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Laufberichte

Der Alpenklassiker in neuem Gewand

 

Ich stehe am Bahnhof direkt am Wiesener Viadukt und warte mit Frau und Kind auf den Zug nach Bergün. Dort soll beim Swiss Alpine mein erster Marathon in den Alpen stattfinden. Die Läuferinnen und Läufer der langen Strecke kommen schon aus der Zügenschlucht und ich erkenne Klaus Duwe von Marathon4you. „Wegen Dir bin ich da!“, rufe ich ihm zu. Ja, es waren tatsächlich der Bericht und die Fotos von Klaus, die mich zur Teilnahme animiert hatten.  „Was machst Du denn dann hier am Bahnhof?“, lacht er zurück. Das ist tatsächlich schon 14 Jahre her.

Damals hatte ich mir die lange Strecke noch nicht zugetraut und der K 42 beim Swiss Alpine war für mich der Einstieg ins Trailrunning. Ich kann mich noch genau an jede Einzelheit erinnern. An der Alp Funtauna hatte ich gerade mal die halbe Strecke absolviert und war schon deutlich länger unterwegs als bei meinem letzten Stadtmarathon in Paris. Ich dachte, ich komme nie mehr ins Ziel. Die Veranstaltung war bestens organisiert. Quasi wie ein Straßenmarathon in den Bergen. Viele Verpflegungsstellen, viele Teilnehmende, Zieleinlauf mitten in Davos, wo uns viele begeisterte Zuschauer erwartet hatten.

Irgendwie habe ich es später nicht mehr nach Davos geschafft. Es gab eine ganze Reihe von Veränderungen bei der Veranstaltung. Mal mehr Trail, mal länger, dann wieder kürzer, bis man sich vor zwei Jahren auf ein neues Konzept mit einem „echten“ Ultratrail geeinigt hat, an dem man nun festhalten will.  

 

Da vos schön ist

 

Voller Erwartungen geht es also am Freitag nach Davos. Fünfzehn Hartfüßlerinnen und Hartfüßler (mein Verein) haben sich für die verschiedenen Strecken eingeschrieben. Praktischerweise haben wir bereits im Winter ein gemeinsames Hotel für uns alle gebucht. Schon am Vormittag kommen wir an und holen die Gästekarte ab, mit der es Ermäßigung bei den Bergbahnen gibt, denn das Mittagessen wollen wir auf dem Parsenn einnehmen. 102 Kilometer Skipiste gibt es hier und erinnert uns daran, dass dieses Gebiet als Wiege des Skisports gilt. Auf 2840 Meter genießen wir unsere Chässpatzen auf der Sonnenterasse direkt unterm Gipfel und schauen den kleinen Gemsen zu, die bis zur Hütte kommen. Von hier überblicken wir die gesamte morgige Strecke.

 

 

Diesmal passt sogar das Wetter, was bei meinen bisherigen Ausflügen in diesem Jahr nicht selbstverständlich ist. Nach dieser Turbo-Akklimatisation holen wir im Sportzentrum unsere Startunterlagen ab. Gerade laufen die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kidstrails im Stadion ein und werden mit viel Applaus und guter Stimmung empfangen. Es herrscht schon richtige Renn-Atmosphäre und unsere Vorfreude ist entsprechen groß.

Abends dann noch eine Pizza in der Nachbarschaft und voller froher Erwartungen geht es in eine ruhige Nacht.

 

Raceday

 

Um fünf Uhr klingelt der Wecker. Da in unserem Hotel viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer untergebracht sind, gibt es schon ein reichhaltiges Frühstück. Der Himmel ist fast wolkenlos und die Vorhersage ist perfekt. Die Winterausrüstung kann ich getrost im Hotel lassen und ich beschränke mich auf die Pflichtausrüstung.

Im Startbereich läuft ein Aufwärmprogramm als wir ankommen. Einige tragen das Finishershirt der Jubiläumsausgabe von vor 14 Jahren. Das müsste ich auch noch haben. Schade, dass ich nicht daran gedacht habe. Ich erkenne Jasmin Nunige, die das Rennen als Lokalmatadorin lange Jahre dominiert hat und die trotz Krankheit immer noch zu den Topathletinnen zu zählen ist. Sie gehört absolut zu meinen sportlichen Vorbildern und ich freue mich, sie am Start zu sehen. 

 

 

Mit ihr stehen etwa 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Startlinie,  davon schätzungsweise 350 für den Diamond, also die lange Strecke mit 68 Kilometern. Der gemeinsame Start ermöglicht es, dass nach knapp 30 Kilometer von der Diamond- auf die Gold-Distanz gewechselt werden kann, falls die Körner nicht reichen sollten. Aber ich fühle mich gut und denke gar nicht daran, abzukürzen.

