungsverkehr auf der prächtigen Avenida los Naranjos mit ihren zahlreichen Orangenbäumen, wobei mir einige Sportkameraden sehr unangenehm auffallen, die deutlich vor der Wende beim Torre Miramar (der mich an die Kölner Brückenhäuser erinnert) an km 7 unter hörbarem Protest auf die Gegenseite wechseln. Vermutlich bleibt das jedoch folgenlos, denn eine Zeitkontrolle gibt es dort nicht. Die km 10 und 11 verlaufen auf der nach einem der bekanntesten spanischen Autoren, dem einheimischen Blasco Ibañez benannten, wunderschönen Allee. Aus anderer Richtung wieder am ehemaligen Wendepunkt angekommen, gilt es, auf breiter Straße die spanische Sonne zu genießen. Welch ein Luxus für einen Germanen zu Beginn des Winters!
Immer wieder werden wir von verschiedenen Musikgruppen, häufig Trommlergruppen, angefeuert. An die 200 „Äcktschen Poinz“, wie es so unschön auf Neudeutsch heißt, hat man uns versprochen. Mitten im zu umrundenden Kreisverkehr bei km 13,5 sprudelt ein höchst attraktiver Brunnen, den man fast schon mal zur Abkühlung hätte ansteuern sollen. Schöne historische Türmchen beidseits der Straße markieren den ersten Kontakt mit dem ehemaligen Flußbett des Turia, dem wir einen km folgen. Diese Ecke ist natürlich, da Innenstadtbereich, besonders publikumsintensiv. Klasse, wie sich hier die Fans aus über 90 Nationen in nicht selten landestypischen Kostümen engagieren. Nur an den ganz oben sichtbaren Tribünen erkenne ich das 55.000 Zuschauer fassende Stadion Mestalla des FC Valencia. Seine Fans sind berüchtigt, ihr Schlachtruf „Que bote Mestalla! (Laßt das Mestalla beben!“) ist legendär. Eigentlich sollten die hier schon seit 2010 nicht mehr spielen, aber aufgrund verschiedener, natürlich auch finanzieller Probleme, wird das neue Stadion („Nou Mestalla“) erst 2021 fertig werden.
An einer der nächsten Verpflegungsstellen wird zum ersten von zweimal Gel angeboten, und das intelligenterweise mehrere hundert Meter vor der Getränkeausgabe. Da kann keine Hektik aufkommen. Eine offensichtlich polnische Laufkollegin trägt das Shirt des Bieg Westerplatte, eines Zehners in Danzig am Ort der ersten Schüsse des 2. Weltkriegs. Diese Gedanken beschäftigen mich die nächsten Minuten. Wieder blitzen links und rechts auf einer engeren Straße erhaltene, farbenfrohe Bürgerhäuser auf, die sich wohltuend von den unmittelbar angrenzenden gesichtslosen, sehr viel höheren Neubauten abheben. Vor diesem Hintergrund ist das 21 km-Schild besonders hübsch anzusehen.
Damit ist zu diesem Zeitpunkt nicht derjenige dieser netten Reihenhäuser gemeint, sondern die des Schreiberlings. Denn dessen bekannte Allergie gegen lange Läufe ohne Startnummer, also aus seiner Sicht sinnbefreite Läufe, hat ihn, selbst verschuldet, in starke Zweifel ob seines Durchhaltevermögens gestürzt. Sechs Wochen nach dem letzten Marathon habe ich zwar auf den letzten Drücker noch mit Ach und Krach drei Alibi-Zwanziger gemacht, an deren Ende ich jeweils ziemlich platt war, aber keinen km weiter. Nun ja, bis jetzt rollt es noch gut und ich setze auf das Erinnerungsvermögens des Astralkörpers, wenn es darauf ankommt, also exakt jetzt. 2:13 Std. sind verstrichen.
22 km sind geschafft, der Autor hält sich wacker aufrecht, und erneut ist die wunderschöne Hafenanlage mit Markthalle und Hafenverwaltung im allgemeinen Fokus. Aber auch die Ladekräne und zahlreichen Boote geben ein nettes Bild ab, das man immer wieder gerne sieht. An prächtigen Häusern, Säulen und dem Riesenrad vorbei geht es wieder in Richtung Innenstadt dreieinhalb km am ehemaligen Flußbett entlang. Für schwache Gemüter ist das jetzt ein ganz schlechter Zeitpunkt, denn das Ziel liegt linkerhand zum Greifen nahe, als wir die Stadt der Künste und Wissenschaften passieren, wir können sogar die Moderation hören. Über den vom ersten km bekannten Plaça d'Europa hinweg kommend, wirken die auf Säulen sitzenden, geflügelten Brückenmonster beidseits der Puente del Reino bedrohlich. Ich mag diese possierlichen Tierchen.
