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Laufberichte

Zeit verpasst und trotzdem schweinestolz

08.12.07

Nachdem mich mein Kumpel, David Schlee, bei meinem ersten Marathon im Oktober diesen Jahres in Dresden allein hat starten lassen, lud er mich, quasi als Wiedergutmachung zum gemeinsamen Lauferlebnis nach Sondershausen ein. Dort finden, 700m unter der Erde, in einem Schacht eines stillgelegten Salzbergwerks diverse Sportevents statt. Dazu gehört auch der Marathon, der aufgrund seiner besonderen Bedingungen, 42,195 km mit 1.240 hm, 25°C bei nur 30% Luftfeuchte und dem Salz überall, was den Körper zusätzlich noch enorm austrocknet, zu den härtesten Sportevents in Deutschland zählt.

Da ich persönlich nicht unbedingt viel von derartigen Superlativen halte, da mittlerweile, dem allgemeinen Trend folgend, nahezu jeder seine Sportveranstaltung als „härteste“ oder „extremste“ deklariert, ging ich relativ routiniert in die achtwöchige Vorbereitung, die parallel zur Radsportvorbereitung für 2008 stattfinden musste. Somit hieß es neben den mind. 450 km pro Woche auf dem Rad nochmals über 110 km wöchentlich zu Fuß zu absolvieren, was sich aber auch auszahlen sollte. Auf Dresden hatte ich mich mit einem 3:30-Trainingsplan vorbereitet und erreichte beim Debüt eine 3:21:57 trotz immenser physischer Probleme. Da ich wusste, dass Sondershausen in allen Belangen keineswegs mit Dresden vergleichbar sein würde und ich dennoch eine Steigerung meiner Leistung haben wollte, trainierte ich hierfür nach einem 3:15-Plan, legte sehr viel Wert auf die ganz langen Vorbereitungsläufe, lief viel indoor, um die klimatischen Gegebenheiten zu „simulieren“ und stellte meine ernährungstechnische Vorbereitung unmittelbar vor dem Start etwas um.

Die Tatsache, einfach morgens 4:30 Uhr ins Auto steigen zu können, ohne mich um irgendetwas anderes kümmern zu müssen hielt mir den Kopf frei und ich konnte mich metal bestens auf den Lauf vorbereiten. In Dresden hatte ich viel dazugelernt und wusste, was man alles falsch machen kann. Ein Großteil der Fehler passiert im Kopf und der war diesmal klar. Mir ging es gut.

Gegen 7:30 Uhr in Sondershausen angekommen, holten wir auch rasch unsere Unterlagen und fuhren mit dem Korb die 700m untertage. Ich kannte das bereits, da ich schon mal in einem Bergwerk war. Unten hatten wir bis zum Start gegen 10:00 Uhr noch genügend Zeit, uns an das Klima und die Gegebenheiten zu gewöhnen. Ich bin vor dem Start eher ruhig und will noch mal in mich gehen. David hingegen befragte einen Haufen anderer Starter um uns herum, was sie erwarten, bisher gelaufen sind und sich vorgenommen haben, was dazu führte, dass sein Ego schon vor dem Start einen mitbekam. Das Leistungsvermögen von Menschen kann man nicht nach deren Worten oder Erscheinungsbild beurteilen. Was jemand kann, zeigt sich auf der Strecke. Das ist überall so und wird oft vergessen. Im Sport und im Job wird es nur schneller deutlich.

 


Ich konzentrierte mich auf mich und meinen Start. Am selbigen traf ich einen Kumpel aus der Randonneursszene, Uwe Schiwon den ehemaligen Vizeweltmeister im 10fach-Ironman. Mit ihm fuhr ich schon so manches Brevet und freute mich riesig, ihn in Sondershausen zu sehen. Er lief diesmal den Marathon zum vierten Mal und hält ihn für den härtesten, den er kennt und jemals auch gelaufen ist. 4:21 war seine beste Leistung im Schacht. Ich ließ diese Info, die entgegen meines Planes war, nicht wirklich an mich heran. Ein anderer Laufpartner und guter Freund, Silvio Lux, hatte mich vorher gefragt, wie ich mich fühle. Meine Antwort lautete 3:45 optimistisch; 4:00 realistisch. Ich hatte mir ausgerechnet, wenn Silvio im Harz bei 1.200 hm eine 3:44 läuft, ist eine 3:45 im Schacht drin, wenn ich bergauf einen 10er und bergab einen 12er Schnitt laufen würde. Und jetzt kam ein 10fach-Ironman mit einer 4:12… Und los ging es.

Die Strecke in Sondershausen ist ein 10,55 km langer Rundkurs mit 310 hm Steigung, was bedeutet, dass es auch 310 hm pro Runde abwärts geht. Alle 2,5 km ist ein Verpflegungspunkt. Erst hatte ich Bedenken, einen Rundkurs zu laufen. Aber das passte wunderbar, da man sich den Lauf in vier große zu jeweils vier kleinen Etappen einteilen konnte.