Pünktlich um sieben fällt der Startschuss. Wir laufen erst ein Stück durch den Ort und werden kräftig angefeuert. Auf breiten Wegen geht es ins Dischmatal. Ich kenne die Strecke noch. Bei meiner Premiere war das der Rückweg. Von der Straße wechseln wir auf einen Fahrweg und dann auf Trails. Die Läuferinnen und Läufer sind noch nicht so recht im Trail-Modus angekommen und umgehen oft recht umständlich jede kleine Pfütze und alles, was auch nur entfernt an Schlamm erinnert. Aber mit jedem Kilometer wird der Untergrund mehr und mehr akzeptiert und die Schuhe werden schmutzig, wie es sich auf einem Trail gehört. Die Steigung ist moderat und es gibt nur wenige Gehpausen. So bin ich ratzfatz in Dürrboden, wo schon die zweite Verpflegung auf uns wartet.

 

 

Scalettapass

 

Es folgt der Aufstieg zum Scalettapass. Alphornbläser zeigen uns den Weg und vor uns liegen schneebedeckte, vergletscherte Bilderbuchberge. Jetzt wird es steiler und ich bin froh, dass wir noch im Schatten laufen. Ein paar kleine Schneefelder liegen am Wegesrand. Der Veranstalter hatte dazu geraten, Stöcke mitzunehmen, um im Schnee gut zurecht zu kommen, aber dafür brauche ich sie nicht. Auf dem Pass fülle ich an der Verpflegung meine Flaschen auf und nehme einen Riegel, etwas Kuchen und Obst, bevor es auf den Panoramatrail geht.

 

 

Panoramatrail - Sertigpass

 

Dieser spektakuläre Weg führt oberhalb des Val Funtauna am Berg entlang. Bei meiner Premiere bin ich beim K42 zur Alp Funtauna abgestiegen und habe die Teilnehmenden der langen Strecke beneidet, dass sie in der Höhe bleiben konnten. Die Strecke ist traumhaft schön. An manchen Stellen ist der schmale Weg von Regenfällen in Mitleidenschaft gezogen worden und man muss aufpassen, dass man nicht abrutscht. Dementsprechend langsam ist das Tempo, zumal das Läuferfeld noch recht dicht ist.

Ich genieße diesen Abschnitt sehr, obwohl mir heute die Höhe zu schaffen macht. Am Wegweiser zur Keschhütte biegen wir ab in die nächste Steigung zum Sertigpass, dem höchsten Punkt der Strecke. Über uns kreist öfters mal der Heli. Ich hoffe, nur zur Anlieferung unserer Verpflegung. Direkt unterhalb des Passes steht das Verpflegungszelt. Dort schauen die Sanitäter, ob noch alles im grünen Bereich ist. Ein Teilnehmer hat den Kopf verbunden und wird ausgeflogen. Ich fühle mich gut. Der Wind weht frisch, die Aussicht ist fantastisch. So geht es in den steilen Downhill. Wir haben die Sonne jetzt im Rücken und ab hier ist es nur noch ein Marathon.

 

 

Wir laufen immer entlang des Kühalpbaches in Richtung Sertig Dörfli. Wo sich dieser mit dem Duncanbach zum Sertigbach vereint, ist die Streckentrennung. Die Goldwertung läuft geradeaus weiter nach Sertig Dörfli, die Diamond-Wertung biegt ab zum Fanezfurgga Pass. Tom, ein Teilnehmer aus England, den ich eine zeitlang begleitet habe, trägt das Jubiläumsshirt von 2010. Er ist etwas angeschlagen und wird auf die Marathonstrecke wechseln.  Für viele ist das ein verlockendes Angebot. Aber ich habe noch eine gute Stunde zum Cutoff und biege, ohne zu zögern auf die 25 Kilometer Schleife ab.

 

Zum Fanezfurgga

 

Zuerst noch durch ein Waldstück, geht es dann durch eine Mondlandschaft recht heftig nach oben. Die Strecke ist plötzlich sehr einsam. Weit vor mir eine Läuferin, die aber schneller ist. Hinter mir kommt lange niemand. Da haben wohl viele auf die kürzere Strecke gewechselt. Es ist warm und der Schweiß fließt in Strömen. Die Landschaft ist sehr bizarr. Ich laufe über Blumenwiesen, während auf der anderen Seite nur Schotter auf einer endlosen Geröllhalde zu sehen ist. Darüber thronen vergletscherte Bergriesen. Ein Altschneefeld wurde von Geröll überschüttet. Der rauschende Bach hat einen tiefen Graben eingeschnitten. Die ganze Szenerie wirkt sehr wild und ursprünglich.

 

 

Das Rauschen des Baches lässt etwas nach, als ich zum Schlussanstieg das Kerbtal verlasse.

Die Mittagshitze und die Höhe machen mir arg zu schaffen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht vorwärtskomme und so ist es auch. Ich denke an die Abkürzung, aber versuche die Gedanken wegzudrücken. Ich überhole einen Wanderer, ansonsten ist keine Menschenseele weit und breit. Ich bin froh, als ich die Verpflegung unter dem Pass erreiche. Dort sehe ich auch die Läuferin von eben nochmal. Aber im Downhill hängt sie mich wieder ab.