Die beiden ehemaligen Fabrikschlote zur Rechten sind denkmalgeschützt und wirken zurecht wie aus einer anderen Zeit kommend. Zur Linken strahlt – später von der gegenüberliegenden Seite aus noch schöner anzusehen – mit dem Palau de la Música ein vielbesuchter Ort der Augen- und Ohrenpflege. Mehrfach springe ich jetzt auf den Bürgersteig, um in den heutigen Park des Turia hineinzuschauen, denn der ist wirklich höchst attraktiv und so wichtig als Bereicherung dieser lebenswerten Stadt. Dem Keramikmuseum an km 26 schenke ich nur einen kurzen Blick, denn der eine echte Ananas auf dem Kopf balancierende Kollege nimmt mich völlig gefangen. Nicht nur, daß er das Ding in der Bewegung seelenruhig hält, er wird auch quasi zeitgleich mit mir das Ziel erreichen (ich werde es also überleben, wie Ihr schon merkt und hoffentlich auch vermutet hattet).
Die Zolltürme der alten ehemaligen Aragón-Bahnhofs begeistern mich ein zweites Mal, nicht weniger der herrliche Brunnen, als wir über die Puente de Madera, eine der neueren von zahlreichen Brücken über den ehemaligen Verlauf des Turia auf die andere Seite wechseln.
Von den meisten Nichteinheimischen leider unbemerkt geblieben dürfte unmittelbar nach der Brücke rechts die Torres de Serranos, ein prächtiges ehemaliges Stadttor, geblieben sein. Kurz darauf ist die blaugekachelte Kuppel eines ehemaligen Klosters ein echter Hingucker. Ein wunderschönes Gebäude jagt das nächste: Der Glockenturm der Santa Catarina, das alte Lagerhaus, der Platz der Königin, in deren Hintergrund die Kathedrale, der Rathausplatz und was weiß ich noch alles. Super! Vor allen Dingen auch, daß km 30 in 3:08 Std. spurlos an mir vorübergegangen ist. Was mich aber nicht daran hindert, bei der Gelausgabe erneut zuzugreifen. Nach 31,5 km geht’s wieder über den nicht mehr vorhandenen Turia, wieder erfreue ich mich an einem Teilstück des gleichnamigen Parks.
Sehr schön, aber nicht zum ersten Mal gesehen (ich glaube, in Sevilla) ist bei km 32 die „Mauer“ aufgebaut, die es zu überwinden gilt: „Rompe el Muro“ (Überwinde die Mauer) werden wir aufgefordert. Allerdings zeigt sich nicht erst hier, daß es sich in Valencia um einen großen Marathon mit etlichen Teilnehmern handelt, die nicht genau wissen, wie lange 42,195 km sind: Die Zahl derer, die ich trotz meines sehr mäßigen, aber gleichmäßigen Tempos überhole, wächst ständig. Trotzdem werde ich ziemlich weit hinten landen.
Ich komme mit Bob, der Hand in Hand mit seiner Sharon läuft, ins Gespräch. Mein auf gleicher Höhe ansatzlos gesagtes „Please remain, Britain“ löst einen Gefühlsschwall bei ihm aus. Wir sind uns einig, daß der Austritt des (wirklich?) so großen Britanniens für alle Nachteile mit sich bringen wird, für die Briten jedoch katastrophale Folgen haben könnte, vor allem bei einem ungeregelten Abschied am 29. März 2019.
Politisch extrem Unkorrektes am Zoo, dem Bioparc: Drei Schwarzafrikaner trommeln neben dem Abbbild eines Gorillas unter dem Banner des Zoos mit der Botschaft „África en Valencia“. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Vermutlich wird auch kaum einer die lebensgroße Figur eines Elefanten im Eingangsbereich des Bioparcs auf der anderen Seite gesehen haben. Hier laufen wir wirklich auf der falschen Seite, denn der ist Bombe. Erst zehn Jahre alt, hat man hier auf großzügigem Platz die natürliche Lebensumgebung der Tiere nachgebaut. Richtig stark, das sollte man gesehen haben, denn er unterscheidet sich diametral von der Realität und den Möglichkeiten der zahlreichen, meist deutlich älteren Anlagen an anderen Orten.
Auf der richtigen Seite, nämlich parallel zu uns, fährt ein Kastenwagen mit geöffneten Hintertüren, in denen man Lautsprecherboxen sehen (auch auf dem Dachgepäckträger) und noch sehr viel besser hören kann, klasse Idee! Auf der Puente Nueve de Octubre überqueren wir den Anfang des Turia-Parks und befinden uns langsam, aber sicher, auf dem Rückweg. Km 35 ist genommen, es wird wieder richtig voll und entsprechend laut. Aus vielen schönen Hinguckern, wie z.B. der erneut passierten Kirche St. Augustin, herausragen die attraktive Front des Nordbahnhofs und die 16.800 Zuschauern Platz bietende, dem Kolosseum in Rom nachempfundene Stierkampfarena. Wenn ich richtig informiert bin, werden die vierbeinigen Kameraden hier nur noch müde gemacht und nicht mehr gemeuchelt.