Durch den etwas verlegten „scharfen“ Start sondierte sich das Feld schon am Anfang und ich konnte mich schon recht weit vorn einordnen. Im ersten Viertel der Strecke geht es bergauf. Ich konnte Plätze gutmachen. Im zweiten wurde ich wieder eingeholt, weil ich bergab nicht so auf die Tube drückte. Im dritten kam der Brocken. Ein steiler Anstieg, der nicht mehr aufhören wollte. Nach jeder Kurve ging es wieder hoch. Das war der Punkt, an dem meinem Lauftrainer Steffen Scheitig unheimlich dankbar war, dass er mich den ganzen Sommer lang über die Berge trieb. Da hatte ich das Berglaufen gelernt und auch den nötigen Biss dafür bekommen. Während andere schon in der ersten Runde gingen, lief ich alles durch und konnte weitere Läufer pflücken. Aber so richtig interessierten mich die anderen gar nicht, da ich mich voll auf mich konzentrierte und so lief, wie es mein Körper wollte und konnte. Das vierte Viertel ist erstens voller „Frischluft“ und zweitens ohne nennenswerten Anstieg oder Abstieg. Genial zu laufen. Der Puls kommt da wieder gut runter.


Ich lief also meine Pace so durch und kam riesig und völlig problemlos voran. Der Blick auf die Uhr nach jeder Runde verriet, dass ich im Plan lief und die 3:45 greifbar waren. Endlich die letzte Runde. Nur noch einmal hier hoch, da runter und dort lang. Entweder hatten die Veranstalter jetzt zusätzlich noch eine Heizung aufgedreht oder hinter jeder Kurve einen Mann mit Keule versteckt! Schleichend und zunehmend spürbarer kackte ich ab. Die Luft, das Salz darin, die Temperatur und der Lauf selbst forderten jetzt alles. Ich hangelte mich von Verpflegungspunkt zu Verpflegungspunkt.

Der Kampf begann. Mir war es auch egal, dass es nur noch fünf oder zweieinhalb Kilometer bis ins Ziel waren. Ich musste jetzt auch an manchen Passagen kurz gehen. Das Wasser an den Stützpunkten schmeckte nun komplett salzig, wobei ich nicht weiß, ob das aus meinem Mund kam oder vom Wasser selbst. Bei der letzten Versorgung trank ich drei oder vier Becher, was mir fast den Rest gab. Zuviel. Mein aufgewühlter Stoffwechsel hatte damit ordentlich zu tun. Ich schnappte mir einen Läufer, der vorbei kam und klebte mich an seine Fersen. Er musste mich jetzt ziehen. Es war hart. Aber als ich das Schild sah, dass es nur noch 500m bis ins Ziel sind, rannte ich. Ich lief nicht, ich rannte. Ich wusste, dass die 4 wohl vorn dran stehen würde, aber ich wusste auch, dass ich eine Superplatzierung sowohl gesamt, als auch in der Altersklasse erreichen würde.

 
Am Ende dieses Trips stand eine gute 4:03:12 h, ein 5.Platz in der AK M30 von 26 Startern und ein 32. Gesamtplatz von 346 Startern. Darauf bin ich schweinestolz und das aus verschiedenen Gründen. Ich bin stolz, weil dies erst mein zweiter Marathon überhaupt war, weil dies ein besonders harter Marathon war, weil ich eigentlich Langstreckenradsportler bin, weil ich mich gegen ausgezeichnete Leichtathleten und reine Marathonläufer behaupten und durchsetzen konnte und ich bin stolz, weil ich dieses Leistungspotential in nur 20 Wochen entwickeln und ausbauen konnte. Ein wirklich geiles Lauferlebnis und ein grandioser Abschluss meiner ersten Laufsaison.

2008 gehe ich dann auf die Langstrecke und werde am Rennsteig die 72 km und beim Swiss Alpin in Davos die 78 km in Angriff nehmen und das am liebsten früher, als später. Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die mir in der Vorbereitung und der Durchführung meiner Läufe in diesem Jahr geholfen haben und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Ohne Euch wäre das niemals drin gewesen!

Von außen betrachtet, scheint ein Marathon recht einfach zu laufen und die Leistungen einfach abrufbar zu sein, zumal die Medien so was auch gern suggerieren. Höher, weiter, schneller! Das ist falsch. Sämtliche (Ausdauer)sportler trainieren ein Zigfaches an Zeit und Kilometerleistung von dem, was sie zum Wettkampf darbieten. Der Wettkampf ist schlussendlich „nur“ die Kür einer wochenlangen, intensiven, harten und entbehrungsreichen Vorbereitung. Sich selbst immer und immer wieder zum Training und den Schmerzen zu motivieren ist der Kern des Ausdauersports. Dann noch auf den Tag oder die Stunde hin genau das volle Leistungsvermögen abrufen zu können, ist die Grundlage einer gelungenen Kür. Leider wird das bei rhetorischen Relativierungen der Leistungen von (Ausdauer)sportlern gern vergessen. Ich habe das Gefühl, dass mir meine Kür in Sondershausen gelungen ist. Deshalb fühle ich mich jetzt so super und bin auch heute schon wieder 16 km ausgelaufen und 3,5 h ausgerollt.

 

Informationen: Untertage-Marathon
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