Ich musste ziemlich Federn lassen und habe ein Motivationstief. An der Hütte in Oberalp nehme ich ein kühles Bier und spüle damit ein Gel, zwei Salztabletten und ein Bündel Zweifel herunter. Kurz darauf erreiche ich Monstein, wo auch die örtliche Brauerei ein (alkoholfreies) Hopfengetränk an der Verpflegungsstation den Läuferinnen und Läufern anbietet.

 

Letzter langer Anstieg

 

Gut gestärkt geht es in den nächsten und letzten längeren Anstieg. Ein breiter Fahrweg führt stetig nach oben. Es ist jetzt sehr warm und auch der Schatten im Wald bringt keine Erfrischung. 650 Höhenmeter gilt es auf den nächsten 4 Kilometern zu bezwingen. Ich habe in den Dieselmodus geschaltet und stapfe stoisch den Berg hoch. Es geht in Richtung Rinerhorn. Obwohl der Weg technisch keine Schwierigkeit hat, quäle ich mich sehr und verliere immer mehr Zeit.

Unterwegs treffe ich auf einen Offiziellen und frage nach dem Cutoff. Bis zur Verpflegung ist es noch ein gutes Stück und ich muss Vollgas geben, damit ich es noch schaffe. Die Strecke hilft mir dabei nicht. Ein stetiges Auf und Ab lässt kein großes Tempo zu und so muss ich die Tube komplett ausquetschen, damit ich noch rechtzeitig ankomme. An den vielen kleinen Rinnsalen und Bächen tauche ich meine Mütze ins kalte Wasser, um nicht vollends zu überhitzen. Eine kleine Hängebrücke wackelt wie ein Kuhschwanz, als ich drüber hetze.

Auf der gegenüberliegenden Bergseite sehe ich wenigstens wieder ein paar bunte Shirts. Das macht mir Mut und ich halte das Tempo hoch. Auf der letzten Rille erreiche ich Sertig Dörfli, wo hinter mir die Wertung geschlossen wird. Das war verdammt knapp und ich nehme mir vor, beim nächsten Lauf die Cutoffzeiten besser zu studieren, um frühzeitig reagieren zu können.

 

 

Nur noch zehn

 

Für die letzten zehn Kilometer haben wir gut zwei Stunden Zeit. Aber so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, ist es nicht. Der schmale Weg geht ständig hoch und runter und erst nach der Verpflegung in Boden erreiche ich den lange vorher erwarteten Fahrweg, auf dem ich es gemütlich rollen lasse. Die Sonne ist hinter den Bergen verschwunden und die Temperaturen sind wieder im angenehmen Bereich. Ich kann sogar einige Läufer und die Läuferin von der Farnezfurgga einsammeln.

An der letzten Verpflegung in Clavadel wird mir ein kaltes Bier angeboten, das ich nicht ablehne. Jetzt geht es nur noch über Straße und gute Fahrwege bergab, bis ich eine halbe Stunde vorm Cutoff  in Davos eintreffe. Der Empfang ist herzlich, obwohl ich einer der letzten bin. Ich hatte das Rennen tatsächlich absolut unterschätzt und bin froh, dass ich es geschafft habe. Einige meiner Vereinskollegen sind auch erst kurz vor mir angekommen und so feiern wir gemeinsam diesen fantastischen Tag in einer faszinierenden, wunderschönen Landschaft. Es war ein perfektes Rennwochenende.

 

 

 

Fazit

 

Der Swiss Alpine war einmal Maß aller Dinge im aufkommenden Trailsport. Das ist lange her. Immer länger, immer härter lautet derzeit die Devise. Der Davos X Trails hat wieder zu seinen Wurzeln zurückgefunden und bietet in neuem Gewand eine top organisierte Veranstaltung für alle Geschmäcker. Nicht zu technisch, nicht zu schwer, aber wegen der Höhe und vielen feinen Trails auch nicht zu unterschätzen.  Dazu gibt es reichlich Verpflegungspunkte mit allem, was Trailrunner so brauchen.

Mit seinen attraktiven Strecken, den vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und - trotz der Größe - einer herzlichen, familiären Stimmung, gehört er für mich zu den Top-Events im Trailrunning-Bereich. Mit diesen Attributen ist es der perfekte Lauf für den jährlichen Vereinsausflug. Gut geeignet auch für Novizinnen und Novizen. Genau das Richtige für ein fantastisches Wochenende, bei einer perfekt organisierten Veranstaltung, in einer der schönsten Ecken der Schweiz. Trailrunning, wie ich es liebe.

 

Strecken

 

Diamond, 67,6 Km, 2606 Hm+/-
Diamond Team, 67,6 Km, 2606 Hm+/- (Drei Teilstrecken)
Gold, 42,7 Km, 1424 Hm+/-
Silver, 23,6 Km, 631 Hm+/ 279 Hm-
Bronze, 9,3 Km, 163Hm+/-

Kids, 0,3 und 1,6 km

 

Als zusätzliche Attraktion für die teilnehmenden Läufer*innen sowie Zuschauenden werden zwei Spezial-Segmente angeboten.
 

Scott 100m-Sprint in Sertig und
777.ch Lucky Run kurz vor dem Zieleinlauf

 

Informationen: Davos X-Trails
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