Schon geht’s mit den Absperrgittern los, welche die entzückten Damen rechts und links der Strecke daran hindern, mich zu ergreifen und zu sich nach Hause zu schleppen. Jaja, Du 39. Kilometer der verpassten Gelegenheiten! Immer dichter stehen auch die Helfer, die mit Sprays letzte Dopingversuche unternehmen, und das in aller Öffentlichkeit. Ich brauche das natürlich nicht und schwebe weiter elfengleich dahin. Einen zwar kleinen, aber sehr netten Triumphbogen lassen wir links liegen und haben an der Plaza América wieder den Turia-Park erreicht. Jetzt endlich sehen wir über den Graben die Schauseite des Palau de la Música, ein traumhaftes Ensemble aus Wasser, Stein, Glas und Bäumen, das man selber gesehen haben muss.
Für nicht Wenige wird’s jetzt echt haarig und ich mache drei Kreuzzeichen, dass ich, von den üblichen Wehwehchen mal abgesehen, keinerlei Probleme habe. Das Erreichen des km 41 ist gleichbedeutend mit dem Wiedersehen der Brückenmonster der Puente del Reino, nur diesmal von deren anderen Seite. Dann wird’s richtig geil, denn die futuristischen Bauten der Stadt der Kunst und Wissenschaften sind voraus und damit die restliche Meterzahl nur mehr dreistellig.
Es geht hinab auf Parkniveau, unebener Untergrund, Vorsicht! Vorbei am Kunstmuseum, unter der Brücke hindurch, auf der wir gestartet sind, laufen wir auf das Wissenschaftsmuseum zu, in dem die Marathonmesse stattfand. Rechts schon das Wasser, geradeaus das traumhafte Gebäude. Rechtsschwenk, Lautstärke, Fans, soweit das Auge reicht. Da, vor uns beginnt der blaue Teppich, ein letzter Linksschwenk, wow!!! Dann kommt alles gleichzeitig.
Wer hier auf diesem Laufsteg über dem Wasser rennt, hat entweder den Streckenrekord vor Augen oder schlicht einen an der Klatsche. Das muss man genießen! Ich glaube, das ist der geilste Zieleinlauf, den ich je erlebt habe, und das waren schon ein paar. Foto links, Foto rechts, Genießen! Und dann kracht es aus den Boxen, wie bestellt:
„I was caught in the middle of a railroad track – thunder!
I looked around and I knew there was no turning back – thunder!
My mind raced and I thought what could I do – thunder!
And I knew there was no help, no help from you – thunder!
Sound of the drums beatin' in my heart
The thunder of guns tore me apart – thunderstruck!“
Ja, wie geil ist das denn? Der AC/DC-Kracher gibt mir den Rest, die Pommesgabel fliegt ins Ziel! Von Emotionen gezeichnet sind nicht wenige um mich herum, da ist es schön, nicht sofort aus dem Zielbereich gedrängt zu werden. Langsam wieder runterkommen, so lautet die Devise, wer wird denn die Contenance verlieren? Trotzdem trolle ich mich nur ungern von der Stätte großer Genugtuung, die ich in 4:22 Std. erreicht habe. Platz 16.180 von 19.502, au Backe... So weit hinten war ich noch nie. Doch wen interessiert's?
Zunächst bekommt, wer mag, einen Wärmeponcho inkl. Kapuze. Heute vielleicht nicht wirklich notwendig, aber doch gerne genommen. Mit der Tasche Erstverpflegung bekomme ich, nicht ganz formvollendet, meine Medaille ausgehändigt. Und was für eine! 156 g schwer (ich habe daheim nachgewogen) braucht sie den Vergleich mit z.B. Paris oder Las Vegas nicht zu scheuen. Und ist dazu aus purem Gold, was will man mehr? Auf der großen Freifläche wird kaltes Radler ausgegeben, da lasse ich mich doch direkt nieder und nutze die Gelegenheit zum Schwätzchen mit der netten Ulrike. Irgendwann trolle ich mich dann doch in Richtung Hotel, noch ganz beseelt vom Lauf und insbesondere seinem lautstarken Ende. Wie heißt es doch so schön weiter bei Gleichstrom/Wechselstrom?
I was shakin' at the knees
Could I come again please?
Yeah the ladies were too kind
You've been thunderstruck, thunderstruck,
Yeah, yeah, yeah, thunderstruck!
Sehr gerne käme ich wieder, wer weiß? Muchas gracias, Valencia, Ciudad del Running!
Streckenbeschreibung:
Flacher, attraktiver Einrundenkurs mit nicht spürbaren 84 Höhenmetern.
Startgebühr:
Je nach Anmeldezeitpunkt 55 bis 95 €.
Weitere Veranstaltungen:
10 km, Frühstückslauf am Vortag (ohne Zeitnahme).
Leistungen/Auszeichnung:
Gute Strecken- und Zielverpflegung, Funktionsshirt, sehr schöne Medaille.
Logistik:
Sehr viel Platz in zahlreichen, höchst attraktiven Gebäuden in ungewöhnlich schöner
Umgebung.
Verpflegung:
Ab km 5 Wasser und Iso, ab km 25 Früchte. Gels bei km 19 und 30.
Zuschauer:
Nicht überall, aber durchweg gut. Die Veranstalter sprechen von 200.000.